* A Distributed Proofreaders Canada eBook *

 

This eBook is made available at no cost and with very few restrictions. These restrictions apply only if (1) you make a change in the eBook (other than alteration for different display devices), or (2) you are making commercial use of the eBook. If either of these conditions applies, please contact a https://www.fadedpage.com administrator before proceeding. Thousands more FREE eBooks are available at https://www.fadedpage.com.

 

This work is in the Canadian public domain, but may be under copyright in some countries. If you live outside Canada, check your country's copyright laws. IF THE BOOK IS UNDER COPYRIGHT IN YOUR COUNTRY, DO NOT DOWNLOAD OR REDISTRIBUTE THIS FILE.

 

Title: Von den Irrtümern der Liebenden. Eine Nachtwache

Date of first publication: 1922

Author: Franz Hessel (1880-1941)

Date first posted: August 23, 2025

Date last updated: August 23, 2025

Faded Page eBook #20250832

 

This eBook was produced by: Delphine Lettau, John Routh & the online Distributed Proofreaders Canada team at https://www.pgdpcanada.net

 

This file was produced from images generously made available by Internet Archive.

 


Book cover

Franz Hessel Von den Irrtümern der Liebenden Eine Nachtwache Ernst Rowohlt Verlag · Berlin 1922

 

Buchausstattung von E. R. Weiß

 

 

Copyright 1922 by Ernst Rowohlt Verlag · Berlin

1. Karbid

März des traurigen Jahres 1919.

Berlin.

Ein überfüllter Tanzsaal.

Um Mitternacht versagt plötzlich das elektrische Licht.

Geschrei und Taumeln.

Im Schein der Feuerzeuge ihrer Tänzer finden sich Lisa und Margot.

Lisa: „Jetzt noch Wasserstreik — ich habe vergessen, die Badewanne vollaufen zu lassen.“

Margot: „Und kein Gas — ich habe nur noch einen Kerzenstumpf.“


Einige Karbidlampen wurden angesteckt. Sie verbreiteten üblen Geruch und grell zuckendes Gespensterlicht, in dem die wilden Wandmalereien — Weiber nach Katzen greifend, Satyre nach Nymphen tastend — sich grotesk ins Wüste verzerrten.

Man schob und drehte wieder.

Vor dem kreischenden Karussell entließ Lisa ihren Partner, einen Ungarn, der sie durchaus auf eine Autofahrt nach Budapest oder wenigstens zur Lotterie drüben an der Tombola mithaben wollte. Sie starrte in die kreisenden Farben des Drehwerks. Margots schwarzes Kostüm tauchte aus dem Bunten auf.

Mitten aus der Fahrt sprang Margot ab und in die Arme der Freundin.

Lisa: „Warum tanzest du nicht?“

Margot: „Mein bester Tänzer ist aufs Podium gestiegen, hat eine Violine genommen und spielt mit. Er findet es zu voll und zu gemischt.“

Ein schmächtiger Jüngling in hellem Sommeranzug näherte sich.

„Da kommt dein Page Anselmo, Lisa. Erhöre ihn endlich! — Guten Abend, junger Dichter. Was schlagen Sie vor, unsern Zustand zu bessern?“

„Wollen wir uns auf die kleine Treppe zum oberen Saal setzen?“ meinte Anselm.

„Die zärtliche Treppe? Nein,“ entschied Margot. „Da gibt es nur Gestreichel oder Philosophie. Mich hat heute schon eine Berühmtheit mit Weltanschauung geödet —“

Lisa: „Und mich ein grünlicher Abiturient mit seinen Erfahrungen in Kokain, Haschisch und Äther.“

„Wir sind elend, man gebe uns zu trinken!“ rief Margot und zog die beiden an einen der Trinkerstammtische. Dort wurde geschimpft über den teuren Sekt, der nach Süßstoff schmeckte. Sollte man nicht besser in den Spielklub gehen, wo es noch richtigen Champagner gab? Oder in das bewußte Lokal, in das der Eingeweihte über strohbedeckte Hintertreppen und durch die Küche Einlaß fand?

Anselm mußte mitansehen wie ein gedunsener Kahlkopf sich an Lisas Schleier drängte und zittrige Finger nach ihren Prinzenhosen tasteten. Indes legte ihm eine Pausbäckige im Peplon behaglich ihren schwitzenden Arm auf die Schulter. Hilfesuchend sah er zu Margot hinüber. Zu der sagte gerade ein Gesicht mit Kneifer und Mittelscheitel leise sächselnd: „Wirwollenredlichanimalisch sein.“

Da sprang sie geekelt auf, und gleich waren Lisa und Anselm neben ihr.

„Nach Hause mit uns,“ befahl Margot.

Da kam eilig auf sie zu der kleine Kunstprofessor, den man im Freundeskreise Dappertutto nannte, weil er überall und bisweilen an mehreren Orten gleichzeitig aufzutauchen schien. An dem reich gestickten Ärmel seines chinesischen Gewandes hing ein zierlich flatterndes Wesen.

Es trug eine flimmernde Jacke mit breitausladenden Ecken auf Draht, dazu blaue Pluderhosen und rote Wadenstrümpfe.

„Ich bin glücklich, meine schönen Freundinnen,“ sagte er mit seinem immer noch etwas wienerischen Akzent, „Ihnen meine jüngste Freundin vorzustellen, und bitte, ihr gütigst einen Namen zu geben.“

„Wie heißen Sie denn?“ fragte Margot nüchtern.

„Diese Frage habe ich bereits vergebens an sie gestellt,“ sagte Dappertutto. „Sie erwiderte: Mein Name ist nicht schön, so in dem Tonfall, mit dem die reizende Jessika aus dem Kaufmann von Venedig sagt: Nicht macht die liebliche Musik mich lustig. — Nun, so müssen wir sie wohl neu taufen.“

„Hier, unser Dichter hat vielleicht Beruf dazu,“ sagte Margot.

Anselm näherte sich schüchtern und fragte die Fremde:

„Sie hüten vielleicht ein Geheimnis, gnädige Frau. Der Morgen soll wohl nicht wissen, wie schön Sie am Abend waren?“

Die Zierliche erwiderte mit blaßblauem Augenaufschlag: „Am Morgen werde ich jedenfalls weniger schön sein, zumal diesen Morgen. Es ist ja Freitag, ein garstiger Tag für mich.“

„Nun dann dürfen wir vielleicht Melusine zu Ihnen sagen. Diese Dame ließ sich am Freitag nicht sehen, weil sie dann einen Fischschwanz bekam und in ihr Element tauchen mußte.“

Der Name gefiel allen. Nur Margot fand ihn zu lang.

In diesem Augenblicke ging die nächste Karbidlampe mit häßlichem Geheule aus. Zugleich erhob sich unter der Kapelle ein Zank. Ein Inder und ein Türke gingen mit entrüsteten Ehrenmännermienen aufeinander los. Auf der andern Seite flog eine Tür auf. Ein kalter Luftzug fuhr herein.

Da sagte Dappertutto: „Ich glaube, wir haben alle genug von diesem mißglückten Mittfasten-Karneval. Ich habe zu Hause noch eine Flasche Likör und etwas Wein. Wir wollen uns einen kleinen melancholischen Punsch brauen und die schlechte Zeit vergessen.“

„Sie sind der Beste und Klügste,“ rief Margot und umarmte den Kleinen. Lisa und die Melusine folgten ihrem Beispiel. Und er sorgte dafür, daß diese Liebkosungen keine Theaterküsse blieben.

2. Kerzen

In der Garderobe trafen die fünf Aufbrechenden den Freiherrn Ulrich, der sich mit trüber Miene eine Zigarette anzündete. Als er Margot kommen sah, blickte er fort, worüber sie wie geschmeichelt lächelte. Dappertutto aber eilte auf ihn zu: „Sie müssen mitkommen, Baron. Wir fliehen auf meine Insel. Sie fehlten uns gerade, um komplett zu sein.“

„Ach, ich bin, fürchte ich, heute ein langweiliger Gesellschafter.“

„Das lassen Sie uns beurteilen,“ meinte Lisa. „Hat man sie geärgert auf dem Feste?“

„Ja, man machte mir Vorschläge zum Gelderwerb. Ich sollte als absolut zuverlässige Persönlichkeit mit Aufträgen nach Skandinavien reisen, in Briefmarken, in Medikamenten, in Platin. Aber mir scheint, es ist angemessener, zugrunde zu gehen, nachdem die Gelegenheiten zu einem anständigen Ende von 1914 bis 1918 versäumt sind.“

„Wollen Sie nicht Unterrichtsoffizier in Japan werden?“ fragte ihn Margot mit etwas spitzer Stimme. — „Dazu könnte ich Ihnen durch einen Bekannten verhelfen. Man sucht dort deutsche Militärs mit Kriegserfahrungen.“

„Schicken Sie mich gerne so weit weg?“ fragte Ulrich leise.

„Wer weiß, vielleicht käme ich am liebsten mit,“ erwiderte sie mit plötzlicher Wärme.

„Laßt die Zukunft,“ rief Dappertutto dazwischen. „Kommt mit mir ins Zeitlose.“

Er nahm Ulrichs Arm und ging voran.

Auf der Straße war es stockfinster. Nur die Lichter der Privatfuhrwerke, welche die streikenden Trambahnen ersetzten, flimmerten kümmerlich durch die Regennacht.

Beim Übergange zur Kanalbrücke geriet Lisas weißer Mantel in den Stacheldraht. Ein freundlicher Soldat leuchtete der Gruppe mit seiner Taschenlampe über die Brücke. Und von da war es nicht mehr weit bis zu Dappertuttos Tür.

Bei tropfendem Stearin stieg man langsam treppauf. Als man dann aber in das geräumige Atelier kam, wo Dappertutto gleich in allen Wandleuchtern Kerzen ansteckte, die ein altertümlich-festlich-mildes Licht ausstrahlten, und als alle sich auf Divanen, Sesseln und Kissen rings um den niederen Modelltisch lagerten und der kleine Meister auf einem anderen Tisch unter dem Teekessel die Spiritusflamme anzündete, überkam allmählich die drei Männer und drei Frauen ein Wohlbehagen.

Nur Ulrich blieb noch etwas unruhig, blickte umher auf japanische Holzschnitte und chinesische Stickereien, faßte nach Schalen und Statuetten. Da entdeckte er hinter einem Wandteppich ein Grammophon. Er drehte es an, kam zurück an den Modelltisch und half mit noch finsterer Höflichkeit der Margot von ihrem Sitze auf.

Die beiden schwarzen Figuren bewegten sich langsam und mit einer ungewollten Feierlichkeit. Die Jetperlen an Margots Kleid klangen aneinander. Ulrichs hohe Gestalt neigte sich zu der im Tanze Aufstrebenden. In der Sorgsamkeit, mit der seine Hände sie hielten und führten, lag eine immer noch zurückgehaltene Zärtlichkeit. Aber Margot schmiegte sich näher an ihn und seine Arme folgten gerne.

„Tanz versöhnt,“ flüsterte Lisa und sah auf den dunklen Scheitel des jungen Anselm, der vor ihrem Divanlager auf einer Rolle saß.

„Wollen wir auch tanzen?“ fragte er zu ihr hinauf. Aber sie schüttelte den Kopf und legte sich zurück. Die Ärmel sanken von ihren schmalen Armen. Die zarten Ellenbogen leuchteten wie Elfenbein.

Melusine, tief eingeschmiegt in einen Ledersessel, fingerte mit ihren Ringen und Ketten und summte zur Musik einen fremdländischen Text, ungarisch oder böhmisch.

Das Lied des Grammophons verging in leisem Surren. Die beiden tanzten noch eine Weile ohne Musik weiter. Dann kamen sie Arm in Arm zu den anderen. Es war einige Augenblicke ganz still im Raum. Eine weißgefleckte Katze kroch auf Melusinens Schoß.

Als dann Dappertutto den dampfenden Punsch auf den Tisch gestellt, die Gläser gefüllt und seinen Gästen zugetrunken hatte, sagte Lisa: „Wir fangen an, glücklich zu werden. Um es zu bleiben, ohne ganz zu versinken, und um uns nicht durch witzige Gespräche aufzuschrecken aus dieser traumhaften Nachtwache, wollen wir uns Geschichten erzählen, traurige Geschichten, die angenehm sind.“

„Ja,“ meinte Dappertutto, „traurige Geschichten, die lustig machen.“

„Vom Wahn und Irrtum der Liebenden,“ schlug Ulrich vor.

Anselm: „Nur nichts vom Glücke!“

Lisa: „Nur nichts Idyllisches!“

„Warum nichts Idyllisches?“ fragte Margot. „Ich bin zwar nicht sonderlich sentimental. Aber ich liebe nichts so sehr als die alten Schäfergeschichten. Da gibt es keine gesellschaftlichen und moralischen Konflikte. Untreue ist natürlich und Treue ein Glück. Arkadien ist mein Traum. Dabei bin ich ja wohl ein ziemlich modernes Geschöpf, und in meinem Leben geht es oft zu wie im Kino.“

„Kino ist nicht modern,“ belehrte Ulrich. „Kino enthält die augenscheinlich gemachten Empfindungen aus früheren Zeiten, Karrikaturen des früher Vornehmen, das jetzt das souveräne Volk sich nachzuempfinden erlaubt. Sie, Margot, sind viel wirklicher als Kino sein kann.“

„Erzählt doch Märchen wie die Königskinder,“ sagte Melusine und schmiegte ihren Lockenkopf an Dappertutto, der auf der Armlehne ihres Sessels saß und ergötzt auf sie niedersah.

„Soll man Ihnen den Froschkönig erzählen?“ fragte Margot mit einem Blick auf Dappertuttos krausbärtiges Gesicht und sein etwas breitmäuliges Lächeln.

„Erzählt, fabuliert, bekennt und lügt, wie es euch ankommt,“ rief Dappertutto.

Und Lisa, von der der Vorschlag ausgegangen war, mußte selbst den Anfang machen. Sie blieb ruhig liegen und begann, ohne jemanden anzusehen, zur Decke hinauf:

3. Gefärbte Tulpe

Wenn ihr über den Potsdamer Platz geht, vorbei an den feldgrauen Händlern mit Zigaretten, Malzbonbons und Pfannkuchen und an den Roulettes der fliegenden Spielbanken und kommt zu den Blumenständen, so könnt ihr neben den ersten Märzbechern, Kätzchen und Veilchen, den Treibhausrosen und -nelken, neben all diesen wilden und zahmen natürlichen Blüten Gefäße mit gefärbten Blumen sehen. Darin gibt es grüne, blaue und kupferrote Tulpen, die besonders im Laternenlichte bunter und märchenhafter aussehen als die naturfarbenen. Sie können, glaube ich, gar nicht welken, sind immer gleich schön und ungewöhnlich. Aber ich möchte mir keine davon mit nach Hause nehmen. Sie dauern mich. Wer weiß, was für ein heimlich vergiftetes Mumienleben sie führen.

Diese Tulpen erinnern mich immer in einer mir selbst nicht ganz deutlichen Ideenverbindung an eine schöne verstorbene Jugendfreundin.

Edith entstammte einer der wenigen altberliner vornehmen Bürgerfamilien. Ihre Onkel waren Geheimräte und Bankiers, ihre Vettern Offiziere und Professoren, die Kusinen entweder gut verheiratet oder sehr tätig, mit Studien und Ehrenämtern beschäftigt. Im geselligen Haus ihres Vaters, eines berühmten Chemikers, war sie von soviel Weisheit und Wissenschaft umgeben, daß von den zahllosen Forschungs- und Bildungsdingen, die sich reizvoll darboten, nichts Einzelnes sie reizte.

Unter den jüngeren Freunden und Freundinnen des Hauses gab es auch muntere Liebhaber aller Sporte, die zu Golf und Tennis, Ski und Bobsley einluden. Aber die hatten in ihrer gleichmäßigen Beweglichkeit etwas elastisch Undurchdringliches. Edith bewunderte sie ebenso wie die Gelehrten. Sie fühlte keinen Ehrgeiz, es ihnen gleichzutun.

Von Kindheit an hatte sie Sehnsucht nach dem Außerordentlichen, dem Unberechenbaren. Sie war zart und gebrechlich und träumte von Raub und Gewalt. Die Annäherung eines höflich grüßenden Herren auf der Straße war ihr peinlich und widerlich.

‚Wie mag das sein, wenn ein schlimmer Bursche aus dem Wedding oder Gesundbrunnen mich einfach am Arme packte!‘ dachte sie und schauerte in begehrlicher Angst.

Unter Ediths Freundinnen hatten einige Berührung mit Kreisen unregelmäßigeren und gewagteren Lebens. Und so erfuhr sie, obwohl sehr sittsam erzogen, manches von den Komödien und Tragödien der Leidenschaft und des Genusses. Aber in der ihr erreichbaren Sphäre war man äußerst verständig und von der sogenannten Liebe wurde in einem spöttischen und wegwerfenden Tone gesprochen wie von etwas Lächerlichem und geradezu Subalternem. Natürlich konnte sie einigem Flirt nicht entgehen. Denn vor ihrer exotischen Schönheit brachten Reife und Unreife beredt oder stammelnd verliebte Reden vor. Das gewöhnte sie aber nur immer mehr ans Ironisieren und an die karge Lust, abzuweisen. Sie sah keine Möglichkeit, selbst in eine Leidenschaft zu geraten. Und hatte sie im Einschlafen auf den kühlen reinen Leinen aus dem Wäscheschrank ihrer guten Mutter bisweilen Sehnsüchte, für die es im Elternhause keine Worte gab, so war es ihr doch, wenn sie morgens, meist noch müde, erwachte, beruhigend und tröstlich, sich in diesen Decken und Kissen wiederzufinden und nicht auf fremdem Lager in irgendeinem Atelier oder Boudoir.

Mehr als all die Wohlbekannten oder schnell Einzuordnenden, die sich auf Bällen, Tennisplätzen und Segelfahrten um sie bemühten, gefielen ihr Männer, die man zufällig, etwa auf Reisen trifft und von denen man nichts Sicheres weiß, am meisten solche, die man gar nicht kennen lernt: man wechselt mit ihnen im Theater oder in der Hotelhalle einen Blick, zu dem man sich nicht zu bekennen braucht.

Als nun der große Krieg begann und rings um sie die sonst so Skeptischen, Vernünftigen und international Interessierten von einer jähen vaterländischen Begeisterung ergriffen schienen, hatte sie das traurige, ja erschütternde Erlebnis, nicht mitfühlen zu können. Sie empfand, wie sie mir selbst gestanden hat, mitten in der bewegten Menge, die durch die Linden dem Schlosse zu drängte und jubelte, eine Fremdheit, als wäre sie im Ausland in einen Auflauf geraten, dessen Ausbrüche und Worte ihr unverständlich blieben; und als sie, um dieser Qual zu entgehen, sich umwandte und mühsam durch die Entgegenströmenden heimwärts strebte, kam sie sich wie ein Gespenst unter den Lebendigen vor.

Auch was sich in ihrer nächsten Umgebung abspielte und ihr alle Elemente zu einem lebhaften Anteil darbot, blieb ihr einzeln und fremd. Aus Pflichtgefühl tat sie und redete, was angemessen schien. Der Abschied vom eigenen jungen Bruder, der als Freiwilliger ins Heer eintrat, machte ihr nur Kummer und Angst. Der tägliche Verkehr mit würdigen Männern, die mit Leib und Geist der gemeinsamen Sache dienten, bereitete ihr nur Selbstvorwürfe über ihre Wesenlosigkeit. Die jungen todesmutigen Marine- und Fliegeroffiziere, die von ihren Freundinnen umschwärmt und verehrt wurden, ließen sie kalt, ja, die frische Lebensart dieser Herren, die nur witzig oder mit preußisch-nüchternen Kernworten von ihren Erwartungen und Erfahrungen sprachen, erregte Ediths Widerwillen.

Im Spätherbst des ersten Kriegsjahres bekam ihr Bruder, vor dem Transport seines Regimentes an die Front, einen kurzen Urlaub. Er brachte einen Kameraden mit und bat seine Familie, diesen, der vielleicht nicht ganz „möglich“, aber sein nächster Vorgesetzter sei, in seinem Interesse gut zu behandeln. Es erschien ein etwa dreißigjähriger gedrungener breiter Unteroffizier mit weißblonden Haaren und Wimpern und rötlicher Haut. Er war Landwirt und aus Westfalen. Er faßte die Hand, die Edith schmal reichte, mit seiner mächtigen von Sommersprossen flimmernden Rechten fest an. Die Schultern bewegte er beim Gehen langsam nach vorn wie ein Zugstier. Seine Mischung von Schüchternheit und Stolz gefiel den Eltern. Als die Mutter Edith nach ihrem Eindruck von dem Gaste fragte, sagte diese: Er wirkt wie ein Landaufenthalt.

Mit der Stadt Berlin wußte er nicht viel anzufangen. Nachdem man ihn am zweiten Urlaubstage in den Zoologischen Garten geführt hatte, wollte er auch die nächsten Tage dort hin. Er hielt sich nicht lange vor den Käfigen der merkwürdigen Raubtiere oder seltsamen Neuweltler und Australier auf, sondern beobachtete, seine Pfeife rauchend, die nächsten Verwandten unserer Haustiere und unseres Wildes, Büffel, Hirsche, wilde Ziegen.

Mit dem Herrn Professor, Ediths Vater, redete er von Kunstdünger.

Um sein Interesse zu erregen, befragte Edith ihn über landwirtschaftliche Dinge. Er antwortete mit gutmütiger Umständlichkeit. Sie redete aufs Geratewohl von Saat und Mahd und Grummet und sehnte sich in den Armen dieses Ruhigen zerdrückt zu werden. Sie hatte bisweilen die Vision des schmalen Pfades zwischen den hohen Ähren, auf dem er ihr begegnete: Sie ging gegen die Sonne, von der seine Gestalt so durchflutet war, daß sie ihn nicht ansehen konnte. Ausweichen war unmöglich. Und er kam mit quälender Gelassenheit ganz langsam näher.

Am letzten Abend wollte Ediths Bruder den Kameraden in das großstädtische Nachtleben mitnehmen. Der erklärte: „Ich gehe eigentlich nicht gern in fremde Wirtshäuser. Da sitzt man dumm da oder es gibt Streit.“ — Aber schließlich ließ er sich bewegen.

Edith saß strickend neben der Mutter, welche traurig darüber war, daß ihr Sohn sie am letzten Urlaubsabend verließ. Die Tochter mußte beruhigen und trösten. — „Mein Sohn ist gerade so ein Experimentierer wie ich,“ sagte der Vater; „er muß durchaus diesen schwer zu lösenden Bauern ins Städtischste vermischen: das macht ihm mehr Vergnügen, als bei den Seinen zu sitzen.“ — Edith versuchte, ihre wachsende Aufregung als Sorge für den unerfahrenen Gast zu deuten, den sie in lauter Gefahren glaubte.

Nachts lag sie lange schlaflos in spannender Erwartung. — Es muß etwas geschehen, sagte sie sich. Als sie endlich einschlummerte, hatte sie wildjagende Träume: Sie stand hinter der Bar und mischte und reichte den Herren Getränke. Ihr Bruder streichelte sie und gab ihr derbe Kosenamen. Der Fremde nahm das Glas aus ihrer zitternden Hand in seine buntflimmernde Faust. Dann lag sie neben ihm in einem Schützengraben. Granaten schlugen hinter ihnen ein. Splitter — es waren Sektglassplitter — klirrten und sprühten. Sie bedeckte den Fremden, den Geliebten, mit ihrem Mantel. Der Mantel war ihr weitfließendes Hemd. Der Geliebte lag wie ein dickes, leuchtendes Kind an ihre entblößte Brust geschmiegt. — Mit einmal war sie in einem Hurenhaus und mußte sich in einer Reihe fetter und magerer Weiber seinem prüfenden Blicke darbieten. Seine kleinen undeutlichen Augen mit den hellen Wimpern glitten über sie hinweg zu den anderen.

Sie erwachte und hörte die Wohnungstür öffnen und die beiden Heimkehrenden flüstern. Der Bruder ging nach hinten, der andere in das Fremdenzimmer vorn. Edith saß einige Minuten starr aufrecht, dann erhob sie sich, streifte den Schlafrock über, stand zitternd im Hausflur. — Noch kann ich zurück, dachte sie, stützte sich auf eine Stuhllehne und schloß müde die Augen. Aber im nächsten Augenblick hatte sie schon die Tür zum Fremdenzimmer geöffnet: sie sah im Mondlicht das helle Haupt des Mannes. Die Augen waren geschlossen. Wieder fühlte sie die Pause, die Möglichkeit, umzukehren. Dann stürzte sie sich mit Todesmut an seine Brust.

Erstaunlich bleibt die Besonnenheit dieses Landmannes, der sich aufrichtete, neben ihr sitzend, ihre Hand in seine Fäuste nahm und auseinandersetzte: es wäre freundlich von ihr, daß sie ihn liebte. Aber eines Landwirtes Frau zu sein, dazu wäre sie nicht geschaffen. „Da gibt es soviel Arbeit, selbst wenn man Mägde und Knechte genug hat.“ — Sie hörte Worte. Lieben und Sterben, hatte sie gedacht. Und er sprach von Arbeit und Mägden. —

„Wenn ich im Kriege fallen sollte,“ fuhr er fort, „möchte ich nicht gern ein Kind ohne Vater hinterlassen.“

Edith zog die eiskalte Hand aus seinem Griffe, ging stumm weg hinüber in des Vaters Arbeitszimmer, wo sie Bescheid wußte, und fand im Giftschranke, was sie brauchte.

Ihre Eltern haben die Ursache ihres Todes nie erfahren. Mir hat sie ihr Bruder anvertraut, dem der Kamerad einmal, als sie in gefährdeter Stellung lagen, Ediths nächtliche Erscheinung berichtete und kummervoll fragte: „Was sollte ich denn um Gottes willen mit dem Fräulein tun?“


Dappertutto erhob sich, brachte der Erzählerin ein Glas Punsch und sagte, indem er mit Ehrerbietung und Behagen ihre Knöchel streichelte: „Schön erzählt, meine verehrte Lisa. Ihre Edith ist mir deutlich bis auf den Schluß. Konnten Sie sie nicht am Ende noch im Flur umkehren lassen?“

„Und selbst, wenn sie nicht umkehrt,“ fiel Margot ein, „wer weiß, vielleicht hat sich der Kerl gar nicht so feige benommen, wie er es nachher dem Bruder darstellt.“

„Muß denn aber auch dann unsere schöne Edith sterben?“ meinte Dappertutto weiter streichelnd. „Konnte sie nicht mit einer Enttäuschung davonkommen?“

„Warum Enttäuschung?“ fragte Margot. „Dieser Bauer war vielleicht besser als mancher Bürger oder Edelmann. Seine Langsamkeit gefällt mir, dies erregende Phlegma —.“

„Gut,“ rief Ulrich, von seinem Sitz auffahrend. „Sie kommt, sie weckt ihn, sie wird glücklich! Wenn er dann aber vielleicht einschläft, der Fremde, muß sie sich nicht entsetzen in ihrer gräßlichen Einsamkeit, muß sie ihn nicht töten oder selbst sterben?“

Lisa sah den Sprechenden weitäugig an: „Wie kommen Sie auf diese Lösung, die — manches für sich hat?“

Ulrich: „Das Wesen Ihrer Edith, die ich in ihrem unangepaßten Traumwandel verehre, bringt mich darauf, und dann eine Geschichte, die eine gewisse, entfernte Ähnlichkeit hat in der hilflosen Einsamkeit der Liebenden.“

„Was für eine Geschichte?“ wurde gefragt.

„Nun, sie geht nicht so tragisch aus,“ sagte Ulrich, „ist aber nicht weniger traurig und schicksalsvoll.“

Und dann erzählte er:

4. Mohn

Ich kannte Einen von den Vielen, die, kaum verheiratet, in den Krieg mußten, die an einer Hoteltür der noch halb fremden Gattin Lebewohl sagten und hinübergingen in den grellbestrahlten Eingang des dunklen Bahngebäudes.

