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Title: Türkische Märchen I

Date of first publication: 1923

Author: Theodor Menzel (editor)

Date first posted: Feb. 12, 2022

Date last updated: Feb. 12, 2022

Faded Page eBook #20220218

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Beiträge  zur  Märchenkunde

des  Morgenlandes

 

herausgegeben

von

Georg  Jacob  und  Theodor  Menzel

 

——

 

II. Band:

Türkische  Märchen  I.

Billur  Köschk

von

Theodor  Menzel

 

 

HANNOVER  1923

ORIENT-BUCHHANDLUNG  HEINZ  LAFAIRE


Türkische  Märchen  I.

Billur  Köschk

≺Der  Kristall-Kiosk≻

 

14 türkische Märchen, zum ersten mal nach den

beiden Stambuler Drucken der Märchensammlung

ins Deutsche übersetzt

 

von

 

Theodor  Menzel

 

 

HANNOVER  1923

ORIENT-BUCHHANDLUNG  HEINZ  LAFAIRE


Vorwort.

Im letzten Teil meiner 1914-1918 währenden Verschickung befand ich mich in Saratow, wo ich im Gegensatz zu dem geistesabstumpfenden Leben in Tschorny Jar schon dadurch einige Anregung hatte, daß eine Anzahl türkischer Zivilinternierter und Gefangener dort untergebracht war, die man bei Ausbruch des Krieges zumeist von aufgebrachten türkischen Schiffen heruntergeholt, aller ihrer Habe beraubt und ins Innere von Rußland abgeschoben hatte. Dort bekümmerte man sich weiter nicht um sie, bot ihnen vor allem auch keinerlei Lebensunterhalt. Das ganze russische Internierungssystem lief ja darauf hinaus, die feindlichen Staatsangehörigen nur an gewisse Orte zu verschieben, und sie dort durch mehr oder minder schikanöse Bestimmungen und Maßnahmen ständig in Atem zu halten, im übrigen aber sich um das Wohlergehen und den Unterhalt dieser Tausende von Menschen mit einer unleugbaren Großzügigkeit weiter nicht zu scheren.

Ein Glück für die türkischen Internierten war, daß die nicht allzu große und nicht wohlhabende tatarische Kolonie von Saratow — meist kleine Händler und Trödler — sich ihrer Glaubensgenossen werktätig annahm, ihnen einen kleinen Raum bei der Moschee anwies und ihnen, besonders anfangs, auch sonst entgegenkam. Die arbeitsfähigen Elemente schieden bald aus und fanden Arbeits- und Verdienstmöglichkeit, während die Alten und Schwachen fatalistisch das Ende ihrer Leidenszeit abwarteten. Verhältnismäßig gut mit der Kost trafen es nur einige wenige „Renegaten“ unter ihnen, die es über sich brachten, Pferdefleisch zu essen, vor dem der normale Osmane fast denselben Ekel empfindet, wie vor Schweinefleisch, während die Tataren Pferdefleisch leidenschaftlich gerne essen.

Ich nahm mich der Türken tatkräftig an. Zuerst gelang es mir, durch private Sammeltätigkeit monatliche Unterstützungen für sie sicherzustellen, da kein Mensch sich ihrer annahm und der deutsche glänzend organisierte Unterstützungsdienst unsere Bundesgenossen gänzlich außer Berechnung gelassen hatte. Später trat aber in dankenswerter Weise, auf meine Vorstellungen hin, das Rote Kreuz durch Bewilligung monatlicher Hilfsgelder und Kleiderzuwendungen ein, bis ich mit dem türkischen Halbmond durch Aktschura Jusuf in Moskau in Verbindung treten konnte.

Die Verschickten lebten höchst patriarchalisch in einem einzigen engen, feuchten Raume zusammen, darunter auch eine Türkin aus gutem Hause aus Sinope, die ihren gelähmten Mann nach den warmen Bädern von Brussa begleitet hatte und auf der Rückfahrt mit ihm vom Schiff geholt worden war, ebenso ein Ordens-Schejch. Auch nach jahrelanger Verschickung hatten die meisten Verschickten sich zwar einige Fertigkeit in der tatarischen, aber fast keine Kenntnisse der russischen Sprache angeeignet.

Unter diesen Verschickten befand sich ein einfacher alter Tagelöhner, Hüsejn Deli Mehmed oghlu aus Sinope, der ebenfalls auf der Rückfahrt in die Heimat in die Hände der Russen gefallen war, ein alter Mann, des Schreibens ebenso unkundig wie der Schriftsprache, kränklich, aber immer gutmütig und zufrieden und von einer rührenden Dankbarkeit. — Ich habe überhaupt nur gute Erinnerungen an diese schlichten Menschen, die alles Gute, das sie erfuhren, als unverdiente Wohltat empfanden, wahrend die meisten unserer Landsleute auch große Opfer nur als selbstverständlichen, ihnen geschuldeten Pflichtakt buchten. — Erst durch Zufall und verspätet erfuhr ich, daß Hüsejn Deli Mehmed oghlu ein unerschöpflicher Erzähler war. Unter den ungünstigsten Verhältnissen konnte ich mir von ihm eine Anzahl Märchen — die Grenze zwischen eigentlichem Märchen und Meddah-Erzählung ist dabei nicht immer scharf zu ziehen — türkisch erzählen lassen und niederschreiben. Ein Diktierenlassen im strengsten Sinn des Wortes, ein genaues Festhalten des Dialektes vor allem war bei den obwaltenden Verhältnissen und der Eigenart des Mannes fast ausgeschlossen. Da er sehr rasch sprach und bei den für das Niederschreiben nötig werdenden Wiederholungen mit seiner regen Phantasie ständig Variationen einschob und manchmal die Erzählung dabei unbewußt gänzlich veränderte, beschränkte ich mich zuletzt darauf, die Märchen im normalen Stambuler Dialekt aufzuzeichnen und die Dialekt-Notierungen auf später zu lassen. Doch es kam die Revolution, der Umsturz und unser Abtransport — ich war Führer des ersten Evakuationszuges aus Saratow am 4. Mai 1918. Die Türken kamen erst später in die Heimat zurück. Durch Zufall erhielt ich im Herbst 1918 von einem Schriftstück Kenntnis, das die Saratower Internierten an das Auswärtige Amt in Berlin aus ihrer Heimat mit einer Anfrage über meinen Verbleib gerichtet hatten, das aber, wie so vieles andere, unbeantwortet blieb.

Es sind zwölf Märchen und Erzählungen, die ich von Deli Mehmed oghlu aufgezeichnet habe.

Vielseitige Anregung erfuhr ich von einem der wenigen in Saratow internierten türkischen Ärzte, von Dr. Nu‘mân Efendi, der, bei Sarykamysch gefangen, zuerst in Dauria an der chinesischen Grenze interniert war, längere Zeit in Saratow weilte, bis ich ihm schließlich zur Flucht an die deutsche Grenze behülflich sein konnte. Eine Flucht über den Kaukasus hatte sich als unmöglich erwiesen, seitdem die Bolschewiken dazu übergegangen waren, die Grenzkontrolle den Armeniern, den geschworenen Feinden der Osmanen, zu übertragen. Besonders war mir Nu‘mân, der eine Zeitlang bei mir wohnte, durch sein Interesse für die türkische Geschichte und seine persönliche Verlässigkeit wert geworden. Er diktierte mir neben Liedern gelegentlich das Märchen über die Schlechtigkeit der Frauen, das er als Kind einst zu Hause hatte erzählen hören, und das ihm durch seinen Inhalt unvergeßlich geblieben war. Nu‘mân stammte aus Rumelien und war väterlicherseits serbischer Herkunft.

Die Texte selbst gedenke ich gelegentlich zu publizieren. Die Übersetzung ist getreu und dem Originale möglichst angepaßt.

Die ganze Sammlung leite ich durch die ebenfalls zur Zeit meiner Internierung in Tschorny Jar angefertigte Übersetzung der 14 Märchen der Märchensammlung Billur Köschk ein. Der Mangel an Material und geistiger Beschäftigung, das Verbot der Regierung, mit den dortigen Kalmücken in irgendwelchen geistigen Kontakt zu treten, zwang zur Ausnützung und Ausschöpfung aller irgendwie erreichbaren Texte. Und ich war froh, dieses türkische Bändchen nebst einigen anderen Texten unter Vermeidung der schikanösen Zensur in die Hand bekommen zu können. Dazu kam dann noch die Not an lexikalischen Hilfsmitteln.

Die Märchen sind von Kúnos schon in den Mundarten der Osmanen in Radloffs Proben der Volksliteratur der Türkischen Stämme, VIII., St. Petersburg 1899, und in seinen „Türkischen Volksmärchen aus Stambul“, Leiden 1905 benutzt und beigezogen worden, haben aber bis jetzt eine eigentliche getreue Übersetzung noch nicht erfahren. Sie scheinen mir aber eine Übersetzung durchaus zu verdienen.

Ein Vergleich mit den von mir aufgezeichneten Märchen zeigt, daß auch in Billur Köschk der Volkston auf das glücklichste getroffen worden ist, und daß die Märchen keine literarische Bearbeitung erfahren haben.

Als Schluß gebe ich das seinerzeit von dem Volksschriftsteller Mehmed Tevfik in seinem „Ein Jahr in Stambul“ (Istambolda bir sene), 1. Monat: Tandyr baschy (Am Wärmekasten), (Türkische Bibliothek II., Berlin 1905) gegebene Märchen der berühmten Märchenerzählerin Indschili Hanym, die leider keine Sammlung ihrer seinerzeit vielgerühmten Märchen hinterlassen hat. Dieses Märchen, das ich Dilrukesch betiteln möchte, zeigt bedeutend mehr literarische Überarbeitung, ist aber ein richtiges „Altweibermärchen“.

Die Märchensammlung ist ihres Umfangs wegen auf 2 Bände der Beiträge verteilt worden, doch schien es zweckmäßig, hier einleitend über das Ganze zu berichten.

Kiel, Juli 1923.

Th. Menzel.


Billur Köschk


Inhalt.
  
Seite
1.Die Geschichte vom Kristall-Kiosk und dem diamantenen Schiff1
  
2.Der schöne Halwa-Händler18
  
3.Der schöne Kaffeekoch36
  
4.Der weinende Granat-Apfel und die lachende Quitte47
  
5.Die Schöne, die ihren Wunsch erreichte71
  
6.Die Schöne, die ihren Wunsch nicht erreichte78
  
7.Der Kummervogel98
  
8.Der Smaragd-Phönix115
  
9.Der alte Spindelhändler143
  
10.Der Dieb und der Taschendieb152
  
11.Dschefâ und Sefâ159
  
12.Ali Dschengiz172
  
13.Der schöne Wasserträger176
  
14.Die schwarze Schlange182
  
Nachschrift von Georg Jacob196

Die Geschichte vom Kristall-Kiosk und dem diamantenen Schiff.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alten Zeiten war einmal ein Padischah, dessen Kinder nicht am Leben blieben, sondern immer starben. Eines Tages kam nun eine Tochter des Padischah auf die Welt. Der Arzt und der Besprecher (Chodscha), die damals mit horoskopischen Untersuchungen beschäftigt waren, erklärten: „Mein Padischah! Wir wollen für Ihre Tochter unter der Erde eine Höhle machen lassen! Dorthin soll sie sich begeben und dort heranwachsen, denn sonst gibt es kein Mittel dagegen.“

Der Padischah der Welt ließ sich diese Rede gefallen, und alsbald wurde unter der Erde eine Höhle angelegt, von der alle vier Winkel wohl geschützt waren. Darauf brachte man das Kind in die Höhle. Der Padischah bestimmte eine Kinderfrau (taja), und diese brachte dem Kinde morgens und abends sein Essen.

Um es kurz zu sagen, das Kind ward hier 14-15 Jahre (S. 3) alt. Das Mädchen war über alle Maßen schön und unvergleichlich an Lieblichkeit und Vollkommenheit. Eines Tages langweilte sich das Kind an dem erwähnten Ort. Sie stellte alle Sessel, soviel sich nur in der erwähnten Höhle befanden, einen auf den anderen und stieg bis nach oben. Als sie die Oberlicht-Scheibe zerschlagen hatte und ihren Kopf hinausstreckte, da sieht sie mit einem Male, daß sie ein großes Weltmeer vor sich hat. Wenn die Sonne darauf strahlt, gibt es einen solchen Glanz, daß man mit den Augen nicht hinsehen kann. Sie sagte sich: „Holla! Wenn diese Welt eine Unterseite hat, so hat sie wohl auch eine Oberseite!“ und verharrte eine Zeitlang in Staunen. Dann stieg sie wieder herunter und hielt sich an ihrem gewöhnten Platze auf.

Als hierauf ihre Kinderfrau erschien, sah sie plötzlich, daß die Oberlicht-Scheibe zerbrochen war. Sie fragte jetzt das Mädchen und sagte: „Wer hat diese Scheibe zerbrochen?“ Da begann die Prinzessin (Sultan chanym) zu reden und sprach: „Laßt mich von hier herausgehen, sonst bringe ich mich um!“ Die Kinderfrau ging von da wieder zurück und kam zum Padischah. Als sie die Worte, die die Prinzessin gesprochen hatte, eines nach dem andern vorgetragen hatte, ließ er sofort die Ärzte rufen. Nachdem wiederum eine horoskopische Untersuchung stattgefunden hatte, sagten sie: „Mein Padischah! Laßt sie herausgehen, aber laßt es nicht auf einmal geschehen! Sie soll sich erst nur ein wenig draußen ergehen, bis sie ihre Augen ganz daran gewöhnt hat! Darnach laßt sie immer wieder in die Höhle verbringen!“

Darnach ging also die Kinderfrau hin und nahm die Prinzessin mit aus der Höhle heraus und brachte sie in einen Rosengarten. Während sie sich dort erging, erblickte sie das Weltmeer und sann nach. Sie ging geradenwegs zu ihrem Vater und sagte: „Mein mächtiger Vater! Laß doch für mich über diesem hier sichtbaren Meer einen Kristall-Kiosk erbauen! Darinnen sollen sich diamantene und goldene Sessel befinden, und die Möbel sollen ebenfalls prächtig und goldgestickt sein. Wenn du das nicht machen läßt, so werde ich mich noch in dieser Stunde umbringen.“ Der Padischah sagte: „Um Gotteswillen, meine liebe Tochter! Der Palast, den du dir wünschest, soll gemacht werden!“

Hierauf gab er den Kristallarbeitern die nötigen Befehle, und diese fingen an, über dem Meere einen Palast zu errichten. Er wurde in Jahresfrist fertig. Dann gab man dem Padischah davon Nachricht. Man ging ans Ufer zu der Strandvilla und betrachtete sie. Es war ein derartiger Kristall-Kiosk entstanden, daß jedem, der hinsah, die Augen geblendet wurden. Der Zunge ist seine Beschreibung unmöglich. Sein Strahlenglanz ergriff die ganze Welt.

Die Prinzessin kam und küßte ihrem Vater die Hand. Dieser sprach: „Meine Tochter, der Kristall-Kiosk, den du gefordert hast, ist fertig. Nimm einige Sklavinnen mit dir und gehe hin! Mögest du vergnügten Sinnes darin wohnen!“ Darauf nahm die Prinzessin, da sie jung war, einige Sklavinnen mit sich und in stolzem Marsche zogen sie geradenwegs in den Kristall-Kiosk ein. Sie traten dort ein und ergingen sich in ihm.

Sie sollen sich nun dort Tag und Nacht immerfort erfreuen und vergnügen. Wir aber wollen zu der sonstigen Außenwelt kommen. Manche Leute (S. 5) kamen zu Schiff, manche zu Boot und betrachteten den Kristall-Kiosk jeden Tag. Als eines Tages der Sohn des Padischah von Jemen von diesem Kioske hörte, verwunderte er sich darüber. Er kam alsbald zu seinem Vater und sagte: „Mein majestätischer Vater! Der Padischah von Stambul hat direkt am Meere einen Kiosk errichten lassen, der mit der Zunge nicht zu beschreiben ist. Wenn ich eure hohe Erlaubnis erhalte, möchte ich hinreisen und ihn beschauen! In etwa 3-4 Monaten werde ich wieder zurück sein.“ Sein Vater gab hierauf seine Genehmigung.

Der Sohn nahm einige Gefährten mit sich und bestieg ein Schiff, und so machten sie sich auf den Weg. Tag und Nacht fuhr das Schiff, ohne anzuhalten, dahin. Nach einer geraumen Weile wurde von ferne etwas Wunderbares sichtbar: Sein Flammenschein umfaßte die ganze Welt. Der Prinz sagte zu seinen Gefährten: „Das, was sich hier zeigt, muß der erwähnte Kiosk sein!“ Nach einigen Tagen kam er endlich bei dem erwähnten Kiosk an und fuhr von allen vier Seiten darum herum. Er sagte zu sich: „Ist es denn etwa ein bloßes Phantasiebild, was ich sehe, oder ist es ein Traum?“ und sann eine Zeitlang nach. Als es schließlich Abend wurde, ließ er das Schiff dort Anker werfen.

Der Prinz soll sich also dort auf der Brücke seines Schiffes aufhalten. Wir wollen zur Prinzessin kommen. Sie tritt in das Vestibül und schaut hinaus. Da sieht sie, daß vor dem Kiosk ein Schiff angekommen ist. Während sie sich fragt: „Wer ist dies wohl?“ sieht sie den Prinzen. Er ist ein Jüngling, so schön, daß er dem Mond am 14. des Monats gleicht. Sofort verliebte sie sich in ihn aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele. Als der Prinz nun seinerseits die Prinzessin erblickte, schwand ihm die Besinnung aus dem Kopfe. Er stürzte zu Boden und ward ohnmächtig. Sowie ihm nach einiger Zeit die Besinnung wieder in den Kopf zurückgekehrt war, stand er auf und blickte auf das Fenster. Doch konnte er nun das Mädchen nicht mehr sehen. Er sagte sich: „Um Gotteswillen, ich möchte sie nur noch einmal sehen!“ Doch während er hinschaute, verfiel er in Schlaf. Jetzt kam die Prinzessin an das Fenster und sah, daß der Prinz eingeschlafen war. Da stieß sie einen Seufzer aus und aus beiden Augen floß ihr Blut an Stelle von Tränen. Während sie weinte, fiel ein Tränentropfen dem Prinzen ins Gesicht. Er erwachte alsbald und sah, daß aus den Augen der Prinzessin an Stelle von Tränen Blut floß. Jetzt sagte der Prinz zu dem Mädchen: „Hier ist das Schiff! Hier ist Jemen! Das Hinterschiff-Segel auf!“ Da setzte sich das Schiff in Bewegung und fuhr nach seinem Lande zurück. Eines Tages traf er glücklich in Jemen wieder ein und blieb dortselbst.

Wir wollen wieder zur Prinzessin kommen: Während ihre Augen einen einzigen Tränenstrom bildeten, kam sie geradenwegs zu ihrem Vater. Sie sagte: „O mein Vater! Ich will von dir ein Schiff haben. Es soll ganz aus lauter Diamanten sein und seine Kabinen sollen mit Edelsteinen inkrustiert und seine Säulen aus Rubinen sein. Und darinnen sollen sich 40 weiße Sklaven, alle möglichst jung und schön, befinden. Wenn du mir dies nicht alles machen läßt, werde ich mich selber umbringen.“ Er sagte: „Sehr wohl, meine Tochter! Das Schiff, das du wünschest, soll gemacht werden!“

Unverzüglich berief er die Goldschmiede (S. 7) und gab ihnen den Befehl. An jenem Tage noch begannen sie mit dem Bau des Schiffes. Als genau zwei Jahre vergangen waren, war es zustande gekommen. Jetzt kam die Prinzessin zu ihrem Vater, küßte ihm die Hand und sagte: „Mein Vater! Gib mir die Erlaubnis, und ich werde eine kleine Luftveränderung vornehmen und, so Gott will, in Bälde wiederkommen!“ Da ihr Vater auf der ganzen Welt nur eine einzige teure Tochter hatte, so konnte er überhaupt nie ihr Wort unerfüllt lassen. Er gab also notgedrungen, ob er wollte oder nicht, die Genehmigung zu der Reise. Er sagte: „Meine Tochter, laß mich nicht lange vergebens mit Sehnsucht deiner harren! Gott soll dir Heil verleihen!“

Das Mädchen nahm von dort 40 weiße Sklavinnen und 40 weiße Sklaven mit sich. Außerdem nahm sie noch die Inneneinrichtung für einen Konak mit sich und begab sich geradenwegs zu dem erwähnten diamantenen Schiff. Jene Nacht verweilte sie noch. Am folgenden Tage aber gab sie 22 Kanonenschüsse nach Steuerbord und nach Backbord ab. Dann machten sie sich auf den Weg. An jenem Tage zollte ihr die ganze Welt Beifall. Hunderttausende drückten ihre Billigung aus mit den Worten: „Was ist das doch für eine wackere Prinzessin!“ Die Prinzessin fungierte selbst als Kapitän, ihr Gehilfe war ein alter Kapitän. Sie verwendete die in ihrem Gefolge befindlichen Sklaven und Sklavinnen an Stelle von Soldaten und kommandierte.

Eines Tages trafen sie in Jemen ein. Sie fuhr im Hafen ein und ließ das erwähnte Schiff vor Anker gehen. Dort verweilten sie jene Nacht. Der Aufsichtsbeamte der dortigen Gegend hörte es und kam herbei zur Schiffsbesichtigung (S. 8). Als er es so ansah, sagte er: „Wem gehört es denn eigentlich? In meinem ganzen Leben habe ich noch kein solches Schiff gesehen. Gott soll es vor dem bösen Blick bewahren!“ Er ging von da geradenwegs in den Palast und gab dem Schah davon Kunde. Er sprach: „Um Gotteswillen, mein Padischah! Gestern ist ein Schiff angekommen, dessen Beschreibung der Zunge unmöglich ist. Es besteht aus lauter Edelsteinen und ist mit edlem Gestein inkrustiert. Es ist wert, daß man es einmal anschaut.“

Sofort schickte der Schah seinen Erzieher (lala). Er sagte zu ihm: „Bring in Erfahrung, wer es ist und komm wieder!“ Sein Adjutant bestieg hierauf eine Feluke und begab sich geradenwegs auf das diamantene Schiff. Als nun die Prinzessin den Adjutanten kommen sah, ließ sie ihre Schiffsmannschaft vom Kopf bis zum Fuß rote Kleider anziehen. Schließlich legte die Feluke an der Landungstreppe an. Die gesamte Schiffsbesatzung kam ihm zusammen entgegen und führte ihn hinauf aufs Schiff. Man brachte ihn geradenwegs in die Kabine des Kapitäns. Sie setzten sich auf Sesseln nieder und begannen sich freundschaftlich zu unterhalten.

Der Adjutant sagte: „Ums Himmelswillen, Bey Efendi! Man kann sich an Leuten, wie Sie es sind, nicht ersättigen. Wenn Sie mir nur Ihren schönen Namen mitteilen, so will ich gehen und dem Padischah Kunde geben.“ Der Kapitän sagte: „Ich bin ein Kaufmannssohn. Ich habe mich auf Reisen begeben, damit mein Herz sich vergnügen soll.“

Der Adjutant brach schließlich von dort wieder auf, kam zum Padischah zur Audienz und sagte: „Mein Padischah! Dieses angekommene Schiff ist ein Kaufmannsschiff. Sein Kapitän ist ein junger Mann, der weder einen Schnurrbart noch einen Vollbart hat. Er ist ein Jüngling, so schön, wie der Mond am 14. des Monats. Und seine Schiffsmannschaft ist ebenfalls dem entsprechend (S. 9). Sie sind alle prächtig. Ums Himmelswillen, Efendim, das Schiff verdient es, daß man es einmal anschaut.“

Dem Padischah kam die Lust dazu, und er wünschte, sich hinzubegeben. Er bestieg also eine Feluke mit 7 Ruderpaaren und begann mit stolzer Majestät geradenwegs auf das erwähnte Schiff loszufahren. Als der Kapitän sah, daß der Chunkjar selbst kam, ließ er seine ganze Schiffsmannschaft lauter gelbe Kleider anziehen.

Der Kaiser legte an der Schiffstreppe an. Da kamen ihm von der Schiffsbesatzung alle auf einmal entgegen und führten ihn hinauf. Sie kamen in die Kabine des Kapitäns und erwiesen ihm alle Ehrenbezeugungen und Auszeichnungen. Man trank Kaffee und rauchte Tabak und erwies ihm Aufmerksamkeiten. Der Padischah blieb voll Staunen. Dann brach er auf und kam wieder zu seinem Palast.

Als der Prinz davon hörte, da merkte er sofort, was los war. Er bestieg darauf eine Feluke und begab sich geradenwegs zum Schiffe. Wir kommen nun zum Kapitän: Er ließ auf die frühere Weise seine Schiffsmannschaft in Grün kleiden. Als jetzt der Prinz am Schiffe anlegte, da empfing man ihn mit Ehrenbezeugung und Auszeichnung. Schließlich kam er in die Kabine des Kapitäns und ließ sich dort nieder. Obwohl der Prinz den Kapitän aufs eingehendste befragte, so gab sich doch dieser durchaus nicht zu erkennen. Der Prinz seinerseits verliebte sich zur Stunde in den Kapitän und wandte seinen Blick nicht mehr von dessen Blick ab. Als es schließlich Abend wurde, stand der Prinz wohl oder übel auf und fuhr weg nach seinem Palaste.

(S. 10) Wir wollen zum Kapitän kommen: Er schickte dem Hafenkommandanten dortselbst Kunde, und durch seine Vermittlung verbrachte man das unter ihm stehende Schiff in das Hafenbecken. Sie nahmen ihrerseits auch die Einrichtungsgegenstände mit sich. Vor dem Palast gab es nun einen gewaltigen Konak. Diesen mieteten sie. Dort ließen sie sich häuslich nieder und begannen sich vergnüglich zu unterhalten.

Wir kommen nun wieder zum Prinzen: Am folgenden Tage kommt er zu dem Platze, wo das Schiff gelegen hatte. Er sieht, daß keine Spur mehr davon vorhanden ist. Mit einem Wehruf schlug er seinen Kopf auf den Boden auf. Er kam zu seinem Erzieher und befragte ihn. Als ihm sein Erzieher alles eines nach dem andern erklärt hatte, wird dem Prinzen wieder froh ums Herz. Er ging dann in den Palast zurück. Während er von dem Aussichtskiosk aus auf die Fenster des erwähnten Konak schaute, da fiel ihm das Mädchen ins Auge, und sein Verstand ward verwirrt. Er sagte sich: „Wer ist dies denn eigentlich? Ist es vielleicht die Frau des Kapitäns?“ und quälte sich selbst mit argwöhnischen Gedanken. Ein so unvergleichliches und eigenartiges Wesen, das eine solche Schönheit besaß, und dessen Locken nach zwei Seiten gespalten waren, war gewiß auf der ganzen Welt der allgemeine Gegenstand der Liebe.

Als nun das Mädchen den Prinzen erblickte, schloß sie das Fenster und zog sich ins Innere zurück. Jetzt wurde der Prinz von neuem in sie verliebt. Er strich nach allen vier Seiten herum und erging sich dort mit den Worten: „Ums Himmelswillen, wenn ich nur jene Liebliche noch einmal sehen könnte!“ Als es schließlich Nacht geworden war, zog sich der Prinz in ein Zimmer zurück und seufzte und jammerte. Am andern Morgen kommt er in den Aussichts-Kiosk und sieht, daß niemand am Fenster ist. Er konnte es schon nicht mehr aushalten, ging geradenwegs zu seiner Mutter und sagte: „Ums Himmelswillen, Mutter! In dem uns gegenüberliegenden Konak befindet sich die Frau des Kapitäns. Ich habe sie am Fenster gesehen und mich in sie verliebt. Nimm doch diese edelsteinverzierten Holzschuhe und bringe sie ihr zum Geschenk. Ich möchte nur ein einziges Mal ihre Schönheit sehen, sonst werde ich mich umbringen.“

Wohl oder übel erhob sich seine Mutter und kam in den Konak des Kapitäns. Nachdem sie eingetreten war und den Selâm geboten hatte, überreichte sie dem Mädchen die erwähnten Holzschuhe. Das Mädchen nahm die Schuhe und gab sie den in der Küche beschäftigten Sklavinnen. Die arme Sultanin verwunderte sich darüber. Als sie zu dem Mädchen sagte: „Meine Prinzessin! Der Prinz läßt seinen besonderen Gruß entbieten, und er wünscht, eure glückselige Schönheit zu sehen. Ums Himmelswillen, welche Antwort geruht ihr zu geben?“ Da gab das Mädchen überhaupt keinerlei Antwort. Darauf saß die Sultanin noch eine Weile und kam dann wieder in ihren Palast. Zornig sprach sie zu dem Prinzen: „Ich habe jenem Mädchen die edelsteinbesetzten Schuhe gegeben. Aber sie nahm sie und gab sie den in der Küche befindlichen Sklavinnen. Ich habe mich aufs höchste darüber aufgeregt. Und auch deinen Zustand habe ich ihr unterbreitet, jedoch hat sie überhaupt darauf keine Antwort gegeben. Ich brach dann von dort auf und kam wieder hierher. Was du auch für einen Kummer hast, sieh selber dazu!“

Jetzt ging der Prinz in ein Zimmer und seufzte und jammerte bis zum Morgen. Dann kam er wieder zu seiner Mutter, küßte ihr die Hand und sagte: „Ums Himmelswillen, meine teure Mutter (S. 12)! Nur du allein kannst Abhilfe schaffen! Mach doch ein Mittel dagegen ausfindig!“

Die Sultanin hatte eine wirklich wertvolle Perlenschnur. Als ihr diese in den Sinn kam, sagte sie: „Mein lieber Sohn, ich habe im Koffer eine von meinen Vorfahren hinterlassene Perlenschnur. Dir zuliebe will ich sie hingeben. Wir wollen sehen, was sie für eine Wirkung ausübt!“ Der Prinz war’s zufrieden und küßte wiederum seiner Mutter die Hand. Die Sultanin erhob sich im Seraj und begab sich geradenwegs in den Konak des Mädchens. Nachdem sie eingetreten war und den Selâm des Prinzen übermittelt hatte, überreichte sie dem Mädchen jene Perlen. Das Mädchen hatte einen in einem Käfig an der Decke aufgehängten Papagei. Sie nahm die Perlen der Sultanin und gab sie dem an der Decke aufgehängten erwähnten Papagei. Das Tier aß sie auch auf, daß es nur so hübsch krachte und knackte.

Dieses Mal blieb der Sultanin der Mund vor Staunen offen stehen, und sie war nicht schlecht verwundert. Sie sagte zu sich selbst: „Schau, der Papagei der Herumstreunerin frißt Perlen als Futter!“ Darnach stand sie auf und kam wieder zurück in den Palast. Als der Prinz voller Hast fragte: „Mutter, wie hast du’s angefangen?“ Da sprach sie: „Wehe, mein Sohn! Ich habe meine Perlen dem erwähnten Mädchen gegeben. Sie nahm sie auch und gab sie dem an der Decke aufgehängten Papagei als Futter. Das Tier fraß sie auch vor meinen Augen. Als ich dies alles mit ansehen mußte, da wurde es mir im Inneren siedend heiß. Ich war ratlos, was ich machen sollte. Ich weiß nicht, wie unsere Lage sein wird!“ Da sagte der Prinz zu ihr: „Mutter, es ist Unwissenheit (S. 13). Nimm es ihr nicht übel.“

Das Ende vom Lied war, daß der Prinz in jener Nacht wieder seufzte, ohne daß ihm Schlaf in die Augen gekommen wäre. Am Morgen kam er geradenwegs zu seiner Mutter und sagte: „O meine teure Mutter! Ich habe einen alten Koran. Den bring hin! Vielleicht hat sie aus Hochachtung für ihn diesmal mit mir Mitleid und mäßigt sich.“ Schließlich überredete er seine Mutter und schickte sie wiederum hin. Die Sultanin ging unter einem Vorwand zum Konak hinüber und trat ein. Die Prinzessin kam von oben herab und trat der Sultanin mit Ehrenbezeugungen entgegen und führte sie hinauf. Diese verwunderte sich hierüber. Schließlich zog sie aus ihrem Busen den Koran heraus und überreichte ihn dem Mädchen. Diese nahm ihn sittig an und legte ihn, nachdem sie ihn dreimal geküßt hatte, auf den Bord. Die Sultanin sagte nun zu ihr: „Meine Tochter! Der Prinz klagt Tag und Nacht ohne Aufhören. Zuletzt wird er sich noch umbringen. Ums Himmelswillen, meine Tochter, du allein kannst Abhilfe schaffen. Zeige dem Prinzen wenigstens nur ein einziges Mal dein Gesicht! Er soll es sehen, und sein Herz soll ein bißchen Freude empfinden!“

Als daraufhin das Mädchen zu ihr sagte: „Mutter! Ich zeige mich nicht mit etwas Gewöhnlichem!“, da sagte die Sultanin zu ihr: „Ach, Tochter, was du verlangst, das wollen wir ausführen.“ Das Mädchen sagte zu ihr: „Mutter, ich will dir die Wahrheit sagen: Du sollst jetzt eine goldene Brücke (S. 14) machen lassen, und alles ringsum sollst du mit lauter Rosen schmücken. Der Prinz soll an dem einen Ende der Brücke sein Lager aufschlagen und darauf sitzen. Dann werde ich dorthin kommen. Dort soll er mich sehen!“

Darnach stand die Sultanin auf und kam wieder in ihren Palast. Als der Prinz fragte und sprach: „Ums Himmelswillen, Mutter, wie hast du es angefangen?“, da sprach sie: „Mein Sohn! Jenes Mädchen hat die Antwort ganz kurz gegeben und abgeschnitten. Sie sagte zu mir: „Du sollst eine goldene Brücke machen lassen. Und alles ringsum soll mit lauter Rosen geschmückt sein! Und der Prinz soll an dem einen Ende der Brücke sein Bett machen und mich erwarten! Ich werde dorthin kommen, und so soll er mich sehen!“ Sie sagte noch zu mir: „Wie du es zu machen verstehst, so geh hin und laß es machen!“

Kurz und gut, der Prinz ließ wirklich eine Brücke, wie sie das Mädchen beschrieben hatte, erbauen und schmückte sie derart, daß ringsum lauter Rosen waren. Er ließ an dem einen Ende der erwähnten Brücke sein Bett machen und ruhte darauf. Und dem Mädchen sandte man nun Nachricht. Sie kleidete sich jetzt an und gürtete sich und kam mit allem Prunk und Pomp zur Brücke. Während sie aber hinüberging, fuhren ihr die Rosendornen ins Gesicht. Mit den Worten: „Weh, mein Gesicht!“ kehrte sie um und kam wieder zu ihrem Konak zurück.

Der Prinz bemerkte, daß sie kam und dachte sich: „Nun werde ich sie sehen!“ Doch als er sah, daß das Mädchen wieder umkehrte und wegging, sagte er zu seiner Mutter: „Um Gotteswillen, Mutter, ich habe sie nicht sehen können. Sie ist fortgegangen.“ Da kam die Sultanin geradenwegs in das Haus des Mädchens. Wie sie zu ihr sagte: „Meine Tochter! Warum bist du nicht zu dem Prinzen gegangen?“ da versetzte das Mädchen: „Mutter, die Rosendornen sind mir ins Gesicht gedrungen. Sowohl die Brücke soll euer sein, wie auch der Prinz!“ Die Sultanin sagte zu ihr: „Meine Tochter! Was sollen wir tun? Du wendest gegen alles eine List an!“ Jetzt sprach das Mädchen zu ihr: „Mutter, ich will dir die Wahrheit sagen. Ihr sollt jetzt eine goldene Brücke bauen lassen und auf die eine Seite einen goldenen und auf die andere Seite einen silbernen Leuchter aufstellen. Darnach soll der Prinz sterben. Und ihr sollt auf dem jenseitigen Ende der Brücke ein Grab für ihn ausgraben und ihn hineinlegen! Dann werde ich hingehen und zu seinen Häupten sitzen. Dort soll er dann bis zur völligen Sättigung auf mich schauen!“

Die Sultanin stand zornig auf und kam in den Seraj. Sie sagte: „Mein Sohn! Dem Mädchen kam ein Dorn ins Gesicht. Darum kehrte sie um und ging wieder nach Hause.“ Als der Prinz fragte: „Mutter, wie wollen wir es jetzt machen?“ da sagte sie: „Mein Sohn, das Mädchen hat als letzten Bescheid den gegeben; du sollst auf die frühere Art und Weise eine Brücke machen und auf beiden Seiten einen goldenen und einen silbernen Leuchter hinstellen. „Dann soll der Prinz sterben, und man soll an dem einen Ende der Brücke sein Grab machen. Darin soll er mich erwarten! Ich werde kommen und zu seinen Häupten mich niederlassen. Dort soll er mich, soviel er wünscht, betrachten!“ So sagte sie und einen derartigen Bescheid erteilte sie.“ Der Prinz erklärte: „Mutter, ich werde offiziell sterben und mich ins Grab legen und sie erwarten. Wir wollen sehen, was sie auch diesmal für eine List anwenden wird.“

Sie faßten also diesen Beschluß. Am folgenden Tage setzte man auf die eine Seite der Brücke einen goldenen Leuchter und auf die andere Seite einen silbernen Leuchter. Der Prinz begab sich in das Grab hinein und erwartete das Mädchen.

Wir wollen zum Mädchen kommen: In jener Nacht ließ sie das Schiff aus dem Hafenbecken herausbringen, nahm alle Einrichtungsgegenstände, die in dem Konak waren, und auch ihre Sklavinnen mit sich und brachte sie wieder auf das Schiff. Alles war dort in Bereitschaft. Als es Morgen wurde, kam das Mädchen geradenwegs zur Brücke und begab sich zu dem Grabe, in dem der Prinz lag. Sie sagte zu ihm: „Sieh, hier ist das Schiff! Und hier ist Stambul! Das Hinterschiff-Segel auf!“ Damit bestieg sie das Schiff und fuhr ab.

Der Prinz steht sofort auf und sieht, daß das Schiff nicht mehr stille liegt, sondern bereits fährt. Der Prinz kam wehklagend geradenwegs zu seiner Mutter und sagte: „Wehe, Mutter! Nur ich selber kann Abhilfe schaffen. Die Schuld ist mein.“ Jetzt erst merkte er den Sinn von alledem, was das Mädchen getan hatte. Darauf begab er sich zu seinem Vater und küßte ihm die Hand. Er sagte zu ihm: „Mein teurer Vater! Gib mir die Erlaubnis dazu: Ich werde fortfahren!“ Dieser sagte: „Sehr schön, mein Sohn!“ und gab ihm die Genehmigung. Der Prinz küßte auch seiner Mutter die Hand und sagte: „Mutter, nun hat sich der rechte Weg für mich aufgetan. Es heißt jetzt gehen.“ Damit holte er auch die Erlaubnis seiner Mutter ein.

Dann ging er zum Palaste (S. 17) hinaus, bestieg ein Schiff und machte sich auf die Fahrt. In Konstantinopel stieg er aus dem Schiffe aus und ging in den erwähnten Kiosk hinein. Die Prinzessin kam ihm mit den Sklavinnen entgegen. Man führte ihn hinauf ins Zimmer. Als er zu ihr sagte: „Meine Sultanin! Tut es dir nicht leid um mich? So viele Dinge hast du mir angetan!“ da sagte das Mädchen zu ihm: „O mein Prinz! Hast du denn vergessen, was du mir angetan hast? Du bist zu Schiff gekommen. Du hast mich in Flammen gesetzt und bist dann fortgegangen. Ziemt sich das vor Gott?“ Da sagte er: „Ums Himmelswillen, meine Sultanin, mögest du mir mein Verbrechen verzeihen und nicht auf meine Fehler sehen! Alle Schuld liegt bei mir.“

Darnach umarmten sie sich auf das innigste. Die beiden Liebenden erreichten das Ziel ihrer Wünsche und gelangten zu der ersehnten Vereinigung.

Darnach ging die Prinzessin zu ihrem Vater und eröffnete ihm im einzelnen alles, was ihr zugestoßen war. Ihr Vater war’s zufrieden und dankte Gott. Am folgenden Tage wurde der Hochzeitspakt abgeschlossen, und 40 Tage und 40 Nächte fand Fest und Feier statt. In der 41. Nacht betraten sie das Brautgemach, und die beiden Liebenden wurden einander zuteil. Hier findet unsere Erzählung ein Ende. Und damit selâm.

Die Geschichte vom schönen Halwa-Händler.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit hatte eine Frau auf der ganzen Welt nur einen einzigen teuren Sohn und eine einzige Tochter, die sie beide niemals auf die Straße hinausgehen ließ. Eines Tages hatten ihr Gatte und ihr Sohn die Absicht, nach Hedschaz zu gehen. Der Vater sagte: „Aufgepaßt! Ich habe dich und meine Tochter dem Muezzin anvertraut. Wenn irgend etwas nötig sein sollte, so soll es der Muezzin immer rasch besorgen.“ Darauf nahmen sie feierlich Abschied voneinander und verziehen sich gegenseitig ihre Sünden. Dann brachen Vater und Sohn auf und reisten nach Hedschaz.

Wir wollen nun zum Muezzin kommen. Während er eines Tages hinauf auf das Minaret gestiegen war und den Gebetsruf rezitierte, sah er, wie das ihm anvertraute Mädchen in ihrem Garten Wasser schleppte. Alsbald verliebte er sich in das Mädchen, und zwar dergestalt, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Er ging also in sein Haus und ließ sich dort nieder. In jener Nacht noch ließ er dann eine von den alten Nachbarsfrauen rufen und sagte zu ihr: „Mutter! Nimm diese zehn Goldstücke! Ich will von Dir dafür die Tochter des erwähnten Mannes haben, der nach dem Hedschaz gegangen ist.“ Die Frau (S. 18) sagte zu ihm: „Mein Sohn, ihre Mutter läßt sie nirgends hin ausgehen. Das ist eine ziemlich schwierige Aufgabe.“ Da sagte er: „Um Gotteswillen, Mutter, Du allein kannst die Sache machen, wenn überhaupt etwas zu machen ist.“ Sie meinte darauf zu ihm: „Mein Sohn, hast du einen guten Ort dafür? Wenn ich vielleicht ihre Zustimmung erhalte, wo soll ich sie da hinbringen?“ Da erwiderte der Muezzin: „Mutter! Ich werde morgen an dem und dem Orte ein Bad mieten. Dorthin werde ich gehen und euch dort erwarten. Morgen nimmst du verstelltermaßen unter den Arm ein Bündel mit Badezeug und gehst geradenwegs in das Haus jener Frau. Überrede mit irgendeinem Vorwand, auf irgendeine Weise die Mutter, und bring mir das Mädchen!“ Das war der Entschluß, den sie faßten.

Am Morgen nahm nun die erwähnte Frau verstelltermaßen ein Bündel mit Wäsche unter den Arm und kam geradenwegs zu dem Hause jener Frau. Sie sagte zu der Mutter des Mädchens: „Mutter, heute soll an dem und dem Orte ein Bad eröffnet worden sein, und Sängerinnen mit prächtigen Stimmen und bildschöne Mädchen werden hingehen und sich baden und gleichzeitig auch die Sängerinnen betrachten. Ich besuche speziell Euer Hochwohlgeboren, um Ihre Tochter abholen und in das erwähnte Bad mitnehmen zu können, damit sie sich dort mit ihren Altersgenossinnen und ihresgleichen vergnügt und ihr Herz sich ein wenig auftut. Abends werde ich Ihre Tochter pünktlich wieder heim bringen.“ Die Frau sagte zu ihr: „Mutter! Meine Tochter ist bis zu diesem Augenblick überhaupt noch nirgendwohin gegangen. Es sind auch erst, den heutigen Tag mit eingerechnet, zwei Tage, daß ihr Vater nach dem Hedschaz abgereist ist. Nachher werden die Leute sagen: „Kaum ist der Vater des Mädchens fortgegangen, so haben sie sich gleich auf die Straße gestürzt“ und werden uns mit diesen Worten tadeln“ (S. 19). Die alte Hexe aber sagte: „Mutter, ich führe jetzt Deine Tochter nur ins Bad und nicht woandershin, damit die Nachbarn es tadeln könnten. Die Töchter von so vielen Nachbarn gehen auch hin. Ihre Tochter soll nicht zurückgesetzt werden. Wenn Sie Ihre gütige Erlaubnis dazu geben, werde auch ich mit Ihrer Tochter dorthin gehen.“

Wie dem auch sei, auf irgendeine Weise überredete sie die Frau, nahm das Mädchen dann mit sich, und so kamen sie direkt in das von dem Muezzin gemietete Bad. Sie traten also ein. Das Mädchen sah sich nach allen vier Seiten um: es war gar niemand da. Sie sagte zu der Frau: „Ist dies das Bad, das Sie so gelobt haben? Es ist ja gar niemand hier!“ Da sprach die Frau: „Ach meine Tochter! Es ist noch zu frühe. Die Leute werden erst später kommen. Geh nur hinein und schau dich um einen Platz um, ehe noch das Gedränge losgeht!“ Das Mädchen hielt das für wahr, zog sich dortselbst aus und ging in den Baderaum hinein. Die Frau aber machte sich auf und davon und ging nach Hause.

Wir wollen zum Mädchen kommen! Als sie in den Schwitzraum hineinging, da sah sie auf einmal den Muezzin ihres Stadtviertels vor sich. Bei seinem Anblick schwand dem Mädchen die Besinnung aus dem Kopfe. Sie nahm sich aber sofort wieder zusammen und sagte zu ihm: „Muezzin Efendi, wir haben gehört, daß in diesem Bade die Sängerinnen auftreten (spielen) sollen. Ist dies das Bad, das Sie so gerühmt haben? Es ist noch gar niemand da.“ Da meinte der Muezzin: „Meine Sultanin, wenn niemand kommt, werden wir beide zu zweit uns baden und vergnügen.“ Da sagte das Mädchen zu ihm: „Wasch Du mich zuerst ab, dann werde ich dich abwaschen.“ Der Muezzin war damit einverstanden (S. 20). Er nahm das Mädchen und wusch sie trefflich am Badebecken ab. Dann sagte das Mädchen: „Komm, nun will ich dich waschen.“ Der Muezzin setzte sich vor sie hin, und das Mädchen begann ihn zu waschen. Sie schäumte ihm den Kopf stark mit Seife ein. Während er infolgedessen die Augen geschlossen halten mußte, ging das Mädchen an die Badebecken und schöpfte alles Wasser aus. Alle Wasserhähne, die am Badebassin waren, verstopfte sie mit einem Leintuch, wobei sie zu sich sagte: „Schau, wie einer sich baden muß!“ Alle Holzpantoffeln, die im Kühlraum des Bades vorhanden waren, tat sie in ein Badetuch und kam dann schnurstracks wieder zu dem Muezzin zurück. Mit einemmal schlug sie plumps damit auf ihn los, ihm auf den Kopf, aufs Auge, daß sein Geschrei zum Himmel hinaufschallte. Schließlich fiel der Muezzin zu Boden und wurde ohnmächtig. Darnach ging das Mädchen hinaus, zog seine Kleider an und kam geradenwegs nach Hause. Als jetzt die Mutter zu ihr sagte: „Meine Tochter, wie war denn das Bad?“, da ließ das Mädchen sie bei ihrer Meinung und sagte: „Mutter, es war ein sehr schönes, ganz unvergleichliches Bad.“

Die beiden sollen also hier verweilen. Wir wollen zum Muezzin kommen: Nach einiger Zeit kommt er wieder zu sich und geht mit geschlossenen Augen an das Badebassin. Er taucht die Schale hinein: doch es ist kein Tropfen Wasser darin. Er öffnet den Hahn, merkt aber, daß kein Wasser kommt. Kurz und gut, obwohl er an sämtlichen Badebecken herumgeht, kann er doch in keinem einzigen Wasser finden.

Darauf kam der Badebesitzer. Als er den Muezzin in einer derartigen Verfassung fand, sagte er zu ihm: „Muezzin Efendi, was ist denn mit dir los? Dein Kopf ist ganz voll Seifenschaum (S. 21).“ Da entgegnete ihm der Muezzin: „Ach, Hammamdschy Efendi, ich bin zwar mit geschlossenen Augen hingegangen, um mir mit dem in dem Badebecken befindlichen Wasser den Kopf abzuwaschen, und suchte Wasser, aber ich konnte keines finden. Ich habe wohl vergessen, zuvor den Hahn aufzumachen.“ Daraufhin öffnete der Hammamdschy einen der Wasserhähne. Der Muezzin wusch sich, ging hinaus, zog seine Kleider an und kam direkt nach Hause. Er lag unwohl darnieder voller Wunden — keine Stelle an seinem Körper war heil.

Um nun an dem Mädchen Rache zu nehmen, verfaßte er eines Tages ein Klageschreiben an den Vater des Mädchens, und zwar schrieb er folgendermaßen: „Deine Tochter ist zur Hure geworden. Und alle machen sich über sie her bis zu den Hunden herunter.“ Dies schickte er an den Vater des Mädchens. Als es bei ihrem Vater eintraf, da öffnete er es und las es. Er sagte zu sich: „Wehe, meine Tochter ist zur Hure geworden! Ist das nicht eine Schmach für mich?“ Voll Zorn wandte er sich an seinen Sohn: „Geh sofort nach Hause, schneide dort meiner Tochter den Kopf ab, tauche ihr Hemd in das Blut und bring es mir unverzüglich!“

Der Sohn brach auf und machte sich auf den Weg. Eines Tages gelangte er in sein Stadtviertel. Als er alle Nachbarn, die nur da waren, von einem Ende bis zum anderen ausforschte und befragte, da versicherten ihm alle: „Nein, mein Sohn, wir haben noch niemals gesehen, daß deine Schwester auf die Straße gegangen ist.“ Schließlich kam er an sein Haus und klopfte an die Türe. Seine Schwester sprang mit den Worten: „Weh, mein Bruder!“ die Treppe hinab und öffnete das Tor. Dann führte sie ihn herauf. Als nun das Mädchen fragte (S. 22) und sagte: „Wo ist denn mein Vater?“, da gab ihr der Bruder zur Antwort: „Er ist noch unterwegs. Komm, wir wollen ihm zusammen entgegengehen!“ Sofort nahm das Mädchen ihren Überwurf um und ging mit ihrem Bruder zum Hause heraus. Er brachte sie auf einen Berg und sagte zu ihr: „Meine Schwester! Man hat an meinen Vater einen Brief geschrieben. Man hat ihm darin folgende Nachricht gegeben: „Deine Tochter ist zur Hure geworden. Die ganze Welt kann sie haben.“ Als mein Vater dies hörte, geriet er in Zorn und gab mir folgenden Auftrag: „Schneide unverzüglich meiner Tochter den Kopf ab, tauch ihren Kaftan in das Blut und bring ihn mir!“ Der eigentliche Grund meines Kommens ist dieser, Schwester!“ Das Mädchen merkte wohl, wie die Sache zusammenhing, doch ließ sie nichts davon verlauten. Schließlich fand ihr Bruder einen jungen Hund, schlachtete das Tier, wobei er sagte: „Das Geheiß meines Vaters soll in Erfüllung gehen!“ und tauchte das Hemd des Mädchens in das Blut. Dann sagte er: „Ach, Schwester! Heute ist der Tag der Trennung für uns. Mach dich von hier in andere Länder auf und geh! Gott soll dein Helfer sein!“

Dann nahmen sie Abschied voneinander. Das Mädchen rettete sich durch die Flucht und wanderte weinend von Berg zu Berg. Und der Jüngling nahm das blutige Hemd des Mädchens und machte sich wieder auf die Fahrt. Eines Tages zog er wieder in Hedschaz ein und kam zu seinem Vater. Mit den Worten: „Hier, Vater, habe ich das blutige Hemd des Mädchens gebracht!“ überreichte er es seinem Vater. Dieser sagte: „Lob sei dem Herrn. Ich bin vor der bösen Zunge der Leute gerettet.“

Diese sollen also hier verweilen. Wir wollen zu der Lage des Mädchens kommen: Fortwährend von Berg zu Berg wandernd, kam sie schließlich zu einem Wasserbecken. Dort trank sie köstliches Wasser. Und neben dem Wasserbecken stand ein Baum (S. 23). Sie begab sich in den Schatten des erwähnten Baumes und setzte sich nieder und gönnte sich ein wenig Erholung. Es gab aber dort recht viele Raubtiere. Als es Abend wurde, sann sie darüber nach: „Wohin soll ich jetzt noch gehen?“ Da kam ihr schließlich dieser Baum in den Sinn und sie sagte sich: „Ich will wenigstens auf diesen Baum steigen und will mich so vor den Tieren schützen.“ Darauf klammerte sie sich an dem Baume fest und stieg hinauf. Jene Nacht verbrachte sie auf dem erwähnten Baume.

Als es Morgen wurde, da war es bereits zehn Tage, daß der Sohn des Padischah jenes Landes auf die Jagd ausgezogen war. Sein Pferd war sehr durstig, und so kam es schließlich bis an den Rand dieses Wasserbeckens. Als der Prinz sein Pferd am Halfter nahm und zum Wasser führte, da erschrak das Pferd, sowie es das Maul ins Wasser tun und trinken wollte, und wollte in keiner Weise Wasser trinken. Das Sonnenlicht war nämlich auf das auf dem Baum befindliche Mädchen gefallen, und ihr Spiegelbild hatte sich im Wasser abgebildet. So sehr der Prinz auch das Tier dazu zwang, so wollte es sich doch dem Wasser nicht nähern. Auf einmal hob der Prinz den Kopf in die Höhe und blickte empor: da wich ihm der Verstand aus dem Kopfe, als er das Mädchen erblickte. Er sagte zu ihr: „Bist du ein Mensch oder ein Dschinn?“ Da sagte das Mädchen: „Ich bin ein Menschenkind.“

Kurz und gut, er ließ das Mädchen herabsteigen und sagte: „Dies ist heute meine Jagdbeute.“ Darnach nahm er das Mädchen und kam mit ihr geradenwegs in den Palast. Darauf gab er seinem Vater Nachricht und heiratete jenes Mädchen nach dem Befehle Gottes und gemäß der Überlieferung der Propheten. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte die Festlichkeit und die Festversammlung. Am 41. Tage betrat er die Brautkammer.

Nach geraumer Zeit wurden dem Prinzen von diesem Mädchen drei Kinder geschenkt. Diese Kinder sollen nun in der Wiege heranwachsen.

Als dem Mädchen eines Tages seine Mutter in den Sinn kam, da perlten ihm die Tränen wie Regentropfen aus den Augen. Wie daraufhin der Prinz kam und sah, daß das Mädchen wehklagte, sagte er: „Meine Sultanin! Warum wehklagst du so?“ Da sagte das Mädchen: „Ach, Efendim! Während ich heute so dasaß, kam mir meine Mutter in den Sinn. Aus Sehnsucht nach ihr wehklagte ich.“ Der Prinz sagte: „Meine Sultanin! Ist deine Mutter noch am Leben, oder ist sie schon gestorben?“ Da sagte sie: Ach, Efendim, sie ist noch am Leben. Weil es so lange her ist, daß ich sie nicht mehr gesehen habe, so sehne ich mich nach ihr. Ich trage jetzt nach ihr Verlangen.“ Der Prinz entgegnete: „Meine Sultanin! Warum hast du mir bis zu diesem Augenblicke nichts davon gesagt? Würde ich dir denn die Erlaubnis dazu nicht geben? Entweder werden wir deine Mutter hierherbringen, oder du sollst zu deiner Mutter gehen und sie wiedersehen. Schau doch, wie deine Seele es nur verlangt, so wollen wir es machen!“ Das Mädchen sagte: „Gott soll Ihr Leben lang machen und Ihrem Dasein Gesundheit und Wohlsein verleihen! Wenn mir, Ihrer Sklavin, Ihre erlauchte Erlaubnis zuteil wird, so möchte ich auch meine Kinder mitnehmen und morgen mit ihnen zu meiner Mutter reisen, um sie noch einmal mit leiblichen Augen zu schauen. Und gleichzeitig will ich ihr auch meine Kinder zeigen.“ Der Prinz sagte: „Meine Sultanin, sehr gut! Morgen will ich dir eine Anzahl Leute zur Begleitung mitgeben. Du sollst mit deinen Kindern hingehen und deine Mutter wiedersehen!“

Endlich legten sie sich in jener Nacht nieder. Als es Morgen wurde, rief der Prinz seinen Erzieher und übergab ihm die Sultan Hanym und seine Kinder (S. 25) als ein Gottespfand. Die Sultanin bestieg zusammen mit ihren Kindern einen Wagen, und der Lala ritt auf einem Pferde. Und zu ihrer Begleitung nahm sie ebenfalls ein Bataillon Soldaten mit. Sie zogen also zum Palaste heraus und machten sich auf den Weg. Nach einiger Zeit steckte der Wesir seinen Kopf in den Wagen und sagte zu dem Mädchen: „Willst du dich mir hingeben? Wo nicht, werde ich deine Kinder töten!“ Da erschrak das Mädchen. Sie sagte: „Um Gotteswillen! Was soll das bedeuten? Ist denn etwas Derartiges überhaupt möglich?“ Da sagte der Wesir zu ihr: „Jawohl, meine Sultanin! Du wirst auf jeden Fall noch mein werden!“ Das arme Mädchen fügte sich ihm aber nicht, sondern ergriff eines von ihren Kindern und gab es ihm. Der Wesir nun nahm es, erwürgte es und warf es auf die Erde.

Dann ging es wieder eine Strecke weiter. Wiederum steckte er seinen Kopf in den Wagen. Er sagte: „Wirst du dich mir hingeben oder soll ich auch diese Kinder noch ermorden?“ Da sprach das Mädchen: „Nein, ich gebe mich dir nicht hin. Töte nur die noch überlebenden Kinder!“ Der Wesir streckte seine Hand aus und nahm noch eines von den erwähnten Kindern und ermordete dortselbst auch dieses. Kurz und gut. Er legte noch eine weitere Strecke zurück und erwürgte dann auf die frühere Art und Weise das letzte von den Kindern.