Dann gab es für ihn ja Zeit genug, sich die Heimkehr und das Wiedersehen auszumalen auf dem Exerzierplatze der Garnison, bei den Mahlzeiten im Kasino, in der traurigen Leutnantsstube der Festung, im Schützengraben und auf den einsamen Wegen von Wache zu Wache: Immer wieder erlebt er seinen Eintritt in die noch unbekannte kleine Wohnung, welche inzwischen die Geliebte, die Gattin, eingerichtet und geschmückt hat. Mit Bildern und Kissen, die auf ihn warten. Und vorher die Einfahrt in die Stadt, die Ankunft und ihre Gestalt auf dem Bahnsteig und das erste Wort.

Und in die Kluft der Trennung häuft er die hundert und aber hundert zärtlich hilflosen, ins immer Unbestimmtere tastenden Briefe. Monate, Jahre vergehen. Endlich ist der Urlaub erwirkt.

Er sitzt, zwischen schlafende Offiziere eingezwängt, im Zuge Warschau — Berlin. Er schläft nicht, er phantasiert, entwirft, was er ihr Liebes sagen wird an der Bahn, im Wagen, auf der Treppe. Aber sie kann ja gar nicht genau wissen, wann er kommt. Sein Telegramm konnte nur Ungefähres melden. Es gehen mehrere Urlauberzüge hintereinander. Seiner scheint nicht der fahrplanmäßige, scheint ein Vorzug zu sein. Ach, es ist vielleicht besser, so kann er noch rasch irgendwo das Gesicht abwaschen, ehe er vor sie tritt. Vielleicht ist es am schönsten, sie erst in ihrem Zimmer zu finden, zwischen ihren Kissen still wartend, bewegt und still. —

Könnte er nur ein wenig schlafen! Der hämische alte Oberst hat ihm bis zum letzten Moment Dienst gegeben. Nach durchwachter Nacht, geradewegs von der Postenrevision kommend, mußte er auf der Landstraße vier Stunden laufen, um noch das Lastauto zu erreichen, und darin stehend, über holprige Knüppeldämme und Chausseen zur ersten Bahnstation fahren; dort in Staub und Sonne warten auf die Kleinbahn, dann zwischen Schwatzenden, Schnarchern und Fressern in üblem Tabaksdunste weiter treiben bis zum Berliner Zuge. —

Jetzt kommt ein kurzer Starrschlaf über ihn, aus dem er bald wieder aufschreckt mit dem Qualgedanken: ich darf nicht schlafen; sonst geht der Urlaub vorbei, das Leben geht vorbei. Er fühlt den Unsinn dieser Vorstellung. Aber einschlafen kann er nun nicht mehr.

Draußen wird es Abend, heiß lastender Sommerabend über dunstenden Äckern und dünnen Föhren im trockenen Sande. Es kommen Schuppen und Häuserblöcke im leeren Felde, dann einzelne zu früh angesteckte Lichter und wieder Schuppen, die metallenen Ställe der Lokomotiven, Plakate mit Worten aus Friedenstagen und plötzlich viel graue Vorstadtstraßen. Ist das die Heimat? Wird aus all dem sein Berlin werden?

In der ersten Bahnhofshalle steigen viele Soldaten schwerbepackt aus. Frauen heben die Arme empor, bekommen Pakete, Säcke und Kisten, erst hinterher den Mann, den Sohn, den Vater. Man hört Gespräche über Fleisch, Speck, Butter. Weiter geht der Zug durch die Stadt. In Hinterhäusern leuchten Kontore auf mit blassen Schreiberinnen. Reklamebilder kleben an öden Wänden. Aus hochgelegenen Speisehäusern saugen gierige Mädchenblicke an den Fenstern der Soldaten. Nun kommt der Tiergarten. Da ist die Brücke und dort die Schleuse, in deren Sprudelwehr er als Kind gestaunt hat, und hier der alte Wasserturm, dahinter die bunten Kuppeln des Zoo.

Sie kann unmöglich an der Bahn sein. Der Zug kommt viel zu früh an. — Ach, wäre sie da! Sie nur sehen und hinsinken! — Die vielen Frauen. Die suchenden Augen. Die dort und die, das könnte sie sein. — Entsetzlich! Weiß ich nicht mehr genau, wie sie aussieht? Kenn ich nicht jeden Zug in dem geliebten Gesicht? Warum wird ihr jetzt jene Abseitsstehende so ähnlich? Die hat doch dunkles Haar und einen ganz zusammengezogenen Mund. — Warten denn alle Frauen auf mich? Auf mich und auf alle? Ist das besondere, das eigene Erlebnis ein Unsinn, ein Frevel geworden? — Fort mit all diesen Gedanken! Schnell zu ihr, ohne Aufenthalt, so wie ich bin, zu ihr!

Saumselige Droschkenfahrt. — Da ist das Haus. Zwei Treppen. Ist es auch die richtige Tür? Ja, da steht sein Name, sein eigener Name. — Ein Mädchen öffnet, weicht zurück ins Halbdunkel. — „Gnädige Frau, ein Herr, ein Soldat.“


Und nun kommt sie. — Eine graue Gestalt faßt nach ihr wie der Bräutigam ihrer Köchin nach seiner Lina.

So lange, so viel hatte sie gewartet. So oft schon sollte er kommen. Aber dann wurde es immer wieder nichts; dann kam er nur noch weiter fort. Und es gab Friedenshoffnungen; und es hieß: nur noch ein halbes Jahr, nur noch Monate. Und sie machte abergläubische Schicksalsproben und legte sich Karten. Sie schämte sich, ein leidlich bequemes Leben zu führen, während er entbehrte, und hatte fast Neid auf sein einfaches und unabwendbares Elend.

Sie tat, was Tausende taten, sammelte, nähte, pflegte, ohne daß es ihr viel half.

Die Zeit wurde länger als die Spannung anhalten konnte. Sie erschlaffte und sehnte sich nach Lust und Müdigkeit. Augen quälten sie und der Anblick von fest um einen Stockgriff packenden Fingern, von breiten Schultern in Mänteln, von dunklem Haaransatz über bläulich rasierten Wangen.

Dann gab es wieder zum Trost die Kinderstube im Elternhause, die kleine Schwester mit Puppenküche und Kreuzstichstickerei, die weich angelehnte Freundin mit Liebeskummer, und in der eigenen neuen Wohnung zu tun, allerlei zu tun.

Als der Geliebte in den vorderen Schützengraben und in große Gefahr kam, lebte sie auf, wurde stark von Fernliebe.

Aber dann wurde sein Regiment in die Etappe versetzt. Er schickte wie tausend andere kleine Pakete mit Lebensmitteln. Erst löste sie zärtlich die Schnüre, die er ungeschickt mit viel zu viel Knoten befestigt hatte. Doch auch dies wurde Gewohnheit.

Endlich kamen Briefe mit Urlaubshoffnung. Und heut, vor wenigen Stunden, das Telegramm.

Sie wollte sich gerade umziehen und an die Bahn gehen. Sie freute sich auf das Warten. Etwa eine Viertelstunde würde sie stehen und das Geleise entlang in die Ferne schauen. Geschwinde Stadtbahnzüge würden kommen, rasch halten und kurzatmig weiterlaufen. Dann würde langsam der große Fernzug anrollen, und unter den vielen, vielen, welche die Harrende mit soviel Ankunft überströmten, würde er erscheinen. Die ganze Trennungszeit war dann eingegangen in die wenigen Minuten der letzten Erwartung, und sie konnte aus innerstem Herzen zu ihm sagen: Da bist du endlich. So lange habe ich gewartet. Hab ich nicht, seit du fortgingst, die ganze Zeit auf diesem Bahnsteig gestanden?

Nun stand er plötzlich hier im Flur, hatte hartanzufassendes Tuch am Leibe und dicke Knöpfe. Im Lichte der Eßzimmerlampe erschien er dann allerdings rührend, bräunlich und schmal und das Gesicht ins Knabenhafte vereinfacht. Ritterlich und arm in seinem grauen Kriegskleid und in den großen, vorn so breiten Stiefeln. Er durfte sich noch nicht umziehen, er mußte so mit ihr essen, das wollte sie. Seine Finger zitterten an den zarten Schüsseln und kleinen Tellern; er sah auf ihren Hals, der aus dem weichen Dämmer des Hauskleides mondblaß aufstieg, er sah ihr kaum ins Auge. Sie flüsterten beide, obwohl sie niemand hören konnte, flüsterten lauter belanglose Fragen und Antworten. Er zog eine Bernsteinkette aus der Rocktasche und hing sie ihr mit taumelnden Händen um den Hals.

Als er nachher aus dem Bade kam, faltige schmeichelnde Seide an seiner Haut fühlte und in leichten Schuhen über Teppiche ging, war ihm frisch und schwach zugleich zumute wie einem Genesenden, wie als Kind nach langer Krankheit.

Die schlanke Frau, die er liegend fand, wurde in seinen fassend-umfaßten Armen mächtig und breit: sie umgab ihn rings. Er fühlte sich schmal und aufgelöst, ein Büschel Myrrhen zwischen ihren Brüsten. Er verlor sich in der Rundung ihrer Schulter, er verging an der Fülle ihrer Hüfte. Die Sinne vertauschten sich ihm: er sah Klänge und tastete tanzende Farben. Wie im Traume stieg er himmelhoch und sank tief — und versank.

Aber mit Verwunderung erst, dann mit Grausen sah die Liebende neben sich einen Fremden schlafen, dessen Hand sich wie mit verkrampften Totenfingern an ihre Weiche klammerte. Mühsam mit einem Anfang von Ekel löste sie diese Finger von sich ab.

Sie saß eine Weile starr aufrecht. Sie begriff es nicht: Er schlief! Er kam her in ihr einsames reines Bett und legte seinen bleiernen Schlaf mitten hinein, lag schamlos da mit lächerlich halbentblößter Brust, dieser Irgendwer lag da, in sein gutes Recht gehüllt, sicher und besitzend wie der Wurm auf dem Golde.

Und dafür hatte sie sich so bewahrt, all ihre Köstlichkeit angesammelt und umschleiert, aufgespart für diese Stunde. Eine Wut packte sie heiß im Rücken. Sie hätte mit langer Nadel stechen mögen in die braune Schläfe da. Nein, das verdiente er nicht; sie rückte ganz fort und weinte und sann die halbe Nacht.


Später lernte sie aus seinem Berichte die hilflose Mattheit, die ihn selbst beschämte, verstehen und verzeihen. Sie gewann ihn wieder lieb. Aber nie vergaß sie das Erlebnis dieser ersten Nacht, nie den Anblick des glücklich-gesättigten Schläfers.

Und er verehrte und hegte eine zarte und kostbare Geliebte; aber nie wieder erlebte er die namenlose Todesseligkeit, nie wieder das weltentiefe Versinken dieser Nacht.

Sie gelten heut für gute Gatten, diese beiden. Man sagt ihnen nichts nach. Immerhin tanzt sie mehr als früher. Und er hat viel Arbeit übernommen, sitzt in Komitees und Generalversammlungen, hat Ämter und Posten.


Margot sagte mit Verachtung in den Mundwinkeln: „Ein gutes Ehepaar mögen sie sein. Wenn sie als Liebende nicht von diesem bedeutenden, nicht zufälligen Erlebnis gelernt haben, voneinander zu lassen, kommen sie nicht mehr in Betracht. Es gibt ja vermeintliche Liebespaare, wo jedes vom andern denkt: Ihn verlassen, das darf ich ihm nicht antun. Träge Seelen, die sich gern opfern wollen, und opfern doch nur sich und die andern ihrem bequemen Wahne.“

Anselm, bisher schweigsam auf der Rolle zu Füßen der Lisa, fragte: „Kann denn ein Menschenkind etwas anderes lieben als seinen Wahn? Kann ein aufrichtig Fühlender je begreifen, weshalb er der Geliebten gefällt oder ihr Mißfallen erregt? Ich glaube, so oft beide sich aus redlichem Herzen hingeben, mißlingt die Liebe. Wer Leben um Leben geben will, wird aus dem Felde geschlagen von dem klugen Techniker der Liebe, der als bester Liebhaber gilt, der das Spiel ohne Kindheit spielt, der mit Berechnung wütet. O diese Maschinen mit Geist, mit Ventil! — Das selige Einswerden, von dem jede Sehnsucht träumt, ist also am Ende eine holde Lüge, mit der der Schenkende den Genießenden glücklich macht und betrügt! —“

5. Damast und Moder

„Gemach, gemach, junger Freund!“ fiel Dappertutto ein, „es kann sich Wahn mit Wahn vermählen. Wir sollen nicht nachforschen, welche Götter und wie sie mit uns spielen, solange das schöne Spiel währt. Nachher ist ja immer noch Zelt zum Nachdenken und Erkennen. Nur nicht Selbstzweck sein wollen. Man kann die beste Liebe erleben, ohne um seiner selbst willen geliebt zu werden. Mögen wir immer nur einander Mittel zum unbekannten Zwecke sein. Dazu weiß ich eine alte Geschichte.“

„Hoffentlich recht alt,“ rief Melusine, „hoffentlich aus Zeiten vor dem Kriege. Bis jetzt wurden Kriegsgeschichten erzählt, und die sind nun einmal unerträglich. Und hoffentlich eine Geschichte von weniger schläfrigen Männern.“


„Der Mann in dieser Geschichte, gnädige Melusine, bin ich selbst, ich will mich hinter keine Maske verstecken. Allerdings ist dieser Ich nicht der alte Froschkönig, der Sie leider erst heute kennengelernt hat, sondern ein junger Kunstschüler, noch jünger als unser nachdenklicher Freund Anselmo, ein recht glücklicher dummer Bursch, der mit leichtem Ränzel von München aus durch das Inntal radelte, sein Rad über die Brennerhöhe schob und dann selig zu Tale fuhr bis zum Gardasee und weiter nach Verona.

Es war Frühherbst, und ich hätte nun eigentlich umkehren müssen, um rechtzeitig zum neuen Semester in München zu sein. Aber Verona war so überraschend, und auf der Karte lockte der schöne Name Vicenza. Und in Vicenza versprachen die zierlichen Fenster und die Säulen einzelner Paläste soviel von Venedig, daß ich nicht widerstand. Herrlich zu fahren war die weiße Straße nach Padua; am Wege gab es schattige Lauben und Gartenhütten, in denen ich große Wassermelonen und Trauben zu essen oder zu trinken bekam. Und dann ging es die Brenta entlang bis ans Meer, ans Adriatische Meer! — Später bin ich ja auch auf dem üblichen Wege nach Venedig gekommen, mit der Eisenbahn über Mestre und mit einer Bankanweisung in der Tasche; aber so habe ich diese Stadt nie wieder erlebt wie jenes erste Mal.

Der kleine Dampfer holte mich mit anderm armen Volke von Fusina herüber und fuhr gerade auf die Piazzetta los. In Kniehosen und Joppe stand ich mit meinem Rade auf den kostbaren Steinen vor den Marmorhäusern und mag recht lächerlich ausgesehen haben. Auf den Markusplatz selbst getraute ich mich noch nicht und geriet, immer am Ufer bleibend, in die Riva dei Schiavoni.

Da kam aus einer schmalen Gasse ein Knabe, rief mich an: »Signor meccanico!« und fragte, ob ich Unterkunft suchte. Er führte mich ein paar Schritte in die Gasse hinein und hob den roten Vorhang eines Wirtshauses. Ich sah am Tisch in der Mitte viele junge Burschen und Mädchen bei Wein und Würfelspiel. Am Ausschank empfing mich freundlich die Patronin, führte mich eine Stiege hinauf, durch einen Raum, in dem Kinderkleidchen und Spielsachen auf Betten und Schemeln herumlagen, und zeigte mir ein zweites Zimmer. Das hatte bunten Steinfußboden und enthielt ein großes metallenes Bett mit bemalten Platten: auf blauem Grunde strahlte mir ein rotloderndes Herz ins Auge. Aus dem Fenster sah ich einen hofartig umschlossenen kleinen Platz, mitten darauf einen verschlossenen Brunnen. Ja, dies Zimmer konnte ich haben und Milchkaffee in der Frühe und abends von der Suppe und den Pasten, was es gerade gab, sollte aber jeden Tag eine Lira dafür erlegen, womit ich einverstanden war.

Als ich die Stiege wieder herunterkam, standen die Burschen und Mädchen um mein Rad herum, besahen und betasteten es interessiert. „Signor meccanico!“ riefen sie mich: Ich sollte ihnen die Maschine erklären. Das tat ich denn auch mehr mit Gebärden als mit Worten und fand Beifall. Auch meine Kleidung gefiel. Eine kleine Gina setzte meine Mütze auf ihr hochfrisiertes Haar, eine große Orsolina probierte meine Gürteljoppe an. Dann schlug eine Uhr, und fast alle brachen auf. Sie mußten in eine Mosaikfabrik.

Am großen Tische blieben nur zwei Mädchen zurück. Die lehnten träg-lüstern aneinander und waren sich ähnlich wie Schwestern. Schwarze Spitzenschals trugen sie auf rötlichem Haare. Von diesen hörte ich, während ich von meiner Schüssel Spaghetti bisweilen aufschaute, zum ersten Male ein Lied singen, das damals in Venedig viel gesungen wurde, das Lied von der Nina, die sich von dem Barcarole entführen läßt, fort von ihrer Mamma in Schmach und Schande auf das hohe Meer.

„Und als sie dann über die Treppe geht, begegnet ihr ein altes Weiblein. — Schöne Ninetta, wo kommst du her? O Schande! — Und als sie zehn Schritte weiter geht, da ist die Tür verschlossen. Und drinnen liegt die Mutter tot aus Schmerz über die Schande. Und als die Glocken läuten, da tragen sie die Mutter fort. Als aber die Totenglocke läutet, fährt Nina wieder aufs hohe Meer.“

Das sangen die beiden schön eintönig, ohne das Traurige oder Erstaunliche hervorzuheben. Dann erhoben sie sich und nickten: Auf Wiedersehn. Die Patronin erzählte mir, diese beiden gingen nicht mehr in die Mosaikfabrik mit den andern, sondern hinüber auf die Piazza und spazieren.

Mit den andern, den Fleißigen, traf ich nun täglich zusammen, wenn sie von ihrer Arbeit kamen und ich von meinen Wanderungen über die Steine der Brücken, Höfe, Kirchen und Paläste. Sie meinten, ich käme auch von einer Arbeit heim, ich verfertigte und verkaufte irgend etwas Mechanisches in der Merceria. Und ich ließ sie bei diesem Glauben. Denn so nahmen sie mich für ihresgleichen und nicht für einen müßigen, neugierigen Fremden, der anderer Leute Städte besieht. Abends nach dem Essen wurde um den Wein gewürfelt. Dann gingen wir alle die Riva hinunter bis zu dem Parke, einem Stückchen Erde mit Gras und Blättern mitten in der steinernen Stadt. Die andern waren fast alle gepaart. Da ich nun nicht ganz leer ausgehen sollte, so nahm bald die eine, bald die andere meinen Arm. Weil ich aber aus Büchern und Berichten wußte, daß die Italiener sehr treu und eifersüchtig sind, führte ich immer meine Dame behutsam und enthaltsam wie zum Menuett. Das reizte die Mädchen zu allerlei Mutwillen und plötzlichen Zärtlichkeiten. Und da auch die Burschen meiner großen Jugend und kleinen Statur wohlwollten, erging es mir in diesem Kreise so vortrefflich wie nie wieder in meinem Leben. Selbst die Kinder meiner Wirtin, durch deren Zimmer ich früh und nachts mußte, waren zärtlich zu mir und wollten mich in meinem bunten Bette besuchen. Die Großmutter, die vormals darin schlief, hatten sie doch auch morgens immer besucht.

Durch soviel Glück wurde ich wohl etwas übermütig und dachte: Sind mir die Mosaikmädchen gut, warum sollte ich mich nicht auch ein wenig anderswo umtun. Und so blieb ich einen und den andern Abend von meinem bescheiden-fröhlichen Kreise fern, um dem großen Leben nachzuspüren.

Allein bei meiner geringen Barschaft konnte ich nicht viel unternehmen. Ich setzte mich nicht gern auf die Stühle der vornehmen Cafés, blieb lieber auf Treppenstufen und an den Gondelanlegestellen, ließ alles Verlockende an mir vorüberrauschen, sah alles Reizende in den schwarzen Booten schillernd und knisternd ausgebreitet.

Einmal bemerkte ich auf der Piazzetta ein schönes Mädchen. Sie saß auf einer Bank unter der hohen Säule und sah unverwandt zu den Gondeln hin. Ihre Lippen schienen sich immerfort zu bewegen: ich konnte nicht unterscheiden, ob sie nur heftig atmete oder in lautlosem Selbstgespräche Worte formte. Sie beachtete meine Aufmerksamkeit nicht. Sie ließ den Wind an ihrem Schleier zerren, ohne eine Hand zu rühren. Und als es dann zu regnen anfing — einen dieser erfrischenden Abendregen, den die heißen Steine geschwind und durstig aufsaugen — und alles Volk in die Kolonaden eilte, blieb sie ruhig sitzen. Im Weggehen sah ich mich noch einige Male nach ihr um: sie saß wie erstarrt.

Ein paar Tage später fand ich sie wieder an derselben Stelle in derselben Haltung. Ich kam etwas näher, hätte mich aber mit dem Anblick des zarten gelblichen Profils begnügt, wenn sie nicht mit einmal das Ninalied zu singen angefangen hätte: Nina mia, son barcarole — — Da konnte ich mich nicht enthalten, einzufallen: Nella mia barca se vuoi venire — —

Sie drehte langsam den Kopf, sah mich mit Augen an, in denen es wie Bernstein glänzte, und fragte hastig:

„Wo ist Ihre Barke?“

Ich zeigte auf die Gondeln und bat sie zu wählen. Und schon erhob sich ein Gondoliere, der uns beobachtet hatte, und wendete sein Fahrzeug.

Da saß ich nun neben ihr auf den Kissen, und wir glitten über wellende Schatten der Mauern und Zierate in den großen Kanal. Sie hielt meine Hände und flüsterte vor sich hin Worte, die ich nicht verstand.

Aber plötzlich neigte sich der Gondoliere zu uns herab und fragte sie: „Wie geht es Carlo?“

Mit rührend flehendem Ausdruck im Blick legte sie den Zeigefinger der rechten Hand an die Lippen, während die Linke eifrig meine Hände streichelte. Sie lehnte sich dichter an meine Schulter, seufzte und schmiegte sich meinen Liebkosungen, aber ohne mich dabei anzusehen. Sie schaute immer ins Leere und sprach weiter mit sich selbst, so daß ich sie gar nicht zu unterhalten brauchte.

Als wir so eine Weile gefahren waren und die Umrisse der Paläste schon im Dunkel verschwammen — wir waren schon an dem Fondaco dei Turchi vorbei und nicht mehr weit vom Arsenal — da sagte sie leise, ohne mir das Gesicht zuzuwenden: „Komm mit mir. Ich habe einen Oheim; der ist hier in der Nähe Pförtner in einem Palazzo. Seine Herrschaft ist auf lange verreist. Der läßt uns ein. Hast du ein paar Lire? Die gib ihm, wenn er uns öffnet.“ —

Dann neigte sie sich zurück und verhandelte leise zischend mit dem Gondoliere, der seine Hand beteuernd auf Mund und Herz legte. Er wandte die Gondel. Die gezahnte Eisenspitze vor uns schwankte, durch das Dunkel blitzend, dem Ufer zu. Wir legten an dem farbigen Pflocke vor einem Palazzo an und wurden von einem schweigsamen Alten empfangen und geleitet.

Das große Tor war dröhnend hinter uns zugefallen. In düsteren Gängen und dumpfen Kammern tappten wir durch seltsame Gerüche: Teer und welke Blumen wie in einem nordischen Strandhause, Hammelfett, Kamille und Honig, wie ich sie später in Griechenland roch, und schließlich ein betäubendes Gemisch von Moder und starken Parfümen. Eine Fackel flammte auf und hing in einem Eisenringe. Ich sah und fühlte Brokatstoffe gebreitet auf Damast, streifte dunklen Samt, trat helle Felle. In dem zackig gerahmten Kristallspiegel jagten Licht und Finsternis hintereinander her. Und Barbara — so mußte ich die flüsternde Gefährtin nennen — faßte mich mit ungeduldigen Armen.

Ich unternehme es nicht, euch zu unterhalten mit den Phantasien des Neunzehnjährigen, die aus den Bildern der Kirchen und Galerien herströmend dies zufällige Brautbett mit überlieferten Seligkeiten beschenkten. Ich genoß alle Reize von der zarten Holdheit der Madonnen Bellinis und Vivarinis bis zu der gleißenden und schwellenden Herrlichkeit der Damen des Tizian und Palma Vecchio, von dem Schimmer bunter Engelflügel auf Goldgrund bis zu den aus dem Dunkel zuckenden Angstschauern der Pest von San Rocco. — Lagen wir in kratzendem Staube oder auf zarter Seide? Auf Leinen lagen wir nicht. Als nun mein Glück schon ins Mythologische stieg und ich mich Schwan der Leda und Wolke der Jo fühlte, tasteten die spitzen Finger über mich fort nach dem Betschemel, auf dem meine Uhr tickte. „Wie spät?“ fragte Barbara. „Um Mitternacht muß ich an der Piazzetta sein. —“

Ein paar Minuten später standen wir an dem hinteren Ausgange des Hauses. In Eile bezeichnete mir Barbara einen Weg durch Gassen und über Brücken. Dann lief sie fort. „Morgen um dieselbe Zeit,“ rief sie und verschwand. Nach einigem Irren durch grau gestautes und rot flutendes Dunkel fand ich den Rialto, und von da wußte ich meinen Heimweg.

Am folgenden Abend fand ich sie an ihrem Platze unter der Säule. Als sie mich von weitem sah, machte sie mir Zeichen, fern zu bleiben, und kam dann geduckt, schleichend, umschauend zu mir. „Heute gehen wir zu Fuß,“ sagte sie. Sie nahm meinen Arm flüsterte mir fremdartige Kosenamen ins Ohr und summte das Ninalied. Bisweilen versuchte ich mein Schulitalienisch und Mosaikarbeiter-Venezianisch anzubringen, aber darauf ging sie nicht ein. Als wir am andern Kanalufer in stillere Gassen kamen, faßte sie mich heftiger, und einmal fühlte ich am Halse ihre kleinen Raubtierzähne. Der Oheim kam auf unser Klopfen heraus, und wir fanden unser Damast- und Moderbett.

Nachdem sie nun wieder an meinem Herzen mit ihren Geistern lachend und schluchzend geflüstert hatte, schlief sie mir in den Armen ein, und ich war zu selig, um sie zu wecken. Als sie endlich auffahrend nach der Uhr tastete, da war Mitternacht schon vorüber. Sie erschrak. — „Was tun? Am besten gleich nach Hause. Ich habe Angst.“

Ich wußte nicht, wovor sie sich fürchtete, und sagte ritterlich: „Ich verlasse dich nicht.“ — Das machte ihr wenig Eindruck. Ja, als wir auf die Straße kamen, schien es ihr fast gleichgültig, ob ich neben ihr herging oder nicht. Sie eilte dicht an den Mauern entlang, glitt geduckt über die Brücken. Schließlich blieb sie auf einem kleinen Platze vor einer Tür stehen, klopfte und rief: „Angiolina!“

Aber noch ehe geöffnet wurde, sah ich, wie aus der nächsten Gasse eine Gestalt herbog, dann, wie im Scheine der Lampe einer öffnenden Frau ein großer Schatten sich über Barbaras zitternden Rücken breitete und eine mächtige Faust aufleuchtete, im Begriff, auf die Fliehende niederzufallen.

Porco Madonna!“ rief der große Gondoliere.

Mamma mia,“ jammerte Barbara und war in das Haus geschlüpft, ehe der Schlag niedersauste.

Jetzt gilt’s, dachte ich, erinnerte mich an meine Box- und Ringkampfkenntnisse und trat dem Feind entgegen.

„Warum schlagen Sie nach diesem armen Kinde?“ fragte ich mit Pathos.