Die Kinder waren nun alle beseitigt, und die Sultanin blieb allein im Wagen. Sie marschierten noch eine Strecke Weges weiter. Da zog der Wesir seinem Pferde den Kopf zurück und hielt an. Er steckte seinen Kopf zum Wagen hinein und sagte: „Mädchen, ich habe deine drei Kinder alle zusammen umgebracht. Ich werde auch dich ermorden, sofern du nicht kommst und dich mir hingibst!“ Da sagte das Mädchen zu ihm: „O Gott! Gib mir nur eine halbe Stunde Frist (S. 26)! Ich will die Abwaschung vornehmen und ein Gebet von zwei Gebetsniederwerfungen verrichten. Darnach will ich mich dir hingeben.“

Der Wesir gab also dem Mädchen eine halbe Stunde Frist. Das Mädchen stieg aus dem Wagen heraus. Der Wesir band ihr, um ihre Flucht zu vereiteln, einen Strick um die Hüfte und ließ sie darnach los. Das Mädchen schritt eine Strecke weit vorwärts. Auf irgendeine Weise löste sie den Strick von ihrer Hüfte und band das Ende an einem Baum dortselbst fest. Dann rettete sie sich durch die Flucht.

Nachdem sie schon von Berg zu Berg geflohen war, zieht der Wesir am Strick und merkt, daß er nicht nachgibt. Er wartet, in der Meinung, daß das Mädchen noch die Abwaschung vornimmt. Und bei sich selbst überlegt er: „Seitdem das Mädchen weggegangen ist, ist schon eine halbe Stunde verflossen. Was ist das für eine endlose, unendliche Abwaschung! Ich will hingehen und mich nach dem Mädchen umschauen!“ Mit diesen Worten ging er eine Strecke weit vorwärts. Plötzlich sieht er, daß sie das Ende des erwähnten Strickes an einem Baum angebunden hat, während sie selbst geflohen ist. „O wehe! Wir haben sie uns aus der Hand entwischen lassen!“ rief er und riß sich die Haare aus.

Unverzüglich kehrte er mit seinen Soldaten wieder zurück. Als sie beim Palast anlangten, ging er zu dem Prinzen und sagte zu ihm: „Mein Prinz! Während wir unseres Weges dahinzogen, nahm die Sultanin ihre Söhne, stieg, ohne daß wir es sahen, aus dem Wagen aus und floh. Und mein Prinz! Kann denn überhaupt etwas Gutes von einem Mädchen kommen, das vom Berg gekommen ist? Sie kommt vom Berg und geht wiederum auf den Berg.“

Als der Prinz dies vernahm, schwand ihm die Besinnung aus dem Kopfe. Er fiel auf der Stelle, an der er sich befand, nieder und wurde ohnmächtig. Man sprengte ihm Rosenwasser ins Gesicht. Da kam er wieder zu sich und empfand Trauer und Kummer über das erwähnte Mädchen.

Diese mögen nun dabei verweilen. Wir kommen zur Lage des Mädchens (S. 27): Indem sie weinend von Berg zu Berg wanderte, kam das Mädchen schließlich in die Stadt ihres Vaters. Sie verkleidete sich (in einen Jüngling) und ging auf den Markt. Dort kam sie zu einem alten, greisen Halwa-Koch, dessen Laden ganz ruinös war. Nachdem sie ihm den Selâm geboten hatte, sagte sie: „Vater, wirst du mich bei dir als Gehilfen annehmen?“ Da sagte der Halwadschy zu ihr: „Ach, mein Sohn! Ich verdiene den ganzen Tag über bis zum Abend das Geld zum Brot nicht. Wenn ich dich als Gehilfen annehme, wie soll ich dir den Taglohn geben? Auch habe ich zudem die Halwa-Bereitung schon vergessen.“ Da sagte das Mädchen zu ihm: „Vater, ich verlange nichts von dir. Ich arbeite einzig für die Kost. Was Gott, der Herr, beschert, damit werden wir uns durchbringen.“ Als der Alte die so süsse Rede des Mädchens hörte, da brachte er es nicht über sich, ihr abzusagen, und meinte: „Es ist recht gut, mein Sohn, komm nur!“ Da küßte das Mädchen dem Meister die Hand, trat den Dienst an und setzte sich auf die eine Seite des Ladens.

Nach ein oder zwei Tagen krempelte das Mädchen ihre Ärmel auf, ging dann an den Herd und begann Halwa zu bereiten. Sie bereitete ein treffliches Halwa und legte ihrem Meister eine Quantität als Probe-Halwa vor. Ihr Meister freute sich über das Halwa. Als er eine Quantität gegessen hatte, sagte er zu ihr, da ihm der Wohlgeschmack des Halwa im Sinne haften blieb: „Ach, mein Sohn! Du hast sehr gutes Halwa gemacht. Gesundheit deiner Hand! Gott soll dich vor dem bösen Blick bewahren!“ Darnach wusch das Mädchen die Steinplatte und legte das Halwa wie Mastixharz darauf. Als die Käufer kamen und diesen schönen Jüngling sahen, da staunten sie (S. 28). Und wenn sie auch kein Halwa hatten kaufen wollen, so kamen sie doch in den Laden und kauften welches. Und jeder, der gekauft hatte, kehrte noch einmal um und kaufte wiederum Halwa. Kurz, dieser schöne Halwa-Koch wurde an allen Orten bekannt.

Der schöne Halwadschy soll also hier mit seiner Arbeit beschäftigt sein. Kommen wir zum Prinzen: Als ihm eines Tages das Mädchen und seine Kinder wieder ins Gedächtnis kamen, da jammerte er, und aus seinen Augen rann das Tränennaß wie Regentropfen. Alsbald rief er seinen Lala und sagte zu ihm: „Ich will die Sultanin haben. Ich werde sie suchen; denn ich muß sie finden, sonst werde ich mich selbst umbringen.“ Der Wesir sagte zwar zu ihm: „Mein Prinz, jenes Mädchen wollte dich nicht haben und ist ins Gebirge entflohen. Wie wirst du sie jetzt haben wollen?“ Doch es verfing das in keinerlei Weise. Wie dem auch sein mag, der Prinz nahm den Wesir mit sich und brach vom Palaste auf. Sie machten sich tief hinein ins Gebirge, um das Mädchen zu suchen. Während sie immerfort wanderten, kamen sie bis in die Stadt, in der das Mädchen sich befand. Da sie sehr hungrig waren, so fragten sie einen Jungen: „Mein Sohn, gibt es hier keinen Laden eines Garkochs?“ Da gab der Junge zur Antwort: „Hier gibt es überhaupt keinen Laden eines Garkochs. Weiter vorne aber gibt es den Laden eines schönen Halwa-Koches. An dem Halwa, das er bereitet, kann man sich nicht ersättigen. Er bereitet sehr schönes Halwa!“

Als der Prinz das Lob dieses Halwa-Koches hörte, da konnte er sich nicht mehr in Geduld fassen. Er kam mit seinem Wesir geradenwegs zu dem Laden des erwähnten schönen Halwadschy. Als jetzt das Mädchen (S. 29) den Prinzen und den Wesir kommen sah, da erkannte sie sie sogleich. Aber sich selbst gab sie nicht zu erkennen. Der Prinz sagte zu ihr: „Halwadschy, wenn du uns doch von hier für einige Para Halwa geben würdest!“ Da sagte das Mädchen zu ihnen: „Meine Herren! Wenn Sie diese Nacht hier als Gäste bleiben, so werde ich Ihnen ein köstliches Halwa bereiten. Und außerdem werde ich Ihnen eine merkwürdige Geschichte erzählen, und wir werden uns gut unterhalten.“ Wie der Prinz diese schöne Begrüßung hörte, die der schöne Halwadschy mit solchen schönen Worten vorbrachte, da schaute er ihm ins Gesicht und erstaunte. Der Prinz konnte nicht widerstehen und sagte: „Sehr wohl, mein Jüngling! Wir werden bleiben!“ Darnach traten der Prinz und der Wesir in den Laden ein und ließen sich auf der anderen Seite nieder.

Diese sollen also hier verweilen. Wir kommen zu den Leuten in der Stadt. An jenem Tage wünschten sie im Stadtviertel eine Halwa-Abendgesellschaft zu veranstalten. Einer von ihnen sagte: „Ums Himmelswillen! Wen lassen wir dieses Halwa bereiten? An dem und dem Platze befindet sich ein schöner Halwadschy. Er bereitet sehr schönes Halwa. Ihn wollen wir es bereiten lassen.“

Bei diesen Worten standen ein paar Leute auf und kamen geradeswegs in den Laden des erwähnten Halwadschy. Sie sagten zu ihm: „Halwadschy! Wirst du heute nacht zu uns kommen und ein schönes Halwa bereiten? Wir werden nämlich die Bevölkerung des Stadtviertels einladen und heute nacht eine Halwa-Abendgesellschaft veranstalten.“ Darauf sagte der schöne Halwadschy zu ihnen: „Sehr gerne, meine Agha’s! Aber ich habe Gäste. Ich kann nicht gehen, denn sonst bleiben sie allein.“ Da sagten sie zu dem Halwadschy: „Um Gotteswillen, Halwadschy! Bring du nur auch deine Gäste mit. Die Unterbringung ist unsere Sorge.“ Der Halwadschy wendete sich nun an seine Gäste und sagte zu ihnen: „Meine Herren, man hat uns zu einer Halwa-Abendgesellschaft gerufen. Bitte, gehen Sie gefälligst mit! Wir wollen zusammen hingehen. Wir werden uns dort unterhalten.“ Der Prinz sagte: „Sehr wohl!“ und nahm seinen Wesir mit.

Der schöne Halwadschy und die beiden gingen selbdritt zum Laden heraus und gingen direkt zu dem Hause, das die Leute, die gekommen waren, beschrieben hatten. Sie stiegen die Treppe hinauf, und der Prinz und der Wesir ließen sich in einem Zimmer nieder. Der schöne Halwadschy begann unten Halwa zu bereiten. Endlich hatte er das Halwa bereitet und bewirtete und fertigte zuerst die in den unteren Zimmern befindlichen Gäste mit Halwa ab. Dann kam die Reihe an das oben befindliche Zimmer. Er trat zur Türe hinein. Da sieht er mit einem Male, daß die ganze Bevölkerung des Stadtviertels und sein Vater und Bruder und der Muezzin und der Prinz und der Wesir alle zusammen sich in dem erwähnten Zimmer befinden.

Sofort stellte der schöne Halwadschy das Kohlenbecken in die Mitte des Zimmers und begann Halwa zu bereiten. Dann sagte er zu ihnen: „Meine Herren, warum sind Sie verstummt? Jeder soll die Ereignisse erzählen, die ihm widerfahren sind. Wir werden uns dabei unterhalten, da wir nun doch einmal hiehergekommen sind, einzig und allein nur, um uns zu unterhalten.“ Was nun die Leute anlangt, so wußten sie natürlich nicht, worauf die Sache hinauslief. Sie fingen nun an, zu erzählen. Als sie die ihnen widerfahrenen Ereignisse einer nach dem andern erzählt hatten und alle fertig geworden waren, sagten sie zu ihm: „Schöner Halwadschy! Du hast uns jetzt erzählen lassen. Erzähle nun auch du eine Geschichte (S. 31)! Wir wollen zuhören!“

Der schöne Halwadschy sagte nun zu ihnen: „Meine Herren! So oft ich eine Geschichte erzähle, ist dies mein Brauch, daß ich niemanden zur Türe hinauslasse. Wenn jemand da ist, der hinausgehen will, der soll schon jetzt hinausgehen!“ Die Versammelten erklärten: „Nein, es ist niemand da, der hinausgehen will.“ Der schöne Halwadschy stellte sich nun vor die Tür. Er setzte sich dort nieder und begann zu erzählen.

Als er zuerst die im Bade spielende Erzählung vorbrachte, da spitzte der Muezzin die Ohren und horchte auf. Als er das so mit anhören mußte, fing er zu schreien an: „Weh, mein Bauch! Um Gotteswillen, mein Bauch schmerzt mich.“ Der schöne Halwadschy aber sagte zu ihm: „Bursche, bleib an deinem Platze sitzen!“ Als er dann von den Kindern erzählte, die der Wesir auf dem Wege abgewürgt hatte, da seufzte der Prinz auf, und seine Augen füllten sich ganz voll mit Tränen. Nachher erkannten ihr Vater und ihr Bruder und der Prinz und der Wesir und der Muezzin sämtlich den wahren Sachverhalt. Das Mädchen sagte nun: „O ihr Versammelten! Wisset, daß mein Feind der Muezzin und der Wesir ist. Seht hier ist mein Vater, hier ist mein Bruder, hier ist mein Gatte, mein Prinz!“ Und sie kam an seine Seite und stellte sich unter seinen Schutz. Der Prinz verhüllte das Mädchen. Alle Versammelten bissen sich vor Staunen in den Finger und schwiegen.

Als es schließlich Morgen ward, brachte man den Wesir und den Muezzin unter allen möglichen Martern um, und dann begab sich ein jeder wieder an seinen Platz. Das Mädchen küßte ihrem Vater und ihrer Mutter die Hand und gelangte dann mit dem Prinzen zusammen wieder in den Palast (S. 32). Wiederum wurde Hochzeit gefeiert, und vierzig Tage und vierzig Nächte fand Festlichkeit und Festversammlung statt. Am einundvierzigsten Tage ging der Prinz ins Brautgemach hinein. Sie wurden ihres Wunsches teilhaftig und damit Schluß!

Die Geschichte von dem schönen Kaffeekoch.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit war einmal ein Jüngling, der die Vollkommenheit erlangt hatte. Er war nun in eine äußerst dürftige Lage verfallen. Eines Tages verkleidete er sich und machte sich auf die Reise. Indem er fort und fort wanderte, gelangte er zu einer Stadt. Er kam zu einem uralten Kaffeehaus und sagte zu dem Kahwedschi, dem Kaffeewirt: „Meister, wirst du mich als Gehilfen annehmen?“ Da sagte der Kahwedschi: „Ach mein Sohn! Mein Kaffeehaus ist alt. Täglich werden nur ein oder zwei Kunden kommen und ich fünf oder zehn Para einnehmen. Damit werden wir für den Abend Brot kaufen und uns ernähren.“ Da sagte der Jüngling zu ihm: „Vater, ich verlange von dir gar nichts. Ich will nur meinen Kopf bescheiden hier im Winkel bergen und hierbleiben.“ Daraufhin sagte der Kahwedschi nicht „Nein!“, sondern sprach: „Sehr wohl, mein Sohn! Was der Herr spendet, damit werden wir uns durchbringen.“ Darnach küßte der Jüngling dem Meister die Hand und trat den Posten an und ließ sich im Kaffeehaus nieder.

(S. 34) Als es Abend wurde, sagte der Meister: „Mein Sohn, ich gehe jetzt nach Hause. Schließ nur das Kaffeehaus sorgsam ab und leg dich drinnen hin!“ Damit brach der Meister auf und ging nach seinem Hause.

Wir wollen nun zu dem erwähnten Jüngling kommen: Er schloß sorgsam die Kaffeebude ab, stieg auf die hölzerne Ladenbank und schlief ein. Gegen 4 oder 5 Uhr in der Nacht (d. h. 4 oder 5 Stunden nach Sonnenuntergang) sprang die Türe der Kaffeebude mit einem Schlag auf und öffnete sich. Ein Derwisch trat herein und bot den Selâm. Der Jüngling, der im Schlafe lag, wachte auf und erwiderte den Selâm des Derwisches mit allem Anstande. Jetzt sagte der Derwisch zu ihm: „Jüngling, steh auf! Koch mir ohne Bezahlung eine Tasse Kaffee!“ Unser Jüngling stand unverzüglich auf und kochte für den erwähnten Derwisch umsonst Kaffee und präsentierte ihm denselben. Der Derwisch trank den Kaffee und machte sich dann, ohne ein Wort zu sagen, auf und ging fort.

Der Jüngling sagte zu sich: „Es bedeutet Gutes, so Gott will!“ schloß die Türe der Kaffeebude, stieg wieder auf die Holzbank hinauf und verbrachte so jene Nacht. Am Morgen teilte er seinem Meister die ganze Sache überhaupt nicht mit.

Es wurde schließlich Abend, und wiederum schlief er auf die frühere Weise ein. Genau wieder gegen 4 oder 5 Uhr sprang die Türe wiederum krachend auf und öffnete sich. Im selben Augenblick kamen zwei Derwische, boten den Selâm und sagten zu ihm: „Jüngling, steh auf! Koch uns ohne Bezahlung zwei Täßchen Kaffee!“ Der Jüngling stand alsbald auf und kochte ihnen ohne Bezahlung zwei Tassen Kaffee und gab sie ihnen. Sie tranken den Kaffee, standen dann auf (S. 35) und gingen fort. Der Jüngling erhob sich, schloß die Türe der Kaffeehausbude ab und verbrachte jene Nacht weiter auf der hölzernen Bank.

Als es Morgen wurde, kam sein Meister. Er sagte ihm aber von den Ereignissen wiederum nichts. Am Abend schloß er das Kaffeehaus auf das sorgfältigste ab und verbarrikadierte die Türe mit allen Sachen, die nur da waren. Darnach begab er sich auf die hölzerne Bank und verfiel in Schlaf. Eben als es auf 4 oder 5 Uhr ging, entstand ein heftiges Getöse. Zugleich sprang mit einem Male laut krachend die Türe auf und öffnete sich. Herein traten drei Derwische. Nachdem sie den Selâm geboten hatten, sagten sie: „Jüngling, steh auf. Koch uns ohne Bezahlung drei Tassen Kaffee!“ Der arme Jüngling stand unverzüglich auf, kochte Kaffee und brachte ihnen denselben. Sie tranken ihren Kaffee und standen auf. Da sagte der eine von ihnen zu ihm: „In dem Kaffeehaus, in dem dieser Jüngling ist, soll in der Kaffeebüchse niemals Kaffee und Zucker ausgehen. Sie soll immer bis an den Rand voll sein!“ Und der zweite sagte zu ihm: „In das Kaffeehaus, in dem sich dieser Jüngling befindet, sollen die Kunden wie die Ameisen kommen, und es soll niemals an ihnen fehlen!“ Und der dritte sagte: „Dieser Jüngling soll sämtliche Löcher zum Reden bringen können.“ Schließlich machten diese Derwische sich alle drei auf einmal auf und gingen fort. Der Jüngling schloß seinerseits wieder auf die frühere Art und Weise die Türe des Kaffeehauses, stieg auf die Holzbank hinauf und verfiel in Schlaf.

Als es Morgen wurde, stand er auf und öffnete die Kaffeehausbude. Da sieht er, daß vor dem Kaffeehaus alles von Kunden wie von Ameisen wimmelt. Er sagte: „Die Worte, die die Derwische nachts (S. 36) geredet haben, sind tatsächlich eingetroffen!“ und dankte Gott. Als er dann an den Herd kam und dabei war, für die Kunden Kaffee zu kochen, da schaute er auf den Kaffee und den Zucker und sah, daß die Büchse bis zum Rande voll war. Mit den Worten: „Diese Derwische waren also doch kein leerer Wahn!“ versank er nach einiger Zeit in Nachdenken. Doch hielt er sich nicht weiter dabei auf, sondern kochte Kaffee und gab jedem Kunden je ein Täßchen voll. Schließlich kam sein Meister und schaute nur so: Ja, was sollte er da sehen: Das Kaffeehaus war innen und außen voll von Menschen! Mit den Worten: „Was ist das für ein Wunder!“ steckte er vor Verwunderung seinen Finger in den Mund und war ganz betroffen. Er sagte sich: „Jeden Tag kommt sonst ein Kunde oder zwei. Dahinter muß durchaus etwas stecken.“ Er drängte sich durch und kann keinen Platz für sich finden, wo er sich niedersetzen könnte. Als er zu dem Jüngling sagte: „Mein Sohn, ist noch Kaffee und Zucker in der Kaffeebüchse?“ Da sagte dieser zu ihm: „Meister, ich habe Kaffee und Zucker schon gekauft. Setz dich irgendwohin und mach dir’s bequem!“ Darauf setzte sich der Meister unverzüglich auf der einen Seite des Kaffeehauses nieder. Der Jüngling kochte unaufhörlich drauflos Kaffee.

Als es endlich Abend wurde, kam der Meister an die Schublade und öffnete sie und sieht — ja, was sollte er wohl sehen? — Die Schublade ist bis an den Rand voll Geld. Als der Meister sah, daß dem so war, da wäre ihm bald der Verstand aus dem Kopf gewichen. Mit den Worten: „Bravo, mein Junge, dein Kommen war von guter Vorbedeutung!“ küßte er den Jüngling auf seine Augen. Darauf füllte er das Geld in Säcke und brachte sie nach Hause.

Kurz, unser Jüngling verblieb ein paar Monate in der Kaffeebude (S. 37), und alltäglich kamen seine Kunden in größter Zahl. Die beiden wurden so reich, daß sie keinen Platz mehr finden konnten, wohin sie das Geld hätten zu legen vermögen. Endlich sagte der Jüngling eines Tages zu seinem Meister: „Meister! Ich werde in meine Heimat zurückkehren. Gib mir Urlaub!“ Sein Meister wollte sich zwar nicht von ihm trennen, aber er sagte notgedrungen, wohl oder übel: „Sehr schön, mein Sohn! Gott soll dir Wohlsein verleihen! Geh nur!“ Darnach küßte der Jüngling dem Meister die Hand. Der Meister gab ihm einen ganzen Anzug, dessengleichen es auf der ganzen Welt nicht mehr gab. Er war vollständig mit Goldfäden gestickt und mit Edelsteinen verziert.

Der Jüngling zog diese Kleider an und machte sich auf den Weg. Eines Tages traf er in einer andern Stadt ein. Dortselbst mietete er eine Kaffeehausbude und begann das Geschäft zu betreiben. Wiederum kamen ganz wie früher Kunden in solcher Menge, daß sie nicht zu zählen waren. Kurz und gut, er wurde in der erwähnten Stadt als der schöne Kahwedschi bekannt.

Als eines Tages einer von den dortigen Reichen von ihm hörte, da konnte er sich nicht länger mehr zurückhalten. Er brach von seinem Orte auf und kam geradeswegs in das Kaffeehaus, in dem sich der schöne Kahwedschi befand. Er setzte sich seitwärts hin und verweilte dort. Er konnte jedoch sein Auge nicht von dem Jüngling abwenden: Dieser war eine Schönheit, gleichsam wie aus Honigwachs gegossen. Der Reiche öffnete seinen Mund vor Verwunderung und blieb in Staunen versunken. Unser Jüngling kochte einen äußerst wohlschmeckenden Kaffee und überreichte ihm denselben. Der Erwähnte streckte auch seine Hand nach ihm aus und trank ihn. Als das Behagen des Ausschlürfens zu Ende war, sagte der Reiche zu dem schönen Kahwedschi: „O du schöner Kahwedschi! Ich habe eine Tochter. Auf Gottes Befehl werde ich dir meine Tochter (S. 38) zur Frau geben. Wirst du sie nehmen?“ Da sagte der schöne Kahwedschi zu ihm: „Efendim, wenn Sie Ihre Tochter als passend für mich ansehen, sollte ich sie da nicht nehmen?“

Schließlich nahm dann der Reiche den schönen Kahwedschi mit sich und kam mit ihm in den Konak. Er berief sofort die Gemeinde der Gläubigen und verheiratete seine Tochter mit dem schönen Kahwedschi. Dann wurde Scherbet getrunken, und jeder begab sich wieder an seinen Platz.

Den schönen Kahwedschi brachte man in jener Nacht in die Brautkammer. Als jetzt der schöne Kahwedschi zu dem Mädchen kam, sagte er zu ihr: „Loch, wer hat dich durchbohrt?“ Da machte sich das Loch also vernehmbar: „Der Sohn meines Oheims hat mich durchbohrt.“ Als es schließlich Morgen wurde, gab er jenem Mädchen die Scheidung und kam geradenwegs in das Kaffeehaus, das ihm gehörte. Als die Leute dies sahen, verwunderten sie sich. Alle waren voll Neugier und machten sich Gedanken darüber: „Was ist denn eigentlich los? An dem einen Tage eine Frau zu nehmen und am folgenden Tage sie zu verlassen?“

Wir wollen die Geschichte nicht zu lang machen. Unser schöner Kahwedschi heiratete noch die Tochter eines anderen reichen Mannes. Als es Morgen wurde, verließ er auch sie.

Eines Tages stand der schöne Kahwedschi auf. Während er geradeswegs zum Ufer des Meeres ging, traf er auf einen Hirten. Bei ihm befand sich seine Tochter. Er sagte zu ihm: „Ums Himmelswillen, Hirte, mein lieber Hirte, ich will dieses Kind, dieses Mädchen auf Gottes Befehl und nach der erhabenen Überlieferung des Propheten zur Frau nehmen.“ Da sprach der Hirte zu ihm (S. 39): „Um Gotteswillen, Efendim. Ist denn ein Hirtenmädchen Ihrer würdig?“ Da sagte der schöne Kahwedschi: „Ich sehe dieses Mädchen für passend für mich an.“ Und schließlich nahm er den Hirten und dieses Mädchen und brachte sie geradeswegs in sein Haus. Darnach berief er die Gemeinde der Gläubigen und vermählte sich mit dem Mädchen.

Als es Nacht wurde, kam er zu dem Mädchen und sprach: „Loch, wer hat dich durchbohrt?“ Das Loch machte sich vernehmlich und erklärte: „Ich bin ein armes Mädchen. Niemand läßt sich zu mir herab. Wie ich von meiner Mutter geboren worden bin, so bin ich geblieben. Bis zu diesem Augenblicke hat noch niemand die Hand darnach ausgestreckt.“ Als der schöne Kahwedschi dies vernahm, da freute sich sein Herz, und er sagte: „Siehe, jetzt habe ich die Frau gefunden, die ich gesucht habe.“ Darnach näherte er sich dem Mädchen und machte seine Sache ab. Als es Morgen wurde, stand er dann auf und ging ins Bad. Nachdem er sich abgewaschen hatte und herausgegangen war, kaufte er Rahm und kam in das Haus, in dem das Mädchen sich befand. Er setzte sich zu dem Mädchen hin, und sie begannen sich freundlich zu unterhalten.

Sie sollen dabei verbleiben. Wir wollen zu diesen reichen Leuten kommen: Diese hatten einen nahen Nachbarn. Eines Tages waren sie miteinander versammelt, da sagte er zu ihnen: „An dem und dem Platze befindet sich ein schöner Kahwedschi. Er heiratet meine Tochter. Am Morgen aber macht er sich auf und geht fort. Gestern soll er nun ein Hirtenmädchen geheiratet haben. Das will also besagen, daß ihm unsere Tochter nicht gefallen hat. Kommt, wir wollen gegen diesen Burschen mit den anderen Leuten zusammen die Diffamationsklage erheben und zugleich ihn züchtigen.“

Diese seine Rede erschien allen passend. Sie sandten sodann dem schönen Kahwedschi Nachricht. Kurz und gut, der schöne Kahwedschi ging (S. 40) mit den Worten: „Es bedeutet Gutes, so Gott will!“ aus seinem Hause heraus und kam geradenwegs in die Versammlung. Er setzte sich an einem Platze nieder und verharrte dortselbst. Da sagten die dort Befindlichen zu ihm: „Schöner Kahwedschi! Nach Gottes Befehl heiratest du unsere Tochter und verläßt sie, wenn es Morgen wird. Was ist der Grund davon? Zuletzt nimmst du ein Hirtenmädchen und bleibst mit ihr zusammen. Schämst du dich nicht? Ziemt sich etwas Derartiges für dich? Was hat unsere Tochter für einen Fehler? Ich werde jetzt gegen dich die Diffamationsklage erheben. Das soll dir kund und zu wissen sein!“

Der schöne Kahwedschi sagte zu ihnen: „O meine Efendi’s! Wir wollen jetzt Ihre Fräulein Töchter rufen und die Sache aufklären, damit ich, der schöne Kahwedschi, wenn sich meinerseits eine Schuld ergeben sollte, zugrunde gehe!“ Sie sagten: „Sehr wohl, mein Sohn. Wir wollen sie rufen. Sie sollen kommen!“ Darauf sandten sie Botschaft nach ihren Konaks. Die erwähnten Mädchen bestiegen die Kutschen und kamen direkt in die Versammlung. Hier machte man eines der Zimmer zu einem Sonderkabinett. Nun traten der schöne Kahwedschi und eines der Mädchen dort ein. Der schöne Kahwedschi kam an die Seite des Mädchens und hub an: „Loch, wer hat dich durchbohrt?“ Da antwortete dieses bei dieser Frage: „Der Sohn meines Oheims hat es getan.“

Die Leute hörten es hinter der Türe mit an. Der schöne Kahwedschi sagte nun zu ihnen: „Meine Efendi’s! Haben sie es vernommen?“ Diese bissen sich in die Finger vor Staunen und waren betroffen. Darnach kam das Mädchen heraus und sagte zu ihren anderen Gefährtinnen: „Um Gotteswillen, Schwestern, verstopft eure Löcher mit einem Stück Leinwand!“ Das taten sie nun auch.

(S. 41) Nun ging eine andere ins Zimmer hinein. Der schöne Kahwedschi kam an die Seite des Mädchens. Er hebt an: „Loch, wer hat dich durchbohrt?“ Doch aus dem Loch kam keine Antwort. Da sagte er zu dem anderen Loch: „Warum gibt jenes keinen Ton von sich?“ Dieses sagte: „Ach, Efendim! Wie sollte es denn sprechen? Sie hat es ja mit Leinwand verstopft.“

Darnach ging das Mädchen heraus und sagte zu ihrer dritten Gefährtin: „Ach, Hanym Efendi, stopfe in alle beide Löcher Leinwand hinein! Denn deine Sache steht schlecht.“ Diese glaubte ihr und verstopfte beides mit Leinwand. Alsbald ging sie hinein und setzte sich hin. Der schöne Kahwedschi kam an die Seite des Mädchens und hebt an: „Loch, wer hat dich durchbohrt?“ Von dem Loch kam keine Antwort. Da sagte er zu dem anderen Loch: „Warum hat jenes keinen Ton hervorgebracht?“ Doch auch dieses gab keinen Ton von sich. Da kam er zu dem Ohr des Mädchens und hub an: „Loch, warum geben die unteren Löcher keine Antwort?“ Da sagte das Ohr zu ihm: „Ach, Efendim, wie sollen sie Antwort geben? Sie hat ja beide mit Leinwand zugestopft.“

Der schöne Kahwedschi sagte nun draußen zu den Herren: „Efendi’s, haben Sie Ihre Töchter gehört? Schaut doch, wie sie es eingestanden haben. Wenn es sich um Sie selbst gehandelt hätte, so hätten sie sie nicht genommen. Und ich erst, wie sollte ich sie annehmen?“ Da blieben sie stumm und sprachen nichts. Wiederum sagte er zu Ihnen: „Efendi’s, kommt! Ich will auch eure Löcher sprechen lassen, damit kein Zweifel bei euch bleiben soll!“ Da sagten sie zu ihm: „Um Gotteswillen, mein Sohn, laß unsere Löcher in Frieden. Nimm diese Goldstücke und geh. Bleib nur geruhig auf deinem Platze sitzen!“

Darnach stand der schöne Kahwedschi auf (S. 42) und kam geradeswegs nach seinem Hause. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte Fest und Festgelage. Und sie wurden ihres Wunsches teilhaftig.

Die Geschichte von dem weinenden Granat-Apfel und der lachenden Quitte.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit hatte ein Padischah neun Töchter. Wie er eines Tages mit der Sultanin dasaß, überlegte er und sagte: „Wenn ich sterbe, so habe ich keinen Sohn, der sich auf meinen Thron setzen könnte. Wenn es auch diesmal wieder ein Mädchen wird, so bring ich dich sofort um.“

Schließlich brachte die Sultanin nach ein paar Monaten wiederum ein Mädchen zur Welt. Sofort machten die Sultanin und die Hebamme aus Bienenwachs ein künstliches männliches Glied und klebten es an das weibliche Schamteil des erwähnten Kindes an. Darauf kam der Vater des Kindes herein, und als er es sah, da freute er sich und ward froh und fröhlich. Die Hebamme sagte zu ihm: „Mein Padischah, Ihre Augen sollen strahlen! Sie haben ein Kind männlichen Geschlechts bekommen.“ Damit zeigten sie ihm vorsichtig das männliche Glied des Kindes. Nunmehr blieb kein Zweifel mehr übrig.

Endlich ward das Kind groß. Als die Zeit zur Beschneidung (S. 44) gekommen war, zog sich die Sultanin eines Tages in ein Zimmer zurück und fing zu wehklagen an. Das erwähnte Mädchen kam an die Seite ihrer Mutter, und als sie sie wehklagen sah, sagte sie zu ihr: „Mutter, was ist dir geschehen, daß du so wehklagst und schreist?“ Als die Mutter sagte: „Ach, meine Tochter! Wenn ich nicht weine, wer sollte da sonst noch weinen? Denn während du noch ein Kind warst, haben wir dich deinem Vater als Knaben ausgegeben. Indessen bist du ein Mädchen. Dein Vater hält dich jetzt noch für einen Knaben. Jetzt ist die Zeit zu deiner Beschneidung gekommen. Sobald er erkennt, daß du ein Mädchen bist, wird er mich sofort umbringen. Deshalb weine ich.“ Da sagte das Kind zu ihr: „Mutter, laß dich das nicht anfechten! Ich gehe zu meinem Vater und bitte ihn, daß er mich dieses Jahr noch nicht beschneiden läßt.“

Als es schließlich Morgen wurde, stand unser Mädchen auf und kam geradenwegs vor seinen Vater. Es küßte ihm die Hand und begann zu weinen. Als der Padischah zu ihm sagte: „Mein Sohn, warum wehklagst du so?“ da sagte das Mädchen: „Vater, Sie wollen mich beschneiden lassen. Deshalb wehklage ich. Denn ich bin noch klein.“ Da sprach der Vater: „Mein Sohn, weine nur nicht! Dieses Jahr soll es noch so bleiben. Im nächsten Jahr wirst du dann beschnitten werden.“ Da küßte sie wiederum ihrem Vater die Hand und kam freudig zu ihrer Mutter. Und als sie zur Mutter sagte: „Ich habe meines Vaters Herz überredet. Erst im nächsten Jahr werde ich beschnitten werden!“, da nahm die Mutter das Kind voller Freude auf ihr Knie und küßte es auf seine Augen. Wie endlich das Jahr um war (S. 45), zog sich die Mutter wiederum in ein Zimmer zurück und begann zu weinen. Das erwähnte Mädchen trat hinein, und als es sah, daß seine Mutter wehklagte, sagte es zu ihr: „Mutter, warum wehklagst du so?“ Da sagte die Mutter zu ihr: „Ach, meine Tochter! Auch dieses Jahr ist zu Ende gegangen. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

Das Mädchen ging wie früher geradeswegs wieder zu ihrem Vater und ersann auf irgend eine Art und Weise eine List. Auch in diesem Jahre wollte der Vater nicht die frohe Laune des Kindes verderben und setzte die Beschneidung auch in jenem Jahre noch aus.

Freudig kam hierauf das Mädchen zu seiner Mutter und sagte zu ihr: „Mutter, auch in diesem Jahre habe ich meinen Vater überredet. Weine nicht mehr!“

Schließlich war inzwischen eine geraume Zeit verflossen. Da ging auch das zweite Jahr zu Ende. Wiederum ging die Sultanin in ein Zimmer hinein und begann laut schluchzend zu wehklagen. Das erwähnte Mädchen kam eben von der Schule. Als sie sah, daß ihre Mutter so wehklagte, konnte sie es nicht aushalten und begann mit ihrer Mutter zusammen zu weinen. Die Mutter sagte zu ihr: „Meine Tochter! Wie dem auch sein mag, auf irgendeine Weise hast du deinen Vater zwei Jahre lang an der Beschneidung gehindert, und auch dieses Jahr ist zu Ende gegangen. Unterdessen bist auch du schon groß geworden. Jetzt gibt es kein Mittel mehr dagegen. Morgen wird dein Vater mich töten. Heute ist der letzte Tag meines Lebens.“ Da sagte das Mädchen zu ihr: „Meine teure Mutter! Wenn mich morgen mein Vater zur Beschneidung ruft, so gehe ich hin und hole mir die Erlaubnis, eine halbe Stunde spazieren zu gehen (S. 46). Dann geh ich in den Stall und besteige ein schnellfüßiges Pferd und fliehe von hier. Weine nur ja nicht um mich! Dann gehe ich in andere Länder und halte mich dort auf. Meine Seele soll für dich zum Opfer dienen!“ Damit faßten sie diesen Beschluß.

Als es schließlich Tag wurde, wurden auf einem mächtigen Platz Zelte aufgeschlagen und der Beschneidungsplatz ausersehen. In der Meinung, daß der Prinz beschnitten werden würde, versammelten sich an jenem Tage so viele Menschen, daß es nicht zu zählen war. Der Vater rief den Prinzen zu sich und sagte zu ihm: „Mein Sohn, du bist nun schon 13 oder 14 Jahre alt geworden. Du wirst nun nicht mehr nein sagen und sollst sofort heute noch beschnitten werden!“ Da sagte das erwähnte Mädchen: „Vater, gib mir noch eine halbe Stunde Urlaub. Ich will zu Pferde den Platz umreiten. Darnach soll man mich beschneiden. Ich bin damit einverstanden.“ Ihr Vater sagte: „Sehr schön, mein Sohn!“ und gab dem Prinzen noch eine halbe Stunde Urlaub.

Dieser ging geradenwegs in den Stall. Er sah da einen rabenschwarzen, fleckenlosen Hengst stehen. Als er nun zu dem erwähnten Tiere kam und zu wehklagen anfing, da ward das Pferd der Sprache mächtig und sagte zu ihm: „Meine Sultanin! Warum wehklagst du so?“ Da wurde das Mädchen betroffen und sagte zu dem Pferde: „Ach mein liebes Pferdchen! Wenn ich nicht wehklagte, wer sollte es denn dann tun? Denn mein Vater hält mich seit dem Tage, an dem ich geboren wurde, für einen Knaben. Jetzt will er mich beschneiden lassen. Wenn er dann merkt, daß ich ein Mädchen bin, so wird er sofort (S. 47) meine Mutter töten. Ich habe von meinem Vater eine halbe Stunde Urlaub genommen. Ich bin hiehergekommen, damit ich ein Pferd besteige und darauf fliehe.“

Als sie sich mit diesen Worten entdeckt hatte, sagte das Pferd zu ihr: „Meine Sultanin! Wundere dich nicht darüber! Es geschieht alles mit der großmütigen Erlaubnis Gottes. Ich werde dich auf mich nehmen, und wir werden in andere Länder fliehen. Aber meine Warnung an dich ist folgende: Sobald du mich bestiegen hast, so leg dich mit aller Kraft, die du hast, in meine Zügel und halt dich gleichzeitig an meinem Halfter fest und sieh dich vor. Denn ich sprenge wie der brausende Sturmwind dahin. Selbst wenn man hinter mir her mit Gewehren dreinschösse, würde man mich nicht erreichen. Dementsprechend magst du auch handeln!“

Kurz, das Mädchen bestieg das Pferd und ritt auf den offenen Platz und umritt ihn von einem Ende bis zum anderen. Die dort aufgestellten Soldaten betrachteten den Prinzen. Als die halbe Stunde zu Ende war, da sprengte das Pferd mitten aus den Soldaten heraus mit einer unerwarteten Schnelligkeit los und ging wie der wehende Wind auf und davon. Als die erwähnten dort aufgestellten Soldaten dies sahen, begaben sie sich geradenwegs zu dem Vater des Prinzen und benachrichtigten ihn. Sofort machten sich Leute hinter ihr her zur Verfolgung auf, konnten aber auf dem Wege auch nicht eine Spur mehr von ihr finden. Sie kehrten wieder um und benachrichtigten wiederum den Padischah. Der Padischah und das gesamte Volk trauerten um den Prinzen. Sämtliche dort postierten Soldaten verteilten sich wieder an ihre Plätze.

Wir wollen zum Prinzen kommen. Das erwähnte Pferd trug ihn, als es ihn auf sich genommen hatte, in einem Tage in eine sechs Monate entfernte Stadt und machte dann Halt (S. 48). Es sagte zu dem Mädchen: „Meine Sultanin! Ich habe dich soweit gerettet. Nunmehr geh, wohin du willst und schütze dich selbst!“ Das Mädchen stieg vom Pferde ab und begann zu wehklagen. Als sie zu ihm sagte: „Mein liebes Leibpferd! Zuerst habe ich Gott, dann dir zu danken. Ich will jetzt von hier fortgehen. Aber wenn mir ein Unglück zustößt, wie soll ich mir da helfen?“ Da sagte das Pferd zu ihr: „Meine Sultanin! Ich will dir drei Haare von mir geben. Bewahre sie bei dir auf. Wenn dir etwas zustoßen sollte, so zieh die erwähnten Haare hervor und reibe sie aneinander. Dann werde ich sofort zur Hilfe herbeikommen.“

Die Sultanin sagte: „Das lasse ich mir gefallen!“, nahm von dem Pferde drei Haare und steckte sie an ihren Busen. Dann trennte sich das Mädchen von dem Pferde und machte sich auf den Weiterweg. Das Pferd jedoch verschwand in geheimnisvoller Weise.

Das Mädchen aber gelangte, indem es immerfort weiterging, zu einer Stadt. Da sah sie mit einem Male vor sich ein gewaltiges Schloß und unmittelbar daneben auch eine schöne Küche auftauchen. Es ging gegen Abend. Sofort verkleidete sie sich und betrat dann die Küche des erwähnten Palastes. Da sah sie auf einmal, daß die Köche in aller Eile Speisen kochten. Sie ging direkt zu ihnen hin und sagte zu ihnen: „Meister, wollt ihr mich bei euch als Gehilfen annehmen?“ Da sagten sie zu ihr in vorwurfsvollem Tone: „Siehst du’s denn nicht? Unser Kopf ist ganz wirr. Was sollten wir da mit dir anfangen?“ Schließlich flehte sie sie an und überredete sie auf irgendeine Weise, und sie erklärten sich damit einverstanden. Unser Mädchen diente also, bald hier, bald dort (S. 49). Endlich sagte sie zu einem von ihnen: „Meister, warum kochst du das Essen in solcher Aufregung?“ Dieser sagte: „Ach, mein Sohn, in diese Stadt kommt alle sechs Jahre ein Dew. Er ißt die Leber des Padischah und geht dann wieder fort. Morgen Nacht ist wieder die Zeit seines Kommens. Deshalb sind wir heute alle aufgeregt.“

Als das Mädchen dies hörte, da biß sie sich ihren Finger vor Erstaunen und war ganz betroffen. Kurz und gut, das Mädchen schlief in jener Nacht nicht. Mit den Köchen zusammen kochte sie das Essen bis zum Morgen. Als es Morgen ward, ging dann das Mädchen in den Palast und stieg geradenwegs ins obere Stockwerk hinauf. Sie kommt in ein Zimmer und sieht da eine vom Kopf bis zu den Füßen in schwarze Kleider gehüllte Sultanin sitzen. Dann ging sie in das nächste Zimmer und sah dort ebenso eine Sultanin in Schwarz. Und auch die Möbelstücke des Zimmers waren schwarz. Sodann ging sie in das folgende Zimmer. Da sieht sie in der Mitte des Zimmers in einem Bett eine vom Kopf bis zu den Füßen in rote Kleider gehüllte Sultanin. Darnach kam sie in das Zimmer, in dem sich der Padischah befand, und sah, daß man den Padischah an wohlriechenden Essenzen riechen läßt. Er lag besinnungslos in der Ecke.

Es ging gegen Abend. Die Ankunft des Dew war nun nahe herangekommen. Sofort zog unser Mädchen aus ihrem Busen die Haare heraus, die ihr das Pferd gegeben hatte. Wie sie sie aneinanderrieb, da erschien sofort das erwähnte Pferd. Es sprach zu ihr: „Was willst du, meine Sultanin?“ Das Mädchen sagte: „Ich will von dir ein Schwert haben, das einen gewaltigen Dew, wenn ich auf ihn losschlage, im gleichen Augenblick mitten (S. 50) entzweischneiden soll.“ Das Pferd sagte zu ihr: „Meine Sultanin, hier hast du ein Schwert! Auf eine Stelle, auf die du schon einmal hingeschlagen hast, schlag nicht zum zweitenmal!“ und verschwand darauf.

Das Mädchen nahm das Schwert und kam geradeswegs in das Zimmer, in dem sich der Padischah befand, ging vorsichtig hinein und versteckte sich an einem geeigneten Orte. Genau um Mitternacht entstand vom Himmel her ein Donnergetöse, und der Himmel wurde ganz pechschwarz. Nach einiger Zeit vernahm man schweres Getrampel und ein gewaltiger Dew stürzte zum Zimmer herein. Kaum geschah das, so sagte das Mädchen zu sich: „Gott hilf!“ und führte mit dem in ihrer Hand befindlichen Schwerte einen solchen Schlag auf das Haupt des Dew, daß sie ihm das Haupt vom Rumpfe trennte.

Jetzt kam eine Stimme vom Dewe her: „O Held, ich möchte wissen, ob du ein rechter Mann bist. Schlag noch einmal zu!“ Da schwieg das Mädchen — es kam ihr der Ratschlag, den ihr das Pferd gegeben hatte, in den Sinn. Sie schlug also nicht noch einmal zu. Da verließ den erwähnten Dew die Seele und fuhr zur Hölle. Das Mädchen aber ging zu dem Dew hin und schnitt ihm ein Ohr ab und steckte es in ihre Tasche. Dann ging sie von dort heraus und kam wieder geradeswegs zu den Köchen. Auf die frühere Weise diente sie, bald hier, bald dort.

Als es endlich Morgen ward, kam der Padischah aus seiner Ohnmacht zu sich und rief: „Wehe, ich bin noch nicht gestorben!“ Auf einmal sah er nach der Mitte des Zimmers und sah dort ein Ungeheuer, einen schwarzen Dew, liegen. Bei seinem Anblick zerspaltete sich sein Verstand. Er sann bei sich selbst nach: „Wer hat denn diesen Dew getötet?“ Er sagte Gott Lob und Dank. Als er dann herauskam und die Leute vom Palast ihn erblickten, da blieben alle (S. 51) voller Erstaunen. Mit den Worten: „Gottes Wunder! Unser Chalife ist am Leben!“ lobpriesen und dankten alle Gott.

Als der Padischah zu sprechen anhub und fragte: „Wer hat heute Nacht diesen Dew getötet?“ da traten sie, einer nach dem andern, vorwärts und sagten: „Mein Padischah! Wir haben ihn getötet.“ Da gab ihnen der Padischah reichliche Geschenke. Bis zu den Köchen herab erhielten sie sämtlich Zuwendungen. Nur unser Mädchen ging nicht hin. Die Köche sagten: „Gehilfe, wir haben vom Padischah eine Auszeichnung erhalten. Zu was säumst du? Geh auch hin und nimm dir die Auszeichnung in Empfang!“ Das Mädchen aber sagte: „Wenn ich vor den Padischah träte, so würde er mich sofort wegjagen.“ Die Köche sagten: „Nein, zu was sollte er dich denn wegjagen? Er wird dir ein Trinkgeld geben.“ So zwangen sie das Mädchen dazu. Sie stand auf und kam geradenwegs zum Padischah und sagte zu ihm: „Mein Padischah! Diesen dir feindlichen Dew habe ich getötet!“ Da wies der Padischah sie zurück und sagte: „Was ist denn deine Macht, daß du ihn hättest töten können?“ Da sagte das Mädchen: „Mein Padischah, wenn du es nicht glaubst, so will ich dir das Ohr des Dew zeigen.“ Damit zog sie das Ohr des Dew aus ihrer Tasche und gab es dem Padischah. Und sie sagte: „Wenn Sie mir nicht glauben, so gehen Sie und schauen Sie den Kopf des Dew an!“

Darnach gehen sie zu dem Dew hin und sehen, daß in der Tat ein Ohr fehlt. Da sagte der Padischah zu ihr: „Mein Sohn! Erbitte dir von mir, was du nur willst!“ Das Mädchen sagte: „Mein Padischah! Ich erbitte nur deine Gesundheit!“ Als der Padischah noch einmal fragte, sagte sie noch einmal so. Als er zum drittenmal fragte, da sagte sie: „In jenem Zimmer (S. 52) befindet sich ein Mädchen in einem roten Kleid. Dieses will ich haben.“ Der Padischah entgegnete: „Mein Sohn! Ich wollte schon so viele schöne Jünglinge ihr zum Gatten geben. Aber sie gefielen ihr nicht und sie nahm sie nicht. Was wirst du mit dieser Dirne anfangen? In dem anderen Zimmer befinden sich, mit schwarzen Kleidern angetan, meine Lieblingstöchter. Diese will ich dir geben! Doch das Mädchen sagte: „Mein Padischah, mein Herz hat sich in diese verliebt. Wenn du mir eine geben willst, so gib mir diese. Eine andere als sie will ich nicht.“

Daraufhin gab der Padischah sofort Befehl und ließ das rotgekleidete Mädchen rufen. Sie kam vor den Padischah und stand mit demütig gekreuzten Armen vor ihm. Er sagte: „Meine Tochter! Dieser Jüngling will dich heiraten. Wirst du ihn annehmen?“ Seine Tochter sprach: „Mein Padischah, gib mir die Erlaubnis dazu: Ich will mich noch heute nacht niederlegen, um das Traumorakel zu befragen, und will dann morgen Antwort geben.“ Schließlich gab der Padischah dem Mädchen hierzu die Erlaubnis, und das Mädchen begab sich wieder in ihr Zimmer zurück.

Als es Nacht wurde, kam das Mädchen, das den Dew getötet hatte, an die Tür des Zimmers des rotgekleideten Mädchens und beobachtete sie durch das Schlüsselloch. Sie sah, daß das Mädchen in die Mitte des Zimmers ein goldenes Wasserbecken setzte. Darinnen war ein gewisses Quantum köstlichen Wassers. Alsbald kam eine Taube zum Fenster herein, stieg in das erwähnte Becken hinein und badete sich. Als sie sich nun schüttelte, wurde sie zu einem Jüngling, der wie ein Abbild des Mondes war. Dieser legte sich dann ins Bett und umschlang das Mädchen, und sie begannen zu kosen. Das Mädchen sagte: „Ach, du mein Augenlicht! Efendim, heute läßt mein Vater mich rufen und sagt: Ich werde dich einem armen Menschen zur Frau geben. Ich sagte: Ich möchte in der heutigen Nacht noch das Traumorakel befragen, (S. 53) und erhielt dazu die Erlaubnis, nur um es mit Ihnen zu beraten.“ Der Jüngling sagte zu ihr: „Meine Sultanin! An dem und dem Orte gibt es einen Spiegel bei den Dews. Niemand kann es wagen, ihn zu holen. Mach morgen diesen Spiegel jenem Jüngling zur Bedingung. Sag: Wenn du mir ihn bringst, so will ich deine Frau werden.“

Das Mädchen hörte von draußen dies alles mit an. Sie faßten also schließlich diesen Beschluß.

Als es Morgen wurde, verwandelte sich der erwähnte Jüngling wie zuvor in einen Vogel und flog von dort fort und verschwand. Das Mädchen ihrerseits ging aus dem Zimmer heraus und kam schnurstracks zum Padischah. Sie sagte zu ihm: „Mein Padischah, an dem und dem Orte befindet sich ein Spiegel bei den Dews. Wenn dieser Jüngling ihn bringt, will ich seine Frau werden.“ Sodann rief der Padischah unsern Jüngling und sagte zu ihm: „Mein Sohn, habe ich es dir nicht voraus gesagt? Dieses Mädchen treibt ihr Spiel mit uns! Sieh, es gibt da jetzt einen Spiegel. Den verlangt sie.“ Da sagte er: „Mein Padischah! Wenn es Ihr Befehl sein wird, so will ich gehen und ihn holen.“ Der Padischah sagte: „Sehr wohl! Bring ihn, mein Sohn!“

Kurz und gut: Unser Mädchen ging zum Seraj heraus. Alsbald zog sie aus ihrem Busen die Haare heraus, die ihr das Pferd gegeben hatte, und als sie sie aneinander rieb, erschien das erwähnte Pferd. Es sagte: „Was willst du, meine Sultanin?“ Da sprach das Mädchen zu ihm: „Ach, mein Leibpferd! An dem und dem Orte gibt es bei den Dews einen Spiegel. Den will ich haben.“ Das Pferd sagte: „Sehr schön, meine Sultanin! Steig auf meinen Rücken!“ Das Mädchen bestieg das erwähnte Pferd, und dieses machte sich auf den Weg wie der brausende Sturmwind.

Nach einiger Zeit kam es an einen gewaltigen (S. 54) Berg und stand still. Und es sagte zu dem Mädchen: „Meine Sultanin! Ich habe dich bis hierher gebracht. Geh du jetzt auf den vor dir liegenden Berg. Dort sind die Plätze der Dews. Du wirst sie beobachten. Wenn ihre Augen geschlossen sind, schlafen sie nicht. Wenn sie aber offen sind, so sind sie eingeschlafen. Geh dann sofort vorsichtig hinein. Über ihren Häuptern ist immer der Spiegel aufgehängt. Nimm sofort den Spiegel, kehr um und komm, ohne umzublicken, zu mir!“ Das Mädchen sagte: „Sehr gut!“, ging dann auf den erwähnten Berg hinauf und kam geradeswegs an den Ort, an dem sich die Dews befanden. Da sieht sie mit eins, daß die Augen der Dews offen sind. Daraus erkannte sie, daß sie eingeschlafen waren. Sie trat sofort ein und nahm den zu ihren Häuptern aufgehängten Spiegel an sich und kehrte dann zurück. Während sie, ohne sich umzuschauen, schnell zu dem erwähnten Pferde zurückkam, da wachten schon die Dews auf und schrien hinter dem Mädchen drein: „Jüngling, bring unseren Spiegel!“ Damit warfen sie hinter dem Mädchen Steine, so groß wie Bergtrümmer, drein.

Das Mädchen ließ sich dadurch aber nicht irremachen und kam schnell zu dem erwähnten Pferd. Alsbald saß sie auf, und das Pferd sprengte mit flüchtigen Füßen und eilender Croupe wie der brausende Sturmwind des Weges dahin. Die Dews blieben hinter ihm voller Staunen zurück.

Endlich kamen beide nach geraumer Zeit wieder vor dem erwähnten Palast an. Das Mädchen stieg von dem Pferde ab. Da sah es auch schon, daß das Pferd auf geheimnisvolle Weise verschwunden war. Dann (S. 55) ging das Mädchen in den Palast hinein und begab sich geradeswegs zu dem Padischah. Sie sagte zu ihm: „Mein Padischah, hier habe ich den von Ihnen verlangten Spiegel gebracht.“ Der Padischah ließ sofort das rotgekleidete Mädchen rufen. Er sagte: „Sieh, dieser Jüngling hat den von dir verlangten Spiegel gebracht.“ Da nahm das Mädchen den Spiegel und sagte: „Vater, gib mir auch noch heute nacht Urlaub. Morgen werde ich euch Antwort geben.“ Der Padischah sagte: „Sehr schön!“ und das Mädchen zog sich wieder in sein Zimmer zurück.

Unser Jüngling ging zum Zimmer hinaus und versteckte sich an einem geeigneten Orte. Als es endlich Nacht wurde, kam er an die Türe des Zimmers, in dem das Mädchen sich befand, und beobachtete sie wiederum durch das Schlüsselloch. Das erwähnte Mädchen stellte auf die frühere Art und Weise ein goldenes Becken mitten ins Zimmer. Sofort kam die erwähnte Taube zum Fenster herein und stieg in das goldene Becken hinein. Sie schüttelte sich und ward zu einem löwengleichen Jüngling. Und im Nu begab er sich in das Bett dieses Mädchens, und nachdem sie sich aufs innigste umschlungen hatten, sagte das Mädchen zu ihm: „O du meine Herzensfreude, o du mein Augenlicht! Efendim, jener elende Jüngling ist hingegangen und hat den von dir bezeichneten Spiegel weggeholt und gebracht. Ich habe für heute Nacht nochmals Urlaub genommen, in der Absicht, mich mit dir zu beraten. Man muß irgendeine Gegenmaßregel treffen.“ Der Jüngling aber sagte zu ihr: „Meine Sultanin, sei nicht traurig hierüber. An dem und dem Orte gibt es bei den Dews einen Säbelstein. Den zu holen ist niemand imstande. Verlange ihn morgen von diesem Jüngling (S. 56)! Er kann ihn nicht bringen. Wir bleiben dann wiederum einzig uns selber überlassen.“

Unser Mädchen hörte alles durch die Türe mit an. Als es schließlich Morgen ward, verwandelte sich dieser Jüngling wieder wie früher in einen Vogel und flog zum Fenster hinaus und fort. Sofort ging das Mädchen zum Zimmer hinaus und kam geradeswegs zum Padischah. Sie sagte: „Vater, an dem und dem Orte gibt es bei den Dews einen Säbelstein. Wenn dieser Jüngling ihn mir bringt, will ich seine Frau werden.“

Alsbald ließ der Padischah den Jüngling vor sich entbieten und sagte zu ihm: „Mein Sohn, an dem und dem Orte gibt es bei den Dews einen Säbelstein. Diesen fordert jetzt das Mädchen. Wenn du doch auch diesen bringen könntest!“

Da ging unser Jüngling, nachdem er erklärt hatte: „Der Befehl steht meinem Herrn zu!“, zum Palaste hinaus. Er rieb sofort die drei Haare aneinander. Da erschien alsbald das erwähnte Pferd. Als es zu dem Mädchen sagte: „Meine Sultanin, was willst du?“, da erklärte ihm das Mädchen: „An dem und dem Orte gibt es bei den Dews einen Säbelstein. Den will ich holen.“ Da sagte das Pferd: „Sehr schön!“ Das Mädchen saß sofort auf, und das Pferd wurde zu einem wahren Feuer und sprengte seines Weges, wie ein Drache den Staub zu Nebel schlagend.