„Armes Kind du selbst,“ grinste der Riese und legte mir eine gutmütige Pranke auf die Schulter. „Betrogen sind wir Männer alle. Und sie muß ihre Strafe haben. Das wird ihr wohltun.“

Nun suchte ich den Schuldigen, den Verführer zu spielen. Aber Carlo lachte mich aus. Er erklärte, mich liebgewonnen zu haben um meiner Jugend und Tapferkeit willen und weil wir doch Schicksalsgenossen wären. Er nahm mich mit in eine Weinspelunke, in der noch Licht brannte.

Dort erzählte er mir: „Siehst du, kleiner Fremder, dieses Mädchen war mir erst immer treu. Drei Jahre waren wir zusammen und jetzt im vierten wollten wir heiraten. Jeden Abend um acht Uhr, wenn mein Dienst zu Ende war, holte sie mich an der Piazzetta ab, und wir waren glücklich.

„Aber seit einigen Monaten muß ich für einen erkrankten Kameraden den Abenddienst von acht bis zwölf Uhr tun. Darüber wurde sie traurig. Sie saß erst die ganze Zeit an der Piazzetta und sah mir nach, wenn ich davon fuhr, wartete und freute sich, wenn ich bisweilen wiederkam. Und wurde ich dann endlich um Mitternacht frei, dann — ließ sie mich kaum zum Schlafen kommen.

„Doch bald ward sie des Wartens überdrüssig. Oft, wenn ich von einer Fahrt zurückkehrte und anlegte, sah ich sie nicht. Sie hatte dafür allerhand Gründe bereit: die kranke Mutter, die Freundin, die sie ins Theater mitnähme. Aber ich merkte ihr an, was mit ihr war: die Arme, sie war es gewohnt, von acht bis zwölf liebkost zu werden. Das Weib ist eine schwache Kreatur! Du bist nicht der erste, den sie angelockt hat, und wirst der letzte nicht sein. Du sagst: sie saß ganz sittsam still, als du kamst. Nun die einen locken mit Winken, die andern mit Stille. — —“

Wir schieden als Freunde. Ich hatte viel gelernt. In meinem Gedächtnis blieb ein schönes Abenteuer. Und seither lege ich keinen besonderen Wert darauf, um meiner selbst willen geliebt zu werden. Ich versichere alle Wißbegierigen, daß es süß ist, der Leib eines fremden Traumes zu sein.

6. Plastilin

„Leib eines fremden Traumes,“ nahm Margot auf, „dies Wort erinnert mich an ein absurdes Erlebnis.

In Paris bewohnte einer meiner Bekannten ein möbliertes Zimmer, das von dem Nachbarraume durch eine verhängte Tür und eine dünne Wand getrennt war. Man konnte die Geräusche nebenan ziemlich deutlich hören. Das störte jedoch kaum; denn drüben hauste die alte Vermieterin selbst, und die war meist mäuschenstill.

Ich besuchte eine Zeitlang häufig den, der dort wohnte. Er war sehr schön, aber etwas einsilbig. Um nun die unvermeidlichen leeren Augenblicke auszufüllen, brachte ich mir bisweilen als Zeitvertreib Plastilin mit und modellierte. Dazu benutzte ich dünne Stäbchen.

Eines Abends öffnete, noch ehe ich klingelte und mein Freund mir wie sonst aufmachen konnte, die Vermieterin selbst. Sie hatte mir offenbar aufgepaßt. Mit demütiger Bitte zog sie mich in ihr Zimmer, bat mich zu sitzen, kniete, immer meine Hände festhaltend, vor mich hin und sagte: „Ich flehe Sie an, Madame, helfen Sie mir, oh, helfen Sie mir doch!“

„Gern,“ antwortete ich, „womit denn?“

„Veranlassen Sie bitte Monsieur, auszuziehen.“

„Warum soll ich das tun? Können Sie ihm nicht kündigen? Es ist doch Ihre Wohnung.“

„Nein, ich kann nicht! Ich kann ihm nicht ins Gesicht sehen. Wenn er mich ansieht, muß ich wollen, was er will. Und er will nicht ausziehen. Es gefällt ihm hier.“

„Aber warum soll er denn fort? Zahlt er nicht regelmäßig? Beschädigt er Ihre Möbel? Ärgern Sie seine Gewohnheiten?“

„O nein. Es ist ein vornehmer Herr, ein vortrefflicher Herr. Aber ich kann es nicht länger aushalten. Es greift mich zu sehr an!“

Ich verstand nicht, was sie meinte.

„Ach, warum wollen Sie nicht verstehen, Madame? Warum wollen Sie denn beide, daß ich sterbe? Ich bin doch schon alt. Gönnen Sie mir noch die paar Jahre. Ich stehe Ihnen doch nicht im Wege, ich bin ja still und diskret.“

„Wir beide?“ fragte ich erstaunt, „was tu ich Ihnen denn?“

„Oh, warum formen Sie diese Wachsfiguren, die mich bedeuten, mich, als ich schön und jung war, und stechen sie mit spitzen Nadeln in Herz und in Hirn? Ich fühle jeden Stich! Sie haben mich verhext, Sie beide (Envoûtée! sagte sie). — Und wenn er Sie küßt und wenn — o vergeben Sie, daß ich es ausspreche — wenn er Sie umarmt, dann muß ich meinen armen alten Leib aus dem Bette heben, muß mich platt auf die Erde legen, auf den kalten Boden die ganze Nacht! Monsieur ist so schön. Er hat mich bezaubert. Oh, es ist schrecklich! Ich werde sterben. Sie haben mich verhext!“

Ich versuchte, ihr klar zu machen, daß ich nur Plastilin modellierte. Aber das half nichts.

„Oh, Madame,“ sagte sie mit erhobenen Händen, „Sie wissen selbst nicht, was geschieht. Sie glauben zu modellieren. Aber Monsieur, der auch Sie im Banne hält, verzaubert mich durch das Spiel Ihrer Hände. Ich flehe Sie an, sorgen Sie dafür, daß er auszieht!“

„Und wenn ich das Modellieren aufgäbe, genügte das vielleicht?“

„Nein, nein, es ist zu spät. Wenn er nur ein wenig will, muß ich aufstehen und mich hinlegen auf den Boden, darf mich nicht regen, bis er es erlaubt. Er muß fort oder ich werde sterben . . .“

Nun, ich habe die Bitte dieser armen Alten erfüllt. Mein Freund schüttelte erstaunt den Kopf über den Bericht des Gespräches. Er hatte die Alte nie beachtet.


„Daraus könnte man Neues über das Wesen der Liebe lernen, erörterte Anselm. Sie strömt vielleicht über, wandert in Wellen wie Licht und Schall und wird von empfindlichen Objekten aufgenommen wie drahtlose Telegraphie.“

„Besonders eine so vollkommene und intensive Liebe,“ meinte Dappertutto, „wie eine Margot sie einflößt und fühlt.“

„Ich bedaure, Sie enttäuschen zu müssen,“ erwiderte Margot und sah den Schmunzelnden von oben herab über die Schulter an. „Diese Liebesaffäre war nicht vollkommen. Deshalb und weil sie lange vorbei ist, kann ich davon erzählen. Sie fing zwar ganz hübsch an. Der Betreffende, ein Balte übrigens, wenn es euch interessiert, hatte phantastische Gewohnheiten. Jede seiner Erklärungen war mit einer Art Entführung verknüpft. Ehe man sich’s versah, war man im Schlafwagen zwischen Berlin und Basel, auf einem Dampfer vor Kopenhagen, in dem einsamsten schottischen Berghotel, dem überfülltesten Kursaal an der Riviera oder auch in so einem ärmlichen möblierten Zimmer in Paris. Es gab immer eine köstliche Unruhe: jeder Abend war der letzte Abend, jeder Morgen der erste Morgen. — Da erklärte mir eines Tages dieser Mensch, er wollte sich von seiner Frau scheiden lassen und ganz mir widmen. Ich kannte diese Frau von früher her: ein herrliches Geschöpf! Aus seinem Entschlusse glaubte ich entnehmen zu müssen, daß sie sich verschlechtert oder vernachlässigt habe. Er bestand darauf, daß ich ihn auf sein Gut in Rußland begleitete, um die Frau von der Notwendigkeit dieses Schrittes zu überzeugen.

Als wir nach langer Reise dort ankamen, fand ich dieselbe entzückende Person wieder, die ich vordem kennengelernt. Sie hatte eher noch gewonnen durch Reife und Milde. Eine Herrin! Menschen, Hunde, Katzen, Herden, Wiesen und Felder lagen ihr verehrend zu Füßen. Die drei Tage, die ich auf dem Gute zubrachte, sprach ich mit dem Manne nur das Notwendigste. Ich war ganz von ihr bezaubert. Ich dachte nicht daran, auf seine Pläne einzugehen. Wenn ich mich im Spiegel ansah, stellte ich fest, daß ich durchaus nicht in so guter Form war wie diese schöne Frau. Damit war der Mann für mich erledigt. Ihr Männer werdet das vielleicht verstehen. Zuletzt hielt er gar noch meine Kühle für Eifersucht, und wurde recht banal. Ich mußte fort. Er hatte mir unsere hübschen Reiseabenteuer gründlich verdorben.


„Wie recht du hast,“ sagte Lisa mit Bewunderung für die Freundin, „den dummen Liebesernst, der das ganze Leben beansprucht, zu verwerfen. Ein feines Spiel ist die beste Art Liebe. Ach, führt nicht bisweilen eine harmlos angesponnene Liebelei viel tiefer ins Unsagbare als alles, was mit großen Hoffnungen und Versprechungen begann? Die Liebe ist dann wie das heilige Kind, das Sankt Christophorus leicht auf die Schulter setzt, um es gelinde geschwinde über den Fluß zu tragen. Während er aber durch das Wasser watet, wird es auf ihm schwer und schwerer, und zuletzt ruht die ganze Last der göttlichen Herrlichkeit auf dem selig Zusammenbrechenden.“

Dappertutto füllte die Gläser, erhob seines und rief mit komischem Pathos: „Gepriesen sei das Spiel! Und vor dem Schicksal mögen uns die Götter schützen. — Aber warum stoßen Sie nicht mit mir an, seidene Melusine?“

7. Witwenfeuer

Die Angeredete richtete sich ein wenig auf:

„Ich bin wohl nicht erfahren genug und vielleicht noch zu bürgerlich, um ganz mit euch übereinzustimmen. Ich komme aus einer Welt, wo die Liebe ein Lebensschicksal ist, unabwendbar und endgültig, wo die Menschen lebenslang ihrer ersten und einen Leidenschaft nachhängen.

Da war die schöne Tante Elisa, die Schwester meiner Mutter, die ich so sehr bewunderte, wenn sie zum Balle angezogen erschien und ich mit zärtlichen Kinderhänden an ihrem steifseidenen Gewand entlangstreichen durfte. Sie war blaß und wild, umarmte uns Kleinen und tanzte mit uns im Zimmer herum. Süßer Duft stieg von ihren blanken Schultern, auf die schön gedrehte Korkzieherlocken fielen. Einmal bekam ich auch den Leutnant zu sehen, den sie heimlich liebte. Er holte sie zum Balle ab. Als er die Mütze abnahm, war seine Stirn oben am Haare so weiß und über den Augen so braun! An den Schläfen war das Haar elegant angewachsen; er hatte zierliche Mädchenohren, und als er lachte, erschienen breite schimmernde Zähne. Sie liebte nur ihn, und wir liebten ihn mit. Aber leider war er arm, und deshalb wurde ihm ihre Hand verweigert. Darüber wurde die Elisa trübselig, sie ging nicht mehr auf Bälle, und wenn die andern hingingen, blieb sie im dunklen Winkel an ihrem Nähtisch sitzen. Das reiche blauschwarze Haar ging ihr aus. Sie weinte immer beim Kämmen. Ihre köstlichen Kleider ließ sie im Schranke hängen und trug ein armseliges graugrünes Hauskleid. Wir nannten es das Aschenputtel. Eines Tages ließ sie ihr Haar abschneiden, tat die Zöpfe in den Nähtisch, und da sah ich sie dann manchmal an offener Schublade sitzen und auf die dunklen Flechten weinen.

Viel später — ich war schon erwachsen — fand die Tante Elisa im Kreisblättchen eine Notiz, daß ihr Leutnant in Wien, wohin er damals gegangen war, Generalstabskarriere gemacht hatte und demnächst seine Heimatsgarnison besuchen würde. Da holte sie wieder die schönen Kleider aus dem Schrank und änderte sie nach Wiener Modebildern. Sie nähte an ihren Hemden und Höschen. Sie probierte mit ihrem nachgewachsenen immer noch schönen Haar einige vorteilhafte Frisuren und war traurig, daß stets wieder eine graue Flechte vorschimmerte.

Entweder blieb es nun bei der Zeitungsnotiz und der Liebste kam gar nicht, oder er kam und ging, ohne uns zu besuchen. Die Tante Elisa hatte sich aber wieder an schöne Kleidung gewöhnt, sie trug seither bis zu ihrem Tode nur noch jugendliche Gewänder. Niemand wagte sie zu verspotten. Sie war schön geschminkt und hatte erlesene Parfüme. Noch heute habe ich bisweilen Heimweh nach dem zauberhaften Dufte dieses gespenstisch schleichenden, seiderauschenden, weißhaarigen Fräuleins. Sie putzte sich ganz langsam den halben Tag und saß des Abends so da, als erwartete oder empfinge sie Besuch. Mit verschleierter Stimme machte sie eine Art Konversation mit uns. Immer magerer und schmaler wurde sie in ihrer knisternden Pracht. Und noch auf ihrem Sterbebette war sie zart geschminkt.

Mit ihrer einen Lebensleidenschaft war diese Arme keine Ausnahme. Leidenschaft wird in meiner Heimat unter Deutschen wie unter Ungarn sehr respektiert. Man lacht nicht darüber wie in euren vernünftigen Gegenden. Wir haben es oft erlebt, daß einer der Liebe alles opferte. Das bißchen Leben galt nicht viel. Und da alle Männer Schützen waren, kam es nicht selten vor, daß Blei und Schrot, für Reh und Hasen bestimmt, ein Menschenherz und manchmal des Jägers eigenes Herz traf.

Von einem jung verheirateten Kaufmanne wurde erzählt, daß er einmal zu der kam, die er heimlich und schon lange Zeit verehrte. Die fragte ihn bös und kokett: „Liebst du mich denn immer noch?“ — „Immer dich, immer dich!“ war die Antwort. Das glaubte sie nicht, sie wollte Beweise. Da ging er hin, erschoß seine Frau und dann sich selbst.

Daß man ruhig zwei nebeneinander liebte, das gab es in dieser Welt nicht. Da mußte eines fort aus dem Leben oder mindestens aus dem Städtchen. Es sind ebensoviele aus Liebeskummer ausgewandert wie aus Not oder Abenteuerlust. Und bei dem armen Volke der Vorstadt und der Dörfer gab es grausige Mädchenschicksale. Da kam manche zu früh Verführte und Verlassene, die sich nicht mehr im Leben zurecht fand, in schlechte Hände und in schlechte Häuser.

Alle Ammen- und Mägdelieder sangen von Liebe und Liebesleid. Alle Herzen waren früh reif für diese Hauptsache. Da war das dreizehnjährige Töchterchen unseres Bäckers. Das verliebte sich in einen Offizier, der ihm einmal die Wange gestreichelt hatte. Das Kind wurde sterbenskrank und fragte im Fieber immer, ob er nicht käme und es nähme. Schließlich baten die Eltern den erstaunenden Herrn, um Gottes willen einmal zu kommen und den Verlobten zu spielen, da das schwindsüchtige Kind ja doch bald sterben müsse. Alle Welt fand es in der Ordnung, daß er kam und ihr auch ein Ringlein brachte. Aber später, wenn man ihn über diesen Besuch befragte, wehrte er ab, mochte nicht davon erzählen, niemals, auch als das Kind schon lange tot war.“

„Und Sie selbst, zarte Melusine, wie ist es Ihnen in dieser Welt ergangen?“ fragte Dappertutto.

„Oh, ich glaube, ich war schon von Anbeginn schwach von der Liebe der andern. Und dann hat mich noch jüngst das Schicksal meiner Schwester erschreckt. Die war kriegsgetraut mit einem Offizier, der dann in Galizien gefallen ist.

Da hielt sie es zu Hause nicht aus. Sie ging nach Wien und wurde Krankenpflegerin. Weil sie nun in Haube und Schwesterntracht besonders hübsch anzusehen war, stellten ihr die Ärzte viel nach. Sie war froh, als sie endlich in die Etappe geschickt wurde. Sie wollte durch Arbeit ihren Gram betäuben. Aber da geriet sie in eine noch viel ärgere Gesellschaft. Ihr habt ja alle von der brutalen und verzweifelten Lustigkeit dieser Welt gehört. Irene schrieb geärgert, traurig und voll Heimweh.

Nun lagen in dem Lazarett einige gefangene russische Offiziere. Einen von diesen mußte sie, als er Rekonvaleszent war, auf seinen Spaziergängen begleiten und stützen. Er war blaß, hochgewachsen und von adliger Herkunft. Er hatte erfahren, daß sie Witwe war, und fragte sie nach ihrem Gatten, was alle andern aus Rücksicht oder Gleichgültigkeit vermieden. Es tat ihr wohl, von dem Verstorbenen zu sprechen. Sie schüttete ihr Herz aus. Sie redete soviel von ihrem Georg, den der Russe Jegor nannte, daß er wie gegenwärtig bei ihnen war. Alle Neigungen und Liebhabereien Georgs erfragte und besprach der Russe, und seltsam, er selbst hatte immer ähnliche oder gleiche. Er war auch ein leidenschaftlicher Jäger, liebte auch den Süden. Iris war seine Lieblingsblume, und Zigaretten rauchte er nur durch die Lunge. „Ich kann Jegor so gut verstehen,“ sagte er, „ich begreife so vollkommen seine Liebe zu Ihnen, Frau Irene. Wer eine Frau mit diesen kastanienbraunen Haaren, diesen scheuen Rehaugen liebgewinnt, eine, die so schlank erscheint und dabei von so zarter Fülle ist, für den sind alle anderen Frauen einfach unmöglich. Oh, ich sehe Jegor so deutlich! Derbe Liebkosungen waren ihm fremd. Aber wenn er Ihre Hand küßte, so war diese zarte Berührung erregender als alles Ungestüm. Wenn er Ihnen den Mantel umlegt, das war eine Umarmung! —“

Sie konnte sich dem Zauber seiner Worte nicht verschließen. Allmählich verschmolz ihr das Bild des Verstorbenen in geheimnisvoller Weise mit dem des gegenwärtigen Freundes. Und als dieser sie einmal im Wald küßte, leistete sie keinen Widerstand. Bald aber wurde er gesund erklärt und fortgeschickt in ein Gefangenenlager. Sie hat nichts mehr von ihm gehört und ist jetzt doppelt Witwe.

Wenn ich nun meine Schwester sehe oder nur an sie denke, fürchte ich mich vor der Liebe und dem Herzeleid. Ich habe schon als Kind nur solche Geschichten ertragen, die gut enden. Wenn Er oder Sie starben, dann zerriß ich die Bücher. Einmal rief meine Schwester am Fenster unseres Kinderzimmers, um mich zu foppen oder zu erschrecken: „Draußen hält eine Karosse. Der Graf steigt aus, der dich heiraten will.“ Da verkroch ich mich vor Angst in mein Bett. — In meinen ersten Wiener Gesangslehrer war ich sehr verliebt. Aber ich hätte mich nie von ihm küssen lassen. Dann wäre es um mich geschehen, sagte ich mir und wußte selbst nicht genau, was ich damit meinte.

Ja, später hab auch ich ein wenig mitspielen gelernt in Schwabing und Montparnasse und wohl auch erfahren, daß neue Lust über altes Leid hinweghilft. Aber angeboren ist mir das Heimweh nach der altertümlichen Art Liebe, die nur einmal im Leben blüht, wie der Leierkasten lehrt.

Ach, immer wenn die Liebe vollkommen war, möchte man sterben. Aber man bleibt eben am Leben. Ein Zug fährt ab, man bleibt zurück, geht durch die Straßen. Und erst fühlt man Den, der abfuhr, neben sich gehen. Mit einmal ist er wirklich fort. Alle Leute kommen dir entgegen und keiner geht mit dir. Höchstens kommt ein kleiner Hund und schnuppert an deinen Stiefeln. Glocken läuten. Man geht in eine Kirche. Die Sonne scheint durch die große Fensterrose. Man bekommt wieder Lebenslust und kauft sich im nächsten Bäckerladen ein Stück Kuchen. Und dann kommst du heim in das Zimmer, in dem du heute früh zu zweit saßest. Da stehen noch die beiden leeren Kakaotassen. Im Ofen sind noch ein paar glühende Kohlen, ein Witwenfeuer, wie man in Paris sagt. Du getraust dich noch nicht, Ordnung im Zimmer zu machen. Dann erscheint die Zugeherin, räumt auf und rückt alles zurecht. Das Zimmer ist nun wieder dein Einzelzimmer, es wartet auf etwas Neues, und das Leben geht weiter.

8. Blaue Stranddistel

Margot: „Und es soll weiter gehen. Alle diese Wehmut und Rührung hat etwas Verstaubtes. Dem dürfen wir nicht nachhängen, sonst werden wir Anpasserinnen und Anempfinderinnen wie unsere guten Mütter waren. Was soll ein rechter Liebhaber mit einer anfangen, die nichts weiter gelernt hat, als gleich ihre ganze Seele herzugeben? Muß es ihm nicht vorkommen als wollte sie diese Seele los sein? ‚Nimm mich hin‘ — ein törichtes Wort! — Nimm du mich hin. Ich mag mich nicht mehr! — — Nein, wir wollen wählen und wissen. Wir wollen uns Auge in Auge messen mit Denen, die den Mut haben, diesen Kampf auf schmalem Pfade zwischen den Abgründen mit uns zu kämpfen. Wir haben ebensoviel Antrieb und Fähigkeit, den Gegner auszuwählen wie die Männer!“

Ulrich: „Ja, mich deucht, sogar mehr! Die echten Frauen machen es wie kluge Diplomaten bei kriegerischen Konflikten: Sie schieben dem Feinde die Offensive zu. — Selbst die Art Männer, die man nach dem heldenmütigen Don Juan benennt, sind mehr Gewählte als Wählende. Wie selten geraten sie aus Herrschergelüst oder gar aus bösem Willen in das immer wieder neue Abenteuer.

So hatte ich einen von vielen Frauen geliebten Freund, der war einfach aus Güte, ja, aus Gutmütigkeit Don Juan, den Frauen zuliebe, die eben nichts anderes von ihm wollten. Ihm sanken im Eisenbahnkupee plötzlich Damen ans Herz, während ihre Ehemänner schliefen oder im Speisewagen waren. Weder die Dame im Salon noch die Jungfer im Vorzimmer ließ ihn ungeküßt von dannen. Und schon als Kind geschah es ihm, daß die Gouvernanten seiner jüngeren Schwester ihre späten, die Freundinnen der älteren Schwester ihre frühen Fertigkeiten an ihm erprobten.

Dabei wurde er aber durchaus nicht eitel oder frech. Nein, er war ein bescheidener, etwas schwermütiger Gesell. Nichts schätzte er so sehr wie ein gelassenes Männergespräch, wobei er gern der Empfangende, Lernende war.

Aber auch mit den Männern machte er verwirrende Erfahrungen. Einem talentvollen und später berühmt gewordenen jungen Musiker war er sehr zugetan, wurde sein Schüler und wäre am liebsten auch Musiker geworden. Allein er fühlte, daß seine Begabung nicht ausreichte, trat in seines Vaters Büro ein und diktierte schüchtern den heißatmenden Schreibmaschinendamen Geschäftsbriefe. Aber der Freund, der Musiker, wollte ihn nicht aus seiner Welt fortlassen. Er schrieb ihm flehentliche Briefe: er brauchte seine Gegenwart zur Arbeit und zum Glücke. Und dann gab es einen unerwarteten Auftritt zwischen Notenblättern und Zigaretten, der meinem guten Gerhart diese Freundschaft, der er sich ahnungslos und arglos hingegeben hatte, verdarb.

Unter den Frauen, die seine Liebe beanspruchten, war eine leidenschaftliche Susanne, die ihm mehr gefiel als die andern. Bei ihr hoffte er, selbst einmal etwas von all dem zu empfinden, was er so oft zu hören bekam. Sie heiratete plötzlich einen Ausländer, der mit ihr nach Paris zog. Gerhart glaubte, dies nicht ertragen zu können. Er setzte es bei seinem Vater durch, daß er in Angelegenheiten des Geschäftes nach Paris geschickt wurde. Dort gab ihm Susanne die phantastischsten Stelldicheins in entlegenen Gärten, in Vorstadtcafés, an Omnibushaltestellen, Métroausgängen usw. Sie bebte beständig, ertappt zu werden, und das erhöhte ihre Abenteuerseligkeit.

Als sie ihm eines Tages über die Lauheit und Herzensenge ihres Ehemannes klagte, faßte Gerhart einen großen Entschluß: er schlug ihr vor, mit ihm zu fliehen, sich scheiden zu lassen, ihn zu heiraten.

„Dich heiraten?“ rief Susanne. „Bist du verrückt? Du bist mir viel zu schade. Liebst du mich denn nicht mehr?“ Und lachend und weinend küßte sie ihn im strömenden Regen auf einem Bauplatz im Süden von Montrouge.

Diese Antwort betrübte ihn sehr. Er fühlte sich gekränkt wie ein Mädchen, das wohl geliebt, aber nicht geheiratet wird. Als er mir davon erzählte, hatte er Tränen in seinen matten hellblauen Augen und seine sonst so weiche, etwas schleppende Stimme klang rauh.

Einmal hab ich ihn gefragt: „Welches deiner vielen Liebeserlebnisse ist dir nun in der Erinnerung am wertvollsten?“

Da senkte er nachdenkend den Kopf.

„Am Ende ein Abenteuer mit einer Kühlen, Hochmütigen,“ half ich ihm ein, „oder die Begegnung mit einer von der Zunft! Das müßte doch etwas für dich sein, eine Aufgabe für deinen Ehrgeiz. Den Zünftigen bist du doch in gewisser Art verwandt.“

Das verbat er sich ernstlich mit Stirnrunzeln und kindlicher Verständnislosigkeit. „Nein! solchen Ehrgeiz kenne ich nicht. — Und Hochmütigen bin ich noch nicht begegnet. Oder sie sind eben mit mir nicht hochmütig gewesen. Ich lerne die Frauen überhaupt nicht kennen wie ihr andern, die ihr soviel über die Besonderheiten einer jeden zu sagen wißt. In der Art, wie sie mich behandeln und von mir behandelt sein wollen, sind die scheinbar Verschiedensten einander merkwürdig ähnlich. Aber da du mich nach meiner schönsten Erinnerung fragst, so will ich versuchen, dir etwas zu erzählen, dessen heimlichste Zusammenhänge mir allerdings selber noch rätselhaft sind. Mein schönstes Erlebnis war eines, das mißlang:

Am Strand von Dieppe sah ich unvermutet in großer Gesellschaft eine Agnes wieder; die hatte ich vor Jahren im Hause ihres Vaters, eines Professors an einer kleinen deutschen Universität, kennengelernt und einmal im Walde ganz plötzlich „verführt“, wie ihr es nennt. Du begreifst vielleicht, daß es weder meine Absicht noch meine Schuld gewesen war. So rasch wie die Verführung hatte sich auch der Abschied ergeben. Das ganze Ereignis wurde in meinem Gedächtnis undeutlich wie ein Traum, auf den man sich nicht mehr recht besinnen kann.