Nach geraumer Zeit gelangte es zu einem gewaltigen Berg und machte dort Halt. Nachdem das Mädchen abgestiegen war, sagte das Pferd zu ihm: „Meine Sultanin, geh du auf diesem Wege nur geradeaus! Weiterhin befindet sich eine Höhle der Dews. Dort geh hinein (S. 57). In der Nische ist ein Säbelstein. Den nimm von dort und komm dann, ohne dich aufzuhalten. Sonst ist heute dein letzter Tag, der Tag, an dem du dahingehst. Und alles, was sie nur hinter dir drein fluchen, das wird sich an dir erfüllen.“

Das Mädchen ging also auf dem von dem Pferde beschriebenen Wege weiter. Nach einiger Zeit kam sie in die Höhle, wo die Dews wohnten. Sie ging unverzüglich hinein und nahm den in der Höhle befindlichen Säbelstein an sich und kehrte um. Und während sie eben dabei war, zu dem Pferde zu kommen, erwachten auf einmal die Dews aus dem Schlafe und rannten hinter dem Mädchen drein. Als sie das Mädchen aber nicht einholen konnten, riefen sie hinter ihr drein: „Bei Gott, Jüngling! Wenn du ein Mann bist, so werde ein Mädchen! Und wenn du ein Mädchen bist, so sollst du ein Mann werden!“

Endlich kam das besagte Mädchen schnell bei dem Pferde an. Es sagte: „Schau, ich habe den Stein genommen!“ Da sprach das Pferd zu ihm: „Meine Sultanin! Haben sie hinter dir drein geflucht? Wenn sie es etwa getan haben, so steht es schlecht. Denn du kannst nicht mehr davon freigemacht werden!“ Da sagte das Mädchen: „Sie riefen hinter mir drein: ‚Bei Gott, Jüngling! Wenn du ein Mann bist, so werde ein Mädchen! Und wenn du ein Mädchen bist, so sollst du ein Mann werden!‘ “ Da untersuchte sich das Mädchen plötzlich selber und sah — was sollte sie da sehen: Sie war zum Mann geworden.

Als das Pferd merkte, wie es mit dem Mädchen gegangen war, da wurde es äußerst zufrieden und vergnügt. Und das Mädchen sagte zu sich selbst: „Das war der sehnlichste Wunsch, den ich gehabt habe. Dank sei dem Herrn! Ich habe meinen Wunsch erreicht.“ Das Pferd sagte nun zu ihm: „Prinz, von jetzt an werde ich tun, was immer du willst, und werde dich nicht durch Absage kränken (S. 58). Denn du bist nun zum Manne geworden.“

Das Mädchen bestieg sodann das erwähnte Pferd. Wie der brausende Wind machte das Pferd sich auf den Weg und kam nach einiger Zeit vor dem Palaste an. Es machte Halt. Der Prinz stieg ab, und das Pferd verschwand sodann auf geheimnisvolle Weise.

Der Prinz ging alsbald in den Palast hinein und kam geradeswegs vor den Padischah und sagte zu ihm: „Mein Padischah, ich habe den Säbelstein gebracht, den Sie gewünscht haben.“ Da ließ der Padischah sofort das Mädchen rufen und sagte zu ihr: „Meine Tochter, sieh, da hat der Jüngling auch den Säbelstein gebracht, den du von ihm verlangt hast. Was wirst du jetzt noch für eine Falle aufstellen?“ Da sagte das Mädchen zu ihm: „Vater, um Gotteswillen, gib mir auch diese Nacht noch Urlaub! Morgen werde ich ganz gewiß wahrhaftige Antwort geben!“ Der Padischah sagte: „Sehr wohl, meine Tochter! Auch der morgige Tag wird kommen.“ Dann suchte das Mädchen wieder sein Zimmer auf.

Der Prinz ging aus dem Zimmer hinaus und verbarg sich wiederum an einem Orte. Als es Nacht wurde, kam er an die Türe des Zimmers, in dem das erwähnte Mädchen wohnte, und beobachtete in der früheren Art und Weise alles durch das Schlüsselloch der Türe. Sowie das Mädchen das goldene Becken in die Mitte des Zimmers gestellt hatte, erschien alsbald wieder die erwähnte Taube durch das Fenster. Sie stieg sofort in das Becken hinein und badete sich, sie schüttelte sich und wurde dadurch zu einem Jüngling, schöner als der Mond, der sofort das Mädchen umschlang. Sie umarmten sich gegenseitig auf das innigste. Nachher sagte das Mädchen zu ihm: „Ach, mein Herzlieb! Efendim, jener elende Jüngling hat auch den von Ihnen angegebenen Säbelstein gebracht. Wie wird es mit unserer Lage werden?“ Da sagte der Jüngling zu ihr: „Meine Sultanin! Laß dich das doch nicht anfechten! Sollte ich der Sohn eines Peri-Padischah sein und dagegen kein Mittel ausfindig machen können? Mitten in unserem Privatgarten gibt es einen weinenden Granatapfel- und einen lachenden Quittenbaum. Sobald jemand zu dem erwähnten Baum hinzutritt und seine Hand ausstreckt, so fängt der Granatapfel zu weinen an. Und sobald die Quitte ihn weinen sieht, fängt sie zu lachen an. Niemand kann zu ihnen gelangen. Morgen werde ich alle Soldaten meines Vaters bewaffnen, und wir werden unter dem erwähnten Baum Tag und Nacht auf der Lauer stehen. Wenn jener Jüngling kommt, werden wir ihn dort erschlagen. Verlang morgen von jenem Jüngling diesen Baum. Er wird hingehen, um den Baum zu holen, damit wir ihn, sobald wir ihn dort erblicken, mit Kanonen und Flinten erschießen und umbringen.“ Als das Mädchen dies vernahm, ward sie zufrieden. Sie einigten sich also auf den erwähnten Baum. Der Jüngling wurde wie früher zu einem Vogel und flog zum Fenster hinaus und begab sich geradeswegs in seinen Palast. Dann bewaffnete er die Soldaten, kam mit ihnen unter den erwähnten Baum, und sie faßten dort Posto.

Wir wollen zu dem Mädchen kommen. Als es Morgen wurde, ging sie aus ihrem Zimmer heraus (S. 60) und kam schnurstracks zum Padischah. Sie sagte zu ihm: „Mein Padischah, an dem und dem Ort gibt es in dem Garten des Peri-Padischah einen weinenden Granatapfel und eine lachende Quitte. Wenn der Jüngling jenen Baum bringt, werde ich nicht mehr nein sagen, sondern bedingungslos die Frau dieses Jünglings werden.“ Da berief der Padischah unverzüglich den Jüngling vor sich und gab ihm eine entscheidende Antwort mit folgenden Worten: „Mein Jüngling, an dem und dem Orte gibt es in dem Palaste des Peri-Padischah einen weinenden Granatapfel und eine lachende Quitte. Wenn du zu allem anderen auch noch diesen Baum bringst, so werde ich dir dieses Mädchen mit eigener Hand zur Frau geben.“

Der Jüngling sagte zu ihm: „Mein Padischah! Ich habe jene anderen von Ihnen gewünschten Sachen samt und sonders gebracht. So Gott will, werde ich, Ihr Diener, auch diese Bäume bringen.“

Damit nahm er vom Padischah Urlaub und begab sich zum Palast hinaus. Sofort zog er aus seinem Busen die erwähnten Haare heraus. Als er sie aneinander rieb, erschien sofort das besagte Pferd. Es sprach zu ihm: „Was willst du, mein Prinz?“ Da sagte der Prinz: „Ach, mein Leibroß! An dem und dem Orte gibt es in dem Palaste des Peri-Padischah einen weinenden Granatapfel und eine lachende Quitte. Diese will ich haben.“ Das Pferd sprach: „Ach, mein Prinz, das ist ein wenig arg schwierig. Aber für dich soll mein Leben zum Opfer dienen. Wir wollen einmal gehen und schauen, wie es gehen wird!“

Sofort bestieg der Prinz das erwähnte Pferd. Das Pferd machte sich auf den Weg, wie ein Drache aus Maul und Nase nach beiden Seiten hin Feuer schnaubend. Nachdem sie so eine Zeitlang des Weges hingesprengt waren, gelangten sie zu einer Stadt (S. 61). Auf dem Wege befanden sich drei Knaben. Vor sich hatten sie ein Hammelfell und eine Mütze und eine Peitsche und einen Pfeil liegen. Die vier Gegenstände waren den Kindern von ihrer Familie als Erbschaft geblieben. Die drei Brüder konnten diese Sachen in keiner Weise teilen und stritten deshalb miteinander. Als das Pferd die Sachen erblickte, sagte es zu dem Jüngling: „Mein Prinz, diese Dinge sind für dich sehr notwendig. Komm! Überrede diese Kinder und nimm ihnen die Sachen aus der Hand!“

Der Prinz sagte: „Sehr gut!“ und kam dann zu den erwähnten Kindern. Er sagte zu ihnen: „Meine Kinder! Warum streitet ihr so? Wartet! Ich will die Sachen unter euch verteilen!“ Er nahm den Pfeil vom Boden auf und sagte zu ihnen: „Ich werde diesen Pfeil abschießen. Wer von euch zuerst hinkommt und zuerst den Pfeil an sich nimmt, dem gehört die ganze Erbschaft hier!“ Die Knaben zeigten sich damit einverstanden. Der Prinz schoß mit aller Kraft, deren sein Arm fähig war, den Pfeil ab. Die Knaben rannten in vollen Sätzen hinterdrein und kamen an den Ort, wohin der erwähnte Pfeil geflogen war. Da nahm der Prinz das dort liegen gebliebene Hammelfell und die Mütze und die Peitsche und legte an ihrer Stelle je eine Handvoll Goldstücke hin. Dann kam er alsbald wieder zu dem erwähnten Pferd und saß auf. Und das Pferd machte sich unverzüglich wieder auf den Weg. Die Knaben kamen zurück und sahen, daß an Stelle der Sachen je eine Handvoll Goldstücke da war. Sie nahmen diese freudig an sich.

Der Prinz und das Pferd gelangten schließlich durch fortwährendes Galoppieren zu dem Palaste des Peri-Padischah. Das Pferd sagte zu ihm: „Mein Prinz! Setz die Mütze, die du genommen hast, auf (S. 62). Dann setz dich auf das Hammelfell und schlag mit der Peitsche auf das Hammelfell. Du wirst dich sodann in die Luft erheben und wirst dich schnurstracks auf den erwähnten Baum herablassen. Mit einem Peitschenschlag reiß dann sofort die erwähnten Bäume heraus und bring sie zu mir her!“

Der Prinz setzte die Mütze auf und ging unverzüglich in den Palast hinein. Er kam direkt in das Zimmer hinein, in dem sich der Sohn des Peri-Padischah befand, und sah, daß das rotgekleidete Mädchen und jener Jüngling dort saßen und miteinander kosten. Der Prinz ging sofort hin und setzte sich neben sie, ohne daß jemand den Prinzen sehen konnte. Nach einiger Zeit kamen die Speisen, und während das Mädchen und der Jüngling sich niedersetzen und aßen, setzte sich auch der Prinz an die andere Seite des Tisches und begann ebenfalls zu essen. Sie bemerkten nun, daß auch auf der anderen Seite der Platte die Speisen weniger wurden. Der Peri-Prinz sagte zu dem Mädchen: „Meine Sultanin, dies ist meine Anteilseite, und dies ist deine Anteilseite. Wessen Anteilseite ist aber dies hier?“ Da geriet auch das Mädchen in Verwunderung.

Als sie schließlich mit der Einnahme der Mahlzeit zu Ende gekommen waren, begaben sie sich auf das Ruhebett (Matratze) und nahmen vor dem Fenster Platz. Zuvor schon hatte das Mädchen dem Sohn des Peri-Padischah ein gesticktes Taschentuch zum Geschenk gemacht. Der Prinz nahm dieses Taschentuch von der Matratze weg und steckte es an seinen Busen. Sie bemerkten nun ihrerseits, daß sich das Taschentuch nicht mehr auf der Matratze befand. Sie fingen zwar im Zimmer darnach zu suchen an, doch konnten sie es nicht finden.

Der Prinz bestieg nun das erwähnte Hammelfell (S. 63), schlug einmal mit der Peitsche darauf und erhob sich in die Luft. Es war Abend geworden. Er schwebte sofort über dem weinenden Granatapfel und der lachenden Quitte, packte die erwähnten Bäume und bezwang sie mit aller Kraft, die er hatte. Die Bäume gingen mitsamt ihren Wurzeln aus dem Boden heraus. Da begann der eine Baum zu weinen, der andere zu lachen.

Er nahm dann die Bäume und stieg schnurstracks zum Himmel hinauf. Als die dort befindlichen Soldaten sahen, daß der Baum verschwand, begannen sie den Kampf mit dem Ruf: „Um Gotteswillen, drauf und dran! Steht doch nicht müßig! Schlagt zu!“ Die Soldaten kamen in die tollste Unordnung und erschlugen gegenseitig einander, indem sie riefen: „Der Feind ist da!“

Die Prinzessin und der Peri-Prinz schauten zum Fenster heraus. Als sie sahen, daß der Baum verschwand, sagten sie: „O weh!“ und merkten, wie es um die Sache stand. Der Sohn des Peri-Padischah sagte nun zu ihr: „Meine Sultanin! Der Jüngling hat sowohl das Geschenk, das du mir gegeben hattest, genommen, als auch den erwähnten Baum. Von nun an will ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben. Werde du nun irgendeinem zu eigen, wer immer es auch sein mag!“ Da ging das Mädchen wehklagend zum Palast hinaus und kam geradeswegs zu dem Palaste ihres Vaters und verweilte dortselbst.

Wir wollen zum Prinzen kommen: Er nahm den Baum und kam schnurstracks zu dem erwähnten Pferd. Dann saß er auf, und sie machten sich auf den Weg. Eines Tages langte er bei dem Palaste an. Er stieg von dem Pferde ab und kam geradeswegs zum Padischah. Er stellte den erwähnten Baum auf den Boden und sagte zu ihm: „Mein Padischah, hier habe ich ihn gebracht.“ Da sagte der Padischah: „Bravo, mein Sohn, das hast du wirklich wacker gemacht! Welchem besseren Schwiegersohn als dir könnte ich meine Tochter geben?“

Sie feierten sofort die Vermählung, und vierzig Tage und vierzig Nächte währte Fest und Festversammlung.

Darnach gelangte der Prinz mit dem Mädchen zusammen direkt zu dem Palaste seines Vaters. Er ging zu seinem Vater und seiner Mutter und küßte ihnen den Saum des Gewandes. Dann setzte er sich nieder und erzählte alles, was ihm zugestoßen war, eines nach dem andern. Seine Eltern blieben voll Staunen. Schließlich vermählten sie die angekommene Hanym mit dem Prinzen von neuem, und vierzig Tage und vierzig Nächte feierten sie Fest und Festversammlung. Auch sie wurden ihres Wunsches teilhaftig.

Die Geschichte von der Schönen, die ihren Wunsch erreichte.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit hatte eine alte Frau eine äußerst liebenswerte Tochter. An Schönheit war ihresgleichen in der ganzen Welt nicht mehr. Dieses Mädchen saß nun in einem Zimmer und stickte. Eines Tages kam gegen Abend ein Vogel zum Fenster herein und sprach mit deutlich verständlicher Sprache: „Meine Sultanin, du wirst vierzig Tage lang einen Toten bewachen und darnach deines Wunsches teilhaftig werden.“ Darnach flog er auf und davon.

Das Mädchen legte sich an jenem Abend nieder und schlief ein. Am folgenden Abend kommt der Vogel in gleicher Weise wieder und spricht wiederum so und fliegt weg. Das arme Mädchen eröffnet nun die Rede des Vogels wörtlich ihrer Mutter. Ihre Mutter sagte: „Ach, meine Tochter! Wann kommt immer jener Vogel?“ Da sagte das Mädchen: „Heute gegen Abend wird er wiederkommen.“ Als es endlich Abend wurde, versteckte sich die Mutter, indem sie in den Matratzenschrank hineinkroch. Der erwähnte Vogel kommt wiederum und sagt zu dem Mädchen: „Meine Sultanin, du wirst vierzig Tage lang einen Toten bewachen und darnach deines Wunsches teilhaftig werden.“ Dann geht er hinaus und fliegt weg.

Die Mutter hörte dies mit an und sagte: „Ach, meine liebe Tochter! Komm! Wir wollen mit dir zusammen uns aus der Hand dieses Vogels retten und uns flüchten!“ Das Mädchen sprach: „Wie es auch kommen mag, so soll es kommen! Mutter, wir wollen fliehen!“ Sie nahmen sodann die an Gewicht leichten, an Wert aber schweren Sachen zusammen und machten sich auf den Weg.

Nach Verlauf von ein paar Tagen gelangten sie zu einem Palast. Sie setzten sich außerhalb dieses Palastes auf der einen Seite nieder und ruhten aus. Als es Nacht wurde, legten sie sich nieder und schliefen ein. Da kam der erwähnte Vogel und packte vorsichtig das Mädchen und verbrachte es in ein Zimmer des Palastes. Darnach geht der Vogel weg.

Sowie das Mädchen hernach ihre Augen öffnete und herumblickte, sah sie sich selbst in dem Palaste. Und mitten in dem Zimmer lag in einem Bett ein Toter. Als das Mädchen dies sah, wäre ihr beinahe die Besinnung geschwunden. Sie sagte: „Wehe! Was dieser Vogel vorausgesagt hat, war also keine Lüge! Doch auch das kommt von Gott. Ich muß das, was mir auf die Stirne geschrieben ist, erdulden. Das Ende davon ist gut, so Gott will!“

Das Mädchen soll also hier verweilen, wir wollen zu ihrer Mutter kommen: Als es Morgen ward, wacht ihre Mutter vom Schlafe auf und sieht mit einemmal, daß das Mädchen nicht mehr da ist. Mit den Worten: „Wehe! Dadurch, daß ich meine Tochter zur Flucht vor dem Vogel veranlaßt habe, habe ich ihr mit eigener Hand den Untergang gebracht!“ klagte und jammerte sie. Sie kehrt geradeswegs nach ihrem Hause zurück und war in Verzweiflung und Trauer um das Mädchen.

Wir wollen nun zum Mädchen kommen: Tag und Nacht fand sie keinen Schlaf und wehklagte sie. Endlich kam der 39. Tag (S. 67). Das erwähnte Mädchen saß am Fenster und schaute tieftraurig aufs Meer hinaus. Von Iran her ward ein Schiff sichtbar. Wie es gerade am Palast vorüberfuhr, machte das Mädchen dem Kapitän mit der Hand ein Zeichen. Sie sagte: „Nimm diese 10000 Piaster und gib mir eine Sklavin aus dem Menschengeschlechte.“ Dann ließ sie einen Strick hinab, zog die erwähnte Sklavin herauf und nahm sie bei sich auf. Sie heftete ihr um den Hals eine Schnur mit aufgereihten Goldstücken. Das Mädchen freute sich über die Sklavin und sagte: „Gott sei Lob, daß ich eine Gefährtin gefunden habe.“

Gerade am 40. Tage sagte sie zu der Sklavin: „Bleib’ du hier sitzen! Ich werde mir die Zimmer ein bißchen besehen und dann wiederkommen.“ Das Mädchen ging dann hinaus, und ihre Sklavin blieb allein.

Während sie alle Ecken und Winkel des Palastes betrachtete, stand der dort liegende Tote mit einemmal auf, wobei er nieste. Und als er wieder lebendig geworden war und seine Augen öffnete und die Sklavin erblickte, sagte er: „Wehe, Mädchen, hast du bei mir gewacht?“ Da sagte das Mädchen: „Jawohl, ich habe gewacht.“ Nun war aber der Tote, der da lag, ein Prinz. Er hatte früher geschworen: „Das Mädchen, das bei mir vierzig Tage wacht, werde ich zu meiner Frau machen, sobald ich sie beim Aufstehen sehe.“ So hatte er gesagt und beschlossen.

Darnach erblickte er diese Sklavin und nahm sie zur Frau. Er fragte: „Ist außer dir noch sonst jemand da?“ Da sagte sie: „Jawohl, in diesem Zimmer ist noch eine Sklavin von mir. Ich habe sie um Geld gekauft. Und auch die Goldstücke, die sie um den Hals trägt, habe ich ihr gegeben.“ Sie rief hierauf der Hanym und sagte: „Mädchen, komm! Der Efendi verlangt nach dir.“ Da kam das Mädchen herein (S. 68) und sah, daß alles von Grund auf anders geworden war. Sie sagte zu sich: „Auch das kommt von Gott. Man muß sich mit Geduld dreinfügen.“ Das Mädchen steckte sich also selbst in die Kleidung einer Sklavin und leistete Dienste bald da, bald dort.

Eines Tages sagte der Prinz zur Hanym: „Ich werde eine Reise machen. Was soll ich Ihnen mitbringen?“ Da sagte die Hanym: „Ich will einen Edelstein und einen Türkis haben.“ Und als er die Sklavin fragte und sagte: „Was willst du haben?“, da sagte sie: „Ich möchte einen Geduldstein haben. Wenn du ihn vergissest, so soll bei der Heimfahrt das Vorderteil des Schiffes in pechschwarzen Nebel gehüllt sein, während am Hinterteil alles klar sein soll.“

Darnach brach der Prinz auf und ging nach Jemen. Nach Verlauf von einigen Monaten langte er dort an. Er besorgte dort seine Angelegenheiten und kaufte, was ihm die Hanym aufgetragen hatte. Den Auftrag der Sklavin aber vergaß er. So machte er sich auf die Heimfahrt. Da sieht er auf einmal, daß vor dem Schiffe ganz pechschwarze Finsternis herrscht, während es hinter dem Schiffe ganz heiter ist. Sein Schiff konnte nicht mehr weiterfahren. Der Kapitän schrie den Soldaten zu und sagte: „Wenn unter euch ein Mensch ist, der einen Fluch auf sich hat, so soll er aussteigen!“

Der Prinz vernahm dies. Da kam ihm der Auftrag der Sklavin in den Sinn. In der Tat war eingetreten, was sie vorausgesagt hatte. Das Schiff kehrte dann um, und der Prinz ging an Land. Er führte den Auftrag aus, d. h. er kaufte den Geduldstein, und kam wieder zu dem Schiffe zurück. Darauf war es vor dem Schiffe klar und heiter und hinter dem Schiffe düster. Durch die Gnade Gottes fuhr das Schiff rasch wie ein Vogel dahin. Nach Verlauf von ein paar Tagen traf er in der Stadt ein. Er stieg von dem Schiffe an Land (S. 69) und kam in seinen Palast.

Die Hanym und die Sklavin stiegen die Treppe hinab und bewillkommneten ihn und führten ihn hinauf. Er übergab der Hanym die von ihr verlangte Besorgung und gab auch der Sklavin den Geduldstein ab. Beide wurden dadurch zufriedengestellt.

Als es Abend wurde, ging das Mädchen in sein Zimmer und hielt sich dort auf. Der Prinz und die Hanym legten sich nieder. Und während sie am Einschlafen waren, kam dem Prinzen der Gedanke in den Sinn: „Was wird wohl die Sklavin mit dem Geduldstein machen?“ Dadurch ward er neugierig gemacht. Sowie seine Hanym eingeschlafen war, stand er alsbald von dem Bette auf und kam vorsichtig an die Tür des Zimmers, in dem die Sklavin wohnte, und beobachtete das Mädchen durch das Schlüsselloch.

Wir wollen zum Mädchen kommen: Das, was man „Geduldstein“ nannte, war ein Stein von der Größe einer Linse. Das Mädchen warf den Stein auf den Boden und sagte: „O Geduldstein! Ich war einstmals zu seiner Zeit das teure Kind meiner Mutter. Während ich eines Tages stickte, kam ein Vogel ans Fenster und sprach zu mir mit deutlicher Stimme: „Vierzig Tage wirst du bei einem Toten wachen und dann deines Wunsches teilhaftig werden!“ Dann kam ich in einem Traumzustand in diesen Palast und wachte 39 Tage bei diesem Jüngling. Wenn dies alles mit dir geschehen wäre, wie würdest du es dulden, o du Geduldstein?“ Da machte der Geduldstein „poh, poh“ und schwoll an.

Sie sprach weiter: „Von einem an jenem Tage auf dem Meere vorbeifahrenden Schiffe kaufte ich für Geld eine Sklavin, und am vierzigsten Tage ließ ich die Sklavin im Zimmer zurück und ging ein wenig heraus. Da stand dieser Jüngling auf, und als er dieses Mädchen sah, nahm er sie zur Frau und lebte mit ihr zusammen. Wenn es mit dir geschehen wäre, wie würdest du es aushalten?“ (S. 70) Da machte der Geduldstein „poh“ und schwoll noch weiter an. Als sie weiter sprach: „Ich bin zu ihrer Sklavin geworden, o Geduldstein! Wie würdest du es erdulden?“ Da machte der Geduldstein „poh“ und platzte. Da sagte sie: „O Geduldstein, selbst du hast es nicht aushalten können und bist geplatzt. Wie soll ich es da erdulden? Ich will mich zum wenigsten an der Decke erhängen.“

Sie stellte einen Stuhl unter sich, und während sie gerade dabei war, sich an der Decke zu erhängen und zu erwürgen, da brach der Prinz die Türe auf. Er kam herein und umfaßte sofort das Mädchen und ließ es auf die Erde nieder. Er sagte: „Wehe, meine Sultanin! Da du mich bewacht hast, warum hast du es mir so lange Zeit nicht gesagt?“

Sodann ging er in das Zimmer jenes Mädchens und verprügelte sie gehörig und ließ sie aufstehen. Er sagte zu dem Mädchen: „Willst du vierzig Maultiere oder willst du vierzig Hackmesser haben?“ Da sagte sie: „O! Vierzig Hackmesser sollen auf dem Haupte meines Feindes sein. Ich will vierzig Maultiere haben, damit ich in meine Heimat gehen kann.“ Da band er dieses Mädchen an die Schwänze von vierzig Maultieren und ließ sie los. Jedes Stück von ihr blieb auf einem anderen Berge liegen.

Dann nahm der Prinz die Hanym und vermählte sich mit ihr. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerten Festgelag und Festversammlung. Auch sie wurden ihres Wunsches teilhaftig. Und damit Schluß!

Die Geschichte von der Schönen, die ihren Wunsch nicht erreichte.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: Zu alter Zeit hatte ein armer Mann eine Frau. Sie waren äußerst arm. Sie hatten weder einen Platz, wo sie sich niederlassen konnten, noch einen Platz, wo sie sich erheben konnten. Als diese Frau von ihrem Gatten schwanger wurde, sagte sie zu ihrem Manne, wie ihre Zeit um war: „Mann, geh zu der Badefrau Aischa Molla, die sich da und da befindet, und sag ihr: „Meine Frau hat keinen Platz, wo sie gebären könnte. Wenn im Bad ein freier, leerer Platz vorhanden ist, so soll sie dort gebären!“

Daraufhin ging der Mann zu der Aischa Molla und berichtete ihr die Sachlage. Da sagte sie: „Es ist gut, mein Sohn! Sie soll morgen kommen und soll hier wohnen!“ Jener arme Mann kehrte dann nach Hause zurück und eröffnete alles seiner Frau.

Am folgenden Tage stand die Frau auf und kam ins Bad. Sofort machte Aischa Molla das Bad ganz leer und unzugänglich und sagte: „Geruhen Sie, meine Sultanin, nur einzutreten! Gebären Sie nur hier!“ (S. 72) Da ging die Frau hinein. Alsbald faßten sie die Wehen, und darnach kam ein wunderschönes Töchterchen zur Welt, so schön, daß man sich nicht enthalten konnte, ihr ins Gesicht zu schauen.

In jener Stunde spaltete sich die Wand des Bades entzwei, und drei Derwische traten heraus. Der eine von ihnen sagte: „Der Name des Mädchens soll sein: Die Schöne, die ihren Wunsch nicht erreicht. (Murâdyna ermejen dilber). Und der andere sagte: „So oft dieses Mädchen sich wäscht, sollen von seinem Haupte Goldstücke herniederträufeln. Und so oft es lacht, sollen auf ihrer Wange Rosen aufsprießen. Und so oft es weint, sollen aus seinen Augen Perlen sich ergießen. Und so oft sie lustwandelt, sollen auf der Erde Rasenflächen wachsen!“ Und der letzte sprach: „Sie soll dieses Amulett-Armband sich an ihren Arm binden. Sobald sie es wegnimmt, wird sie sterben. Und solange sie das Armband nicht von ihrem Arm abnimmt, wird ihr nichts geschehen. Ihr Leben wird viele Jahre währen!“ Damit ließ er das Amulett-Armband im Bade zurück. Und die drei Derwische gingen dann hinaus und fort.

Die Mutter des Mädchens band ihm das Amulett-Armband an den Arm und wusch das Kind alsbald kräftig ab. So oft sie ihm Wasser auf den Kopf goß, begannen ihm vom Kopfe Goldstücke herabzuträufeln. Dann gab die Frau der Badefrau eine Anzahl Goldstücke, nahm ihre Tochter und kam nach ihrem ruinösen Hause.

Nach Verlauf von ein paar Tagen ließ sie einen gewaltigen Konak errichten, der mit einer Aussichtswarte (Kiosk) geschmückt war und mit Goldstoff austapeziert und vergoldet war, so daß es mit der Zunge gar nicht zu beschreiben ist. Die Frau brachte das Mädchen in den Kiosk hinauf, und dort blieben sie wohnen. So oft das Mädchen weinte, flossen Perlen herab, und so oft es lachte, sproßten in seinem Gesicht Rosen auf, und so oft es wandelte, wuchs auf dem Boden Rasen empor. Schließlich wurden die Eltern durch das erwähnte (S. 73) Mädchen so reich, daß sie die Anzahl der Sklavinnen und Dienerinnen und den Betrag ihres Geldes gar nicht mehr wußten.

Doch die Zeit kommt, und die Zeit geht. Als das Mädchen 14 oder 15 Jahre alt geworden war, da hatte sie an Schönheit auf der Welt nicht ihresgleichen: sie hatte eine Gestalt, schlank wie ein Reis, Augen wie eine Gazelle, Augenbrauen wie ein Bogen. Ihre Lippen waren Zucker, ihr Duft Ambra, ihre Anmut war hinreißend. Sie besaß eine solche Schönheit, daß sie das Abbild der Zeit, der Liebling der ganzen Welt, die schönste Frau des Zeitalters wurde und allen, die ihre Schönheit betrachteten, die Augen geblendet wurden. Es war so, als ob mitten im Zimmer eine Sonne aufgegangen wäre und es von ihr bestrahlt würde. Und an allen Orten verbreitete sich die Kunde davon und rühmte man dieses Mädchen.

Diese alle sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu dem Sohn des Padischah von Jemen kommen: Eines Nachts sah er im Traume dieses Mädchen und trank aus ihrer Hand den Becher der Liebe. Als es Morgen wurde, stand er auf, ging schnurstracks zu seiner Mutter und hub zu reden an: „Meine teure Mutter! Unser Herr soll es gut ausgehen lassen! Heute Nacht habe ich in meinem Traume in einer Stadt ein Mädchen gesehen. Noch jetzt geht ihr Traumbild vor meinen Augen nicht weg. Ich will sie durchaus haben.“ Die Mutter sagte: „Ach, mein Sohn! Was wirst du mit ihr anfangen? An dem und dem Orte gibt es ein also beschaffenes Mädchen: So oft sie sich wäscht, fließen ihr Goldstücke von ihrem Haupte herab, und so oft sie lacht, sprießen Rosen auf ihrer Wange auf, und so oft sie weint, fließen Perlen herab, und so oft sie hin und her wandelt, wächst Rasen auf.“

Da sprach ihr Sohn: „Um Gotteswillen, Mutter! Ist das, was du da sagst, ein bloßes Traumbild? Dies ist etwas, was nicht sein kann.“ Und seine Mutter sagte: „Um Gotteswillen, mein Sohn, wenn du mir nicht glaubst, so magst du es von anderer Seite dir bestätigen lassen, ob es vielleicht eine Lüge ist.“ Der Sohn berief die Ausrufer. Als er sie befragte, verwunderten sie sich. Nun war jedoch unter ihnen (S. 74) einer, der das Mädchen gesehen hatte. Dieser trat vor und sagte: „Mein Prinz, ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Sie lebt tatsächlich.“

Da ging der Prinz, nachdem für ihn nun schon kein Zweifel mehr geblieben war, zu seiner Mutter und sagte: „Meine teure Mutter, besteig doch morgen schon ein Schiff und begib dich zu dem erwähnten Mädchen als Brautschauerin. Wenn sich bei dem Mädchen tatsächlich alles so verhält, so schließ sofort dort die Verlobung und nimm sie mit und bring sie her!“

Als es schließlich Morgen wurde, bestieg die Sultanin ein Schiff und machte sich auf die Reise. Nach Ablauf von einigen Monaten traf sie in der Stadt, in der das Mädchen sich befand, ein. Sie stieg vom Schiffe heraus und begab sich in die Stadt hinein. Als sie jemand darnach fragte, zeigte er ihr das Haus des erwähnten Mädchens. Die Sultanin kam hin und klopfte an die Türe. Und als die Türe aufgemacht wurde, trat sie ein. Sie ging die Treppe hinauf und kam zu dem Aussichtsraum, in dem sich jenes Mädchen befand.

Nachdem sich die Sultanin gesetzt hatte, begann sie eingehend, sich in eine freundschaftliche Unterhaltung mit der Mutter des Mädchens einzulassen. Ihr Hauptwunsch war der, die Eigenschaften des Mädchens zu erproben. Sie sagte zu ihr: „Meine Tochter! Es ist zwar für dich eine Mühe, aber wenn du mir doch ein Glas Wasser gäbest!“ Da stand das Mädchen auf, und wie sie das Wasser brachte, wuchs auf dem Boden, den ihr Fuß betrat, eine Spanne hoher Rasen. Als die Sultanin dies sah, blieb sie voll Staunen. Sie nahm den Becher, und während sie trank, preßte sie sachte die eine Seite des Mädchens. Diese war nahe daran, zu weinen: da fingen von ihrem Antlitz Perlen herniederzufließen an. Als darnach die Sultanin etwas Lächerliches erzählte, konnte es das Mädchen nicht über sich bringen und lachte (S. 75). Sofort sproßten auf ihrer Wange Rosen auf. Als schließlich die Sultanin auf irgendeine Weise dem Mädchen Wasser auf das Haupt goß, da begannen Goldstücke von dem Kopfe des Mädchens herabzufließen.

Als nun in dem Herzen der Sultanin gar kein Zweifel mehr geblieben war, da sagte sie zu der Mutter des Mädchens: „Wir haben den schönen Namen dieser Ihrer Tochter vernommen. Auf Befehl Gottes und nach der erhabenen Überlieferung des Propheten werde ich sie mit meinem Prinzen vermählen. Was geruhen Sie dazu zu sagen?“ Da hub die Frau ihrerseits an und sagte: „Meine Sultanin! Sollte ich solchen Leuten wie Ihnen meine Tochter versagen? Sie brauchen nur zu befehlen. Gott möge den Bund segnen!“

Hierauf verlobte die Sultanin das Mädchen mit ihrem Sohne und ermahnte sie und sagte: „Ich will nun gehen. Nehmen Sie dann Ihre Tochter und kommen Sie mit ihr! Denn was uns betrifft, so werden wir dortselbst mit den Vorbereitungen zum Hochzeitsfeste beschäftigt sein.“

Darnach brach die Sultanin auf und machte sich auf die Fahrt und traf schließlich eines Tages in Jemen ein. Sie kam in ihren Palast, rief den Prinzen und sagte zu ihm: „Mein Sohn, ich bin hingefahren und habe das Mädchen gesehen. Ich schloß sofort dort die Verlobung ab und bin nun gekommen.“ Als der Prinz dies vernahm, ward ihm vor Freude der Verstand wirr, und Hände und Füße begannen ihm zu zittern. Und darnach küßte er seiner Mutter die Hand und verweilte dortselbst. Die Sultanin begann nun hier die Vorbereitungen zum Hochzeitsfeste zu treffen. Und der Prinz erwartete mit der größten Sehnsucht und Ungeduld die Ankunft des Mädchens: Mit vier Augen blickte er immer auf den Weg, auf dem das Mädchen kommen mußte.

Diese sollen nun hier verweilen. Wir wollen zum Mädchen kommen: Ihre Mutter bereitete für sie schwere, kostbare (S. 76) Kleider und ein Bündel von prächtigen, goldgestickten Sachen. Als die Reisevorbereitungen beendigt waren, rief sie die Amme des Mädchens und sagte zu ihr: „Nimm meine Tochter und schau gut auf sie und bring sie nach Jemen! Nach ein paar Tagen werde ich auch kommen.“

Darnach bestieg die Amme, die Tochter der Frau und ihre eigene Tochter mitnehmend, und ebenso ein Quantum Lebensmittel mit sich führend, ein Schiff und machte sich mit ihnen auf die Fahrt. Als an jenem Tage der Abend herankam, hungerte es die Braut. Sie sagte: „Mutter, wenn du mir doch ein wenig Brot gäbest.“ In Verfolgung der List, die sie plante, schnitt die Amme gesalzenes Dörrfleisch ab und gab es dem Mädchen. Das arme Mädchen aß das Dörrfleisch. Und da sie nach einer halben Stunde die innere Hitze quälte, sagte sie: „Um Gotteswillen, wenn du mir doch ein wenig Wasser gäbest!“ Da sagte die Amme zu ihr: „Meine Tochter, wenn du mir eines deiner Augen herausreißest, so gebe ich dir Wasser. Sonst gebe ich dir keines.“

Da riß das arme Mädchen wehklagend das eine ihrer Augen heraus und gab es der Amme. Als sie schließlich noch ein wenig weiter gefahren waren und das Mädchen wieder dürstete, sagte sie zu der Amme: „Mutter, ich bin durstig!“ Da sagte diese zu ihr: „Du schweinische Herumtreiberin! Wenn du auch noch das andere Auge dir herausreißest, so gebe ich dir welches.“ Was sollte das arme Mädchen machen? Ihre Eingeweide waren durch das Salz ganz und gar entzündet. Sie riß notgedrungen auch noch ihr anderes Auge heraus und gab es der Amme. Da gab diese dem Mädchen ein wenig Wasser, das das Mädchen trank. Aber es war nun blind auf beiden Augen.

Als das Schiff an einer Stadt anlegte (S. 77), da nahm die Amme dem Mädchen die Brautkleider weg, brachte sodann die Arme auf einen Berg und setzte sie dort aus. Die Amme zog diese Kleider dann ihrer eigenen Tochter an und gürtete sie. Dann gelangten sie geradeswegs in den Palast des Padischah von Jemen. Vom Seraj ging man ihnen entgegen und führte sie nach oben. Als die Mutter des Prinzen das Mädchen aufmerksam betrachtete, da wunderte sie sich und sann im Innern nach: „Das Mädchen, das ich dort gesehen habe, ist es nicht. Dahinter muß etwas stecken. Wir wollen sehen, auf was es hinausgehen wird.“ Damit setzten sie sich nieder und waren mit freundschaftlicher Unterhaltung beschäftigt.

Als es Abend wurde, wurde das Mädchen mit dem Prinzen vermählt. Man trank Scherbet. Man geleitete den Prinzen noch in jener Nacht in die Brautkammer. Der Prinz sagte zu dem Mädchen: „Wenn du doch ein wenig lachtest!“ Da fing nun das Mädchen zwar zu lachen an, aber von dem Wunder war keine Spur vorhanden. Der Prinz verwunderte sich und versank in tiefes Sinnen bei dem Gedanken: „Ist das wirklich das Mädchen, das man so gelobt hat, daß in seinem Gesichte, so oft es lacht, sich Rosen öffnen, und so oft es weint, Perlen herabfließen, und so oft es hin und her wandelt, auf der Erde Rasenflächen aufsprießen sollen? Bei diesem Mädchen ist nicht ein einziges von diesen Dingen eingetreten.“ Er sagte zu dem Mädchen: „Meine Sultanin! So oft du lachst, sollen in deinem Antlitz Rosen aufsprießen. Aber du hast gelacht, und es sind keine aufgesprossen. Wie ist es damit bewandt?“ Da sagte das Mädchen: „Sie sprießen im Jahre nur ein einziges Mal auf.“

Kurz und gut, als es Morgen ward, führte die Mutter des Prinzen das Mädchen ins Bad und begann sie zu waschen. Als die Sultanin, um es zu erproben (S. 78), ihr Wasser auf den Kopf goß, da flossen durchaus keine Goldstücke daran herab. Auch die Sultanin blieb starr vor Staunen. Schließlich kleidete man das Mädchen an, gürtete es und brachte es geradeswegs wieder in den Palast. Das Mädchen begab sich in eine Ecke und setzte sich nieder.

Sie sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu dem Mädchen kommen, das sie auf dem Berge zurückgelassen hatten: Blind an beiden Augen, weinte sie unaufhörlich, und infolge ihres Weinens hatte sich vor ihr ein Perlenberg von Menschenhöhe aufgehäuft. Von der andern Seite kam nun ein Karawanenführer herbei, und als er das erwähnte Mädchen dortselbst in diesem Zustande sah, seufzte er tief, und sein Inneres wurde voll Blut und wallte auf vor Mitleid. Er kam zu ihr heran und sagte: „Meine liebe Tochter! Welcher Verräter hat dich in diese Verfassung gebracht?“ Da sagte das Mädchen zu ihm: „Ach, Vater, frag nicht erst nach meinem Zustand! Es war wohl so der Ratschluß des Herrn! Man muß sich in Geduld fügen!“ Da faßte er das Mädchen an der Hand und nahm auch die Perlen alle mit und brachte sie geradeswegs in sein Haus. Zu seiner Frau sagte er: „Hanym, du sollst dieses Mädchen nicht kränken und recht auf sie aufschauen! Es gibt eine Belohnung für die guten Werke, die man ihr tut.“

Schließlich befragten sie das Mädchen nach dem wahren Sachverhalt, wie sie in diesen Zustand geraten sei. Das Mädchen erklärte den Sachverhalt von Anfang bis zu Ende. Sie sagten: „Wehe, wie schade ist es um dich, du arme!“ Als nun das Mädchen lachte, da sproßten sofort auf ihrer Wange zwei Rosen auf. Sie schnitt sie mit der Schere ab und sagte: „Vater, nimm diese Rosen und leg sie in einen Binsenkorb. Geh am Palast des Prinzen vorbei mit dem Ruf: „Ich verkaufe Rosen, die außer der Zeit gewachsen sind.“ Wenn man dich dann ruft und sagt: „Für wieviel Geld gibst du sie?“, so sag nur: „Ich gebe sie nicht für Geld, sondern nur für ein Auge!“ Da sagte er: „Sehr schön, meine Tochter!“ (S. 79) und legte sich in jener Nacht schlafen.

Als es Morgen wurde, brach er, indem er die Rosen in einen Binsenkorb legte, von dort auf und machte sich auf den Weg. Sowie er am Palaste vorbeikam, rief er: „Ich verkaufe Rosen, die außer der Zeit gewachsen sind!“ Dies hörte das Mädchen vom Palaste aus und sagte zu ihrer Mutter: „Ach Mutter! Rosen, die nicht zu ihrer Zeit gewachsen sind, kommen hier vorbei. Wir wollen sie kaufen und sie dem Prinzen zeigen. Wir wollen sagen: „Siehe, heute haben sich auf meiner Wange Rosen geöffnet!“ Sie rannte deshalb in Sprüngen zum Tor und sagte: „Komm hierher!“

Der Karawanenführer kam sofort zum Tore des Palastes und stellte den Binsenkorb von seiner Schulter zur Erde. Das Mädchen sagte zu ihm: „Gärtner, wie teuer verkaufst du die Rosen?“ Da sagte er: „Meine Tochter, ich gebe sie nicht für Geld, sondern nur für ein Auge her.“ Da kehrte das Mädchen wieder zurück und sagte zu ihrer Mutter: „Wir wollen die in der Truhe liegenden Augen jenes Mädchens nehmen und sie hingeben und die Rosen dafür kaufen.“ Das Mädchen kam geradeswegs zu der Truhe und nahm alle beiden Augen heraus, brachte sie und gab sie dem Gärtner. Dieser gab die Rosen, indem er die Augen dafür nahm.

Und er hielt sich nicht weiter dort auf, sondern kam schnurstracks in sein Haus. Er trat ein und kam in das Zimmer, in dem das Mädchen sich befand. Er sagte zu ihr: „Meine Tochter, ich habe alle beide Augen erhalten.“ Da stand das Mädchen auf und nahm eine völlige Abwaschung vor. Und nachdem sie, um Gottes Zustimmung zu erlangen, ein Gebet von zwei Gebetsniederwerfungen verrichtet hatte, erhob sie ihre Hände. Als sie das Bittgebet verrichtete, da wurde ihr Gebet erhört. Wie sie nachher ihre Augen an ihren Platz legte, da öffneten sich alsbald mit Erlaubnis Gottes, des Erhabenen, ihre Augen, und sie sahen die Welt wieder. Die Augen gaben noch mehr Licht als früher (S. 80). Da pries sie Gott und wandelte im Zimmer umher.

Siehe, so oft dieses Mädchen dort lachte, sproßten Rosen auf, und wenn sie sich wusch, flossen von ihrem Haupte Goldstücke hernieder. Kurz und gut, das Mädchen erkannte den Karawanenführer als Vater an und klammerte sich mit vier Händen an ihm fest. Die beiden Leute wurden durch das Mädchen so reich, daß sie mehrere Konaks errichteten, Sklavinnen und Sklaven in doppelter Zahl dafür kauften. Und das Mädchen hatte ein in außerordentlicher Weise ausgestattetes besonderes Zimmer. Jeden Tag saßen sie mit vergnügtem Sinne dort und unterhielten sich freundschaftlich.

Das erwähnte Mädchen sagte eines Tages zu dem Karawanenführer: „Vater, ich will von dir eine Türbe, ein Grabmal, haben, das vollständig aus Säbelstein hergestellt ist, und drinnen eine Truhe aus Gold. Und die Türen der Türbe sollen ihrerseits alle Stunden von selber sprechen und sollen mit dem Ruf: „Die Schöne, die ihres Wunsches nicht teilhaftig geworden ist!“ sich nach beiden Seiten öffnen! Und derartig soll von ihren Türen eine Stimme kommen!“ Der Karawanenführer sagte: „Meine Tochter, die von dir gewünschte Türbe soll gemacht werden. Mit der Gnade Gottes werde ich sie, so Gott will, errichten lassen.“ Er stand schließlich auf und ging auf die Spitze des Berges. Siehe, dort ließ er aus Säbelstein eine Türbe errichten, wie das Mädchen sie beschrieben hatte. Und darinnen befand sich gleichfalls eine Truhe. Und die Türen der Türbe öffneten sich ebenfalls von selbst und gaben eine Stimme von sich, die lautete: „Die Schöne, die ihres Wunsches nicht teilhaftig geworden ist.“

Als die erwähnte Türbe vollendet war, harrte sie dort ihrer Bestimmung. Wie der Karawanenführer nach Hause kam, sagte er zu dem Mädchen: „Siehe, ich habe die von dir gewünschte Türbe errichten lassen. Laß dich’s nicht gereuen!“

Diese sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu dem im Palast (S. 81) befindlichen Mädchen kommen. Als sie die Rosen, sowie sie sie gekauft hatte, dem Prinzen gab, da nahm sie dieser und sagte, sowie er daran gerochen hatte: „Deine Rose ist gekommen, du selbst wirst auch noch kommen!“ Da sagte das Mädchen am folgenden Tage zu seiner Mutter, da es durch diese Rosen aufmerksam gemacht worden war: „Mutter, dieses Mädchen ist wieder gesund. Sie muß sich in der hiesigen Gegend irgendwo befinden. Komm, wir wollen eine Hexe zu diesem Mädchen schicken. Wenn es Nacht geworden ist, soll sie von ihrem Arm das Talisman-Armband wegnehmen. Dann wird das Mädchen sterben.“ Da verschaffte die Mutter jenem Mädchen eine Hexe und schickte sie zu dem Mädchen.

Die erwähnte Hexe kam auch, nach dem Mädchen fragend, geradeswegs in das Haus, in dem das Mädchen war. Sie klopfte an die Türe, und als die Türe geöffnet wurde, ging sie, zur Treppe hinaufsteigend, in das Zimmer, in dem sich das Mädchen befand, und nahm Platz. Es war schon Abend geworden. Die Hexe sagte zu der Frau: „Ach Mutter, ich komme von weit her. Es ist auch schon spät an der Zeit. Ich fürchte mich, auf dem Wege weiterzugehen. Ich bin nur deshalb hierhergekommen, damit Ihr mich diese Nacht als Gast Gottes in diesem Hause aufnehmt.“ Da sagte die Frau zu ihr: „Sehr schön, Mutter! Siehe, hier ist ein Zimmer für dich. Leg dich mit ruhigem Gemüte hin!“

Endlich wird das Abendessen eingenommen. Einige Zeit darnach geht die Hexe in ein Zimmer und legt sich nieder. Das erwähnte Mädchen und die Frau gehen jede in ihr eigenes Zimmer und schlafen ein. Als es eben gegen 7 Uhr oder 8 Uhr geht (d. h. 7-8 Stunden nach Sonnenuntergang), geht die Hexe aus ihrem Zimmer heraus. Und sie begibt sich geradeswegs in den Aussichtsraum, in dem sich das Mädchen befindet. Sie tritt sofort ein und kommt zu dem Bette des Mädchens, das in tiefen Schlaf versunken war (S. 82). Ganz sacht zieht die Hexe auf irgendeine Weise dem Mädchen das Talisman-Armband vom Arme und nimmt es an sich. Und von da kommt sie in das untere Zimmer, nimmt ihren Überwurf um, geht sofort aus dem erwähnten Haus heraus und gelangt geradeswegs wieder zum Palast. Sie tritt ein und gibt der Mutter des Mädchens das Talisman-Armband. Diese nimmt es voller Freude an sich und hebt es in ihrer Truhe auf.

Diese Personen sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu der erwähnten Frau des Karawanenführers kommen: Als es Morgen wurde, stand die Frau auf und kommt schnurstracks in das Zimmer, in dem sich die Alte niedergelegt hatte. Plötzlich bemerkt sie, daß diese Frau nicht mehr da ist. Mit den Worten: „Wohin ist sie denn eigentlich gegangen?“ begibt sie sich hinaus. Und sie schaut auch nach ihrem Überwurf. Doch auch ihr Überwurf ist nicht mehr da. Die Frau verwundert sich und kommt sodann in das Zimmer des Mädchens. Da bemerkt sie, daß das Mädchen noch schläft. Sie bringt es nicht über sich, sie aufzuwecken. Sie kehrt also wieder um und kommt wieder in ihr Zimmer.

Endlich geht es auf 4 Uhr oder 5 Uhr (16-17 Stunden nach Sonnenuntergang): Das Mädchen ist immer noch nicht aus seinem Schlafe aufgewacht. Die Frau denkt bei sich selber nach. Sie sagt sich: „Das Mädchen pflegte doch sonst jeden Tag früh aufzustehen. Warum ist sie heute so spät daran? Ich will sie doch aufstehen lassen!“ Und darauf geht sie hinauf und tritt in das Zimmer, in dem das Mädchen liegt. Sie sagt zwar zu dem Mädchen: „Holla, meine Tochter! Es wird soeben der Mittags-Gebetsruf rezitiert! Steh doch auf!“, doch von dem Mädchen kommt keinerlei Antwort. Sie ruft noch einmal: Wiederum kommt kein Laut. Da schaut sie auf den Atem des Mädchens und sieht keine Spur von Atem mehr. Sie untersucht ihre Füße: sie sind kalt wie Eis. Als sie das sieht, wehklagt und jammert sie und schlägt mit den Worten: „Ach, meine Tochter ist gestorben! Von jetzt ab soll die Welt mir (S. 83) versagt sein!“ ihren Kopf auf den Boden.

Der Gatte der Frau kommt nun herbei. Als er ihr Geschrei und Gejammer vernimmt, sagt er: „Frau, was ist mit dir geschehen? Warum jammerst du so?“ Da sagte die Frau zu ihm: „Ach, Efendim, unsere Tochter ist diese Nacht gestorben. Bis zum Auferstehungstag wird die Sehnsucht nach ihr in mir brennen!“ Als der Karawanenführer dies hörte, seufzte er schwer, und aus seinen Augen strömte das Naß wie Regentropfen. Schließlich wusch man das Mädchen, und nach Verrichtung des Gebetes für sie bestattete man sie in der Türbe, die sie selbst hatte errichten lassen.

Die Ehegatten fühlten Verzweiflung und Trauer um das Mädchen. Sie sollen nun hier verweilen! Wir wollen zu der Mutter des im Palaste weilenden Mädchens kommen: Als diese hörte, daß das Mädchen gestorben sei, da fühlte sie sich Herr über die ganze Welt. Sie sagte: „Juhe, Gott sei Lob und Dank, von diesem Mädchen sind wir befreit!“

Als schließlich auch der Prinz hörte, daß dieses Mädchen draußen gestorben sei, da seufzte er aus Herzensgrund, und sein Inneres wurde ihm voll Blut. Darnach kommt er in eine Stimmung, daß er es im Palaste neben diesem Mädchen nicht mehr aushalten kann. Eines Tages fühlte sich seine Seele bedrückt, und mit seinem Erzieher (lala) zusammen brach er in Verkleidung von dort auf und zog von Berg zu Berg, in dem Feuer der Sehnsucht nach diesem Mädchen brennend. Und so wanderten sie fürbaß. Nach geraumer Zeit kamen sie zu einem gewaltigen Berg und setzten sich nieder, um auszuruhen. Auf einmal kommt dem Prinzen ganz fein eine Stimme ins Ohr, die lautet: „Die Schöne, die ihres Wunsches nicht teilhaftig geworden ist!“ Als der Prinz dies vernahm, litt es ihn nicht länger an Ort und Stelle: Er steht auf und steigt jenen Berg hinan (S. 84). Auf einmal sieht er eine Türbe aus Säbelstein, die die Augen des Beschauers blendete. Und zugleich öffneten sich die Türflügel der Türbe nach beiden Seiten und riefen so recht herzversehrend und traurig den Satz: „Die Schöne, die ihres Wunsches nicht teilhaftig geworden ist!“

Als der Prinz dies sah, verharrte er eine Zeit lang in Staunen, bei dem Gedanken: „Wessen Türbe ist dies eigentlich?“ Dann betrat er die Türbe und erblickt im Innern eine goldene Truhe und vernimmt darin ein Seufzen. Der Prinz ist äußerst neugierig. Sofort nimmt er den Deckel der Truhe ab und sieht darin ein Mädchen, schön wie der Vollmond, liegen. Und neben ihr saß ein wunderschönes goldlockiges Kind, das statt an der Brust an den Fingern seiner Mutter saugte.

Als der Prinz dies sah, füllten sich ihm die beiden Augen ganz voll mit Tränen. Und er sagte dem Herrn Dank für seine Wohltat. Er nimmt sofort das Kind mit sich und kommt voll Freude mit seinem Erzieher geradeswegs in den Palast. Der Prinz kommt in das Zimmer des Mädchens und setzt sich nieder. Und sowie er das Kind von seinem Busen auf die Matratze gesetzt hat, fängt es zu spielen an. Der Prinz verwarnt das Mädchen und sagt: „Hüte dich, und bringt mir ja nicht dieses Kind zum Weinen!“ Dann geht er hinaus, um die Abwaschung vorzunehmen.

Das Kind ging, während es spielte, an die Schublade und stieß auf das Armband, das der Talisman seiner Mutter war. Das Kind hält es für ein Spielzeug und nimmt es in die Hand. Als das Mädchen das Armband in der Hand des Kindes sieht, kommt es zu ihm heran und will es ihm aus der Hand reißen (S. 85). Das Kind aber hält es ganz fest und läßt es nicht los und fängt zu weinen an. Als der Prinz das Weinen des Kindes vernimmt, kommt er sofort herein und sagt, indem er auf das Mädchen losgeht: „Warum bringt ihr das Kind zum Weinen?“ Das Mädchen erklärt: „Efendim, in der Hand des Kindes befindet sich mein Amulett. Ich will es jetzt wegnehmen, und darum weint es.“ Der Prinz sagt: „Es soll damit nur spielen. Wird es denn das Amulett aufessen?“

Das Kind setzt aber das Weinen ununterbrochen fort und schweigt ganz und gar nicht mehr. Der Prinz nimmt also das Kind und kommt mit ihm geradeswegs zu der Türbe und legt es wieder neben seiner Mutter hin. Sobald das in der Hand des Kindes befindliche Amulett den Körper seiner Mutter berührt, beginnen deren Glieder zu zittern, und von der Hüfte abwärts wird sie lebendig. Sowie der Prinz dies sieht, sagt er: „Was hat das wohl zu bedeuten? Oder steckt in dem Amulett etwas?“ Auf einmal schaut er auf den Arm des Mädchens: dort ist der Platz für ein Armband. Sofort nimmt er das Armband dem Kinde aus der Hand, und sowie er es nur an den Arm des totliegenden Mädchens gebunden hat, da erhebt sich das Mädchen mit Niesen und wird wieder lebendig. Aus ihren Brüsten beginnt Milch zu kommen. Das Kind klammert sich an die Brust seiner Mutter und beginnt zu saugen.