Als ich sie nun wiedersah, tauchten mit einmal alle Nebenumstände des Abenteuers mit geisterhafter Deutlichkeit vor mir auf: Die Fliederbüsche an der Gartenlaube, in der sie mir zum ersten Male gegenüber saß, eine Schüssel mit Kirschen, die auf dem Tische stand, das Fruchtfleisch der Kirsche an ihrem Mund, der helle Kern auf ihren offenen Lippen. Und von unserem Beisammensein im Walde das Moos und die Tannennadeln des Lagers, die Ginsterbüsche über uns, der Duft von Wacholder und Tannen. Aber wie sie selbst gewesen war in diesen Farben und in diesen Düften, das wußte ich nicht mehr, da klaffte eine quälende Lücke in meinem Gedächtnis. Und ich empfand Neugier, Sehnsucht, Zwang, dies kornblonde Haupt in meine beiden Hände zu nehmen, diese unbekannten Lippen zu küssen. Ihre Gestalt blieb mir verschleiert und erweckte noch kein deutliches Begehren, nur eine unendliche Zärtlichkeit, die so schwächend war, daß ich mich mitten unter den Leuten blaß und schwindlig werden fühlte.

Sie mag mich wohl gleich erraten haben. Sie nahm mich beiseite, ging ein paar Schritte mit mir am Strande auf und ab, und mit kluger Anmut, ohne Vorwurf, ohne Koketterie besprach sie die Möglichkeit, uns allein zu treffen. Ihre helle kindliche Stimme klang dabei so nüchtern, als beredeten wir ein Geschäft.

Sie wußte es einzurichten, mit mir auf drei Tage in ein kleines Stranddorf zu reisen, das dicht an der Klippe lag mit wenigen winzigen Häusern, die sich in weiten grünen Roßweiden verloren. Wir waren die einzigen Gäste des kleinen Hotels und bewohnten zwei entlegene Stuben.

Am ersten Nachmittage machten wir einen langen langsamen Spaziergang erst oben auf der Klippe hin, dann zurück den Strand entlang. Oben fand sie wilde Orchideen, unten sammelte sie Muscheln, Seesterne, glatte Steine und bläuliche Stranddisteln. Dann auf dem Heimweg über die Wiese pflückte sie noch roten Mohn und trug ihn so behutsam, daß der Abendwind vom Meere ihr kaum ein Blatt abriß.

Wir sprachen wenig und ganz harmlos miteinander und nur von der Welt, die uns umgab: von der Ebbe, die am Strande die großen Steine freilegte, auf denen wir morgen herumklettern wollten, bis wir vor der wiederkehrenden Flut fliehen müßten, von der blitzäugigen Alten mit dem Korbe voll Krebsen und Krabben, die sicher wahrsagen oder gar zaubern konnte und vor der Agnes sich ein wenig fürchtete, von dem altertümlichen schönzerbrochenen Holzheiligen am Hühnerstalle des Nachbarhofes, nach dessen Namen wir fragen wollten und ob er zu verkaufen wäre, von der Kirche im nächsten Dorfe mit den seltsamen Muschelornamenten: in die wollten wir übermorgen am Fronleichnamstage gehen, wenn wir das Glockenläuten nicht verschliefen.

Wir schritten langsam nebeneinander und berührten uns kaum. Das war nicht nötig oder nicht möglich. Die Luft zwischen uns war angefüllt von unfaßbaren Zärtlichkeiten. Und wenn sich nur unsere Hände, nur unsere Finger begegneten, war es eine erschöpfende Liebkosung.

Auf dem breiten Fensterbrette ihres Zimmers schichtete Agnes am Abend alles Gesammelte, tat das Gepflückte in Gläser. Da fielen blutrote Mohnblätter auf große weiße Muschelschalen. Und im Mondlichte wurden die schöngezackten Disteln ganz blau.

Die Halbentkleidete schlief mir in den Armen ein. Ich trug sie auf ihr Lager, küßte die Stirn der Schlafenden und sank selbst in seltsamer Ermattung in mein Bett.

Am Morgen aber erwachte ich aus einer Überfülle lebhaftester Träume, wie ich sie nie vorher oder nachher mit so quälender und beseligender Deutlichkeit geträumt habe; fernste Erinnerungen und geheimste Wunschgebilde vermengten sich: der Vorschullehrer mit dem schneeigen Lockenhaar und dem jungen Gesichte streichelte mich; die wilden Knaben zogen mir das lange Mädchenhemd an und tanzten um mich herum; die braunhäutige Näherin in der Hafenstadt reichte mir aus ihrem Schmerzensbette ein Kind zum Küssen, das engelhafte Kind, das sie im Leben nie geboren hatte. — Ich wollte eine Schwalbe haben, wollte ihr heiliges Blut. Das Mädchen, das sie mir brachte, sollte ihr den Kopf abhacken und wollte es nicht. Ich nahm den flatternden Vogel, der in meinen Händen ganz ruhig wurde. Da hob die schöne Magd das Messer. Indem sie aber hackte, war es ihr Hals, was ich hielt: mohnrotes Blut floß über weißen Hals und über meine Hände. — Ich stieg eine Treppe so seltsam gewunden und bewegt, daß ich im Höherschreiten immer wieder mit den sinkenden Stufen sank. — Von unten sah mich ein Wesen an mit dem Kinderblick eines frühverstorbenen Bruders; ich fühlte einen Leib zentaurisch angeschmiegt, und eine Stimme fragte: Liebst du dein Pferdchen? — Ein Hahn saß in meinem Haar, einen Rehbock führte ich am Seile, die sollte ich zu ihren Weibern bringen: ich zitterte von ihrer Erregung.

Als ich erwachte, wollte ich gleich zu Agnes hinüber. Aber ehe ich mich noch erhob, erschien sie in einem Kleide aus weißem grobkörnigem Leinen, strahlend von Morgenfrische, vor mir und hieß mich schnell aufstehen zum Spaziergange.

Am Nachmittage, als wir in einem Baumgange Schatten suchten vor der heißen Junisonne, drängte es uns näher aneinander und ich mußte schon, wie sonst bei den Frauen, darauf acht geben, ihr bei jeder Bewegung und Berührung auch wohl zu tun. Ich war schon wieder angewandt wie sonst. Aber ganz sanft entzog sie sich mir, faßte meine Hand und sagte: „Wir waren so übereilig damals. Nun laß uns das Langsame nachholen.“

Und so kamen wir in ein Dorf und vor ein Wirtshaus, dessen Fensterläden im Erdgeschoß alle geschlossen waren. Wir setzten uns auf die Bank vor der Tür und küßten uns sehr sorgsam. Je zarter sie küßte, um so berauschter bewegte sich mein Blut. O paradiesische Kinderküsse kaum geöffneter Lippen!

Lange Zeit war es ganz still um uns her. Alles Volk war auf den Feldern beim Heuen. Und das Wirtshaus schien unbewohnt zu sein. Da wurde plötzlich ein Laden aufgestoßen, eine blasse schwarzgekleidete Frau schaute heraus. Die fragte ich, ob wir Milch oder Kaffee haben könnten. Sie bat uns herein.

Das große Gastzimmer lag im Dämmer geschlossener Läden. Es roch nach Weihrauch, Jodoform und heruntergebrannten Kerzen. Die Frau tauchte aus dem Dunkel mit Milchgläsern und einem Teller voll Kuchen. Sie entschuldigte den Zustand des Raumes: Es hatte einen Todesfall gegeben. Der Herr des Hauses war gestorben, ja, ihr Mann. Das war noch Kuchen von der Leichenfeier. — Dann verschwand sie. Wir tranken von der Milch. Von dem Kuchen mochten wir nicht essen. Auf dem Boden meinten wir die Stelle zu sehen, wo die Bahre gestanden hatte. Da, wo in der Diele die hellen Flecken waren. Wir brachen bald auf, gingen kleinlaut und schweigsam heim. Agnes hatte beim Gehen die Schultern etwas hochgezogen, das erinnerte mich an die Eva alter Bilder, die, aus dem Paradies vertrieben, hinter sich den Engel mit dem flammenden Schwerte fühlt.

Beim Abendessen in der Laube des Gasthauses zeigte sie auf das Fliederblattwerk, das schon leer von Blüten war und auf die Akazie, an der die Blüten vergilbten. — „Wenn der Frühling zu Ende geht, das ist auch ein großes Sterben,“ sagte sie, „nicht so sichtbar, so anerkannt wie Herbst, aber —“ Sie schluchzte und legte den Kopf auf die Hände. Ich streichelte ihr Haar vorsichtig. Um eine heftige Bewegung zu vermeiden und zugleich in kaum bewußter Wollust ließ ich eine Mücke ungestört an meiner Hand saugen.

Im Zimmer dann umschlang sie mich mit kühlen Armen. Draußen rann milder Sommerregen, und himmlische Frische drang zu uns herein. Ich glühte, brannte, aber wie unter feuchten, lindernden Kompressen. Sie lag neben mir mit geisterhaften Umrissen, gab mir ihren Mund und hielt dabei meine Arme fest. „Laß uns trinken,“ sagte sie, „aber nicht von der tötlichen Speise essen.“ Ich konnte auch nichts als küssen. Erriet vielleicht ihr Frauensinn mein seliges Unvermögen?

Vom letzten Tage weiß ich noch den Kirchgang mit dunkel gekleideten Bauern und buntflatternden Bäuerinnen. Vor uns, gleich hinter dem Fahnenträger, ging der riesige Küster und sang rätselhaftes normännisches Latein. In der Kirche mengte sich Weihrauch mit Heuduft; die Glöckchen der Messe klangen wie aus einer in Meerestiefen versunkenen Stadt.

Am Nachmittage gingen wir einen weiten Weg zwischen Haferfeldern und Weiden. Lerchen zogen nah, stiegen hoch und fern; wir sahen in hochgetürmte, rund geballte und flockig aufgelöste Wolkengebilde.

Abends fanden wir nicht den Mut (oder wie soll ich es nennen?) auf unsere Zimmer zu gehen. Wir saßen Hand in Hand am Meer. Stunde um Stunde verrann. Die Sterne wanderten. Ich glaubte, ihren Wandel an der Wölbung mit Augen verfolgen zu können, so fließend war die Zeit geworden. Auf den Wellenrücken wob silbriger Glanz. Und Agnes’ Haupt war so in Mondlicht eingetan, daß ich mit einmal verstand, wie die Frommen alter Zeiten um den Kopf eines Heiligen den verklärenden Schein sehen konnten. — Himmlische Liebe — das Wort fiel mir ein, das ich nie verstanden hatte.

Und so ist dieses Frauenantlitz in mein Gedächtnis eingezeichnet geblieben. — Wir hatten in aller Morgenfrühe einen flüsternden Abschied und nie ein Wiedersehn.“

9. Legende

Es gab ein allgemeines Schweigen, das schließlich Dappertutto durchbrach:

„Nun ja, unsre Damen haben nichts einzuwenden gegen Ihren entwaffneten Ritter, diesen Don Juan „bis auf einen Fall“. Sie wollen wohl auch keinen Verrat üben an ihrer Schwester. Das ist Korpsgeist. Das werden wir nie lernen. Aber mir müssen Sie schon erlauben zu behaupten, daß dieser Gerhart, den Ihre Worte, mein lieber Baron, verfeinern — daß Ihr Freund Gerhart doch den Zünftigen ähnlich ist, mag er sich auch gegen diese Verwandtschaft sträuben. Mir hat einmal eine von der Straße gestanden, von allen Männern liebte sie am meisten einen jungen Burschen in ihrem Heimatsdorf, der nichts von ihrem Stadtleben wüßte und sie andächtig und schüchtern verehrte. Sie hätte ihm nie heftigere Liebkosungen erlaubt, aber wenn er ihre Wange mit frommem Kusse streifte, dann würde sie glücklich, vollkommen glücklich.“

„Der Vergleich ist zutreffend,“ bestätigte Ulrich, „auch wenn Gerhart selbst sich dagegen verwehren mag. Und sollte ich diesen Gerhart, dessen Natur ich wohl eher beneiden könnte, aus eigenem ergänzt haben, so werden Sie mir vergeben, mein verehrter Meister: Wer kann erzählen, ohne von sich zu erzählen?“

„Ich begreife Ihren Freund ohne allen Vergleich und ohne Einschränkung,“ sagte Anselm und errötete als Jüngster unter den Blicken der andern. „Trotz aller Erfahrungen lebt in unseren Herzen die alt-ewige Madonnenverehrung. Wie die Frauen empfinden, weiß ich nicht. Sie sind nicht unsresgleichen. Wir können sie nur verehren als ein Höheres oder fürchten als ein Tieferes. Sie ziehen uns hinab oder hinan, stehen nicht auf unserer Ebene, sind nicht in dem qualvollen Sinne Menschen wie wir. Vielleicht sind sie die Natürlichen und wir eine Verirrung der Natur.“

„Haltet uns nur nicht für allzu ‚natürlich‘,“ sagte Lisa. „Der Gebrauch dieses Wortes, zu dem es keinen richtigen Gegensatz gibt, scheint mir eine Art Nachlässigkeit des Denkens zu sein. Auch Frauen kennen die Liebe, die sich nicht lieben läßt, und es gibt auch unter uns die Besonderen, die Eigensinnigen, denen ihr Traum wirklicher ist als die Wirklichkeit, die ihnen vorgesetzt wird.

Das herrlichste Wesen, das ich kenne, ist solch eine Eigensinnige. Im schönsten Garten einer Kleinstadt ist diese Mette aufgewachsen. Als sie acht oder neun Jahre alt war, kam in ihren Garten einmal ein junger Fremder mit hellem Haar und lichten Augen als Aushilfsgärtner. Dem sah an einem Frühlingsmorgen das Kind zu, wie er die Beete goß und von den Rosen die angefressenen Blätter abschnitt. Als er mit seiner Arbeit fertig war und fort wollte, reichte das Kind ihm sein Händchen und ging mit.

Er wandelte so gelassen, daß Mette nicht wie sonst, wenn sie mit Erwachsenen ging, viele kleine Eilschritte zu machen brauchte: ihr Gang blieb immer im Einklang mit dem seinen. So kamen die beiden auf die Allee, die aus der Stadt hinausführt, und bis zu einem einzelstehenden Hügel. Hier hätte nun der Gärtner sie heimschicken und selbst hinuntergehen können in seine Unterkunft im Dorfe. Aber beide achteten nicht auf Ort und Zeit, sie betraten schöne Waldpfade, die über Herbstblätter unter dem Frühlingslaub bergauf führten, bis sie an den unbewaldeten Gipfel des Hügels kamen, den teppichweiches Gras bedeckt.

Da fanden sie einen moosigen Stein, auf den setzte sich der Fremde, nahm Mette auf sein Knie und zeigte ihr rings in Höhen und Tiefen, in Buschwald geschmiegt oder freiliegend am Wasser, an der Landstraße, die zwanzig Dörfer der Gegend, die man von diesem Gipfel übersehen kann.

Er nannte ihr die Namen der Dörfer: „Das ist die weite Welt,“ erklärte er ihr, küßte sie und hieß sie seine liebe Braut. „Morgen muß ich fortwandern, Mette, weiß noch nicht, wann ich wiederkomme.“ Da sah Mette ihn so sehr an, daß sie ihn nie wieder vergessen konnte; dann flüsterte sie in sein Ohr: „Ich will auf dich warten.“

Er führte sie wieder bergab und hielt sie leicht und fest, daß sie zu schweben meinte. Unten in der Allee waren ihre Mutter und die Magd, die sie suchten und sich schon ängstigten. Mette lief ihnen entgegen. Als sie dann aber nach dem lieben Gefährten umschaute, war er verschwunden. Der Weg ins Dorf, den er zu gehen hatte, war so von Mittagsglanz erfüllt, daß die Geblendete weder Häuser noch Straßen erkennen konnte.

Der Fremde kam nicht wieder, blieb wunderbar. Sie lernte und las von Jesus, wie er die Kinder nimmt und herzt, wie er auf Feldwegen mit seinen Jüngern geht, auf dem Berge predigt und endlich scheidend Wiederkehr verspricht. Ihre Gedanken ließen ihn nicht im unbekannten Morgenlande, sondern auf den grünen Pfaden ihrer Heimat wandeln; in ihrer Vorstellung war dieser Gott im Grünen nicht bärtig, wie ihn die Bilder in Schule und Kirche darstellten, sondern ein bartloser Jüngling, hellhaarig wie sie selbst und wie der wunderbare Fremde, der sie geführt und geküßt hatte. Ihr war es, als habe der Heiland selbst sie damals auf den Schoß genommen, ihr die Welt gezeigt und sie geküßt. Und sie wartete auf seine Wiederkehr.

Als sie achtzehn Jahr alt war, verlobten sie die Eltern mit einem vortrefflichen jungen Mann aus befreundeter Familie. Dem widerstrebte sie nicht. Sie war ihrem Bräutigam von Herzen zugetan. — Er ist mein Freund und Herr in dieser Welt, dachte sie, aber es gibt eine andere: das Reich Gottes, das Reich des himmlischen Bräutigams.

Ihr irdischer Bräutigam wurde auf einer Reise plötzlich von heftiger Krankheit befallen. Bevor er zurückkommen und sie ihn noch einmal sehen konnte, starb er. In der Trauerzeit sah sie in einer Nachbildung das Relief des Hermes, der Eurydike ihrem Gatten Orpheus sanft wegnimmt. Und dieser Hermes war, besonders in der Art, wie er im Schreiten innehält, ihrem ersten Geliebten und Geleiter seltsam ähnlich. — Ich tat unrecht, dachte sie, Diesseits und Jenseits zu unterscheiden. Es gibt nur eine Welt, und das Reich Gottes ist mitten im Leben. Ich muß meinem Herrn getreu bleiben, bis er wiederkehrt.

Eltern und Bekannte wunderten sich, daß sie so bald über den Schmerz um den Verstorbenen hinwegkam und munter und guter Dinge war wie als Kind. Aber man hielt es für nützlich, sie durch eine neue Umgebung zu zerstreuen, und schickte sie in die große Stadt. Dort führte sie ein festliches Leben. Viele Männer bemühten und bewarben sich um sie. Sie tanzte mit Leidenschaft, und man hätte sich nicht gewundert, von Liebesabenteuern zu erfahren.

Da kam sie plötzlich heim. Und blieb von nun an zu Hause, blieb unverheiratet, überlebte ihre Eltern. Die beiden jüngeren Schwestern verheirateten sich und zogen in andere Städte. Mette wohnte weiter in dem alten Haus und Garten. Fast täglich ging sie auf den Berg, saß auf dem Stein und sah die zwanzig Dörfer der „weiten Welt“ liegen.

Je mehr sie nun vereinsamt und altert, um so sichtbarer wird ihre Schönheit. Alles an ihr scheint ein eigenes Leben zu führen: die Flechten des fahlblonden Haares, in dem die weißen Streifen nur wie ein lichteres Blond schimmern, die mattblauen Augen, die uns andre Menschenkinder, die wir sie zuweilen besuchen dürfen, ansehen, ohne uns anzublicken: sie spiegeln Unsichtbares; die beweglichen, beim Gehen wiegenden Schultern, vor allem aber die länglichen Hände mit den magern Fingern mittelalterlicher Heiliger, die zwischen Gras, Blumen und Buchseiten wie Einzelwesen leben.

Nie verreist sie, fast nie besucht sie andre Häuser und Gärten. „Ich habe von meinem Berge aus die Welt,“ sagt sie. „Ich kenne keine andre. Ich brauche keine andre.“

„Sie sind so schön, Mette,“ sagte ich einmal zu ihr. „Haben Sie nie den Wunsch, das Bedürfnis, von andern schön gefunden zu werden? Sind Sie gar nicht eitel?“

„Ich bin vielleicht maßlos eitel,“ erwiderte sie lächelnd, „vielleicht zu eitel, um mich beurteilen, vergleichen, einordnen zu lassen. Als Kind soll ich schon sehr eitel gewesen sein, ich wollte immer gelobt und bewundert werden. Jetzt möchte ich nur dem Einen gefallen, den ich nicht sehe und der mich sieht.“

Als es mir dann gelang, das Gespräch auf ihr wundersames Kindheitserlebnis zu bringen, bekannte sie: „Ich weiß wohl, daß der Fremde ein junger Lehrling war, der früher bei unserem Hausgärtner in der Lehre gewesen und, als der Alte erkrankte, einige Zeit bei uns aushalf. Er soll inzwischen eine gute Laufbahn gehabt haben, auf eigenem Grunde mit Weib und Kind hausen und einen Blumenhandel betreiben. Aber was bedeutet das für mein Erlebnis? Habe ich je einen anderen geliebt als den Gott? — Sie verwundern sich, Sie wissen, daß ich keine frommen Gewohnheiten habe. Ich gehe nicht in die Kirche. Mit Wohltätigkeit und Armenpflege gebe ich mich nicht mehr ab als es die Pflicht des Wohlhabenden ist. Eine Zeitlang versuchte ich es gründlicher. Aber dabei ging etwas verloren. Meine Geberden waren nicht mehr mein. Eine falsche Weichheit schwächte mein Herz. Ich fühlte mich zerstreut; ich muß mich aber immer sammeln. Mein Gott will mich hart und kräftig. —“


Obwohl sie nur für sich zu leben scheint, geht soviel Wesen von ihr aus, daß die Menschen ihrer Umgebung, ja selbst die, an denen sie nur bisweilen vorübergeht, davon anders werden, verwandelt werden. Das habe ich an mir selbst erfahren. Und wenn ich in ihre Stadt komme, so fühle ich, wie alle Wege zu ihr wollen oder von ihr kommen. Und wenn ich den Kiesweg vom Gartenzaun hinauf zu ihren Beeten betrete, empfinde ich: hier ist heilige Stätte!

10. Torso

„Es ist seltsam,“ sagte Ulrich: „die Liebevollsten haben unter ihresgleichen kein Gespiel ihrer Liebe. Die Reichsten verzichten auf die Gaben des Lebens. Margot, Sie haben ihn auch gekannt, den einen, der jung endete, der für die vielen nur ein wunderlicher Kauz war, ein Affektierter. Der Empfängliche aber sah manchmal das Leuchten um sein Haupt und hörte in seiner Stimme die Bußpredigt und die Verkündigung.“

„Sie meinen Erich Wörner,“ erwiderte Margot leise. „Der war, wie ich mir die Märtyrer denke, nein, wie ein leidender Gott. Er konnte nicht lieben wie ein Mensch. Wir wollen nicht von ihm reden.“

„So erzählt uns doch von eurem Heiligen,“ sagte Dappertutto, „wenn ihr etwas Unterhaltendes von ihm vorzubringen habt, aber nur nichts allzu Feierliches, das ertragen wir leider nicht.“

Margot: „Nun ja, es gibt auch Unterhaltendes von ihm zu berichten. Er war witzig genug. Wer ihn flüchtig kannte, konnte meinen, daß es ihm an der sogenannten, ‚wahren Wärme‘ fehlte, ähnlich wie dem Teufel, dem die Hexen der alten Zeiten nachsagen, daß seine glühende Umarmung mit einem Kälteschauer ende. Mein erstes Gefühl, als ich ihn kennen lernte — ich war noch nicht zwanzig Jahre alt — war Neugier vor diesem magern, beweglichen Gesichte, dieser überhohen Stirne mit dem grellroten Haar. Ich war wohl ziemlich keck zu ihm. Aber da erteilte er mir eine Lehre, die ich nicht vergessen habe:

Es war in Paris. Wir saßen im Grand-Guignol, der bunten falsch-gotischen Holzbude, in der so köstliche Schauerstücke gegeben werden. Ich gestehe ein, daß mich solche Spektakel ergreifen, ebenso wie gewisse rührende Filme und Romane. Mich entsetzte der Anblick der Guillotine in dem einen Stücke mehr als es vielleicht eine wirkliche Hinrichtung tun würde. Auch die Opfer des „weißen Todes“ im indischen Schauspiel packten mich unmittelbarer als je etwas Spitalhaftes der Wirklichkeit. Ich bekannte meinem Begleiter dies Gefühl, und er sagte: „Es ist nicht unsre Schuld, wenn wir im Kino weinen müssen und auf die traurigen Dinge des Lebens tränenlos starren.“

Zuletzt gab es „das Häuschen von Autueil“; Hauptperson: eine arme Vorstadtdirne, die den Herrn mit den grausamen Gelüsten mitnimmt und ihrem noch grausameren Freunde ausliefert. — Als der Vorhang fiel, sagte ich zu Wörner: „Warum gibt es denn noch immer solche Wesen, die wie verfolgte Tiere im Dunkeln ducken, im Verbrecherwinkel lauern müssen statt ruhig auf den breit-offenen bürgerlichen Liebesmarkt zu gehen? Ist das nicht eine veraltete Romantik?“

Da sah mich dieser Mensch an mit dünngepreßten Lippen und gespanntem Gesichte — etwas Vogelhaftes hatte sein Kopf — und sagte nach einigem Schweigen: „Wissen Sie, Margot, was mich vermutlich immer wieder daran hindert, Ihnen meine Liebe zu erklären? Daß Sie nicht in solch einer Ecke stehen! — Und jetzt weiß ich auch, wo ich Sie schon einmal gesehen habe: in der schlimmsten Gasse des Alten Hafens von Marseille. Dort waren Sie ein süßes Geschöpf, das streng vor sich hinblickte, jeden ansah und zu keinem sprach. Rechts und links von ihr in den klaffend offenen Zimmern vor den bunten Himmelbetten winkten und riefen die Weiber in allen Sprachen den Matrosen und Bürgern zu: Joly, come in! Viens, mon Jésus! He, Landsmann! Venga, venga! — Aber diese Ernsthafte saß regungslos auf ihrer Schwelle und sah mich an.“

„Warum sind Sie nicht zu ihr gegangen?“ fragte ich frech.

„Das wußte ich nicht und weiß ich nicht,“ antwortete er. „Vielleicht hatte ich noch keine Macht und noch zuviel Angst. Jedenfalls taucht nun wie zur Strafe das Unterdrückte wieder auf. Heute muß ich mich vor Ihnen schämen, daß ich damals nicht zu dem Mädchen eintrat.“

Ich entrüstete mich: „Worin bin ich denn schlechter als dieses Mädchen? Da mein guter Vater mir das nötige Geld schickt, um in Paris oder sonstwo zu studieren, was ich will, und zu leben, wie ich mag, brauch ich mich nicht bei andern um Geld umzutun. Sie wissen aber, daß ich mir auf diese Sicherheit nichts zugute tue, daß ich in meinem Leben und Umgang nur meinem Gefühl oder meiner Leidenschaft folge. Halten Sie mich für feige?“

Er lächelte und sagte: „Nein, meine kleine Heldin. Aber Sie haben nicht die große Verzweiflung. Ich weiß, daß Sie nicht bürgerlich sind wie die vorsichtigen Ehekandidatinnen, auch nicht wie die Damen der Halbwelt, die sich durch gutunterhaltene Beziehungen zu einer Reihe wohlhabender Herren eine ordentliche Situation schaffen, distinguiert sind, wenn nicht das Gegenteil gewünscht wird, und sich sittsamer anziehen als die Damen der Welt. Ich weiß, daß Sie fern sind von jeder trägen Treue, daß Sie aufrichtig auf Ihre Launen und Sehnsüchte acht geben. Ich rechne Sie zu den tapfern Piratinnen. Aber Sie haben Geschmack! Sie haben noch den Ekel! — Was wissen Sie, was wissen wir von dem bunt-elenden Jahrmarkt einer wirklichen Dirnenwelt? Wir haben noch nicht tief genug hineingesehen in die wilden Gesichter, fahl und bemalt, deren Anblick immer an den Tod mahnt. Wissen Sie, daß die antike Dirnengöttin zugleich Todesgöttin war? — In diese Tiefe müßte man eingehen, bei diesen Wesen lernen und leiden. — So stark müßte man sein, daß man bei der kränksten Kreatur liegen und sie rein und fleckenlos machen könnte. Was soll alle Wohlfahrt und Hygiene? Heilen kann nur das Heil. Umwandeln müssen wir uns und alles, Wunder tun!

Aber eure süßen und wilden Liebesbegebenheiten, daraus kann ich nichts lernen. Ich darf nicht das Idyll der feingepflegten Wollüste genießen, bei dem Geist und Anmut über alle Gefahren der Vermischung hinweghelfen, ablenkend von dem strengen Sinnbild des Geschlechtes.

Auch die Leidenschaftsliebe mit ihrem dramatischen Hin und Her von Eifersucht, Haß, Aufopferung, mit ihrer berühmten ‚Kristallisation‘ verführt ins Uneigentliche, gibt Glück und Unglück der Persönlichkeit. Ich will aber nicht das einzelne, besondere Wesen erkennen, sondern das Geschlecht.“

Da er meine starre Verwunderung sah, fügte er mit schwermütiger Stimme hinzu: „Um Sie nicht dahin zu verführen, wo ich selbst noch nicht Führer sein kann, sag ich Ihnen auch gleich meinen Zweifel: Vielleicht ist alles, was ich da vorbringe, Traum eines Schwachen, eines Absterbenden. Vielleicht bin ich das Kind einer Zeit, die sich an Extremen erregt, weil ihre Mitte Leichenhalle der Vernunft ist. Dann möge mein Entsagen Sie, die Aufblühende, Gesunde, genießen lehren. —“

„Ja,“ fiel Ulrich ein, „dieser Zweifel und eine heimliche Angst, seine aufleuchtenden Gedanken zu Ende zu denken, das war vielleicht die Klippe, an der Wörner gescheitert ist. Er wußte nicht, ob er das, was vergeht, oder das, was beginnt, liebte. Er litt an der Ungewißheit, was denn das Dauernde, Zeitlose, Wahre sei: Er sagte einmal: „In Eleusis gab es drei Stufen der Weihe: Reinigung, Versenkung und schauende Erkenntnis. Vielleicht erreichen wir Heutigen Eins und Zwei. Aber das Dritte will uns nicht werden.“ — Er hatte seit früher Jugend viel gelernt und erstrebt. Auf seinen Bücherbrettern stand in quälendem Durcheinander neben dem Homer ein Lehrbuch der Integralrechnung, neben Kant Creuzers Mythologie, Apulejus neben Pascal und Grimms Märchen neben der Spektralanalyse. „Ich hasse schöne Bücher,“ pflegte Wörner zu sagen, „und sinnvoll geordnete Büchereien. Unsere größten Leseextasen haben wir an Reclamheften erlebt!“ — Von Beruf war er angeblich Maler. Sein Kunsturteil wurde im Kreise der Freunde geschätzt. Das wenige, was er von seinen eigenen Arbeiten sehen ließ, war von einer gewissen harten Vollkommenheit und Vorbildlichkeit, aber reizlos. Er bekam einen unfrohen Ausdruck, wenn er seine Bilder ansah. Es war bekannt, daß er zeitweise sehr fleißig war. Aber wenn die übliche Frage nach der Arbeit an ihn gestellt wurde, so hatte er dafür eine Ekelgeberde oder er sagte: „Ja, ja, die Rechtfertigung durch den Schweiß.“ — Manchmal konnte man ihn auch in seiner etwas rhetorischen und sprunghaften Art ungefähr so reden hören: „Wenn es noch die echte Arbeit gäbe, den Dienst am Werke! Könnte ich in mein Handwerk beschlossen, eingeschlossen sein, wie die Tafelmaler und Steinmetzen des Mittelalters! Die hatten nichts auszudenken, die durften nicht neu erfinden. Für jede Nische, jedes Portal, jedes Fenster bestimmte die Kirche, das Dogma, welche Gestalt oder Begebenheit des alten oder neuen Bundes dahingehörte, jeder Prophet hatte seine vorgeschriebene Haltung, jeder Apostel sein Attribut und seine Geberde. Jede Wölbung und Ecke war bedeutungsvoll. Auch das Wieviel von Allem war festgesetzt. Ein Maß faßte die maßlose Sehnsucht. Die Zahl war ein Heiligtum. Der geheiligte namenlose Künstler konnte nichts dazutun als das wunderbare Zuviel im Notwendigen, den Überfluß, der eben nicht überfließt. — Aber wir, wir leben ja wie außer der Zeit oder gegen die Zeit. Wir haben kein Maß. Noch dürfen wir das Chaos nicht abtun. Wir können nicht einfach sein.“

Ich war mit ihm zusammen, als er zum ersten Male das Atelier des jetzt berühmten Pariser Spaniers Bilbao betrat. Damals war Bilbao nur im engeren Kreise bekannt. Jaques Fontel führte uns zu ihm, der Poet und Kunstrichter. Er sagte uns gleich: „Ich weiß nicht, ob Pedro Ihnen etwas zeigen wird. Er dreht jetzt meistens seine Bilder um, wenn man zu ihm kommt.“ Wir betraten das Haus an der schräg zum Montmartrehügel aufsteigenden Vorstadtstraße, das seltsame Haus, das vorn zwei und nach dem tiefliegenden Felde hinten fünf Stockwerke hat. Damals ahnte Wörner wohl noch nicht, daß sich in diesem Hause sein Schicksal vollenden sollte. Im Atelier standen auf dem Tische polynesische und afrikanische Skulpturen; die zeigte und rühmte uns Bilbao, wie um von seinen eigenen Arbeiten abzulenken. Aber Wörners Blick fand bald die große Leinwand, auf der sich winklige, eckige Gestalten in wenigen fahlen, scharfabsetzenden Farben von einem farbenreicheren Hintergrund abhoben. Er war gebannt. In seinen Zügen malte sich ein entsetztes Erkennen. Bilbao merkte diesen Eindruck und erklärte: „Was Sie da ansehen, ist kein Bild, es ist meine Versuchsleinwand, mein Experimentierfeld.“ — Aber Wörner rief: „Sie machen mir Furcht, Sie malen ja die Wirklichkeit, die Gegenwart!“

„Das ist ein Wort!“ rief Fontel, und Bilbao lächelte zufrieden und drehte nun die gegen die Wand gelehnten Bilder um. Wörner bekam viel zu sehen, doch immer wieder kehrte sein Blick zu dem Riesenbilde zurück: „Ich sehe“, sprach er, „die Götzen, deren Stunde wieder gekommen ist, die gräßlich Eindeutigen, die frech Prallen, ähnlich jenen Daktylen und Dioskuren, deren wahres Wesen jetzt die Wissenschaft entdeckt. Und im Hintergrunde all die schilfigen, schlammigen Weiber und Tiere der Tiefe: Hier zeigen endlich die Gespenster ihr wahres Gesicht, die sich solange unter falschen Namen verbargen und die nun, da wieder eine Zeit ist, in der Name und Ding nicht zueinander passen, furchtbar und namenlos sind.“

In diesem Augenblicke drehte Bilbao eine Leinwand um, auf der in zarten bläulichen Tönen ein junger Arbeiter mit einer Pfeife in der Hand dargestellt war. Er war zartknochig und hatte etwas fiebrige Augen. In seinen Zügen lag eine Mischung von Empfindsamkeit und Verderbnis. Vielleicht war es ein Apache, ein letzter Ritter der Großstadtromantik.

„Wie schön!“ sagte Wörner ergriffen.

„Ja, dahin kann ich nicht mehr zurück,“ bekannte Bilbao.

Aber Fontel bewies ausführlich, wie sich eins aus dem andern entwickelt und wie alles noch so Neue in guter Tradition mit der älteren Kunst zusammenhängt.

Wörner hörte nicht recht zu. Ohne von der großen Leinwand wegzusehen, bat er plötzlich: „Darf ich Ihnen einen Traum erzählen, in dessen Schreckenswelt mich Ihr Werk zurückwirft?

Ich träumte, von außen durch ein Hoffenster in ein Museum zu sehen. Da hörte ich ein Tosen anschwellen und sah nah und näher die Galerie entlang peruanische oder mexikanische Holzidole auf hohen roten Leiterkarossen heranbrausen. — Wind fegte mich mit herein und ich fühlte den Beginn einer grausigen Verwandlung an meinen Gliedern zerren. Die Mundwinkel klafften mir, der Rumpf verholzte, neue Arme wuchsen zwischen meinen starr gestreckten Armen. Ich raste mit in wütender Fahrt, feueratmend, blutgierig, bis mich ein braver Galerieaufseher in seinen Mantel auffing, unter dem ich ins Menschliche zurückschrumpfte. — Ich erwachte, aber nur, um gleich wieder einzuschlafen und zu träumen von einem Streit, einem Wortwechsel mit einem sehr geliebten Jüngling, der mich dann wie zur Versöhnung, wie zum Kusse zu sich herzog und mir plötzlich in die geöffneten Lippen spie. Entsetzen riß mich fort, führte mich an der Hand eines sanften Mädchens auf die Straße. Da rief uns ein Kutscher an: „Zu Hilfe! Zu Hilfe! Mein Pferd hat zwei Köpfe.“ Ich sehe, wie er selbst des Pferdes Kopf blutig auseinanderreißt und die zusammenstrebenden Hälften mit krampfzitternden Händen immer wieder trennt. Ich will helfen, erklären. Er schaut nach mir um: entsetzlich, der Mensch hat selbst zwei Köpfe, Köpfe wie aus Holz, scharfschnutig, spitzschädelig, wie Untiere des Hieronymus van Bosch. Ich wage nicht das Mädchen neben mir anzusehen. Sie wird auch zwei Köpfe haben. Alles umher wird sich gräßlich spalten und doppeln. Ich singe, um mich zu betäuben, laut durch die Welt: Alles ist zwei und alles ist Holz! — Glanzgrinsend fliegt ein Spiegel her: ich fasse nach meinem Schädel, ich zittere, meinen eigenen Kopf gleich doppelt zu sehen. Aber dann erscheint er im Glase nur langgezogen und darauf die hohe papierene Ketzermütze mit den schwarzen Tintenbildern, wie Johann Huß sie trägt auf einem alten Bilde.“

An diesem Tage begann Wörners Freundschaft mit Bilbao und Fontel: oft saß er dann mit den beiden in Bilbaos Atelier oder in dem merkwürdigen Raume, den Fontel im Kellergeschosse des Hauses bewohnte und aus dessen Fenster man auf den Abhang und die leere Wiese sah. Dort hauste der Dichter zwischen Zeichnungen und Bildern der Freunde und vielen Photographien Baudelaires mit einer gespenstischen halbzerbrochenen Schreibmaschine und einer glutäugigen Katze. Und dort hat Wörner in seiner letzten Nacht kurz vor seinem rätselhaften Tode mit den beiden ein Gespräch geführt über die Antike, von dem sie mir später öfters erzählt haben. Sie hatten von ihren Reisen durch die Provence und Italien gesprochen. Fontel hatte viel Geistvolles darüber gesagt, wie jede Zeit die Antike erlebe, die ihr nottue, unsere z. B. besonders die archaische und die spätrömische. Da sagte Wörner: „Wir können die Götter der Alten nicht erblicken, weil sie uns nicht ansehen. Es ist, als ob sie unsere Zeit auslassen, um erst wieder eine lebendigere anzuschauen. In den Zeiten der großen Palastkunst wurden die Gestalten und Tempel der Götter ins Pathetisch-Phantastische umgedeutet, das gefiel den Göttern wohl. Auch die bescheidene Strenge und das schlichte Ungefähr unserer Großväter hatte noch ihren Segen. Aber unsere Genauigkeit, unsere täuschende Ähnlichkeit, unser Wissen um alle Teile mißfällt ihnen. Die Teile werden gelehrt, das Ganze wird nur geschenkt. Nur wer sie singen hört, dem wird die heilige Harmonie zu eigen. Das feurige Triangel, an dessen Winkel die Geister schlugen, ist verblaßt. Sind wir nicht wie Baumeister, die das Haus abbrechen und das Gerüst stehen lassen?

Was wissen wir von der Antike? Kennt ihr das Gefühl, das uns wie vor einem stärkeren Leben bedrängt, wenn wir in Pompeji den Fuß auf den ersten antiken Stein setzen, der aus dem Grase ragt und mit dem die römischen Quadern anfangen? Oder wenn wir nur eine der vielen großen schmucklosen Tonamphoren anfassen, die spitz in Sand und Schutt stecken in irgendeinem Hofwinkel der Museen? Saht ihr einmal in Verona eine moderne Zirkusaufführung im antiken Amphitheater? Da erfüllt das Volk ein kleines Segment des Riesenkreises und schaut auf das bißchen Kunstreiter- und Gauklerwesen in der Arena. Aber durch das Geschrei der Aqua- und Dolcirufer, durch das kleine angeleuchtete Gewimmel sieht man hinüber in die dunklen Massen der Riesenruine. Und mit einmal fühlt man erdrückende Geistergegenwart des wirklichen römischen Volkes und ahnt den Purpurmantel des Präfekten auf der Steinbrüstung drüben. — Saht ihr in Syrakus den Aufstieg zum Altar des Hiero und stelltet euch Ankunft und Auftrieb und Opfer der Hekatombe vor? Legtet ihr eure Hand in die Kannelüre einer Tempelsäule und fühltet Rundung, weiche Tiefe und scharfen Rand? — Ihr seht, ich spreche nur vom Einfachsten, Alltäglichsten der Antike, nicht von hoher Kunst, und schon davon geht etwas aus, das uns vernichtet. Was wissen wir Kinder der haltlos barbarischen Völkerwanderung, die sich eitel das Zeitalter des Verkehrs nennt, von der Welt des Phidias? Was wissen wir von den olympischen Göttern?

Und doch bedrängen sie uns seit früher Jugend, seit den Knabentagen, wo uns in Lehrbüchern und Gipsabgüssen des Zeichensaales ihre leeren Augenhöhlen erschienen. Dann lernen wir, erst in heimischen Museen, dann reisend in reicheren Sammlungen, echten Marmor kennen, dürfen schließlich in besonderen Sälen und Kabinetten Torsen berühren und Bruchstücke in die Hand nehmen und die Schwellung des lebendigen Steines fühlen bis an den schmerzlichen Schnitt des Bruches. Dies Erlebnis werden wir nicht mehr los. Dieser schmerzliche Schnitt geht mitten durch unser Dasein. Und das Beste, das Redlichste, was wir tun können, ist verzweifeln.‘


„Halt!“ rief Dappertutto. „Erzählt Geschichten, aber berichtet nicht Meinungen eines Herren, den wir nicht kennen. Auch ist es hier und jetzt nicht am Platze, die Verzweiflung an der Gegenwart zu besprechen. Dazu sind unsere armen Seelen zu sehr kriegsbeschädigt. Liebeswahn ist das Thema unseres kleinen Konzils. Schon die Mettenlegende stimmte nicht ganz in den Rahmen unserer weisen Beschränkung. Immerhin konnte da die Gottesminne den geforderten Wahn bedeuten. Aber daß Ihr Freund Wörner Geist hatte, zuviel Geist, das kann uns nicht glücklich machen. Wir sind des Geistes müde oder mißtrauisch gegen ihn.“

Margot sah nachdenklich und wie von ihrer Umgebung abgetrennt zu Boden. Dann merkte sie aufschauend, daß die andern sie alle ansahen. Sie lächelte freundlich und etwas mitleidig zu Dappertutto hin und sagte: „Es tut mir leid, wenn wir Sie ungeduldig machen, lieber Meister, aber nun sind meine Gedanken ganz bei diesem Wörner und ich kann nicht anders, ich muß noch viel von ihm reden. Aber damit es auch ein wenig Fabel und Handlung gibt, will ich euch seinen letzten Tag erzählen, den ich fast ganz miterlebt habe und der mir für immer ins Gedächtnis gehämmert ist. Es wird dabei nicht an Liebeswahn mangeln, dessen Wesen ihr allerdings selbst erraten müßt. Denn ich kann nur die einzelnen Geberden und Worte berichten.

Es war ein Sonntagmorgen in Paris. Ich stand in lauter Sonne auf dem schmalen Gitterbalkon vor meinem Fenster und sah auf die kleine Querstraße des Boulevard Montparnasse. Ich freute mich an dem bunten Gemüsewagen vor dem Milchgeschäfte gegenüber, an den großen Reklameflaschen der Auslage, den mächtigen gelbroten Kürbissen vor der Tür, an der Conciergentochter, die hinüberging, die schnurrbärtige Tändlerin zu besuchen, bei der sie billigen Puder und gute Ratschläge bekam, dann sah ich weiter hinüber zu den leuchtendgrünen Bäumchen auf dem Boulevard und ihren zierlich gezackten Blätterschatten auf dem Pflaster und wollte gerade in meine Stube zurück zu geliebten Bildern und Büchern, zu Blumen, Früchten, Zigaretten, die auf mich warteten. — Ich war so recht im Einklang mit Welt und Leben, da tauchte an der Straßenecke mit langen Schritten, vorgebeugt wie ein Fliehender, Erich Wörner auf, winkte mit hochgestrecktem Arm und rief: „Darf man zu Ihnen?“ Ich bat ihn heraufzukommen.

Schon im dunklen Vorraum flüsterte er: „Welch ein Segen, liebe Margot, daß ich Sie finde. Ich hätte sonst nicht gewußt, wohin mit mir. Nicht wahr, ich darf mich hinlegen. Ich bin so schwach von Schlaflosigkeit. — Ich darf liegen und Sie setzen sich zu mir und sagen mir leichte Worte.“

Ich machte ihm mit Kissen und Decken ein Divanlager zurecht. Während ich ihn mit meinem schöngefleckten gelben Felle zudeckte, sah er mich schweigend aus matten grauen Augen an. Dann stieg in diese Augen ein Schein, der blendete, ohne zu leuchten, ein Fieberglanz, fahl und unheimlich wie Schimmer über heißem Sumpfe, wie Staub auf Steinfeldern im Süden.

Ich wollte ihm irgend etwas Harmloses erzählen. Aber er begann: „Wenn ich nur nach Hause könnte in mein neues Atelier! Aber ich kann nicht. Ich war die ganze Nacht wach; erst saß ich mit den Freunden in einem Zimmer, wo Poker gespielt wurde. Ich spielte nicht mit. Ich mußte immer die Gesichter ansehen. Bei diesem Spiel kann man jedermanns Charakter zu einer übertriebenen Maske vereinfacht vom Gesicht ablesen. Da saß ich nun, sah diese schrecklichen Masken und konnte nicht fort, bis man aufbrach im Morgengrauen. Dann, auf der Straße allein, merkte ich, daß mir gewisse Leute nachgingen, die ich nicht gern sehe, ein Mann und ein Weib. Da lief ich fort zu Freunden einer andern Welt in eine kleine Schenke bei den Fortifikationen. Dort gab es tröstlichen Spektakel; man verbarg einen Kameraden, der mit den Gendarmen in Fehde lag. Aber mit einmal hieß es: die Flics kommen! Und wir wurden durch Hintertür und Hof fortgeschoben. Dann verirrte ich mich und lief an furchtbar langen Mauern des Gefängnisses hin und her, bis ich endlich eine bekannte Avenue fand. Dort schlief ich auf einer Bank ein, aber da kam wieder dies Grauen . . .“

„Warum können Sie denn nicht in Ihr Atelier?“ fragte ich. Er sagte: „Da steht alles wüst umher wie auf einem ausgeplünderten Speicher. Meine sogenannten Möbel, dieser antiquarische Trödel, buntgesprenkelt, vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit wie Zarathustras Land der Bildung, und dazwischen noch Truhen, Stühle, Leinwände des tollen Polen, der bisher dort hauste. Sie kennen ja das Haus (und er beschrieb mir das seltsame Gebäude am Abhang, in dem Bilbao wohnte und von dem Ulrich vorhin erzählte). — Ja, die Nacht von vorgestern auf gestern schlief ich in einem Hotel bei den Hallen. Ich schlief gut. Ein Hotelzimmer hat etwas angenehm Abstraktes. Man bekommt einen normalen Schlaf vermietet. Aber der Morgen ist furchtbar. Nun und gestern wollte ich einziehen in mein Atelier . . .“

„Und warum glückte das nicht? War ein Hindernis? Spukt es in dem kuriosen Hause?“

„Das Spuken hätte ich wohl ganz gern. Vor den alten, den romantischen Gespenstern fürchte ich mich nicht. Die sind unsereinem ja recht ans Herz gewachsen, so freundlich rückständig und unseresgleichen. Aber die Neuen.“

„Welche Neuen denn?“

„Nun, die von heute, die Verfolger, die modernen, die sozusagen rotbackigen Gespenster! — Sie müssen wissen, unter dem Hause liegt eine Wiese. Die gefiel mir gut, als ich das Atelier zum ersten Male besah und aus dem Seitenfenster schaute. Es ist eine fahle Vorstadtwiese mit Schutt und kleinen Kindern, die so zahlreich und in Gruppen beisammen erscheinen, als sproßten sie aus der Erde. Das war ganz sympathisch. Es gab da im Hintergrunde auch etliche Holzplanken, die mich weiter nicht störten. Aber als ich heute — nein, gestern früh hinaussah, waren diese Planken mit Riesenplakaten beklebt, die mich anschrien: Ich sollte mich bekleiden billig und gleich mit fertigen Anzügen, einem zu 39, einem zu 49 und einem besseren zu 69 Franken; ich sollte mich in ein Schreibmaschinenfräulein verlieben so sehr, daß ich die Maschine kaufte, über deren Tasten sie mit mir schäkerte, ich sollte Ochsenblut statt Ochsenfleisch genießen und den leergebluteten Ochsen in seine Hautfalten versinken lassen. Terrains sollte ich kaufen an der Oise und Villen mieten an der Marne und fett werden wie der alte Privatier, der in mehreren Exemplaren für fischendes Behagen Reklame saß. Tanzen sollte ich wie der entsetzliche Clown mit den rauchenden, flammenden Lungen . . .“

Ich merkte, daß er mit dieser Beschreibung dem Bekennen mehr und mehr auswich und mußte lachen. „Sie sind unterhaltend,“ sagte ich. „Mußten Sie Ihren Hals sehr weit hinausrecken, um dies Grausen zu genießen?“

„Ja, es mag wohl noch nicht das Eigentliche gewesen sein, wovor mir bangt,“ sagte er leise. „Das Grausen ist wohl eine große schaurige Leere in der Mitte, und aus Furcht vor dieser Leere finden und erfinden wir allerhand kleine Schrecknisse am Rande. Bleiben Sie mir gut, Margot!“

Mit diesen Worten sank er in Schlaf und ich hatte nun Zeit, ihn von meinem Sessel aus zu betrachten. Wie er dalag, die Arme von der Decke halb verborgen, daß sie wie Stümpfe eines Torsos wirkten, die hohe Stirn und die spärlichen roten Strähnen vom Morgenlichte beschienen, die Mundwinkel zu einem wehen Lächeln hochgezogen, war mir seine Schönheit fremdartig, unheimlich, ja unmenschlich. Wer war dieser Schweigsame und dann so plötzlich Beredte, der sich in einer Reihe schnell und ohne Betonung herausgeschleuderter Sätze so sicher und paradox ausdrückte mit Wendungen, die zugespitzt, ja geradezu gepflegt sein konnten? Ich fürchtete mich vor dem Momente, in dem diese schwerlastenden Augenlider wieder aufgingen und den grauen Blick herausließen, der weh tat und keinen rechten Rahmen hatte. Denn die Wimpern waren zu hell, um zu begrenzen, und die Linie der Brauen nur mit spärlichen Härchen angedeutet. Die schmalen Nüstern seiner großen geschwungenen Nase standen in geheimnisvoller Beziehung zu den kleinen hochsitzenden, faunisch spitzen Ohren.

Als er nach einer halben Stunde aufwachte, fragte er: „Warum werde ich nicht froh? Ich bin doch unter Ihrem Blick, in Ihr Pardelfell gehüllt. — Ist heut nicht Sonntag? Glücklich sind alle, die Alltag und Sonntag haben, die frühmorgens in einen Betrieb müssen und sich die ganze Woche wie Schulkinder auf den Sonntag freuen. Aber wir? Wenn unsere Seele und der gesegnete Augenblick einander begegnen, wird alles, was wir sehen und anfassen, Geistesgestalt. Wenn aber die Seele hungert und die günstige Stunde bleibt aus — — Woher haben wir Freien dies unerklärliche Verantwortungsgefühl? Als müßten wir beständig Vorbildliches erleben, musterhaft sein? Was soll denn gerechtfertigt werden? Freiheit ist eine Errungenschaft, an der wir zugrunde gehen.“

Ich hatte einen Vorschlag: „Wenn der Sultan schwermütig ist, läßt er sich von seinen Tänzerinnen etwas vorgaukeln. Kommen Sie mit zu der lieben kleinen Germaine, der ich für heute früh meinen Besuch versprochen habe. Die soll mir helfen, Sie zu trösten. Dort wird man Sie auf Matten, Felle und Kissen betten. Sie wissen, es gibt bei der Germaine viele Lager rings um die kleine Lampe. Und wenn Sie schlafen, werden wir über Ihrem Schlummer unsere kleinen Gespräche führen.“

Das gefiel ihm. Er sprang auf, trank ein Glas Wasser und sah mit einemmal in seinem hellen Anzuge knabenhaft und strahlend aus.

Der menschenleere Boulevard flimmerte und dunstete. Wir gingen ganz langsam, bogen um das niedere rotangestrichene Eckhaus der nächsten Querstraße, in dem Kutscher rauchten und tranken, und blieben gegenüber vor den Bast- und Seidenwaren des Orientbazars stehen. Ich zeigte ihm auf einer Lithographie den rotnackten Heldenknaben der japanischen Sage, der zu der zärtlich geneigten Mutter emporlangt.

„Kommen Sie weg von dem Bilde,“ stieß er hervor und zog mich fort. „Mir graust vor der Mutterbrust, vor Milch und vor Blut!“

Und sein eben noch junges Gesicht war greisenhaft verzerrt.

Ein paar Schritte weiter angesichts des schmalen Durchgangs, der zwischen zwei langen kahlen Häuserwänden mit bröckligen Stufen hinunterführt in einen verborgenen Hof, fragte er: „Wollen Sie mich nicht auch diesen engen Weg ins Entsetzen führen?“ Ich verstand ihn nicht, und mein ratloses Gesicht gefiel ihm. Er lachte und küßte mich. Bei diesem Kusse von kalten Lippen fühlte meine Jugend zum ersten Male statt des schon oft gefühlten Verlangens, verführt zu werden, die Sehnsucht, zu verführen, den Weisen, den Entsagenden zum Genusse zu verführen. Versteht ihr das?

Wir stiegen im großen Atelierhause die Treppe zwischen den stoffbedeckten Wänden hinauf. Germaine war sichtlich erfreut, daß ich ihr den seltenen Gast mitbrachte. Sie hatte gleich viel zu zeigen. Alle Wände waren geschmückt mit amerikanischen Boxerbildern, englischen Kinderpostkarten und rundgerahmten Blumenkörbchen mit deutschen Reiminschriften, an denen Germaine mit kurios französischer Aussprache buchstabierte.

„Wer ist denn das?“ fragte Wörner und zeigte auf die Photographie eines nackthalsigen bartlosen Mannes im Profil, der schräg, wie in Extase, emporschaute.

„Kennen Sie nicht Mister Crawford?“ fragte Germaine.

„Ist er ein Verehrer von Ihnen?“ fragte ich.

„Was wollen Sie, daß er sein soll? Er hat drei englische Gedichte auf mich gemacht. Ich kann sie leider nicht lesen. Ein Freund sagte mir, sie wären zu intim, ich brauchte mir das nicht gefallen zu lassen. Hier in diesem Buche stehen sie.“ Und sie griff einen großen Band vom Bord. — Darin waren seltsame Illustrationen, Mister Crawford in verschiedenen Aktstellungen, bei denen schwer zu unterscheiden war, ob er turnte oder betete.

„Oh, er ist Mystiker,“ sagte Germaine, „er sagt morgens 77 oder 777mal denselben indischen Satz mit erhobenen Armen. Dann ist er im Absoluten, hat er gesagt. Er ist aber auch Menschenkenner. Mich hat er Giftblume genannt.“

Wir mußten lachen alle drei.

„Bin ich etwa keine Giftblume?“ fragte Germaine, noch lachend, aber ein wenig schmollend.

„Doch,“ meinte Wörner, „wenn es Ihnen beliebt.“

„Ach, was wollen Sie!“ klagte Germaine. „Ich bin ein armes kleines Mädchen, über das man sich lustig macht.“ Und sie knickte in die linke Hüfte und lehnte sich an Wörners Schulter.