Als der Prinz dies sieht, sagt er: „Meine Sultanin, wessen Tochter bist du? Wessen ist dies Kind?“ Da sagt das Mädchen: „Mein Prinz, ich ließ meine Mutter in Konstantinopel zurück, und während ich mit meiner Amme zu dir als Braut kam, riß sie mir auf dem Wege meine beiden Augen heraus und zog die Kleider, die ich anhatte, ihrer eigenen Tochter an. Dann setzte sie mich auf einem Berge aus (S. 86). Als eines Tages dort ein Karawanenführer vorüberzog, nahm er mich mit und brachte mich in sein Haus. Dadurch, daß ich sodann in den Palast Rosen von meinem Gesicht schickte, erhielt ich meine beiden Augen wieder. Ich legte sie wieder an ihren Platz, und durch die allerbarmende Erlaubnis des Herrn wurden meine Augen wieder klar und licht. Schließlich gaben jene dir die von mir geschickten Rosen. Und du hast ihren Duft gerochen. Infolge ihrer elementaren Kraft wurde ich in jener Stunde noch durch Sympathiewirkung schwanger. Eines Nachts stahl eine Frau mir das an meinem Arm befindliche Armband. Und in jener Stunde bin ich gestorben. Sodann hat man mich hier bestattet. Hierauf brachte ich dieses Kind zur Welt. Es ist jetzt dein.“

Als der Prinz dies hörte, da floß aus seinen beiden Augen an Stelle von Tränen Blut. Hierauf kam er wieder zu sich, und sie umarmten sich aufs innigste. Und sie kosten miteinander so innig, daß es nicht zu beschreiben ist.

Endlich brachen sie von dort auf und kamen geradeswegs in den Palast. Der Prinz ließ sofort jenes Mädchen und ihre Mutter rufen und sagte: „O ihr Verfluchten! Ihr macht solche Sachen!“ Damit versetzte er ihnen einen Keulenstreich, daß ihre Knochen zu Brei wurden. Alsbald fuhren ihre Seelen heraus und gingen zur Hölle. Die Körper selbst warf er den draußen befindlichen Hunden vor.

Und er sagte: „Lob sei dem Herrn! Von diesen Verrätern bin ich gerettet. Jetzt ist mein Haupt stark geworden.“ Darnach ließ er die richtige Mutter dieses Mädchens und die Frau des Karawanenführers rufen und vermählte sich mit dem Mädchen.

Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte das Festgelag und die Festversammlung. In der 41. Nacht (S. 87), der Freitagsnacht, trat der Prinz in die Brautkammer ein. Und sie erregten ihre Begier und befriedigten ihre Begier.

Die Geschichte vom Kummervogel.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit hatte ein gerechter Padischah eine Tochter. Diese Prinzessin unterhielt sich immer freundschaftlich zusammen mit der Lehrerin. Eines Tages versenkte sich die Lehrerin in Nachdenken. Die Prinzessin sagte: „Frau Lehrerin, was denkst du nach?“ Da sagte diese: „Ich habe einen Kummer.“ Da weinte die Prinzessin: „Um Gotteswillen, Frau Lehrerin, was ist „Kummer“ doch für ein Ding? Wenn du doch auch für mich einen besorgen würdest!“ Da sagte diese: „Sehr gerne, meine Tochter!“ Und nimmt von der Prinzessin 5 oder 6 Lira.

Die Lehrerin geht also direkt auf den Markt und kauft einen Kummervogel in einem Käfig. Sie bringt ihn der Prinzessin und gibt ihn ihr und sagt: „Siehe, meine Sultanin, dies hier ist der Kummervogel!“ Die Prinzessin vergnügt sich ständig Tag und Nacht mit dem erwähnten Vogel. Nach Verlauf von ein paar Tagen kommt die Prinzessin mit den Sklavinnen in den Leibgarten zum Wasserbecken und hängt den Käfig mit dem erwähnten Vogel (S. 89) an einem Baume auf.

Der Vogel erhielt die Fähigkeit, zu sprechen, und sagte: „Meine Sultanin! Laß mich ein wenig los! Ich möchte mit den anderen Vögeln die Umgebung betrachten. Ich werde dann wiederkommen.“ Die Prinzessin hält es für wahr und läßt ihn frei. Er fliegt weg und geht zu den anderen Vögeln. Während nun das Mädchen sich noch wiegenden Ganges am Bassin erging, da kam nach zwei Stunden der Kummervogel, packte die Hanym und erhob sich mit ihr in die Luft. Nach 1-2 Stunden ließ er sie auf einem großen Berge nieder und sagte: „Hast du jetzt den „Kummer“ gesehen? Was für Kümmernisse werde ich dir von nun ab erst noch machen!“ Sodann erhebt er sich in die Luft und fliegt fort.

Wir wollen zur Prinzessin kommen! Sie bleibt hungrig auf den Bergen und mittellos zurück. Indem sie immer weitergeht, trifft sie auf einen Hirten. Sie sagt zu ihm: „Gib mir den Anzug, den du anhast, und ich will dir mein Kleid geben.“ Alsbald kleidet sich der Hirte aus und gibt der Prinzessin seine Kleider. Die Prinzessin zieht sie an und macht sich wieder auf den Weg.

Immerwährend weiterwandernd, gelangt sie zu einem Kaffeehaus. Sie tritt hinein und sagt: „Vater, wirst du mich als Gehilfen bei dir annehmen?“ Der Kaffeewirt sagt: „Ich suchte schon immer einen derartigen Gehilfen“, und behält ihn bei sich zurück. Eines Tages ermahnt ihn der Kaffeewirt mit den Worten: „Ich werde heute abend nach Hause gehen. Du sollst dich in der Kaffeehausbude niederlegen und recht gut aufpassen, daß niemand etwas stiehlt!“ Damit geht er fort.

Als es Abend wird, schließt das erwähnte Mädchen die Kaffeehausbude, legt sich in einer Ecke nieder und schläft ein. Als es Mitternacht wird, kommt der Vogel und zerbricht und zerschlägt alle Wasserpfeifen und alle Tassen, die nur da sind (S. 90). Dann kommt er zu dem Mädchen und weckt sie auf. Mit einem Male steht das Mädchen auf und sieht, daß alle Sachen, die da sind, zu lauter Brei zerschlagen sind. Der Vogel hebt zu sprechen an und sagt: „Sieh, hast du nun gesehen, was „Kummer“ ist? Aber was für Kümmernisse werden erst noch kommen, im Verhältnis zu denen dieser Kummer klein ist!“ Damit flog er auf und davon.

Als es Morgen wird, denkt das Mädchen über die Sache nach. Während sie noch im Nachsinnen ist: „Was für eine Antwort werde ich jetzt meinem Meister geben?“, da kommt schon der Kaffeewirt. Auf einmal sieht er — ja was sollte er denn sonst sehen? — alle Sachen, die nur da sind, sind zu Brei zerschlagen! Er gibt dem Mädchen eine Tracht Prügel, packt sie am Kragen und wirft sie zum Kaffeehaus hinaus.

Weinend geht das Mädchen fort und gelangt zu einem Schneiderladen. Da es in jenen Tagen auf den Bajram zu ging, hatte man vom Palast aus Kleider bestellt. Die Schneider schnitten und nähten unaufhörlich drauflos. Das Mädchen kam zu den Meistern. Als sie fragte: „Meister, wirst du mich zum Gehilfen annehmen?“ da sagten sie: „Sehr schön.“ Sie ging in den Laden hinein und setzte sich nieder. Nach ein paar Tagen geht ihr Meister nach Hause, und das Mädchen bleibt im Laden. Um Mitternacht kommt wieder der erwähnte Vogel und zerreißt sämtliche Kleider, die im Laden sind, und weckt das Mädchen auf. Mit einem Male wacht das Mädchen auf und sieht, daß der Vogel alle Kleider, die überhaupt da sind, zu lauter Fetzen gemacht hat. Der Vogel sagt zu ihr: „Meine Sultanin, siehe, weißt du jetzt, was „Kummer“ ist? Was für Kümmernisse werde ich dir aber erst noch in Zukunft bereiten!“ und fliegt dann auf und davon.

Am Morgen kommt ihr Meister (S. 91) und sieht, daß sämtliche vom Palast aus bestellten Kleider und alle noch nicht zugeschnittenen Tuchballen, die da waren, sämtlich zu lauter Fetzen geworden sind. Sobald er dies alles sieht, schlägt er seinen Kopf gegen die Steine. Er sagt: „Wehe, nachdem so viel Mühe von mir darauf verwendet worden ist! Und so viel Tuchballen sind auch zu lauter Fetzen geworden!“ Und alsbald schwindet ihm die Besinnung, und er stürzt zu Boden und wird ohnmächtig. Nach einiger Zeit kommt ihm die Besinnung zurück, und er kommt zornig auf seinen Gehilfen los. Er fragt zwar: „Wer hat das alles so zerschnitten?“, doch das Mädchen gibt überhaupt keine Antwort. Der Meister sagt zu sich: „Er hat kein Geld, das ich ihm abnehmen könnte. Soll ich dafür sein Leben nehmen?“ Er gibt ihm also eine Bastonnade, die sich gewaschen hat, und schmeißt ihn zum Laden hinaus.

Während das Mädchen weinend weitergeht, kommt sie zu dem Laden eines Lüstermachers. Sie sagt: „Meister, wirst du mich als Gehilfen bei dir annehmen?“ Da sagt der Lüstermacher: „Fort, geh nur, geh, grindköpfiger Bursche! Was werde ich mit dir anfangen? Ich habe nicht die Möglichkeit, mich selber zu versorgen!“ Wie dem auch sein mag, das Mädchen überredet ihn, und schließlich nimmt er sie als Gehilfen bei sich auf.

Eines Tages überläßt der Meister den Laden dem kahlköpfigen Burschen, um auf ein Hochzeitsfest zu gehen, und vermahnt ihn streng mit den Worten: „Paß gut auf, daß ja nichts zerbrochen wird!“ Dann geht er fort und begibt sich weg. Als es Abend wird, schließt der grindköpfige Bursche den Laden und fällt in einer Ecke in Schlaf. Um Mitternacht kommt der erwähnte Vogel und zerbricht alle Lüster, die nur im Laden sind, und weckt den grindköpfigen Burschen. Als dieser aufsteht, sieht er, daß alle Lüster, die im Laden waren, zerbrochen sind. Der Vogel sagt (S. 92): „Meine Sultanin, weißt du jetzt, wie der „Kummer“ aussieht? Was für Kümmernisse aber werde ich dir erst noch machen, im Vergleich zu denen dieser hier gering ist!“ und flog dann auf und davon.

Am Morgen öffnet der grindköpfige Bursche den Laden. Darnach kommt sein Meister. Auf einmal sieht er — ja, was sollte er sonst sehen! — daß sämtliche im Laden befindlichen Lüster zerschlagen sind. Vor Zorn kam er in eine solche Verfassung, daß er einen Platz suchte, um sich aufzuhängen. Sofort nahm er einen Knüttel in die Hand, verbläute den grindköpfigen Burschen tüchtig und warf ihn zum Laden hinaus.

Weinend denkt das Mädchen bei sich selbst darüber nach. Sie sagt sich: „In jedem Laden, in den ich bis zu diesem Augenblick eingetreten bin, ist durch diesen Vogel so viel Schaden entstanden! Und ich habe so viele Hiebe durch sein Verschulden erhalten! Ich will mich nun zusammennehmen und will von Berg zu Berg wandern.“ Damit eilte sie ins Gebirge. Es verging eine geraume Weile. Es wurde Abend, und sie blieb hungrig und durstig auf den Bergen. Auf einmal bemerkt sie, daß wilde Tiere und reißende Ungeheuer auf jenem Berge in Menge sind. Sie stieg deshalb auf einen dort befindlichen Baum hinauf und brachte jene Nacht auf dem Baume zu.

Als es Morgen geworden und die Morgendämmerung angebrochen war, da war nun der Sohn des Padischah jenes Landes an jenem Tage auf die Jagd gezogen. Als er diesen kahlköpfigen Burschen auf dem Baum erblickte, hielt er ihn für einen Vogel, nahm ihn von hinten zum Ziel und schoß einen Pfeil auf ihn ab. Der Pfeil kam geflogen und bohrte sich in dem Baume ein. Der Prinz kommt nun zu dem Baume und sieht, daß es ein Mensch ist. Der Prinz erschrickt. Er sagte: „Bist du ein Mensch oder ein Dschinn?“ Da sagte der grindköpfige Bursche: „Ich bin weder ein In noch ein Dschinn, ich bin ein Menschenkind.“

Schließlich nahm der Prinz ihn vom Baume herab und brachte ihn geradeswegs nach dem Palast (S. 93). Man brachte dann den grindköpfigen Burschen ins Bad, und sobald man ihn ausgezogen, ihn gebadet und gewaschen hatte, da glich er, als man ihm Frauenkleider angezogen hatte, alsbald dem Vollmond. Es war eine Geliebte, wie es auf der ganzen Welt ihresgleichen nicht mehr gab, die an die Paradiesesknaben erinnerte. Sie hatte sich in prächtiger Weise geschmückt.

Als der Prinz sie sah, da verliebte er sich sofort in sie und wurde trunken, so daß er von nichts mehr etwas wußte. Nach 1 oder 2 Stunden kam ihm die Besinnung zurück. Er begab sich schnurstracks zu seinem Vater und sagte: „Mein Vater! Gestern war ich auf die Jagd ausgezogen. Während ich jagte, sah ich auf einem Baume ein Mädchen und nahm es mit und kam hieher. Sie ist meine Beute. Du mußt sie durchaus mit mir vermählen!“ Der Padischah sagte: „Was ist sie für ein Ding? Ich will sie einmal ansehen!“ Da ließ er sie sofort rufen. Sofort, wie er sie sah, hielt er sie für passend für seinen Sohn. Alsbald vermählte er dieses Mädchen mit dem Prinzen und hielt vierzig Tage und vierzig Nächte Festesfeier und Festversammlung ab. In der 41. Nacht, der Freitagsnacht, trat der Prinz in der Brautkammer ein.

In jener Nacht ward die Sultanin von ihm schwanger. Als schließlich 9 Monate und 10 Tage vergangen waren, kam eine Tochter des Prinzen auf die Welt. Das Kind soll nun im Wickelbund heranwachsen.

Während eines Nachts der Prinz und die Sultanin schlafen, kommt um Mitternacht der erwähnte Vogel und nimmt die Tochter der Prinzessin. Indem er der Prinzessin etwas Blut an den Mund schmiert, weckt er sie auf und sagt: „Siehe, ich nehme jetzt das Kind mit und gehe damit fort. Siehe, da hast du „Kummer“! Was für Kümmernisse werde ich dir aber erst in Zukunft noch machen!“ Damit geht er hinaus (S. 94) und fort.

Am Morgen sieht der Prinz, daß das Kind nicht mehr da ist und daß der Mund der Prinzessin voll Blut ist. Als der Prinz das sieht, bleibt er starr vor Staunen. Er geht darauf geradeswegs zu seinem Vater. Als er ihm die ganze Sachlage erklärt hat, sagt dieser: „Mein Sohn, woher hast du jenes Mädchen gebracht?“ Da antwortete der Prinz: „Ich habe sie vom Berge gebracht!“ Der Padischah sagte nun zu ihm: „Mein Sohn, dieses Mädchen ist die Tochter von Wilden. Zweifellos ißt sie Menschenfleisch.“

Kurz und gut, wir wollen die Geschichte nicht zu lang machen. Die Sache blieb so ohne weitere Folgen. Nach geraumer Zeit kommt noch eine Tochter der Prinzessin zur Welt. Der Vogel kommt, wie früher, und nimmt das Kind fort. Er schmiert der Prinzessin Blut um den Mund und geht weg. Das Mädchen wacht auf. Der Prinz sieht, daß wieder das Kind nicht mehr da ist. Der Mund der Prinzessin ist voll Blut. Sofort tat er dies dem Padischah kund. Und der Padischah gibt sofort den Befehl: „Ihr sollt ihr den Kopf abhauen!“ Doch da der Prinz eine außerordentlich große Liebe zu dem Mädchen hegte, so ging er schnurstracks zu seinem Vater und bat für sie. Auch diesmal noch verschonte er sie dem Prinzen zuliebe.

Die Zeit kommt, und die Zeit geht. Nach Verlauf von ein paar Monaten wurde die Prinzessin wiederum schwanger, und nach 9 Monaten und 10 Tagen kommt ein Sohn der Prinzessin zur Welt. Und der Prinz beginnt nachzugrübeln. Der Grund hierzu war folgender: Während er diesem Gedanken nachsann: „Wenn sie etwa auch diesmal dieses Kind ißt, so wird mein Vater ohne Widerrede sie hinrichten lassen“, da kommt dem Prinzen die Idee in den Sinn: „Ich will heute Nacht nicht schlafen. Ich will sie insgeheim überwachen.“

(S. 95) Die Prinzessin soll in tiefem Schlaf liegen. Der Prinz nimmt eine Nadel in die Hand und hält sich ihre Spitze ans Kinn, während er das andere Ende in der Hand hält. Wenn ihm der Schlaf kommt, so berührt die Nadel während seines Einnickens sein Kinn, und er erwacht. Schließlich fällt dem Prinzen aber die Nadel aus der Hand auf den Boden. Als er dann in Schlaf gefallen ist, kommt endlich gegen 4 Uhr oder 5 Uhr ganz plötzlich der Vogel. Er nimmt das Kind und schmiert der Prinzessin etwas Blut an den Mund, und indem er sie aufweckt, sagt er zu ihr: „Meine Sultanin, siehe, ich nehme jetzt das Kind mit und gehe fort. Siehe, da hast du „Kummer“! Was für Kümmernisse werde ich dir erst noch anrichten, daß dieser im Vergleich hierzu klein sein soll!“ und geht fort.

Der Prinzessin blieb nun schon keine Kraft mehr zur Geduld, und sie weinte bis zum Morgen. Der Prinz wachte auf und sieht — was soll er denn sonst sehen? — das Kind ist nicht mehr da. Der Mund und die Nase der Prinzessin sind voll Blut. Zur selben Stunde, in der an seinen Vater diese Botschaft abging, wurde dem Henker der Befehl zu ihrer Hinrichtung erteilt.

Da bindet der Henker dem Mädchen die Hände auf den Rücken und führt sie auf einen großen Platz, um sie hinzurichten. Das Mädchen ist aber von eigenartiger Schönheit. Der Henker kann die Prinzessin nicht umbringen. Er sagt: „Wohlan denn! Geh, meine Sultanin! Komm nicht mehr in den Palast! Und wohin du immer gehen willst, dahin geh! Gott möge dir Wohlsein verleihen!“ Damit läßt er sie los. Die Sultanin eilte weinend in die Berge.

Hierauf taucht plötzlich der Vogel auf. Er packt die Prinzessin und fliegt mit ihr davon. Nach einiger Zeit taucht auf einmal ein mit Edelsteinen inkrustierter Palast auf, ein solch gewaltiger Palast, wie er mit Augen noch nie gesehen, mit der Zunge noch nie beschrieben worden ist, so daß dem Beschauer (S. 96) die Augen geblendet wurden. Alsbald ließen sie sich in den Garten hinab. Als sie zu den Marmorplatten gekommen waren, schüttelte sich der Vogel einmal. Da wurde er ein Jüngling, schön wie der Vollmond. Die Prinzessin schaute auf ihn und staunte. Als sie die Treppe hinaufgehen wollten, da kamen drei strahlendschöne Kinder im Alter von 7, 8 Jahren mit einer Sklavin herab und gehen der Prinzessin entgegen. Der Prinzessin kommt ihrerseits das Blut in Wallung, und ihre Augen füllen sich voll mit Tränen.

Darnach gehen sie zusammen mit dem Jüngling hinauf. Endlich kam ein mit Edelsteinen inkrustierter Raum zum Vorschein, ein mit Filigran-Vorsprüngen geschmücktes Zimmer. Der Jüngling hob sofort den Türvorhang auf, und sie traten ein. Indem sie sich niederlassen, wendeten die Kinder die Augen nicht von der Prinzessin ab.

Jetzt gab der Jüngling folgende Erklärung ab: „Meine Sultanin, ich habe dir so viele Schwierigkeiten gemacht. Und auch die Kinder habe ich dir genommen und bin mit ihnen geflohen. Nachher übergaben sie dich dem Henker. Sie strebten dir nach dem Leben. Und doch hast du mich ihnen nicht ausgeantwortet. Du hast Geduld gehabt und hast ausgehalten. Siehe, ich habe für dich auf den Befehl des Herrn einen großen Palast errichten lassen. Er ist einzig für dich bestimmt. Und deine Kinder habe ich weggenommen und bin geflohen. In diesem Palaste habe ich sie mit Milch aufgezogen. Siehe, alle drei Kinder, die sich dir gegenüber befinden, sind dein. Und ich bin von jetzt ab ebenfalls dein Sklave.“

Als er so sprach, da umschlang die Prinzessin sofort ihre Kinder, küßte sie auf beide Augen und drückte sie an ihr Herz. Und die Kinder umschlangen ebenfalls den Hals ihrer Mutter. Aus deren Augen floß Blut herab anstatt der Tränen. Man war wieder miteinander vereinigt worden, und sie fühlten sich als Herren der ganzen Welt. Tag und Nacht konnte sie das Auge nicht von ihnen abwenden.

(S. 97) Diese sollen also alle mit den Kindern im Kiosk verweilen und sich freundschaftlich unterhalten. Wir wollen zu dem Prinzen kommen: Soll er über den Tod seiner Kinder in Wut geraten, oder soll er, da er seine Frau sehr geliebt hat, sich darüber erregen, daß der Henker sie hingerichtet hat? Aus Sehnsucht nach ihnen seufzte und wehklagte er Tag und Nacht.

Und der Prinz hatte einen alten Opiumesser (Tirjaki), der jeden Tag kam und dem Prinzen die verschiedenartigsten Geschichten erzählte und ihn immer unterhielt. Was nun den Opiumesser anbelangt, so nimmt er, da ihm an jenem Tage sein Opium ausgegangen ist, von dem Prinzen auf etwa eine halbe Stunde Urlaub und geht auf den Markt. Da sieht er mit einemmal einen gewaltigen, neu errichteten Palast vor sich. Er denkt bei sich darüber nach: „Wann wurde dieser Palast errichtet? Ich gehe doch den ganzen Tag hier hin und her. Von einem solchen Ding war auch nicht die Spur vorhanden! Ist es vielleicht nur ein Traumgesicht oder ein Phantom?“ Er denkt sich: „Ich will einmal um den Palast herumgehen und herumspazieren.“ Mit dieser Idee soll er geradeswegs auf den Palast loskommen.

Während die Prinzessin und der erwähnte Jüngling in dem Kiosk saßen und sich freundschaftlich unterhielten, sahen sie plötzlich von weitem diesen Opiumesser. Der erwähnte Jüngling sagte: „Meine Sultanin, der Tirjaki des Prinzen kommt jetzt. Wir wollen uns mit ihm ein wenig lustig machen.“ Die Prinzessin sprach: „Tu, was dir gut dünkt!“ Während nun der Opiumesser herankommt und außen am Palast vorbeigeht, wirft der Jüngling eine besondere verzauberte Rose zum Fenster hinaus. Der Opiumesser hebt jene heruntergefallene Rose auf. Nachdem er einmal daran gerochen hat, sagt er: „O! Wie schön duftet schon diese Rose! Wie wirst du erst selber duften!“ Diesen Satz rezitiert er immer wieder mit lauter Stimme und kehrt zurück (S. 98). Er spricht auf der Straße mit sich selber, während er dahingeht. Und die Leute, die ihn sehen, laufen alle hinter ihm drein. Und sie sagen: „Ist dieser Mensch wohl verrückt geworden?“ Es sammelten sich um ihn 50-60 Menschen und schauten zu.

Wir wollen zum Prinzen kommen: Er stellt fest, daß schon zwei Stunden vergangen sind, ohne daß der Opiumesser zurückkommt. Der Prinz langweilt sich und gibt dem Hofmeister Befehl: „Geh! Wo immer du den Opiumesser findest, da faß ihn und bring ihn her.“ Der Haushofmeister läuft also hinter dem Opiumesser drein. Auf einmal bemerkt er auf dem Platze ein Getümmel. Er denkt sich: Was ist da los?, und geht auch dorthin. Als er hinschaut, da erblickt er — was sollte er denn auch sonst erblicken? — unseren Opiumesser. Er geht sofort zu ihm hin und sagt: „Der Prinz verlangt nach dir!“ Der Opiumesser entgegnet: „O, wie schön duftet deine Rose! Wie wirst du erst selber duften!“ Dann erklärt der Opiumesser: „Wenn man von diesem Palast Rosen wirft, so hüte dich und nimm keine!“ Der Hofmeister sagte: „Ich will hingehen und ihn mir ansehen!“

Als er geradeswegs zum Palast kommt, da sieht ihn der erwähnte Jüngling und sagt zu der Sultanin: „Der Hofmeister des Prinzen kommt. Soll ich ihn hereinlassen?“ Da sagte die Prinzessin: „Das steht in Ihrem Belieben, Efendim!“ Der Jüngling läßt sofort die Tore des Palastes öffnen. Und als der Hofmeister schnurstracks zu dem Tore des Palastes hereinkommt, erscheinen sofort Sklavinnen und gehen ihm entgegen. Wie er hinaufkommt, sagt der Jüngling: „Er soll seine Kleider ausziehen und dann kommen!“

Der Haushofmeister geht auch in das andere Zimmer und kleidet sich aus. Er hebt die Hand auch zu seiner Mütze auf und will sie herunterziehen. Doch geht seine Mütze nicht herunter. So sehr er sich auch bemüht, so kann er sie auf keinerlei Weise (S. 99) herunternehmen.

Die Sklavinnen begaben sich zu ihrem Efendi und sagten: „Der Haushofmeister konnte seine Mütze in keiner Weise herunternehmen.“ Da sagte der Prinz: „Was ist das für ein Mensch? Er kann seine Mütze nicht herunternehmen! Jagt ihn hinaus!“ Als dann der Haushofmeister sich am Palasttor bückte und eben seine Schuhe anziehen wollte, da fällt ihm plötzlich die Mütze vom Kopf. Der Haushofmeister nimmt die Mütze und sagt zu ihr: „Drinnen bist du nicht heruntergegangen. Zu was bist du jetzt draußen heruntergegangen?“ Er geht, während er seine Mütze auf die Erde schlägt, geradeswegs zu dem Opiumesser. Der Opiumesser sieht dies, und die Neugier der beiden Männer wird noch größer.

Wir wollen zum Prinzen kommen: Er hatte den Haushofmeister nach dem Opiumesser geschickt. Auch der kam nicht mehr. Nachher schickte er den Schatzmeister hinter ihnen drein. Der Schatzmeister kommt endlich auch hinzu, und als er den Zustand der beiden sieht, verwundert er sich nicht schlecht. Er kommt zu ihnen und sagt: „Was ist euch denn geschehen?“ Da sagte der Opiumesser: „Wenn man von diesem Palast Rosen herabwirft, so heb sie nicht auf und riech nicht daran!“ Und der Haushofmeister erklärte: „Wenn du in den Palast gehst, so ziehe die Mütze ab und geh so!“ Da geht auch der Schatzmeister direkt in den Palast.

Jener Jüngling nun sagte: „Meine Sultanin, der Schatzmeister des Prinzen kommt jetzt. Soll ich ihm auch etwas antun?“ Da antwortete sie: „Wie Sie belieben.“ Als der Schatzmeister in den Palast hereinkommt, da sagt der Jüngling: „Auch diesen zieht aus. Er soll ein Nachtgewand anziehen und darin zu mir kommen!“ Da zieht der Schatzmeister seine Kleider herunter. Seine Hosen aber gehen nicht herunter. Wie sehr er sich auch bemühte, so konnte er sie doch auf keine Weise ausziehen (S. 100). Alsbald gaben die Sklavinnen dem Jüngling davon Kunde. Dieser sagte: „Was ist das für ein Mensch, der seine Hosen nicht herunterziehen kann!“ Auf diese Worte hin jagten sie auch den Schatzmeister zum Palaste hinaus.

Kaum daß dieser einen Schritt zum Tore des Palastes hinausgetan hatte, da fielen seine Pluderhosen von selbst hinab. Da hob dieser sie auf mit den an die Pluderhosen gerichteten Worten: „Innen seid ihr nicht heruntergegangen, zu was seid ihr jetzt draußen heruntergegangen?“ und kam zu den andern, indem er seine Hose fortwährend auf die Erde schlug.

Der Prinz seinerseits geriet in helle Wut und geht aus dem Palaste hinaus, indem er sich sagt: „Was ist ihnen denn zugestoßen?“, und auf dem Wege trifft er auf sie. Als er fragt: „Was ist euch denn widerfahren?“, da sagt der Opiumesser: „Wenn man aus diesem Palaste Rosen wirft, so heb sie nicht auf und riech nicht daran!“ Und der Haushofmeister sagte: „Nimm deine Mütze ab und geh so hinein!“ Und der letzte sagt: „Ziehe deine Hosen herunter und geh!“

Bei diesen Sprüchen schwand dem Prinzen die Besinnung aus dem Kopfe. Er sagte sich: „Was soll das heißen?“ Und ging zum Palaste hin. Auf einmal trat er hinein, und die Prinzessin und der Jüngling und die drei Kinder und die Sklavinnen: sie alle zusammen erwiesen ihm einen ehrenvollen und ausgezeichneten Empfang und führten ihn hinauf. Sie setzten sich in einem Zimmer nieder und begannen sich freundschaftlich zu unterhalten.