Der besah weiter das Mystikerbuch und rief dabei im Marktschreierton und deutsch, französisch und englisch durcheinander: „Mister Crawford, Berufsmystiker, zu jeder Auskunft bereit. How to learn mysticism in a fortnight. Aufklärung über die antiken Mysterien! Eleusis für jedermann! Die Kunst der Yogis kein Rätsel mehr. Approchez, approchez, Messieurs, Mesdames! — Und leiser fuhr er fort: „In Amerika geht es, glaube ich, noch schneller. Dort haben sie sogar das Sterben abgeschafft, diesen alten Zopf. Man kann das ewige Leben lernen wie die Energie, den Einfluß, den Erfolg. Das steht alles in billigen Broschüren. In Flugblättern fliegt die Weisheit über Land statt in Schweinslederfolianten zu vermodern. Einst war Ringkämpfen und Wettlaufen ein Gottesdienst. Jetzt ist Gottes Dienst ein Sport geworden. Mister Crawford und Konsorten sind die Trainer. Man müllert sich ins Himmelreich.“

Germaine zog den Mund schief, weil der, an dessen Arm sie hing, immer noch unhöflich und halb in fremden Sprachen weiter redete, statt sich mit ihr zu beschäftigen. So wandte ich mich denn an sie:

„Woher haben Sie die hübschen Blumenbildchen?“

„Von einem Ihrer Landsleute, einem richtigen Dichter. Der hat entdeckt, daß ich eine Seele habe. Und das ist heutzutage selten.

„Haben Sie sie ihm geschenkt?“ fragte Wörner.

„Es scheint fast so, denn seither ist sie fort. Oh, er strengte mich sehr an. Ganz früh weckte er mich und sprach von lauter ernsten Dingen. Und morgens schlaf ich so gern. Ach, ich habe genug von den Männern. Die Droge ist mir lieber.“

Und sie bückte sich und holte unterm Divan ein großes Tablett von lackiertem Holze hervor. Darauf lag eine dicke Bambuspfeife, umgeben von bunten Döschen, Fächern, Schalen. Dies alles verteilte sie auf die helle Matte mit den schimmernden Blumenmustern, steckte ein Öllämpchen an und befestigte daran einen Seidenschmetterling. Daneben kam eine Buddhastatuette. In die erhobene Linke des Gottes steckte sie ein Sträußchen Zyklamen. Der Flitterkranz auf seinem Haupte zitterte.

Während Germaine und ich uns hinlegten, blieb Wörner auf einem Kissen aufrecht sitzen und sah uns zu.

„Warum liegen Sie nicht?“ fragte ich. „Sie waren doch so müde.“

„Es ist vorbei,“ antwortete er.

„Warum rauchen Sie nicht mit uns?“ fragte Germaine, die Pfeife an den Lippen.

Er sah den Buddha an und sagte: „Wem es hilft, der rauche sich Traum aus der Droge. Wenn mir die Götter günstig sind, kann ich mir auch aus meiner Tabakpfeife Traum rauchen. Dem Begnadeten wird ja auch Wasser zu Wein, Wein zu Blut. Aber ich sehe gern zu. Der Duft eurer Laster ist mir angenehm.“ Germaine rückte zu ihm, legte den Kopf in seinen Schoß, und zwischen zwei Pfeifen fing sie an, allerlei zu erzählen . . .

Daß Jeffries nun fort sei, der junge Amerikaner, der so an ihr hing. Seine Mutter war selbst zu ihr gekommen: Sie sollte ihn doch freigeben. — Es tat ihr leid um ihn, aber sie wollte niemand unglücklich machen . . .

Und daß sie die Lucia wieder getroffen habe, die schwarze Lucia, mit der sie früher zusammen Modell stand. Ja, nicht nur mit ihr, sondern mit ihrer ganzen Familie. Damals ging es ihr schlecht, sie mußte mit all diesen Italienern zusammen hausen, wurde aber von den Alten gehalten wie ein Kind. „Lucia und ich wurden dann von zwei reichen Damen entdeckt und gut bezahlt und beschenkt. Alles Geld brachten wir aber artig zu Lucias Eltern. Lucia hat inzwischen Karriere gemacht. Ihr lag nie viel an Herzenssachen. Sie lebt jetzt in den großen Bädern.

„Geht es Ihnen denn nicht gut, Germaine?“ fragte ich. „Haben Sie zu klagen?“

„Oh, jetzt geht es mir ja etwas besser, seit ich anfange, garstiger zu werden . . . Solange wir frisch und schön sind, haben wir viel weniger Glück als nachher, wenn wir nur noch klug sind.“

Wörner sah versonnen auf uns beide. Auch als dann noch Germaines Nachbarin, eine plaudernde singende Georgette, hinzukam, blieb er schweigsam und hörte nur zu. Georgette gab ihm ihr Beutelchen, ihren petit sac, zum Spielen. Er durfte auch den Inhalt besichtigen. Da fand sich zwischen Münzen, Puderschächtelchen, Briefen und Schnupftuch ein kleiner parfümiert riechender Kalender. Dies Sinnbildchen des Georgettenwesens hielt er lächelnd in der Hand, als uns alle eine unerwartete Erscheinung überraschte.

Georgette muß wohl die Tür aufgelassen haben. Lautlos war das fremde Geschöpf herangeschlichen und erfüllte nun mit seinem blauen Mantel den Eingang. Über rötlichbraunes Haar floß ein dünner schwarzer Schleier. Unter der dunklen Seide des Mantels erschien heller die gelbrötliche eines zarten Kleides. Das Weib stand geduckt und sah doch sehr groß aus. Indem es einen Schritt näher trat, wurde das Antlitz deutlich, ein verzerrtes Madonnengesicht, in dem stolze Schönheit und groteske Häßlichkeit sich vermischten. Der Mund, noch eben zart geschlossen, wurde von einem bösen Lachen froschähnlich weitgezogen, während die blaßblauen Augen eine falsche Engelhaftigkeit behielten.

Ohne die andern Anwesenden zu grüßen oder nur zu beachten, wandte sie sich an Wörner: „Sie sehen, ich weiß Sie überall zu finden. Mein Hüter hindert mich auch gar nicht, Sie zu suchen. Warum weichen Sie mir aus? Es ist doch alles vorbestimmt!“ Sie hatte eine dunkle samtene Stimme und sprach das Französische mit slawischem Akzente.

Wörner ließ sie nicht weiterreden. Er erhob sich hastig. Ich sah eine Zornader an seiner Stirn schwellen. Er packte die Unbekannte, umklammerte mit einer Hand ihre vorgestreckten Hände und zog sie fort.

Nach einigen Minuten erschien er allein wieder, das Gesicht fahl und faltig, die Haarsträhnen verwirrt und feuchtschimmernd. Er entschuldigte sich höflich bei Germaine: „Diese Frau“, sagte er, „ist eine Halbwahnsinnige, die ich nur flüchtig kenne. Ich traf sie bei dem polnischen Maler, der früher das Atelier bewohnte, das ich jetzt beziehe. Sie stellt mir nach, ohne daß ich ihr Anlaß gegeben habe.“

Mehr sagte er nicht. Er ließ sich ermattet nieder und bat uns, weiter zu plaudern, was aber nicht recht gelingen wollte.


Hier unterbrach Ulrich: „Von dieser seltsamen Gefährtin des polnischen Malers haben mir Bilbao und Fontel erzählt. Sie begleiteten beide den Erich Wörner, als er zum ersten Male das Atelier des Polen betrat. Sie freuten sich, daß Wörner dort einziehen wollte und daß der Pole fortkam, von dem Fontel behauptete, er verbreite bis ins Treppenhaus einen muffigen Pfaffengeruch und blicke sie bei Begegnungen immer so an, als seien sie schuld an der bedauerlichen Trennung von Kirche und Staat.

Als sie eintraten, öffnete der Pole finster und höflich. Und während er ihnen seine riesigen, konventionell und öde gemalten Bibelbilder zeigte und erklärte und Wörner umherging und die Maße des Ateliers abschritt, wurde im Hintergrunde das Weib bemerkbar: Es saß in Faltentücher gehüllt, über ein Kartenspiel gebückt, aus dem es sich selbst wahrzusagen schien. Mit einmal blickte diese Frau auf, sah Wörner groß an, und ihre Augen ließen nicht mehr von ihm ab.

Man erkannte ihr Gesicht auf all den Bildern der Verkündigung, Heimsuchung, Geburt wieder. Bald war sie Maria, bald Magdalena, auch Eva und Ruth. Nur ihre Unheimlichkeit, das lauernd Böse in diesem Engelsgesichte war nicht mitgemalt. Fontel fing an, dem Polen einige Höflichkeiten über seine zahllosen Leinwände zu sagen. Der aber wehrte jedes Kunsturteil ab und wollte nur die Idee, das wieder erwachende Christentum darin anerkannt haben. „Wie hier die Ehebrecherin dem Heiland die Füße wäscht, so wird Paris, so wird die Welt sich neigen vor dem kommenden Heiland, dem armen heimatlosen.“

Da zeigte plötzlich das Weib mit vorgestrecktem Arm und irr verklärter Miene auf Wörner, der erschreckt zurückwich.

Als sie dann fortgegangen waren und an der nächsten Ecke in ein Café eintraten, bemerkten sie die verhüllte Gestalt dieses Weibes, die, an die Mauer gedrückt, ihnen nachschlich. — Von da ab fand Wörner sie öfters auf seinen Wegen. Aber nie näherte sie sich ihm, hielt sich immer in lauernder Entfernung. Den Freunden gegenüber, die das interessant und ergötzlich fanden, äußerte er unverhohlen, in den Blicken dieser Frau sei eine böse Macht, er fürchte sich vor ihr, man solle sie wegnehmen aus seinem Gesichte.

Einmal suchte der Pole ihn auf und bat ihn mitzukommen. Wozu, wollte er nicht sagen. Er drückte sich undeutlich aus: Wörner könnte ihm und vielleicht vielen etwas Gutes tun. Halb wider Willen ging Wörner mit. Als sie das Atelier betraten, lag auf einem ganz mit Rosen bestreuten Divan in dünnen Schleiern das Weib. Der Pole sagte: „Umarme die Braut. Ich habe sie gepflegt, gesalbt, gebadet wie die Esther, als sie für des Königs Bett bereitet wurde. Ich will euch beiden dienen. Ihr müßt euch paaren. In deinen und ihren Gebärden, Jüngling, ist Zukunft und Heil. Ich will euer Sklave sein. Und wenn das törichte veraltete Gefühl der Eifersucht sich in mir regen sollte, so will ich sterben, auf daß ihr blühet und eures Schoßes Frucht lebe.“ So predigte er dem Erschrockenen mit blasser Priesterwut. Und die „Braut“ öffnete die bisher geschlossenen Augen und breitete die Arme aus.

Wörner floh hinab zu den Freunden, berichtete den Vorgang und erklärte, er könne hier nie einziehen. So sehr die andern auch diese Szene ins Lächerliche zogen, Wörner konnte nicht mitlachen, und sie hatten viele Mühe, ihn zu bewegen, bei seinem ursprünglichen Vorsatze zu bleiben.

„Jetzt verstehe ich manches deutlicher,“ sagte Margot, „was mir damals noch rätselhaft blieb. Und vielleicht werde ich mit der Zeit das Geheimnis dieses Unglücklichen mehr und mehr begreifen. Oft tauchen mir halb verstandene Worte von ihm im Gedächtnis auf, und ich sehe Zusammenhänge, wo vorher Einzelheiten waren. Aber ich will, wie ich versprach, nur erzählen.

Nach dem Vorfall mit der teuflischen Madonna blieben Wörner und ich nur noch ein paar verstörte Minuten bei der liebenswürdigen Germaine. Seine Düsterkeit hatte mich angesteckt. Wir gingen traurig nebeneinander über die Straße.

In einem Schaufenster begegnete mir der holde Knabenblick des jungen Pierre Frank. Er drehte sich um und reichte mir die Hand. Er war bezaubernd mit seiner kurzen eigensinnigen Stirn über der geraden Nase und den lockenden Lippen, die geschlossen so schmal und sich öffnend so reich und purpurn waren.

Erst dachte ich, daß Frank und Wörner sich nicht kennten; denn Wörner blieb einen Schritt hinter mir zurück. Aber da trat der andere auf ihn zu: „Hast du keine Lust, Erich, mir die Hand zu reichen? Warum meidest du mich? Ich dachte schon, du bist fort oder tot.“

Wörner schien verlegen, hilflos. Er flüsterte abgerissene Worte; ich verstand nur: „Zu schön damals — nie wieder so.“

Pierre Frank wandte sich geschickt zu mir: „Besuchen Sie mich doch einmal bitte und bringen Sie diesen schwierigen verhinderten Menschen mit. Allein getraut er sich nicht in meine Höhle. Vielleicht bin ich ihm auch zu töricht geworden. Ich befolge nicht gehorsam seine pedantischen Lehren.“

„Ich wollte, du lehrtest mich,“ sagte Wörner nah an dem Gesichte des Jünglings. Der erwiderte mit zartem Lächeln: „Ich will gern — komm nur. Kommt bald.“ Er ging und winkte noch einmal von weitem.

Wir beide kamen in den Luxembourg-Garten. Ich hatte das deutliche Gefühl, daß er nicht von Pierre Frank sprechen mochte; und um nicht an eine Wunde zu rühren, die ich nicht heilen konnte, suchte ich nach Ablenkung und machte den vor sich hinstarrenden, eilig schreitenden Freund auf die Kinder im Sande und die seilspringenden Mädchen aufmerksam.

Da nahm er meinen Arm und sagte leise, wie man ein Geheimnis anvertraut: „Ich muß Kinder meiden. Früher sah ich ihnen in den Gärten gerne zu, wie sie sich tappender und zugleich schwebender bewegen als fertige Menschen, bacchantischer! Die Grazie des unerfahrenen Leibes erregte in meinem Blute eine neue Leichtigkeit, ich taumelte mit, ich flog mit. Und wenn ich dann meine Schwere spürte, wenn ich fühlte, daß ich nicht mehr Kind sein kann, so hätt’ ich oft in seligem Erleiden die Erde sein mögen, über die sonnenwarme nackte Füßchen tasten und tanzen, in die sich die glänzenden Spitzen der niedlichen Schleifenschuhe und die abgetretenen Hacken rührend brüchiger Stiefelchen eindrücken. — Ach, wie schön wäre es, das Gras zu sein, an das die abrollenden Socken, die haschenden Händchen streifen, oder gar das Holzrößlein des Karussells, um dessen Rumpf sich zartknochige Glieder schmiegen! — Haben nicht vielleicht die sogenannten toten Gegenstände ihr eigenstes Glück, ihre Wollust, wenn sie die süße Berührung der blutbewegten und atmenden Wesen in regungsloser Hingabe auskosten?

Aber ich erfuhr, daß in dieser Liebe eine Gefahr lauert. Etwas in mir empörte sich, bäumte sich auf gegen alles hingegebene Dasein. Der Geist zerrt an den Banden, die ihn umstricken wollen. Er möchte immer über den Wassern schweben wie im Anfang. — In solchen Augenblicken begriff ich alle Einsiedler, die in Wüstenöde oder Bergkluft ihr Fleisch martern und kasteien.“

Als er so sprach, hatte ich unendliches Mitleid mit ihm. „Wenn ich Kinder sehe,“ sagte ich, „und fühle die Zärtlichkeit, von der Sie sprechen, so nehme ich eines von ihnen auf den Schoß oder ich spiele mit ihnen nach ihren reizenden Spielregeln.“

Schweigend liebkoste er meine Hand.

Ich schlug vor, in einem Restaurant an der nächsten Straßenecke zu essen. Es war schon etwas spät. Das Gastzimmer war leer. Nur ein graubärtiger Alter mit langen weißen Locken rund um die Glatze, die seine Stirn erhöhte, saß im Halbdunkel. Aus seinem abgetragenen Gehrock leuchtete das vorgepolsterte Chemisett unter der breiten Schmetterlingskrawatte. Von Zeit zu Zeit warf er durch den Rauch seiner Pfeife einen Blick auf uns. Es mochte ein Musiker oder Lehrer sein. Ich fand ihn putzig. Wörner aber starrte ihn an. Als ich ihn fragte, was denn an dem Alten so erstaunliches wäre, sagte er: „Sehen Sie nicht, wie sein Auge prüft und mahnt? Er hat den fesselnden und strengen Blick, stier von unten herauf, mit dem Sokrates die Jünglinge durchschaute? Wer kann bestehen vor diesen gerunzelten Brauen, vor der Kraftmasse, die dieser Stirne vorgelagert ist?“

Immer deutlicher fühlte ich, daß mein unglücklicher Freund nun soweit war, in allem Begegnenden nur noch seine Geister zu sehen. In meiner Ratlosigkeit schien es mir das beste, ihn ins Alltägliche zu führen, und ich erklärte, ich hätte Lust, in das Café der befreundeten Maler zu gehen. Er war dabei.

Aber im Café fanden wir von den Bekannten nur den, der am wenigsten alltäglich war, Ephrussi, den ihr ja alle, wenigstens aus seinen Werken, kennt. Er zeichnete nach seiner Gewohnheit auf Briefbögen und Umschlägen.

Gegenüber am Fenstertische, so hell beschienen, daß man jede Runzel sah, saß ein kleines altes Weib in altmodischem Kleide mit Borten, Troddeln und Fransen. Sie las ein riesiges Zeitungsblatt, auf dem L’Éclair stand. Neben ihrer Kaffeetasse lag ein Barchentbündel. Ihre Füße, durch die eisernen Querstäbe des Tisches sichtbar, standen auf hoher Fußbank. Ephrussi betrachtete sie aufmerksam, den Daumen am Munde, die Wange auf den gekrümmten Zeigefinger gestützt.

Er begrüßte uns und zeichnete während des Gesprächs weiter. Wörner setzte sich mit dem Rücken gegen die Alte und sagte: „Sie müssen viel Mut haben, daß Sie die böse Parze zeichnen. Mir ist schon ihr matteres Abbild hier im trüben Spiegelglase gefährlich.“

„Mir ist sie auch nicht ungefährlich,“ sagte Ephrussi, „aber indem ich zeichne, schütze ich mich vor ihr.“

„Ja,“ sagte Wörner lebhaft, „Sie sind ein Gesegneter, Sie können alles umwandeln. Bis zu Ihnen reicht das Morgenland. Sie machen Tausendundeine Nacht aus jedem Vorstadtplatz, aus jedem Grasabhange der Fortifikationen, auf dem einiges Halbnackte herumspielt. Mit krausen Linien und Farbflecken — schön wie die wandernden Tupfen, die man im Fieber sieht — machen Sie aus öden Lasterzimmern Feenpaläste. Aus garstigen Gesichtern, ungestalten Rümpfen und Stiefeln kräuseln Sie zarte Arabesken. Sie dürfen immer wieder dasselbe machen. Es wird immer neu. Sie Glücklicher, der nicht anders kann, der keine Wahl hat!“

Ephrussi lächelte: „Ich habe von Kindheit an alles Papier, das mir in die Finger kam, bekritzelt und bemalt. Was mir dabei geschieht und was ich tue, weiß ich nicht genau. Und warum ich es tue? Nun, ich glaube, um mich nicht vor der Parze zu gruseln. Denn ein so ganz sicheres Vertrauen habe ich auch nicht zur Wirklichkeit. Neulich habe ich mich sogar vor Gegenständen gefürchtet. Das muß ich Ihnen erzählen. Ich wohne jetzt im Hotel und arbeite in einem Atelier in einem abseitsliegenden Hause hinterm Bahnhof Montparnasse. Da gehe ich fast täglich abends noch einmal hin, um bei Licht zu zeichnen. Es ist mir nun immer schon etwas unheimlich zumute gewesen, wenn ich mit der Kerze eintrat und Stühle, Tische, Kissen und die herumliegenden Zeichnungen anleuchtete, bis ich dann die Lampe ansteckte und mich an die Arbeit machte. — Neulich mußte die Myrille zu ihrer Mutter reisen. Wir aßen frühzeitig zu Abend, weil ihr Zug um sieben Uhr abfuhr. Dann ging ich vom Bahnhof geradewegs in das Atelier, also viel früher als sonst. Da hatte ich auf der Treppe plötzlich Angst einzutreten. Die Gegenstände waren doch nicht darauf gefaßt, nicht vorbereitet, daß ich so früh käme. Vielleicht lagen und standen sie nicht mehr oder noch nicht wieder so, wie ich sie verlassen hatte. Sie hatten sich gehen lassen, jedes auf seine Art, und sich vielleicht noch nicht zurechtgerückt für meine Wiederkunft. — Ja, da bin ich vor der Tür umgekehrt. Ich wollte zurück, Myrille holen und zum Schutze mitnehmen. Aber sie war ja gerade abgereist, würde eine Woche fort sein. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Auch nur schlafend ein Lebendiges bei sich zu haben, ist schon Trost. So kam ich vor mein Hotel. Ich trat in den Flur, ging die Treppe hinauf bis zum ersten Absatz. Da hängt ein Spiegel. Ich wagte nicht hineinzuschauen in das Glas. Wenn ich nun nicht mehr mich, wenn ich irgendein Gesicht darin sah . . .

„Hören Sie auf,“ unterbrach Wörner, „Sie sind furchtbar.“ Und er sah vom Spiegel weg ins Dunkle.

Ephrussi lachte wie ein schadenfrohes Kind. Als ich ihm aber Zeichen machte, verstand er und sagte: „Nun, lassen wir diese unheimlichen Dinge. Wir wollen zur Erholung auf den Jahrmarkt gehen. Er ist jetzt ganz in der Nähe, am Löwen von Belfort! Das wird uns gut tun.“

Wir fanden den ehernen Löwen mit Girlanden geschmückt. Sein grimmiger Blick fiel auf die Menagerie, aus der die Stimmen seiner Wüstenbrüder grollend durch die Musik der Karussells dröhnten. Die breite Bändigerin stand vor dem Zelte und knallte mit der Peitsche. Neben ihr gestikulierte heftig ein Clown; er hatte rote Striche im Gesicht.

„Wie Blutstriemen, sagte Wörner, als träfe ihn jeder Schlag dieser Peitsche!“

Ephrussi zog mich zu dem großen Karussell mit Flugzeuggondeln und Autoattrappen. Dort war das meiste Leben. Mädchen warfen kreischend Konfetti herab. Junge Burschen sprangen während der Fahrt auf die gleitenden Bretter der Außenbahn und suchten in die schwankenden Behälter zu klettern. Wir meinten, Wörner käme mit, als wir eine Schaukel bestiegen. Aber er hatte uns verlassen. Er will allein sein, dachte ich und folgte, als unser Karussell hielt, dem kleinen kindlich frohen Ephrussi in den Zirkus Zanfretta. Dort war es so herrlich, daß ich darüber meine Sorge um Wörner zeitweilig vergaß. Rings um uns saßen Vorstadtmädchen in armen Kleidern und reichen Frisuren und junge heißäugige Arbeiter. Wir sahen auf das kreislaufende Pferdchen, das kurzgezäumt im Takte nickte. Auf dem breiten rosa Sattel tänzelte die Kunstreiterin, in deren Flitterrock das Korsett groteske Falten brach. Dann kamen Musikclowns mit ihren Instrumenten über die Teppiche gestolpert, welche betreßte Diener spreiteten. Dann die buntflimmernden Flaschen der Jongleure, kluge Hunde, starke Männer und so weiter. Ich werde ja so glücklich in solchem Vorstadtzirkus! Wir blieben bis zum Schluß der Vorstellung.

Als wir mit der strömenden Menge herauskamen, wirbelte draußen bunter Staub. Kleine blaurote Soldaten drängten in eine Ringerbude. Schaukeln flogen und zeigten abwechselnd bald die Oberseite mit Mädchenarmen an Tauen und mit wehenden Hüten und Haaren, bald den Boden mit den riesenhaft hochwachsenden Reklamebildern bekannter Komiker.

Plötzlich bemerkte ich Wörner. Er stand vor einem wackligen altertümlichen Karussell, in dem nur ein paar Kinder ritten und fuhren. Um den Mittelbalken glitt ein dickes Seil, an dem eine knochige abgetriebene Mähre zog; die hetzte, auf dem innern Wandelbrett stehend, ein graubärtiger böser Greis, den Wörner unverwandt mit gequälter Miene ansah.

Als er sich endlich von diesem Bilde wegdrehte, fiel sein Blick auf einen Würfelbecher, den ihm ein blinder weißhaariger Knabe in erhobener Hand als Almosenschale klappernd entgegenstreckte.

Ich eilte auf Wörner zu. Zwischen uns war nur noch das Zottelhaar eines Anamitenkindes, das neben seiner Mutter für ein feilgebotenes Haarmittel Reklame stand.

Da kam von der andern Seite rasch und strahlend Pierre Frank und streckte mir die Hände entgegen. Wörner blickte auf uns und wieder in die rotrandigen blinden Augen des Albinos hinunter. Er machte eine Bewegung um wegzugehen. Aber Pierre Frank zog ihn her.

Wir drängten uns durch die Menge aus dem Bereich der Buden hinaus und kamen an den Ringbahnhof, aus dem gerade eine Flut Sonntagsausflügler rann: Väter in fettig schwarzen Röcken, unförmige Mütter, blasse Töchter, welche Ginsterbüschel trugen, auch kleine Kinder, die nachgezogen wurden und traurig mitliefen mit vielen Schrittchen. Dieser Familiensonntag war von Hitze umflutet und von dunklen Gewitterwolken wie von dem nahe bevorstehenden Montag bedroht.

Wörner sagte: „Laßt mich heimgehen. Jetzt ist bald Abenddämmerung. Die hilft mir vielleicht über alles hinweg.“

Aber der muntere Pierre nahm seinen Arm und hielt ihn fest. „Wo ist unser junger Weiser aus dem Morgenlande?“ fragte Wörner. Ich sah mich um. Ephrussi war verschwunden. „Kommt mit zu mir,“ sagte Pierre.

Es gab eine lange Métrofahrt. Wir saßen schweigend. Pierre neben mir, Wörner gegenüber.

Schließlich fragte Wörner den Freund: „Was treibst du jetzt?“

„Ich beschäftige mich mit Mechanik,“ war die Antwort. „Wenn ich Glück habe, erfinde ich noch den leichten Motor. Ich habe übrigens schon etwas erfunden, das jede Schraube ersetzt.“

Wörner sagte: „Ach, wo willst du hin? Das ist traurig.“

„Warum?“

„Des Teufels ist die Mechanik! Einst war sie eine Nebenbeschäftigung der Denker, eine kleine sichtbare Nutzanwendung der ewigen Gesetze, die sie aus ihrem Innern schöpften, in der Natur wiederfanden und der Welt und Wirklichkeit zukommen ließen. Danach war sie ein Zeitvertreib witziger Gottesleugner, ein Spielwerk müder Fürstenfinger. Endlich aber wurde sie eines Jahrhunderts Gottheit und wird nun sein Vernichter werden?“ An dies Wort habe ich später oft denken müssen in den Kriegsjahren. — Aber der, an den es gerichtet war, zuckte die Achseln und sagte: „Du kannst nicht verlangen, daß ich mich immer nur mit Karrikaturenzeichnen befasse wie früher.“

Wörner griff nach seinen Händen: „Ich bitte dich, Pierre. Denk an unsere schönen Abende im Winter. Komm wieder zu mir. Ich will dir aus den Platonbüchern lesen und erzählen. Wir wollen durch den Ilissos gehen mit nackten Füßen, unter der Platane auf dem Rasen sitzen und von den ewigen Dingen reden.“

Pierre Frank lächelte wie ein geschmeicheltes Weib. Dann entzog er dem Wörner seine Hand, und ich fühlte, wie sie nach meiner tastete.

Wir stiegen in der Nähe des Etoile aus, und Pierre führte uns in eine Seitenstraße der Avenue, wo ihm seine Mutter ein entzückendes Boudoir eingerichtet hatte. Pierre rückte den Teetisch an den Divan; ich lag auf zärtlichen Kissen. Wörner lief unruhig auf und ab. Pierre setzte sich zu meinen Füßen und faßte sanft und sicher meine Knöchel an. „Sie müßten gut in Sandalen gehen,“ sagte er, „aber in richtigen antiken, bei denen der Gurt neben der großen Zehe durchgezogen wird.“ Und um dies näher zu erläutern, zog er mir einen Schuh ab, faßte mit der einen Hand den Fuß und berührte mit dem Zeigefinger der andern die Zehenwurzel. „Hier muß der Riemen herumgehen und so entlanggleiten.“ Er strich über den Spann.

Ich muß gestehen, daß bei seiner Berührung mein Herz erschrocken klopfte. Mein Gefühl verwirrte sich. Ich sah den ruhlosen, trostlosen Wörner, dem ich so gern geholfen hätte. Ich sehnte mich, meine Arme um ihn zu schlingen, ihn mit meinem Blute, meiner Jugend zu erwärmen wie einen Erstarrten, all seine Hirnqual zu ersticken in gedankenlosem Genusse. Aber er sah gar nicht auf mich. Nur den Pierre Frank blickte er bisweilen an. Und ich lag im Bann dieses jungen frohen Burschen, dessen Berührungen so selbstverständlich waren, daß ich ihn gewähren lassen mußte. Was er erregte, beruhigte er auch wieder: mein Herz ging gelinde.

Wörner kam mit einem Blatt in der Hand, faßte Pierre am Kinn, hob seinen Kopf ins Licht und verglich ihn mit dem Bild auf dem Blatt. Es war Beardsleys Jüngling mit der Inschrift: Ave et vale. „Er gleicht dir, dieser Neu-Antike,“ sagte Wörner. „Soweit wie dieser bist du dem Eigentlichen ähnlich. Soweit reichen wir. Ein Sehnsuchtsblick in die alten Haine, nicht mehr.“

Es klingelte. „Das ist Maman,“ rief Pierre und sprang auf. Ich hatte schon so viel von seiner berühmten französischen Mutter gehört, die früh ihren deutschen Gatten verloren hatte und neben dem erwachsenden Sohne jung und lebenslustig geblieben war. Sie galt für ein Finanzgenie an der Börse und für eine vielerfahrene Liebhaberin.

Es erschien eine wunderbare große Frau mit silbern gepudertem Haare in herrlicher Abendtoilette. Unter einer breitliegenden grünen Feder verschwand ihr Hut. Die Haut ihres Halses hatte den Schimmer von etwas so äußerst Kostbarem wie die Perlenkette, die auf ihr lag. Pierre küßte sie zärtlich.

Sie umarmte mich schnell und herzlich. Den Erich Wörner sah sie etwas feindlich an. Er bezeugte ihr kühle Ehrfurcht und Bewunderung.

„Ich muß wieder gehen,“ sagte sie nach kurzem Gespräche, „wollte dich nur im Vorübergehen küssen, Pierrot; aber du bleibst heute mal hübsch zu Hause!“

„Und du gehst soupieren, Maman! Warum soupierst du nicht mit uns?“

„Ein andermal, mein Freund.“

Er schlich hinter sie und küßte ihren Nacken. Sie drehte sich um, packte und prügelte ihn mit ihrem Täschchen wie Venus den Amor mit dem Köcher.

„Also ich gehe. Du bleibst. Behüten Sie mir meinen bösen Buben, Mademoiselle Margot. Und Sie, mein Herr (zu Wörner), verderben Sie mein gutes Kind nicht.“

Er verneigte sich.

Als sie fort war, erklärte Pierre: „Wir gehorchen aber doch nicht. Wir gehen auch zum Montmartre.“

Ich meinte: „Wenn man eine so wunderbare Mutter hat wie Sie, müssen einem die Frauen vom Montmartre doch kaum erträglich sein.“

„Nun, wir brauchen ja nicht zu den Unerträglichen, wir können ja in unsere besondere Bar gehen,“ sagte Pierre mit einem scharfen Blick auf Wörner. Dort finden wir den eleganten und geistvollen Herrn von Schlicht, den schönen und melancholischen Bildhauer Vitali, den kuriosen Tänzer, der sich Monna Vanna nennen läßt. Hast du nicht Lust, Erich? Dort fließt vielleicht unser Ilissos.“

„Geh allein,“ sagte Wörner mit heiserer Stimme, „ich will versuchen, mich nach Hause zu finden.“

Ehe ich ihn bitten konnte, bei uns zu bleiben oder mich mitzunehmen, war er fort ohne Blick, ohne Gruß. Mir war schwach und taumelig, als hinter ihm die Tür zufiel.

Und dann führte mich der bezaubernde Pierre in seine Bar. Ich fürchtete, dort als Frau überflüssig zu sein. Aber es waren auch Frauen da, deren Besonderheit ich damals allerdings noch nicht recht begriff. Wir saßen in einer Gruppe eleganter Herren. Vor uns bewegte ein üppiger verlebter Südländer, als spanische Tänzerin verkleidet, langsam seine Hüften im Kreise und klapperte mit den Kastagnetten. Die Männer am Tische waren von einer etwas altertümlichen, umständlichen Höflichkeit zu mir. Der schöne Bildhauer hatte die blassesten Hände, die ich je gesehen. Herrn von Schlichts Aperçus, mit dünner heller Stimme hingeworfen, verstand ich nur halb. Pierre spähte umher nach merkwürdigen Gästen an andern Tischen. Ich vereinsamte unter diesen Fremdartigen. Ich dachte mit Kummer an Wörner.

Da erschien Pierres Mutter, begleitet von einem sehr eleganten Greis und einem jungen Burschen mit schüchternen Augen und bedienenden Bewegungen. Sie drohte uns lächelnd mit dem Finger. Pierre sprang auf und flüsterte mit ihr. Da nahm sie mich an der Hand, wie man ein Kind nimmt, und führte mich zu ihrem Tische hinüber. Sie streichelte mich und gab mir köstlichen Wein zu trinken. Ich war sehr durstig, trank rasch und süchtig: ich kam in eine selige verschwimmende Zauberwelt.

Plötzlich zerrissen die schwingenden Schimmernetze aus Seide, Musik und Duft: Erich Wörners blasses Haupt erschien. Zum letzten Male sah ich die spitze Flamme seines Haares, die toten Seen seiner Augen. Er sah mich nicht. Pierre Frank ging auf ihn zu. Sie flüsterten. Ich lag willenlos und ohne Regung in den Falten des Mantels der schönen Frau Frank. Pierre nahm den Arm des Freundes und sie gingen. Die tönenden, bunten Netze schlossen sich wieder.

Später fuhren wir in einem weichen Wagen durch die Stadt, saßen dann unten in der Taverne des Olympiatheaters, der feine Alte, der schweigsame Knabe mit den Sklavenaugen und die große Frau, die mich nicht von ihrer Seite ließ.

Es war schwül im Raume, die Herde der Weiber trieb langsam, wie gefegt von den großen Ventilatoren, die oben hin und her rauschten, entlang an den Tischen, über welchen gedunsene Köpfe, von Kragen und Frackschultern gepreßt, auftauchten und hagere Backenknochen sich in weichquellendes Puderfleisch drückten. Alles verschwamm in Hitze und erschien wie aus derselben Materie, Kleider, Gesichter, Tischtücher, Stühle, Parkett und rote Läufer, alles zerrieb sich in grellem Lichte. Mit einmal rasselten oben die Scheiben. — Es hagelt, sagte man. Dann wurde es wieder wie vorher.

Wie die Zeit hinging, weiß ich nicht: es mochte um Tagesanbruch sein, als Pierre Frank erschien. Sein Haar klebte an den Schläfen. Er hatte Fieberflecken auf den Wangen. Ich las in seinen Augen schon die Todesbotschaft, die er brachte.

Aller Rausch war vorbei: die Welt umher war hohl und zerfiel in banale Einzelheiten eines verstaubten, verrauchten, halbleeren Nachtlokals im Morgengrauen. Was Pierre stockend, verwirrt und verwirrend berichtete, haben er und andere mir später ergänzt. Und davon habe ich ungefähr dies behalten:

Wörner war gegen zehn Uhr in das Haus am Abhang gekommen. Aber statt in sein Atelier hinaufzusteigen, ging er hinab in das Kellergeschoß zu Jacques Fontel und blieb dort wohl zwei Stunden mit Fontel und Bilbao. Da mag er das gesprochen haben, was vorhin Ulrich nach ihren Erzählungen wiedergab. Bald darauf sahen sie ihn aus dem Hause eilen wie einen Verfolgten.

Als er dann in der Bar erschien, sagte er zu Pierre: „Ich habe eine letzte Bitte. Komm mit. Das Gespenst sitzt auf meiner Schwelle: ich kann nicht an ihm vorbei. Nur du kannst mir helfen.“

Schweigsam gingen beide die ansteigende Straße hinauf. Wörner blieb von Zeit zu Zeit schweratmend stehen; dann nahm er den Arm des Freundes und schritt weiter. Als sie die letzte Treppenstufe erreicht hatten und vor der Ateliertür standen, war dort kein Wesen zu erblicken. Und Pierre ist der Meinung, daß da auch vorher niemand gewesen sei und daß der Freund nur von der Verfolgerin geträumt habe, die nach seinen Reden bald die schön-häßliche Slawin, die Freundin des polnischen Malers, bald aber eine Vorstadthure war, die ihm einmal mit aufgehobenen Röcken entgegenlief; ja gräßlicherweise sprach er von diesem Wesen auch als von der eigenen Mutter.

Als er nun niemand sah, umarmte er Pierre und sagte: „Du hast sie vertrieben, die Hockende, die Geduldige; ich danke dir.“ Sie traten in das Atelier ein.

Da lagen und standen in wirrem Durcheinander neben gerollten Teppichen, Bettstellen, Matratzen, geschnitzte Truhen, Holzstatuetten, Bilderrahmen, alte Leuchter, Kisten und Koffer. Sie tasteten mit Licht und Lampe umher. Wörner machte halb sinnlose Späße.

„Sieh diese Bettstatt an. Demi-Louis-Quinze nennt man dies Genre. Das paßt doch gut zu uns: Demi-Louis-Quinze.“ Er lachte meckernd. „Hier sieh die verstümmelte Madonna ohne Kind mit leerem Schoße. Sie dauert mich. Hast du auch nochmal nach der Tür gesehen, ob die blaurote Slawin uns nicht nachgeschlichen ist?“

Seine Kerze erlosch bei einer heftigen Bewegung.

„Spürst du das Morgengrauen?“ fragte er? „Es ist gräßlich, beschämend. Warum ist Abenddämmer voller Trost und Morgendämmer voller Qual und Vorwurf?“

Pierre bat ihn schließlich, entweder mit ihm fortzukommen oder sich ein Lager zu bereiten und zu schlafen. Er kramte Laken aus einem Koffer.

„Du möchtest wohl weg?“ grinste Wörner. „Du hast wohl Angst vor mir? Brauchst dich nicht zu fürchten. Was hülfe dein Tod? Du bist nicht Linos, bist nicht Hyazinth! — Ach warum willst du fort?“ sagte er dann mit Tränen und streichelte Pierres Hand.

Pierre erklärte: „Ich will bei dir bleiben, bis du eingeschlafen bist; aber nun lege dich hin. Ich bitte dich.“ Und er schmiegte sich an ihn und küßte ihn.

Aber Wörner machte sich los und sagte leise: „Du bist auch nur ein Weib. Wo sind sie, der Liebende und der Geliebte?“

In diesem Augenblicke fegte ein jäher Sturmwind durch das offene Seitenfenster. Gleich darauf klirrte die Scheibe im prasselnden Hagel. Ein Rolladen fiel herab und klapperte halb zerbrochen. Wörner wollte hinaufsteigen, das Fenster in Ordnung zu bringen.

Pierre bat: „Laß lieber mich hinauf. Du bist müde und nervös. Du könntest fallen.“

Wörner war schon auf einen Stuhl und ins Fenster geklettert. Er rief: „Weißt du nicht mehr aus der Schule das Wort: Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab von der Zinne des Tempels. Denn es steht geschrieben: Er hat seinen Engeln befohlen, dich auf Händen zu tragen!“

Nun stand er oben, zerrte an der nassen Schnur des Ladens. Die Lampe war im Sturm erloschen. Es war ganz finster. Pierre suchte Streichhölzer, die er auf einen Tisch gelegt hatte.

Dann gab es eine Windstille. Ein Blitz flammte auf. Pierre sah ganz hell Wörners leuchtend göttliches Gesicht. Dann wurde es wieder dunkel.

Pierre rief in Angst: „Laß doch das Fenster! Komm herunter!“

Es antwortete: „Ich komme.“

Dann verging eine unbestimmte Zeit.

Pierre rief irgendwann: „Komm doch!“

Irgendwann antwortete es: „Ich komme.“

Pierres Kerze flammte auf: Wörner war verschwunden. Das Fenster war eine grausige dunkle Höhle.

Pierre lief die Treppe hinunter, klopfte bei Bilbao, und als dort nicht gleich geöffnet wurde, eilte er hinab zu Fontel. Der saß an seiner Schreibmaschine; die Katze hockte auf der Schulter des Dichters.

„Haben Sie nicht einen Fall gehört?“ fragte Pierre. Der andere begriff gleich. Sie gingen um das Haus hinunter in das leere Feld. Da stand schon eine Gruppe Arbeiter vom nahen Bauplatz um den Zerschmetterten herum. Man trug ihn ins Haus. Das Rückgrat war gebrochen, das Haupt unversehrt. —

Ich weiß nicht, ob ich verständlich erzählt habe; ich weiß nicht, ob ich selbst alles verstand. Es ist genug.“


Margot hatte beim Sprechen steil aufrecht gesessen. Nun faßte sie nach dem Glase, trank durstig den kalten Punsch und lehnte sich zurück. Da fühlte sie Ulrichs Arm, der zärtlich ihre Schulter stützte. Und beide sahen einander an in dem seligen Glück eines gemeinsamen Wissens.

11. Paris in vierzehn Tagen

Die kleine Melusine seufzte. Es konnte aber auch ein leichtes Gähnen sein, was sie in dies Beileidsseufzen umsetzte. „Ach, wie traurig!“ sagte sie. „Aber es ist doch immer schön, von Paris erzählt zu bekommen.“

„Ist denn Euer Paris wirklich so wunderbar?“ fragte Lisa. „Sage mir doch bitte jemand, daß man auch ohne Paris glücklich werden kann. Sonst ist es für mich gar zu verdrießlich, nicht mehr dahin gekommen zu sein. Im Frühling vor dem Kriege war ich in Nizza und wollte dann auf ein paar Wochen nach Paris. Aber da wurde meine Mutter krank, ich mußte schnell heim. Und nun ist ja wenig Hoffnung, je wieder in diese Stadt zu kommen.“

„Vielleicht“, beruhigte sie Dappertutto, „behalten Sie besser das durch keine Wirklichkeit getrübte Traumbild dieser Stadt. Mancher hat versucht, auf einer kleinen Reise Paris kennenzulernen. Aber so leicht gibt die Stadt ihr Geheimnis nicht preis. Und da kann es einem ergehen, wie jenem jungen Deutschen, der nur vierzehn Tage Zeit hatte für Paris.

Weil wir nun alle etwas zu sehr mitgenommen sind von dem, was unsere verehrungswürdige Margot gesprochen hat, will ich euch zur Erholung und Belustigung die Geschichte dieses jungen Mannes erzählen, und wäre es auch nur, um wieder das helle Lachen der schönen Melusine zu hören, das ich seit langem entbehre.

Wilhelm — so hieß dieser junge Deutsche — hatte einen Frühlingsurlaub von vierzehn Tagen, den er benutzen wollte, um Paris zu erleben.

Mit einem Nachtzug fuhr er nach Köln, wo er den kurzen Morgenaufenthalt anwandte, um den Dom zu besichtigen, der ja gleich bei der Bahn erbaut ist.

Die Fahrt durch Belgien verbrachte er mit Essen, Schlafen und Rauchen. — Als die französische Grenze passiert war, sah er zum Fenster hinaus, um die Frühlingslandschaft zu studieren: das hatte ihm ein befreundeter Maler angeraten als Vorbereitung zum Studium der neuen französischen Malerei.

Da es aber zu regnen anfing, mußte er davon Abstand nehmen und las, um die Zeit nützlich zu verbringen, in Meyers kleinem Sprachführer. Die Zahlen und das allgemein Grammatische kannte er noch von der Schule her. „Hotelankunft“ hatte er gestern abend gelernt. So wandte er sich nun der Speisekarte zu: Abricot = Aprikose, Agneau = Lamm, Alose: Else, Alse. Was war Alse?

Schon zeigte seine Uhr auf vier und noch war nichts von Paris zu sehen. Von einem gegenübersitzenden Herrn über den Zeitunterschied der Nachbarländer aufgeklärt, vertiefte Wilhelm sich wieder in sein Sprachstudium: Chartreuse = verschiedene Gemüse, Chevalier = Rahmkäse.

Mit einmal rief ein Mitreisender: „Da ist schon Sacré Coeur!“ Wilhelm wollte das auch sehen, kam aber zu spät ans Fenster und erblickte nur noch das eiserne Warenhaus von Dufayel, das er nur kurze Zeit für die berühmte Kirche halten konnte.

Der Schriftsteller A. W. Möller, ein Jugendfreund Wilhelms, holte ihn vom Bahnhof ab und fuhr mit ihm durch verregnete Straßen vor ein Hotel, wo er ihm ein Zimmer besorgt hatte.

„Packen Sie nur gleich Frack und Zylinder aus,“ sagte Möller, „ich habe Freibilletts für das Odéon. Es wird ein modernes Gesellschaftsstück gegeben. Da werden Sie sofort viel Pariserisches kennenlernen.“

Da das Théâtre de l’Odéon auf dem linken Seineufer liegt, schlug A. W. Möller vor, in einem charakteristischen Restaurant des lateinischen Viertels zu speisen. Als die Herren vor die Tür traten, hatte der Regen aufgehört und der Asphalt der bergab zur Innenstadt führenden Straße spiegelte vielfarbig den saugenden Sonnenschein. Es wurde so warm, daß sie ihre Mäntel abnahmen und in ihren Fräcken bei den Anwohnern der Rue Notre Dame de Lorette, den Umwohnern der Markthallen und den Passanten der Brücken einiges Aufsehen erregten. Unterwegs belehrte der Schriftsteller den Neuling über Sitten und Besonderheiten der Stadt und machte ihn im Vorbeigehen eilig auf die merkwürdigsten Monumente aufmerksam.

In dem charakteristischen Gasthause — es lag in einem keilförmig vorspringenden Eckhause eines Straßenkreuzes nahe am Boulevard Saint Michel — gab es als Tagesplatte nur Kalbsfüße und Eingeweide à la Mode de Caen. Da es nach Möller nicht pariserisch war, etwas anderes als die Tagesplatte zu nehmen, verließen die Herren mit einer geschickten Entschuldigung des Schriftstellers das Lokal und begaben sich in ein Restaurant des Boulevards, wo Kellnerinnen eilig essende Studenten bedienten, was zwar für Paris nicht besonders charakteristisch war, unsern Freund aber an lustige Tage in München erinnerte.

Eine halbe Stunde später, als sie im zweiten Range des Theaters ihre Plätze einnahmen, konstatierte Wilhelm, nicht ohne einige Verlegenheit, daß sie durchaus die einzigen Zuschauer in Gesellschaftstoilette waren. Nur in der dritten Reihe des Parketts saßen zwei Herren im Frack. In einem derselben glaubte Wilhelm den Hotelkellner wiederzuerkennen, der seinen Koffer treppauf getragen hatte.

Zuerst wurde ein Akt in Versen von Musset gespielt, in welchem an einem Kamin ein Herr und eine Dame gesprächsweise feststellten, daß eine Tür offen oder geschlossen sein müßte. Die Einzelheiten entgingen unserm Freunde, zumal ihn A. W. Möller durch feines Neigen und Wiegen des Kopfes, womit er besondere Nuancen zu begleiten schien, verwirrte.

Auch das dann folgende Gesellschaftsstück bewegte sich meistens um einen Kamin, an dem sich ein junger Geistlicher und ein Ingenieur die Seele eines naiven, aber edlen Mädchens streitig machten. Wilhelm konnte, von der Reise ermüdet, dem Gange der Handlung nicht recht folgen; im dritten Akte nickte er ein und verschlief die Lösung des Knotens. Rechtzeitig weckte ihn das rhythmische Beifallsklatschen der dankbaren Zuschauer. Vor der Garderobe erörterte Möller die These des Stückes und führte dann seinen Schützling in ein Nachtcafé des Boulevards, in dem es recht lebhaft zuging.

In diesem Lokale machte wiederum die vornehme Kleidung der beiden großen Eindruck. Viele der vorübergehenden Frauen blieben an ihrem Tische stehen und suchten ihre nähere Bekanntschaft zu machen. A. W. Möller wußte sie elegant und sprachgewandt abzuweisen, bis sich schließlich eine kleine Lucienne einfach neben Wilhelm setzte und aus seinem Likörglase trank. Sie fing auch gleich zu musizieren an wie ein Instrument, indem sie teils die Weisen der Damenkapelle mit den dazu gehörigen Texten, teils andere Lieder des Tages sang. Ihre Stimme war etwas rauh. Für das Gefühlvolle standen ihr überraschende Kehllaute zur Verfügung.

Wilhelm sah auf ihre zierlichen, aber etwas schmutzigen Finger. Sie bemerkte es und bat: „Geben Sie mir Geld für das Lavabo.“

Fein warf Möller dazwischen: „Wir geben dir beide etwas, wenn du sie nicht wäschst.“

Das befreundete Lucienne. Sie zeigte verschiedene Bestandteile ihrer Schönheit und erzählte, daß sie schon ein Kind gehabt habe von ihrem Vetter in Limoges. Als sich in der Nähe ein Weiberstreit erhob mit keifenden Stimmen, zerbrechenden Tellern und einigem Haarausraufen, erklärte Lucienne: sie sei vernünftig, zanke nie. Ihr Großvater, der zugleich Pförtner ihres Hotels sei, könne das bezeugen.

Man wollte den alten Mann noch kennenlernen. In seiner Loge in der Rue Monsieur le Prince gab es ein Gläschen zu trinken und herzlichen Abschied.

Dann auf dem Heimweg wurden die Freunde noch von Landsleuten angesprochen. Der eine, angeblich ein Graf, der Mißgeschicke gehabt hatte, bat sie um Geld. Ein anderer bot seine Dienste an, um ihnen besondere nächtliche Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Aber Möller lenkte seinen Schützling sicher ins Hotel zurück.

Am Morgen wachte Wilhelm von plötzlichem Lärm auf der Straße auf. Er sah aus dem Fenster und bemerkte einen Mann mit einem Gemüsewagen, ferner einen Scherenschleifer. Er griff nach seinem Meyer und verglich unter der Rubrik: Cris de Paris das Gehörte mit dem Gedruckten. Es wollte nicht recht übereinstimmen.

Er begab sich nach dem Frühstück in den Louvre. Aber das Museum war, als an einem Montage, geschlossen. So suchte Wilhelm denn den Jardin des Plantes auf, der ihn allerdings nach dem, was er bei Hagenbeck in Hamburg und im Berliner Zoologischen Garten gesehen hatte, etwas enttäuschte.

Immerhin bot sich im Bärenkäfig ein unerwartetes Schauspiel. Der Bär drängte seine Bärin keuchend von einem Winkel in den anderen. Sie suchte sich ihm immer wieder zu entziehen und fraß Karotten. Bisweilen legte er wehzärtlich seine Schnauze auf ihre Schulter. Wenn er dann aber wieder zupackte, entglitt sie. Schließlich kam er wie in traurigem Selbstgespräch an das Gitter und sah Wilhelm gerade in die Augen. Wilhelm, dem der auch zuschauende Wärter mitteilte, daß dies Paar keine Kinder bekäme, fühlte Sympathie mit dem Bären. Die Bärin, die ruhig weiter ihre Karotten fraß, machte ihn zornig. Und als sie sich nun zum Bassin schlich und hineinwollte, freute er sich, daß der vorher so weichmütige Bär ihr grimmig den Weg vertrat.

Nachdenklich ging Wilhelm weiter und kam zum Kamel. Dessen feucht malmendes Maul mochte er aber nicht lange ansehen, und sein Blick fiel seitwärts auf eine schlanke blonde Dame. Als diese ihn bemerkte, nahm sie aus ihrer rotledernen Tasche Spiegelchen und Puderquaste und mehlte sich die Nase weiß.

Das schien ihm sehr pariserisch. Und da sie einen ermunternden Blick warf, trat er kühn heran und sprach in fehlerfreiem Französisch:

„Welch glücklicher Zufall, vor diesem häßlichen Kamel eine so reizende junge Dame zu treffen.“

Sie lächelte etwas schief und brachte dann vor, „Je ne peux pas bien français.“

Wilhelm versuchte es auf Englisch. Aber schließlich war Meta eine Deutsche. Sie war erfreut, einen Landsmann zu treffen. Wilhelm, der eigentlich nicht nach Paris gekommen war, um deutsche Damenbekanntschaften zu machen, berichtete, daß er nur vierzehn Tage Zeit habe und gern Paris kennenlernen wolle. Und sie?

Ja, was sie hier trieb, das erriet er wohl kaum.

Sie war beruflich hier? — „Ja.“ — „Nun,“ meinte er höflich, „Sprachlehrerin, Erzieherin?“

„Ach nein, ganz anders.“

„Schauspielerin?“

Das kam der Wahrheit schon näher. Ursprünglich hatte sie überhaupt Schauspielerin werden wollen, aber da wurde ihr Freund, der Leutnant, versetzt. Und sie mußte sich umtun. Da war ihre Berliner Freundin Lyddie gekommen mit dem Kontrakt eines Budapester Impresarios. Ob sie mitmachen wollte? Erst war es ihr allerdings schrecklich, aufs Varieté zu gehen.

„Was singen Sie denn? Oder tanzen Sie?“

„Ach nein, wir sind Gipsgruppe.“

„So — was stellen Sie denn dar?“

„Nun, wir werden ganz weiß geschminkt oder auch bronziert, und dann nehmen wir Stellungen ein, Posen. Aber vieles machen wir auch im Kostüm. Ich mache jetzt zum Beispiel eine Meißner Porzellanfigur. Hier nennen sie es Sèvres. Ich halte ein Lämmchen am Bande. Alle sagen, daß es süß aussieht. Sie können sich denken, erst war mir das Ganze doch schrecklich. Als ich meiner Mutter den Kontrakt zu unterschreiben gab, hatte ich Herzklopfen bis an den Hals. Aber die Mutter ist kurzsichtig. Sie begriff nicht recht, um was es sich handelte. „Was führt ihr denn auf?“ fragte sie. „Lebende Bilder,“ sagte ich. Sie verstand: Nebelbilder. Denn schwerhörig ist sie auch ein wenig. „So, so, Nebelbilder,“ sagte sie, „Schattenbilder. Das haben wir als Kinder auch gespielt.“ —

Dies alles erzählte sie noch vor dem Kamel. Und Wilhelm war gerührt, als er ihr eine Träne in den Puder rinnen sah. — Sie ist gut, dachte er. Aber dazu war er doch nicht auf nur vierzehn Tage nach Paris gekommen, um ein deutsches Gemüt zu entdecken. Er war doch zum Teufel auf ganz andere Dinge aus.

Nun nahm sie seinen Arm, und sie gingen am Kai entlang. Angesichts der Türme von Notre Dame fand Meta den Kölner Dom doch schöner, weil er fertige spitze Türme hat. Und Wilhelm, dem ihr eingeschmiegter Arm wohl tat, nahm dieses Urteil ohne Widerspruch hin. Auf dem Boulevard kaufte sie Postkarten mit Genrebildern, die ihr ähnlich sahen. Wilhelm fragte, ob sie in einem der vielen großen Restaurants speisen wollten. Aber sie führte ihn in eine kleine Crèmerie, die in einer Passage lag. Dort wäre es gemütlicher.

Wilhelm freute sich an dem Anblick vieler lustiger Mädchen, die etwas eilig von kleinen Tellern kleine Portionen aßen und dann zum Dessert Bananen auspackten, die sie auf der Straße gekauft hatten. An denen knabberten sie langsam und mit Genuß. Meta erklärte ihrem Begleiter, das wären Verkäuferinnen und Putzmacherinnen aus den großen Magazinen. Die verbrachten hier ihre kurze Mittagspause. Schade, jetzt standen sie alle auf, gingen an die Kasse und waren mit Lachen und Plaudern davon. Er hätte sie gern näher kennengelernt. Aber als Meta dann das Löffelchen mit dem weißen Crème d’Isigny und einer Erdbeere an ihre Lippen brachte, die sich wie eine Frucht öffneten, mußte er doch ihre Hand streicheln.

Ja, nun wollte sie nach Hause, sie mußte noch ihr Trikot nähen für heute abend. Wenn er Zeit hätte und Lust, könnte er mitkommen und ihr Gesellschaft leisten. Einfach war es bei ihnen. Sie hatten zu viert nur zwei Zimmer, die ganze Gruppe. Aber die Gegend war fein. Sie mußten doch in der Nähe ihres Theaters wohnen und das lag in den Champs Elysées. Die Zimmer hatte der Impresario besorgt; der war überhaupt recht väterlich zu ihnen.

Miromesnil und Penthièvre hießen die Straßen, durch die Meta ihren neuen Freund führte. In dem kleinen Hotelzimmer fanden sich, wie überall in Paris, Kamin mit Spiegel und große Betten. Aber Meta und Lyddie hatten ihren Raum mit tausend Sachen und Sächelchen erfüllt. Auf dem Kamin allein gab es schon so viel zu sehen. Das betrachtete Wilhelm, während sie sich gleich häuslich an ihre Arbeit machte und dazu summte: „Wenn wirklich die Lieb’ eine Sünde wär . . .“

Er sah zwischen zwei Miniaturpantöffelchen aus Porzellan und einem leer offenen Zigarettenetui eine goldene Dose mit Mosaikdeckel. Das Mosaik stellte ein Blumenstück zusammen. Und Wilhelm bekam dazu von einer verstorbenen Freundin erzählt, die einstmals diese Dose von einem Freunde zum Abschied erhalten, gefüllt halb mit Bonbons, halb mit Goldstücken. Weiter lehnte an dem Spiegel die Photographie eines Leutnants, der hinunterlächelte auf das Manikurekästchen. In dem Kästchen lag ein Brief, auf den Wilhelm aufmerksam gemacht wurde; denn er war von dem bekannten Wiener Dichter und Frauenfreunde, nur ein Gruß aus dem Caféhaus, aber immerhin von Ihm. Dann kam ein weißer Gipsamor, der ein Blumenwägelchen schob, und noch mehr dergleichen. Auf einem Taburett lagerten Metas durchbrochene Strümpfe und darauf ein Heft aus einer deutschen Zehnpfennigbibliothek. Das war von der Berta, die so viel las. Sie ging nicht gern spazieren. Das Leben hatte sie enttäuscht.

Es klopfte. „Vier Uhr,“ sagte Meta, „das ist Lyddie, die kommt zum Kaffee.“ Und Lyddie trat ein. Ihre Rundbäckigkeit hatte etwas Verschwollenes. Sie sprach laut und freundlich. Sie hatte Kuchen mitgebracht. „Aber es ist nicht der richtige Kranzkuchen wie zu Hause,“ sagte sie.

Wilhelm erkundigte sich höflich, wie ihr Paris gefiele. „Ganz gut. Es fehlt einem bloß der richtige Kaffee um vier Uhr. Gleich nach Tische kann ich nicht Kaffee trinken. — Und dann gibt es keine Fensterbretter.“

Die Türe zum Nebenzimmer ging auf und Ilse kam herein. Sie erschien zierlich, fast schmächtig neben der stattlichen Lyddie. Ohne den Fremden zu beachten, umarmte sie Meta, und die Berührung der fahlblonden Haare beider Frauen hatte etwas unsagbar Rührendes.

Ilse weinte. Die Eltern hatten ihr geschrieben und wieder einen Zettel aus dem Jenseits eingelegt, den sie erhalten hatten. (Wilhelm erfuhr von Lyddie, daß der schreibende Hausgeist der Familie eine jung verstorbene Tante war, die sich in einem Hotel in Brandenburg erschossen hatte.) „Ilse frönt sündhaften Begierden,“ stand auf dem Zettel. Und nun fürchtete die Arme irgendeine Strafe. Sie wollte bei der Fortunagruppe heut abend um Gottes willen nicht auf der Kugel stehen. Sonst bekäme sie sicher ein Kind. Davor fürchteten sich auch die beiden andern.

Zum Glück erklärte sich Berta, die nun als Letzte hinzukam, bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie war bräunlich und hatte unreine Haut. Sie brauchte nichts zu fürchten. Das Beispiel ihrer Schwester, die, von ihrem Schatz verlassen, sich „mit der größten Schnuppigkeit und Kohlendunst“ umgebracht hatte, war ihr eine dauernde Warnung geworden.

Eigentlich fühlte sich Wilhelm recht wohl unter diesen Mädchen in leichten Sommerkleidern, die mehr untereinander als mit ihm plauderten. Aber er dachte wieder: Paris und nur vierzehn Tage Zeit! — Als Jenny, der Diener des Impresario, eintrat und freundlich begrüßt wurde, empfahl er sich eilig.


Am Abend führte ihn A. W. Möller in das berühmte Tanzlokal Bullier. Er belehrte ihn ausführlich über alle „Typen“, die vorbeigingen oder tanzten, so daß Wilhelm mehr hörte als sah und sie die meiste Zeit in einer Ecke nahe der Garderobe bei dem Kraftmeßapparat stehen blieben, einem riesigen grinsenden Neger mit einem Boxleder vor dem Bauche. Nur heimlich und mehr unbewußt wurde Wilhelm von der Tanzseligkeit zurücksinkender Mädchenköpfe und emporgehobener Ellbögen ergriffen. Einmal fielen ein paar Tropfen eines scharfen Parfüms auf ihn, mit dem ein schlangenhaft bewegliches Wesen, das Möller für eine Spanierin hielt, ihren Partner, einen hellhäutigen Skandinavier, bespritzte.

Als die Freunde schließlich im Garten an einem Tische Platz nahmen, unterhielt sie eine Weile eine einzelne Dame, weniger mit ihren Reizen als mit ihrer Lebensgeschichte. A. W. Möller bewunderte sehr die Stilsicherheit ihres Vortrages und die schöne Offenheit ihrer Bekenntnisse und wies auf den Gegensatz zu deutschen Mädchen ähnlicher Schichten hin, die immer etwas Besseres sein wollten. Wilhelm lernte einiges Französisch, wurde aber nicht glücklich.

Es kann euch kaum interessieren, welche Museen, Kirchen, Schlösser und Gärten unser Freund in den folgenden Tagen besuchte. Es spricht vielleicht für ihn, daß er im Parke von Versailles angesichts der bröckelnden, rauhhäutig gewordenen Gartengötter von einer ihm selbst geheimnisvollen Melancholie befallen wurde, auch daß er gern in altertümlichen Fiakern mit abgenutzten Samtpolstern fuhr, die in der Zeit der eiligen Autos eine Art Kinderwagen für Erwachsene sind, ferner, daß ihn die halboffenen grünen Wagen eines noch unausgepackten Jahrmarktes mit bunten Schweinen, Pferdchen, Kühen trösteten, nachdem ihn das staubige Elend der Buttes Chaumont mit falschem Fels und falschem Teich und schmutzig blassen Kindern traurig gestimmt hatte. Sehr glücklich machte ihn der Eisen- und Wurstmarkt und besonders ein Zahnreißer hoch auf einem Stuhle, der seine Ansprache an die Menge mit den Worten begann: „Dans la bouche il y a ce qu’on appelle les dents“.

Auf der Heimfahrt von diesem Markte — es war ein Sonntagnachmittag — saß ihm im Métro eine junge Arbeiterin gegenüber, barhäuptig, aber kunstvoll frisiert, die erst ganz langsam und langgezogen „O Marguérite“, dann schnell und sprudelnd „O ma belle bandite“ sang und diesen Vers zur Freude ihres Nachbarn und Freundes, der etwa ein Mechaniker oder Heilgehilfe sein mochte, immerfort wiederholte. Dies muntere Paar bezauberte ihn, und als es an einer Station nahe der Seine ausstieg, ging er ihm nach.

Er kam in eine große Menschenmasse, die am Kai entlang flußabwärts von Brücke zu Brücke trieb, vorbei an stilliegenden Kähnen und schräg über das Wasser schießenden kleinen Dampfern bis draußen, wo schon Gras zwischen den Steinen des Uferdammes sproßte und Bäume, Hütten und Schuppen auftauchten. Während vom Wasser ein seltsam betäubender Geruch von Teer, Wasserunkraut und badenden Knaben und Hunden zu ihm aufstieg, verlor er das glückliche Paar nicht aus den Augen. Die beiden hatten ihn auch bemerkt und bisweilen sah der Bursche mit hell ironischen, bisweilen das Mädchen mit heimlich dunkeln Blicken nach ihm um.

Von den Schaukeln eines Vergnügungsetablissements schollen selige Stimmen herüber, fliegende Röcke schillerten über wippenden Beinen im Abendhimmel. Tief aus den Gärten dunsteten Rostkartoffeln und Bratfisch, dufteten Wein und Zider.

Bei einem blinden Bettler mit Schicksalsrollen blieben die beiden Glücklichen stehen und Wilhelm kam dicht neben sie. Der Alte hatte grüne Rollen für die Damen und rote für die Herren, die er mit sicherem Tastgriff aus dem Haufen hob und den Fordernden reichte. Wilhelm sah, wie die junge Arbeiterin froh errötete, als sie in ihrer Rolle das Bild eines Alphonse fand, der Mechaniker, 30 Jahre alt und offenbar ihrem Begleiter ähnlich war. Wilhelm fühlte die Pflicht, auch eine Rolle zu erstehen. Aber was sollte er wohl anfangen mir einer Blanche, die Kassiererin und wohl noch jung war, aber mit ihrer Kleidung und Frisur etwa in das zweite Kaiserreich gehörte? Narzisse und Sonne, die dazu verzeichnet waren, versprachen ihm Glück im Unternehmen.

Allein über diesen Feststellungen hatte er die beiden Glücklichen aus den Augen verloren, war zu müde, sie in der strömenden Menge am Kai oder in einem der Gartenlokale zu suchen, und kehrte heim auf der Impériale einer der überfüllten Trambahnen, die ganze Völker aus den Gärten von Versailles und Meudon zurückbeförderten.

Am nächsten Abend wartete Wilhelm vor dem weiß schimmernden Sommertheater in den Champs Elysées auf Meta. Er sah viele wunderbare Frauen in hellen Abendmänteln aus ihren Wagen gleiten und mit zarten Schuhen über die hellen Stufen des Eingangs schweben. So im Vorübergehen waren sie alle Engel, Feen oder mindestens Kobolde. — Gegen zehn Uhr erschien im Seitenausgange die Gipsgruppe. Sie bildete nämlich eine der ersten Nummern des Programms. Wilhelm wollte schon auf sie zu eilen. Aber da kamen aus dem Buschwerk ein paar elegante Herren. Und nun zauderte er. Gewiß war einer von diesen Metas Freund. Es war ja auch nicht zu verlangen, daß sie ihre Abende für ihn, Wilhelm, aufsparte, nachdem er sich eine ganze Woche nicht hatte sehen lassen. Aber Meta hatte ihn bemerkt. Sie verabschiedete sich von den Kolleginnen und den Herren und kam zu ihm. Das tat ihm wohl. Sie schalt ihn, daß er erst heute wiedererschien. Er habe gewiß inzwischen interessante Bekanntschaften gemacht. Er war bei ihren Worten glücklich wie ein Kind, das in der milden Schelte schon die Verzeihung fühlt.

Meta hatte keine Lust, in ein Lokal zu gehen. Sie saßen auf einer Bank unter den Bäumen. Bläulich und silbern umfloß sie die Sommernacht. Sie waren sehr glücklich. Aber dann teilte Meta mit, daß sie Ende der Woche mit Ilse nach Blackpool in England reisen wollte zur Badesaison. Sie waren auf vier Wochen eingeladen. Der Impresario ging inzwischen mit Lyddie, Berta und zwei Neuen nach Bordeaux und Biarritz. Sie freute sich sehr auf die See. Sie hatte schon einen reizenden Badeanzug gekauft. In dem müßte er sie sehen.

Daß sie fortreisen wollte, machte ihn traurig; aber daß er sie im Badeanzug sehen sollte, war tröstlich.

Wann er sie denn so sehen dürfte?

„Wann Sie Zeit haben.“

„Jetzt? Jetzt gleich?“

Nun ja, Lyddie war heute nicht zu Hause.

Dieser Badeanzug war wirklich sehr hübsch, dunkel und seidig, ließ er seine Trägerin besonders blond und hellhäutig erscheinen. Er bestand aus zwei Teilen, die Hose wurde gebunden, die Jacke geknöpft.


Am Donnerstage wollten Wilhelm und Meta Abschied feiern. Am Freitag oder Sonnabend würde sie reisen. Zwei Tage studierte er nun weiter Paris, teils allein, teils unter Führung von A. W. Möller. Er hörte geduldig die Belehrung des erfahrenen Freundes an und dachte dabei mehr an Meta als an die nicht immer leicht zu unterscheidenden Stile der verschiedenen Könige Namens Louis.

Von seinen neuen Bekanntschaften wäre nur noch jene junge Amerikanerin Gaby zu erwähnen, die er im Hôtel de Ville kennenlernte, und zwar vor einem Bilde von Puvis de Chavannes, über das der Führer viel zu berichten wußte, unter anderm, daß der Maler „un inspiré“ gewesen.

„Was ist inspiré?“ wandte sich diese Gaby an Wilhelm und redete dann weiter mit ihm englisch und französisch durcheinander mit amerikanischem Akzente. Gaby hatte eine Art Tenniskleid an und etwas schmutzige weiße Tennisschuhe. Sie berichtete, daß sie schon früh aus dem Elternhause entführt worden sei von einer Gouvernante, die sie auf das Varieté brachte. In vertraulichem Tone redete sie von der Otéro, Cléo de Merode und andern Berühmtheiten. Auch die Familie Carnegie kannte sie sehr gut und verglich den großen Saal, in dem sie sich befanden, mit dem Speisesaal im Carnegie-Palaste, der aber doch noch größer wäre.

Sie begleitete Wilhelm in eine Nachmittagsvorstellung der Comédie Française. Phèdre von Racine sollte gegeben werden; aber im letzten Momente wurde die Vorstellung wegen Erkrankung der Hauptdarstellerin abgesagt. Sie sahen den Marquis von V . . ., ein rührendes Stück aus alter Zeit. Der Held hatte ein ziemlich wüstes Leben geführt, aber nun kehrte er heim. Erst erkannte er die Jugendgeliebte gar nicht. Aber allmählich fand er sich zurecht, wozu ihm auch der alte zittrige Diener verhalf, der schon seinen Vater geschaukelt hatte und seither bei den V . . . ausdauerte. Eine echte rechte Matrone gab es auch im Stücke. Diese und die jüngeren Damen konnten sich wohl zusammennehmen, solange sie standen; kamen sie aber zu sitzen, so brachen sie meistens in Tränen aus. Die kleine Gaby schien von den Bühnenbegebenheiten ziemlich erschüttert. Das stand ihr gut. Sie neigte den Kopf und ihre langen Wimpern bebten. Als man aber nach dem Theater ins Café de la Régence kam, hatte sie Lust, den kleinen, an besonderem Platze stehenden Tisch zu kaufen, an dem vormals Napoleon Schach gespielt hatte. Am Sonntag wollte sie zum großen Rennen von Longchamps und, wie es Sitte sei, vorher im vornehmen Pavillon d’Arménonville dejeunieren. Ob Wilhelm nicht einen Wagen mieten und sie begleiten möchte? Bei der Oper gäbe es Mietswagen, die wie Herrschaftskutschen aussähen. — Als sie schließlich noch vorbrachte, daß ihr gestern nachmittag im Hotel aus ihrem Koffer 6000 Franken gestohlen worden seien, hatte Wilhelm genug und benutzte den nächsten besten Vorwand, um sich zu verabschieden.

Am Abend lernte er unter Möllers Führung die berühmte Quadrille im Bal Tabarin kennen, die von stämmigen reiferen Frauen ausgeführt wurde, welche mit ungewöhnlicher Gelassenheit ihre Röcke und einen Teil ihrer Wäsche sehr hoch hoben und in schläfrigem Cancan ihre Beinmassen zeigten. — Das machte ja alles nichts. Morgen wird er Meta wiedersehen.

Als er am nächsten Abend zur üblichen Stunde vor dem Theater wartete, kam Berta heraus und sagte ihm, Meta sei krank und unglücklich; er solle zu ihr ins Hotel gehen. Der Impresario habe sie plötzlich entlassen. Ilse sei allein und schon heute nach Blackpool gereist mit einem Spanier oder Südamerikaner.

Wilhelm eilte in Metas Zimmer und an ihr Bett. Ja, allerdings war sie unglücklich und entlassen. — Warum? — Der Impresario hatte plötzlich Dinge von ihr verlangt, die sie ihm nicht gewähren konnte. Wilhelm könnte sich wohl denken, weshalb.

Unser Freund war zu bescheiden, es zu erraten. Als er aber erfuhr, daß auch der Freund von Ilses Freund, der Meta nach Blackpool mitnehmen wollte, von ihr gefordert hatte, was sie jetzt nicht geben mochte, schloß Wilhelm die Geliebte selig in seine Arme.

Sie feierten nun diesen Abend nicht draußen in dem glanzvollen Paris, sondern im Zimmer bei Speisen und Getränken, die der getreue Jenny aus der Nachbarschaft holte. Und am nächsten Sonntag, an dem Wilhelms vierzehntägiger Urlaub abgelaufen war, kehrten sie zu zweit nach Deutschland zurück.

Bald darauf besuchten sie in dem Städtchen Bernau Metas gute Mutter, die von jetzt an keine Kontrakte über lebende oder Nebelbilder mehr zu unterschreiben brauchte. Denn nun wurde geheiratet.

In dem kleinen Ostseebade, in dem man Wilhelms Hochsommerurlaub verbrachte, erregte Metas für Blackpool bestimmter Badeanzug Aufsehen. Einige ältere Damen zweifelten an der Legitimität des Paares, wurden aber bald durch das freundlich bescheidene Wesen der beiden beruhigt. Nur, wenn auf Paris die Rede kam, hatten diese eine gewisse weltläufige Manier, mit halben Worten und Andeutungen von den Besonderheiten der Seinestadt zu sprechen, als ob sie sie aus dem Grunde kennten.“


Diese Geschichte wurde mit allgemeiner Heiterkeit aufgenommen. Aber nach einer Weile sagte der junge Anselm: „Wir lachen und lachen dabei diesen guten Wilhelm aus. Allein auch er hatte eine Sehnsucht nach dem Wunderbaren und ist nun eigentlich ein armer Betrogener.“

„Nein,“ sagte Margot, „er hat das Glück bekommen, das für ihn paßt.“

„Das Glück zu finden, ist nicht schwer,“ erklärte Dappertutto, „man muß nur verstehen, es zu genießen.“

„Das mag wahr sein,“ seufzte der junge Dichter.

Ulrich sah ihn an: „Das klingt nach einer Erfahrung. Wir werden neugierig. Außerdem ist Anselm der einzige, der uns noch eine Erzählung schuldet.“

„Ja,“ rief Melusine lustig, „er muß uns seine traurige Geschichte erzählen.“

Lisa richtete sich halb auf und sah den jungen Verehrer zu ihren Füßen mit gütigem Lächeln an.

12. Die sieben Raben

„Ich habe keine Geschichte zu erzählen,“ fing Anselm leise an. „Es reicht nur für ein Märchen, ein Gleichnis. Noch dazu eins, das ihr alle kennt. Man könnte immerhin versuchen, es neu zu erzählen.

Die Seele ist gleich dem jungen König, der im Walde jagte. Die Seligkeit ist gleich dem schönen Mädchen im härenen Hemde, das im Hohlbaum saß und spann.

Als er zu ihr sprach, blieb sie stumm. Wir wissen, sie mußte so lange schweigen, bis sie für ihre sieben Rabenbrüder die Brennesselhemden fertig hatte. Der König aber wußte nicht, weshalb sie schwieg. Ihre Stille berauschte ihn. Schweigend hob er die Schweigende vom Baum. Sie war leichte Last in seinen Armen, doch schwer fiel ihm ihr reiches Haar auf Aug und Mund und Brust. Er ging taumelnd, blind. Er setzte sie vor sich auf sein Pferd und flüsterte in die gelben Wellen zwischen seinem Mund und ihrem Ohr. Sie hielt ihr Nesselgeflecht im Schoß und sah auf ihre Finger.

Dann im Palaste nahm er aus den Truhen Tücher, Schleier, Gewänder, raffte aus den Kästen Perlen, Ringe, Spangen, trug alles zu ihr. Sie ließ sich bekleiden, behängen. Sobald ihre Arme frei waren, griff sie wieder nach dem Spinnwerk. Er sah auf die Finger, die nicht ruhten, die noch, als sie in Schlaf sank, weiter spannen, er sah einen Blutstropfen an einem der fleißigen Finger, den küßte er, der sprach zu ihm, kam aus ihrem Herzen zu seinem.

Am Tage drauf zeigte er sich mit der neuen Königin dem Volke. Das Volk sah, daß sie schön war, und hätte sie gern geliebt. Aber kein Blick konnte den Blick der Schweigenden auffangen. Der König sah sie neu, sah sie mit den Augen all seiner Untertanen, er hoffte mit ihnen allen auf ihr erstes Königinnenwort. Sie blieb stumm. Das Volk grollte.

Er verschloß sich mit ihr in entlegene verhangene Gemächer, er wartete geduldig auf ihre Stimme, pflegte das stumme Beieinander, sann ihrem Geheimnis nach, fürchtete und erhoffte den Augenblick der Offenbarung, genoß die Dauer der Erwartung.

Sie lächelte und weinte in seinen Armen, er wußte nicht, ob er ihr wohl oder weh tat. Lag sie nicht in seinen Armen, dann spann sie den Flachs und nähte die Hemden, und er wußte nicht, was sie sann und spann.

Eines Nachts wachte er auf. Sie war nicht an seiner Seite. Er suchte sie, ging hinaus in die Gärten und weiter bis auf den Kirchhof. Da sah er sie von fern, wie sie Brennesseln, die zwischen Gräbern wuchern, ausrupfte und sammelte. Manchmal, wenn sie sich pflückend neigte, verschwand sie seinem Blick, und grinsende Gespenster standen auf, wo sie verschwunden war, Lamien, die in der lockeren Erde der frischen Gräber wühlten. Er entsetzte sich. Da tauchte wieder sie auf und die Fratzen zerflossen in den Falten ihres Mantels. Er kam näher. Er wagte nicht, sich zu zeigen. Er hoffte, sie werde sich umwenden und ihn sehen. Sie blickte zu Boden und auf die Nesseln, die Fremde.

Es hatte sich aber in diesen Tagen ihre Gestalt verändert, und mit Angst dachte nun der König an das Kind aus seinem Blute, das jetzt in dem unheimlichen Leibe wuchs, der zwischen Gräbern und Gespenstern ging. Er beschloß, sich von ihr zu entfernen. Aber ihr neuer Umriß und ihre vollere Blüte verlockte zu immer wachsender Lust.

Als die Zeit um war, gebar sie ein Kind. Kaum befreit, faßte sie schon wieder nach ihren Gespinsten. Am dritten Tage des neuen Lebens sah der König vom Söller einen Flug Raben herbeiflattern und in das offene Fenster des Schlafgemaches stoßen. Er eilte hin, stand in der Tür. Rabenflügel umhüllten die Wiege. Als sie aufstoben, war die Wiege leer, das Kind verschwunden. Die Königin saß starr aufrecht im Bett und spann unbeirrt mit fleißigen Fingern. Da entschloß sich der König zu glauben, daß sie eine Hexe wäre und vor das große Gericht müßte. Er ließ sie binden, er faßte selbst in die Stricke, in die Ketten, die in ihr Fleisch gruben. Die Königin stand sanft in der Umschnürung. Der König wütete, er zog die Stricke fester. Sie sah ihm ins Auge. Er fiel zurück. Die Knechte rissen die Hexe fort. An ihren Knöcheln klangen die Schellen. Er blieb bei der leeren Wiege und wiegte und redete zu dem Kind, das nicht da war, und bat das Königskind um Vergebung für seine böse Lust, und in seinen Ohren klangen die Fußschellen der Hexe.

Gericht ward gesprochen, und vor dem Kerker sammelte sich das Volk, die Hexe herauskommen zu sehen und zum Richtplatz und Scheiterhaufen zu begleiten. Als das der König sah, neidete er den andern ihre Nähe und die Wut ihrer Erwartung. Er zog eine rote Kapuze über sein Kleid und mischte sich unter die Henkersknechte, die ihr das flammende Brautbett des Todes bereiten sollten. Er schritt neben dem Karren her, auf dem sie saß, und sah sie von der Seite an. Da flatterten Flügel. Die Raben waren wieder bei ihr, hockten zugehörig auf dem Karren und auf Schultern und Kuttensaum der Hexe. Seine Nähe spürte sie nicht. Sie hatte ihre Gespinste auf den Knien und nähte, ohne aufzuschauen.

Er stand an dem Scheiterhaufen. Sie stieg aus dem Karren. Als ihre nackten Sohlen den Boden berührten, da fühlte er wunderbare Verwandlung, da war er selbst der Sand, den ihre Zehen traten, ihre Sohlen belasteten. Und als sie am Pfahl stand, da war er der steile Pfahl, an dem sie sterben sollte. Und ehe noch der Henker den Brand an das Stroh legte, fühlte der Liebende sich Flamme werden, die rings um den geliebten Leib blühte und spülte und ihn durchdrang trinkend und verzehrend und schärfer als Schwertesschärfe. Er sank hin und lag mit dem Mund auf ihren Füßen.

Aber sie hatte schon die Hemden emporgeworfen, die schwebten schön und fielen auf die sieben Raben. Die wurden sieben Prinzen. Im Arm der Königin lag das Kind. Die Knechten wichen voll Andacht. Das Volk jubelte und betete. Und die Königin tat ihren Mund auf und sprach.“


„Und der König?“ fragte Ulrich. „Ihr armer König? Was wird aus seinen Rätseln und Süchten?“

„Eine Familienangelegenheit,“ meinte Margot trocken.

Lisa nahm Anselms Hand und sagte: „Der König muß seine Kapuze abziehen und — glücklich sein, wie es sich gehört.“

„Ja und wir andern auch!“ rief Dappertutto. „Wißt ihr, daß es über euren Wahrheiten und Märchen heller Tag geworden ist?“

Und er zog den Fenstervorhang auf: Die Morgensonne schien herein.

„Nun will ich in die Küche schauen, ob ich nicht ein bißchen Frühstück für uns finde.“


Er ging und kam strahlend zurück: „Ein Wunder! Das Gas brennt. Das Wasser läuft. Jetzt werde ich euch einen echten Türkenkaffee machen, Brot rösten und eine große Omelette à la Dappertutto bereiten.“

Er hatte die gelbe Kaffeemühle in der Linken und in der Rechten einen Kochlöffel, den er schwenkte wie einen Zauberstab.

Gedruckt bei Poeschel & Trepte in Leipzig


Anmerkungen zur Transkription

Falsch geschriebene Wörter und Druckfehler wurden korrigiert. Bei unterschiedlichen Schreibweisen wurde die häufigere verwendet.

Die Interpunktion wurde beibehalten, außer bei offensichtlichen Druckfehlern.

Für dieses E-Book wurde ein Umschlagbild erstellt, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und das gemeinfrei ist.

 

[Das ende Von den Irrtümern der Liebenden. Eine Nachtwache bis Franz Hessel]