Und das Älteste der Kinder hatte einen Sessel in der Hand und das Mittlere eine Serviette und das Kleinste eine Platte in der Hand; darauf befindet sich ein Teller, und auf dem Teller eine Birne und daneben noch ein Löffel. Sofort stellte das älteste Kind den Sessel auf den Boden, und das Mittlere legt die Serviette vor den Prinzen. Und als auch das Jüngste die in seiner Hand befindliche Platte hingesetzt hatte (S. 101), da verharrte der Prinz in Staunen.

Endlich sagte er zu den Kindern: „Ißt man denn Birnen mit Löffeln?“ Die Kinder sagten: „Ißt denn ein Menschenkind Menschen?“ Da verstummte der Prinz mit einemmal und dachte nach. Da sagten sie: „Siehe, wir sind deine Kinder! Siehe, unsere Mutter!“ Auch der Jüngling tritt freundlich hinzu und sagt: „Mein Prinz! Deine Augen sollen leuchten! Siehe, hier ist die Sultanin, siehe, hier sind deine Kinder!“ Da kommen sofort die Kinder herbei und umschlingen den Hals ihres Vaters, und auch die Prinzessin umschließt ihren Efendi, und sie liebkosen sich gegenseitig aus innerstem Herzen und werden fröhlich.

Der Jüngling sagt: „Mein Prinz, ich bin Ihr Sklave, und die Prinzessin hat mich für Geld gekauft. Ich bin erlöst. Meine Mutter hat mich ihrerseits so verflucht. Da verfiel ich in einen solchen Zustand. Wenn von Ihrer Großmut die Erlaubnis dazu erteilt wird, so will ich unter Ihrem hohen Schatten in meine Heimat gehen und meine Eltern noch einmal sehen, solange noch die Sehnsucht nach ihnen mir verblieben ist.“

Dann nahm er Urlaub und ging auf und davon. Der Prinz und die Prinzessin aber vermählten sich von neuem, und vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte Festgelag und Festversammlung. Und auch sie wurden ihres Wunsches teilhaftig. Und Gott möge auch uns dessen teilhaftig werden lassen. Amen, o Helfer!

Die Geschichte vom Smaragd-Phönix.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit stand in dem Leibgarten eines Padischah ein Apfelbaum. Alljährlich bringt er nur drei Äpfel hervor, und gerade wenn sie zur vollen Reife gelangt sind, kommt in einer Mitternacht ein siebenköpfiger Dew, reißt die erwähnten Äpfel ab und geht wieder fort. Kein einziger von den Äpfeln wird dem Padischah zum Essen zuteil.

Der Padischah hatte nun drei Söhne. Eines Tages kam sein ältester Sohn, küßte die Erde und blieb vor seinem Vater stehen. Der Padischah fragte: „Was willst du, mein Sohn?“ Da antwortete er: „Wenn es Ihr kaiserlicher Befehl ist, so werde ich heute Nacht diesen Apfelbaum bewachen und jenen Dew töten und die Äpfel pflücken.“ Da sagte der Padischah: „Mein Sohn, du sprichst trefflich. Aber wie wirst du jenen Dew töten? Du wirst dir damit etwas Böses zuziehen. Wenn du ihn aber überwältigen kannst, so töte ihn!“

Der Prinz (S. 103) kam dann, mit einem Pfeile in der Hand, geradeswegs in den Hofgarten und versteckte sich an einem passenden Orte. Um Mitternacht entstand ein Getöse und ein Geseufze, und Erde und Himmel hüllten sich in schwarzen Nebel. Nach einiger Zeit tauchte aus dem Nebel ein gewaltiger, siebenköpfiger Dew auf und kam schnurstracks auf den Baum los. Als der Prinz ihn sah, da schwand ihm die Besinnung aus dem Kopfe, und laut schreiend kam er zu dem Palaste. Der Dew seinerseits aber pflückte die Äpfel und ging mit ihnen auf und davon.

Als es Morgen ward, ließ der Padischah den Prinzen vor sich rufen. Er fragte: „Mein Sohn, wie hast du es gemacht? Hast du den Dew töten und die Äpfel pflücken und herbringen können?“ Da küßte der Prinz die Erde und sagte: „Mein Padischah, ich habe nur mein Leben retten können. Es ist ein derartiger Dew, daß dem, der ihn sieht, die Besinnung aus dem Kopfe schwindet.“

Als das nächste Jahr herangekommen war, begab sich der mittlere Prinz zu seinem Vater und sagte: „Vater, mein älterer Bruder ging hin und konnte den Dew nicht töten. Wenn ich Ihre hohe Erlaubnis erhalte, so will ich diesmal hingehen und will den erwähnten Dew töten.“ Der Padischah gab zur Antwort: „Dein älterer Bruder hat ihn nicht töten können. Wie wirst du ihn töten?“ Da bat er sehr, indem er sagte: „Ich werde das richtige Mittel dafür schon finden.“ Da wollte ihn sein Vater durch Absage nicht kränken und gab ihm die Erlaubnis.

Der Prinz kam nun, mit einem Pfeile in der Hand, schnurstracks in den Garten und versteckte sich an einem geeigneten Orte. Genau um Mitternacht entstand ein Getöse und ein Geseufze, und Erde und Himmel hüllten sich in einen ganz schwarzen Nebel. Nach einiger Zeit (S. 104) tauchte aus dem Nebel ein gewaltiger Dew auf und kam auf den Baum zu. Als der Prinz das Gesicht des Dew sah, geriet er in Furcht und rannte, während ihm Hand und Fuß zu zittern begannen, sofort davon und kam zum Palast. Der Dew seinerseits pflückte die Äpfel und ging fort. Auch in jenem Jahre gab es gegen den erwähnten Dew kein Mittel.

Als nun auch das zweite Jahr zu Ende war, begab sich diesmal der jüngste Prinz zu seinem Vater und fragte folgendermaßen an: „Vater, wenn ich Ihre hohe Erlaubnis erhalte, so will ich diesmal hingehen.“ Da sagte der Padischah: „Deine Brüder konnten ihn nicht töten. Wie wirst du hingehen und ihn töten!“ Doch durch vielmaliges Flehen und Bitten erhielt er doch von seinem Vater die Erlaubnis. Er ging dann geradeswegs in sein Zimmer, nahm einen giftigen Pfeil und steckte auch einen Koran in seinen Busen. Dann ging er aus dem Zimmer hinaus und kam schnurstracks in den Hofgarten und begab sich dort in den Kiosk. Nachdem er sich niedergesetzt hatte, öffnete er den Koran und begann recht innig zu rezitieren. Genau um Mitternacht entstand wiederum ein Getöse und ein Geseufze, und Himmel und Erde hüllten sich in schwarzen Nebel. Nach einiger Zeit kam aus dem Nebel heraus ein siebenköpfiger großer Dew zum Vorschein, der geradeswegs auf den Baum loskam. Da spannte der Prinz den Bogen und schoß mit den Worten: „Hilf Gott!“ den Pfeil auf den Kopf des Drachen ab. Der Pfeil fuhr zu einem seiner Köpfe hinein, durchbohrte alle sieben Köpfe und kam dann wieder heraus. Der Drache stieß einen solchen Schrei aus, daß die Himmel und die Erden dumpf widerhallten. Während sein Blut herabströmte, kehrte er um und ging davon.

Der Prinz aber (S. 105) pflückte sofort die Äpfel und kam wieder in den Palast zurück. Er sagte: „Mein Padischah, ich habe den Drachen getötet und habe die Äpfel gepflückt und mitgebracht.“ Da ward der Padischah aufs äußerste zufrieden und sagte: „Bravo, mein Sohn, du hast sehr viel Kühnheit bezeigt!“ Der Prinz küßte den Boden und sagte: „Efendim, wenn ich Ihre hohe Erlaubnis erhalte, werde ich an den Ort gehen, wohin dieser Drache gegangen ist, und sein Leben von dem Angesicht der Erde auslöschen.“ Der Padischah meinte zwar: „Komm, geh nicht, mein Sohn! Es trifft dich noch ein Schaden von diesem Drachen!“ Doch er richtete damit nichts aus. Als es Morgen wurde, nahm der Prinz auch seine beiden Brüder mit sich und ging der Spur des Blutes des Drachen nach. Die Blutspur endigte nach ein paar Tagen an der Mündung eines Brunnens. Und auf der Mündung des Brunnens lag ein gewaltiger Stein. Die beiden älteren Brüder konnten ihn, so sehr sie sich auch anstrengten, von seinem Platze auch nicht um Haaresbreite aufheben. Da hob ihn der jüngste Prinz auf dadurch, daß er ihn mit dem kleinen Finger faßte, und warf ihn auf einen Berg. Als die Brüder das sahen, da erstaunten sie.

Der jüngste Prinz sagte jetzt: „Ich will in den Brunnen hinabsteigen und will jenen Drachen töten.“ Da sprach der Älteste: „Mein Bruder, ich bin älter. Solange ich da bin, kommt es nicht euch zu.“ Sie waren damit einverstanden. Schließlich banden sie ihm einen Strick um die Hüfte, und die anderen Brüder ließen ihn in den Brunnen hinab. Kaum war der Prinz in den Brunnen hineingekommen, da erhob er schon die Stimme und rief: „Um Gotteswillen, ich verbrenne. Zieht mich herauf!“ Sie zogen ihn hinauf. Dann banden sie dem mittleren (S. 106) Bruder den Strick um die Hüfte und ließen ihn ebenfalls in den Brunnen hinab. Während er hinabgelassen wurde, erhob er die Stimme und rief: „Um Gotteswillen, ich erfriere. Zieht mich heraus!“ Sofort zogen sie ihn wieder heraus.

Der jüngste Prinz erklärte nun: „Meine Brüder, haltet jetzt. Ich werde in den Brunnen hinabsteigen. Wenn ich auch rufe: „Um Gotteswillen, ich verbrenne!“, so laßt mich nur rasch hinab. Und wenn ich auch sage: „Ich erfriere!“, so laßt mich wieder rasch weiter hinab!“ Die Brüder sagten: „Sehr wohl!“ Sie banden dem Prinzen also den Strick um die Hüfte und ließen ihn in den Brunnen hinab. Als er sagte: „Um Gotteswillen, ich verbrenne!“, ließen sie den Strick rasch weiter hinab. Als er sagte: „Um Gotteswillen, ich erfriere!“, ließen sie ihn noch weiter hinab. Der Prinz gelangte ganz bis auf den Grund des Brunnens.

Als der Prinz, den Strick von seiner Hüfte losknüpfend, geradeaus weiterging, kam er in ein Zimmer. Er trat sofort hinein und sieht dort ein Mädchen, schön wie der Vollmond, sitzen und sticken. Aus diesem Zimmer kam er in ein anderes Zimmer. Er tritt hinein und sieht — ja was sollte er denn sonst sehen? — wieder ein Mädchen. Dieses Mädchen ist noch schöner als das andere. Auch sie sitzt und stickt. Aus diesem Zimmer kam er noch in ein anderes Zimmer und trat ein. Auf einmal sieht er — was sollte er sonst sehen? — ein Mädchen von so vollkommener Schönheit, daß sie das Abbild der Welt und der Liebling der ganzen Zeitperiode ist. Ihre Locken hat sie nach beiden Seiten geteilt. Und es ist so, als ob ins Zimmer eine Sonne gefallen wäre, so werden dem Beschauer die Augen geblendet. Man kann ihr nicht ins Gesicht blicken. Als der Prinz dieses Mädchen sah, wäre ihm fast die Besinnung aus dem Kopfe geschwunden. Im selben Augenblicke verliebte er sich aus innerstem Herzen in das Mädchen. Er sagte zu ihr: „Mädchen, bist du ein Mensch, oder ein Dschinn?“ Da sagte das Mädchen: „Ich bin ein Menschenkind (S. 107).“ Und sie sprach: „Um Gotteswillen, mein Jüngling! Wie geschah es, daß du hierherkamst? Denn in diesem Brunnen haust ein Dew. Wenn er dich bemerkt, so gibt er keinen Pardon und tötet dich.“ Der Prinz sagte: „Meine Prinzessin, ich bin einzig deshalb hierhergekommen, um ihn umzubringen. Zeig mir, welches das Zimmer dieses Dew ist!“ Das Mädchen zeigte ihm nun das Zimmer, in dem der Dew sich befand.

Der Prinz kommt zu dem Zimmer, in dem der Dew ist, und tritt hinein. Er sieht — was soll er wohl sonst sehen? —, es befindet sich hier ein unförmiger, ungeschlachter Dew, so groß wie ein Minaret. Jedem, der ihn erblickt, schwindet die Besinnung aus dem Kopf. Als dieser Dew den Prinzen erblickte, nahm er von der Erde seine 1000 batman schwere Keule in die Hand und stieß einen solchen Schrei aus, daß Himmel und Erde lautdonnernd widerhallten. Als er die erwähnte Keule auf den Prinzen schwang, da wußte sich der Prinz zu decken. Als der Angriff des Dew zu Ende war, rief der Prinz: „Gott hilf!“ und ließ sein Schwert auf das Haupt dieses Verfluchten niedersausen und schnitt ihm den Hals entzwei. Sofort stürzte der Verfluchte zur Erde und empfahl seine Seele der Hölle.

Darnach kam der Prinz geradeswegs in das Zimmer, in dem das Mädchen sich befand. Er nahm alle drei Mädchen und die an Wert schweren und an Umfang geringen Diamanten und Kleinodien, Rubinen und Saphire und was sonst noch an wertvollen Dingen, wie diese, alles da war, vollständig mit. So kamen sie auf dem Boden des Brunnens an.

Jetzt rief der Prinz seinen oben befindlichen Brüdern zu, und diese ließen auch den Strick hinunter. Der Prinz band ihn einem der Mädchen um die Hüfte und sagte: „Mein ältester Bruder! Dies ist dein Anteil.“ Die Brüder (S. 108) zogen nun dieses Mädchen hinauf. Sie nahmen das Mädchen ab und ließen schnell den Strick wieder herunter. Der Prinz band nun das zweite Mädchen an und sagte: „Mein mittlerer Bruder, nimm du sie! Diese ist dein Anteil!“ Sie zogen auch dieses Mädchen hinauf und ließen den Strick dann wieder hinab.

Das Mädchen, das die Geliebte des jüngsten Prinzen war, sagte nun zu ihm: „Mein Prinz, steig du zuerst hinauf, nachher werde ich hinaufsteigen. Denn wenn deine Brüder mich oben sehen, werden sie Neid empfinden und dann den Strick abschneiden und dich im Brunnen lassen.“ Doch der Prinz lieh dem Worte des Mädchens durchaus nicht sein Ohr und sagte: „Nein, zuerst werde ich dich hinaufgeben, dann werde ich selbst hinaufsteigen.“ Das Mädchen sagte: „Mein Prinz, ich will dir drei Haare von meinem Kopfe geben. Wenn sie etwa den Strick abschneiden, so werden, sowie du hinunterfällst, die Haare sich aneinander reiben. Dann wird am Grund des Brunnens ein schwarzes und ein weißes Schaf zum Vorschein kommen. Wenn du auf das weiße Schaf hinauffällst, so wirst du auf die Erdoberfläche wieder hinaufsteigen. Wenn du aber auf das schwarze Schaf hinauffällst, so sinkst du auf den Grund der siebenten Erde hinab!“ Der Prinz nahm also von dem Mädchen drei Haare und steckte sie an seinen Busen. Zuerst band er dann dieses Mädchen an und rief: „Brüder! Dieses Mädchen ist mein Anteil!“

Die Brüder ziehen das Mädchen herauf und sehen, daß es ein Mädchen, so schön wie der Vollmond, ist. Mit den Worten: „Wehe, uns hat er die schlechten gegeben, selbst aber hat er die schönste genommen!“ sprachen sie ihren Neid aus. Sie zogen nun den Prinzen herauf. Sowie er an die Mündung des Brunnens gekommen war, schnitten der ältere und der mittlere Bruder (S. 109) den Strick mitten durch. Während der Prinz nun kopfüber hinabstürzte, rieben sich alsbald die Haare, die ihm das Mädchen gegeben hatte, aneinander. Im gleichen Augenblicke erschienen am Grunde des Brunnens ein weißes Schaf und ein schwarzes Schaf. Als der Prinz nun auf das schwarze Schaf hinauffiel, sank er auf den Grund der siebenten Erde hinab.

Hier soll er verweilen. Wir kommen nun zu seinen Brüdern: Diese nahmen sodann die drei Mädchen mit und gelangten geradeswegs zum Palast.

Sie kamen vor ihren Vater und sagten: „Vater, der Dew hat unseren jüngsten Bruder im Brunnen getötet. Wir haben dann diese Mädchen mitgenommen und sind hierhergekommen.“ Als ihr Vater dies vernahm, sagte er: „O wehe!“ und aus beiden Augen strömte ihm an Stelle von Tränen Blut. Er war in Verzweiflung und Trauer um den Prinzen.

Diese sollen hier verweilen. Wir wollen zu der Lage des jüngsten Prinzen kommen: Er sank auf den Grund der siebenten Erde hinab. Auf einmal sieht er, daß da eine ganze Welt für sich ist. Er wanderte eine Zeit lang weiter und gelangte zu einer Stadt. Es war Abendzeit. Er klopfte an die Türe eines Hauses, und eine alte Frau kam. Er sagte: „Mutter, wirst du mich heute Nacht als Gast aufnehmen?“ Da sagte die Frau: „Ach, mein Sohn! Ich habe keinen Platz, wo ich mich selber niederlegen könnte. Wie sollte ich da dich noch aufnehmen?“ Der Prinz zog sofort aus seiner Tasche eine Handvoll Goldstücke heraus und gab sie der Frau. Da sagte sie: „Komm, mein Sohn, ich werde dir einen Platz suchen, wo du liegen kannst!“ und nahm ihn mit hinein. Sie stiegen die Treppe hinauf (S. 110), kamen in ein Zimmer und setzten sich nieder. Da der Prinz sehr durstig war, so sagte er: „Mutter, gib mir ein wenig Wasser!“ Da ging die Frau an den Wandschrank. Da war Wasser, das in dem Kruge schon seit Jahren geblieben war, und in dem sich fingerlange Würmer gebildet hatten. Dieses Wasser also tat die Frau jetzt in einen Becher und gab es dem Prinzen.

Der Prinz nahm es und sieht — was sollte er da sehen? —, selbst wenn man es einem Tiere gäbe, so würde es ein derartiges Wasser nicht trinken. Der Prinz empfand Ekel und trank nicht. Er sagte: „Was ist das für Wasser? Es sind fingerlange Würmer darinnen!“ Da sprach sie: „Ach, mein Sohn, wir trinken jetzt täglich dieses Wasser. Denn in dieses Land kommt alljährlich einmal ein Drache und sperrt uns das Wasser ab. Alljährlich wird ihm ein Mädchen zugeteilt, damit er sie zerstückelt und frißt. Aus allen Brunnen, in die dann Wasser kommt, nehmen wir, die ganze Einwohnerschaft, ein jeder einen Krug voll Wasser, indem wir einander die Köpfe im Streit und Geraufe zerschlagen. Das Wasser, das wir gewonnen haben, teilen wir auf ein ganzes Jahr ein. Hier herrscht diese Wassernot. Denn wir leiden jetzt stark an Verlangen nach Wasser. Und auch dieses Jahr ist wieder zu Ende gegangen. Morgen wird man dem Drachen die Tochter des Padischah geben. Und wenn man sie ihm nicht gibt, so werden wir an Wasserlosigkeit zugrunde geben.“

Als der Prinz dies hörte, versank er eine Zeitlang in Nachdenken. Am Morgen ging er zum Hause hinaus und kam geradeswegs zur Quelle. Mit einemmal bemerkt er, daß dort ein arges Durcheinander herrscht. Alle warten dort, ein jeder mit einem Krug in der Hand.

(S. 111) Jetzt zogen sie der Tochter des Padischah rote Kleider an und umgürteten sie. Ein paar Sklavinnen faßten sie unter dem Arm und kamen mit ihr von der anderen Seite her hinzu. Sie führten das Mädchen zu dem Mittelpunkt der Quelle und ließen das Mädchen dort stehen. Die bei dem Mädchen befindlichen Sklavinnen kehrten um und gingen zurück.

Das Mädchen fängt nun zu weinen an. Als der Prinz dieses Mädchen erblickte, da seufzte er tief aus dem Innersten auf, und sein Innerstes wurde voll Blut. Die Ankunft des Drachen war nun ebenfalls nahe herangekommen. Der Prinz kam direkt auf das Mädchen zu und sagte: „Meine Prinzessin, halt dich hinten an mir fest und bleib fest stehen! Fürchte dich nur ja nicht!“ Er spannte den Bogen und ging an dem Mädchen vorbei und hielt sich schweigend bereit. Nach einiger Zeit bricht von Westen her der siebenköpfige Drache auf, und, den Staub dem Nebel vermischend und aus Maul und Nase Feuer sprühend, kommt er mit Geheul heran. Als der Drache die beiden erblickte, sagte er: „Holla. Während mein Anteil sonst nur eine Person war, sind es jetzt zwei geworden.“ Er keuchte infolge des halbstündigen Weges und begann nun den Atem einzuziehen, um sie zu verschlucken. Doch der Prinz stemmte seine Füße fest in die Erde und blieb wie angewurzelt stehen. Der Drache zog nun so den Atem ein, daß er selbst Berge weggerissen und in den Rachen bekommen hätte. Aber so stark er auch den Atem einzog, so half doch alles nichts. Er näherte sich dem Prinzen noch mehr und keuchte und fing wieder den Atem einzuziehen an.

Sofort stemmte der Prinz seine Füße auf den Boden, spähte auf das Maul des Drachen und sagte: „Im Namen Gottes, Gott hilf!“ und schoß den Pfeil ab. Dieser Pfeil nun fuhr wie eine Bleikugel los, drang beim Rachen des Drachen (S. 112) hinein und kam an seinem Nacken wieder heraus. Der Drachen brüllte alsbald ganz böse auf und erhob sich dreimal von der Erde und schwang sich in die Luft. Und der Erdboden an der Stelle, wo er herunterfiel, wurde herausgewirbelt wie bei einer Dreschtenne und stieg zum Himmel auf. Aus dem Mund und der Nase des Drachen floß das Blut derart, daß das Äußere des Wassers nicht mehr zu sehen war. Um es kurz zu sagen: der Drache ging dort zugrunde, indem er sich selbst immer wieder auf die Erde schlug.

Jetzt tauchte das Mädchen ihre fünf Finger in das Blut und drückte die Hand vorsichtig auf den Rücken des Prinzen mit den Worten ab: „Wundervoll, mein Held, bravo!“, wie wenn es ein Armband gewesen wäre. Dann trennte sie sich von dem Jüngling und kam direkt heim in den Palast.

Als der Padischah das Mädchen erblickte, da wies er sie zurecht und sagte: „Tochter, warum bist du von dort geflohen und wieder zurückgekommen? Wenn sie es jetzt merken, kommen sie und bringen mich um!“ und fing an, an das Mädchen alle Redensarten, die ihm in den Mund kamen, hinzusagen. Das Mädchen erklärte in ihrer Entgegnung: „Efendim, ich bin nicht geflohen. Dort war ein Held. Er tötete jenen Drachen, und ich wurde befreit. Sodann kehrten wir um und sind nun hierhergekommen. Wenn du es nicht glaubst, so magst du auf den Berg gehen und das Aas des Drachen dort liegen sehen!“

Der Padischah erhob sich sofort und kam geradeswegs an den Ort, an dem sich der Drache befand. Da sieht er — was sollte er sonst sehen? — einen so ungeschlachten gewaltigen Drachen, daß dem Beschauer die Besinnung aus dem Kopfe schwand. Niemand wagte zu dem Tiere nahe hinzugehen. Man betrachtete es nur von ferne. Jetzt machte sich der Padischah wieder auf und kam in seinen Palast. Er sagte zu dem Mädchen: „Wenn du jenen Helden sehen würdest; würdest du ihn erkennen?“ Da sprach das Mädchen: „Mein Merkzeichen (S. 113) ist auf seinem Rücken. Wenn ich ihn sehe, erkenne ich ihn sofort.“ Alsbald zogen Ausrufer hinaus, und es wurde in jener Stadt öffentlich bekannt gemacht. Vom ersten Lebensjahre an bis zu 70 Jahren zogen Mann und Frau, Kind und Kegel in hellen Scharen am Palaste vorüber.

Wir wollen zum Prinzen kommen. Als er den Drachen getötet hatte, kam er sofort wie früher in das Haus der alten Frau und setzte sich nieder. Da sagte die Frau: „Mein Sohn, heute hat der Padischah den Befehl zu geben geruht: Vom ersten Lebensjahre an bis zu 70 Jahren soll alles an meinem Palaste vorbeiziehen. Wozu sitzest du noch da? Wohlan, geh auch du an dem Palaste vorbei!“ Der Prinz ging also aus jenem Hause heraus und machte sich auf den Weg. Auf einmal sieht er, daß der Aufzug der Leute schon zu Ende ist. Als der Prinz nun vorüberging, sah ihn das Mädchen vom Fenster aus. Sowie sie den Jüngling erkannte, warf sie ein gesticktes Taschentuch nach ihm. Alsbald erblickten ihn auch die Wachtposten. Sie ergriffen den Prinzen behutsam und verbrachten ihn geradeswegs in den Palast und führten ihn vor den Padischah. Als der Padischah des Jünglings ansichtig wurde, fragte er: „Mein Sohn, hast du den Drachen getötet?“ Da antwortete er: „Jawohl, mein Padischah. Ich habe ihn getötet.“ Alsbald sah der Padischah auch das auf dem Rücken des Jünglings befindliche Zeichen. Und als bei ihnen keinerlei Zweifel mehr geblieben war, da sagte er: „Mein Sohn, erbitte dir von mir, was du nur immer willst!“ Da sagte der Prinz: „Efendim, ich erbitte nur deine Gesundheit!“ Als er ihm nochmals das Angebot machte, sagte er wiederum: „Ich erbitte nur deine Gesundheit.“ Da sagte der Padischah: „Mein Sohn (S. 114), von meiner Gesundheit hast du keinen Nutzen. Erbitte von mir, was du nur willst!“ Da sagte der Knabe zu ihm: „Mein Padischah, gib mir drei Tage Frist. Ich will nachdenken. Dann will ich Antwort geben.“ Endlich brach er von dort auf und kam wieder wie früher in das Haus der alten Frau.

Während er da saß, langweilte er sich eines Tages. Er nahm seinen Pfeil und Bogen und ging auf den Berg. Da es Sommerzeit war, wurde der Prinz sehr müde. Er fand den Schatten eines Baumes und fiel in Schlaf. Nun befanden sich aber auf jenem Baume die Jungen des Smaragd-Phönix. Jedes Jahr kam zu diesen eine gewaltige Schlange und fraß die Jungen auf und ging wieder fort. Nun war das Kommen der erwähnten Schlange ebenfalls auf jenen Tag gefallen. Während der Prinz im Schlafe lag, kam also eine gewaltige Schlange, wand sich um den Baum herum, und während sie emporkletterte, erschraken die Jungen, als sie sie erblickten, auf das äußerste, und alle fingen zusammen laut piepsend zu schreien an. Der Prinz wachte auf und sprang, als er die Stimme der Vögel hörte, sofort auf und erhob sich. Auf einmal sieht er — ja, was sollte er sonst sehen? — eine lange schwarze Schlange klettert, sich um die Zypresse herumschlingend, am Baume hinauf. Als der Prinz diese Schlange erblickte, zog er sofort den Pfeil von seiner Hüfte, sagte: „Gott hilf!“ und schoß den Pfeil ab und nagelte die Schlange mitten am Baume fest. Und die beiden Enden der Schlange kamen jählings kopfüber herabgestürzt und baumelten hin und her. Und der Prinz legte sich wieder (S. 115) zum Schlafe nieder.

Nach einiger Zeit entstand ein Getöse. Vom Himmel herab erschien der Smaragd-Phönix. Als er den Prinzen erblickte, ließ er sich mit den Worten: „Wehe, der ist es wohl, der meine Jungen da umgebracht hat!“ aus der Luft mit voller Wucht wie eine Bleikugel auf ihn herab. Während er so herabstieß, begannen die Jungen zu rufen und sagten: „Mutter, Mutter, der Jüngling, der hier liegt, hat uns gerettet. Schau einmal auf die Zypresse!“ Als der erwähnte Vogel dies hörte, kam er ganz sachte herab. Auf einmal sieht er eine gewaltige Schlange an den Baum genagelt. Wie er dies sah, freute er sich und kam an die Seite des Prinzen. Er brachte es nicht über sich, ihn aufzuwecken. Er streckte einen seiner Flügel aus und deckte ihn über den Prinzen, damit er nicht an der Sonne verbrennte.

Nach einiger Zeit erwacht der Prinz und sieht über sich ein Zelt gebreitet. Wie der Vogel bemerkte, daß er aufgewacht war, zog er vorsichtig seinen Flügel zurück. Dann begann er zu sprechen, und als er dreimal folgendes gesagt hatte: „Mein Held, erbitte von mir, was du nur willst!“, da sagte der Prinz zu ihm: „Ich habe die Bitte an dich, daß du mich auf die Oberfläche der Erde hinaufbringst.“ Der Vogel sagte: „Mein Jüngling, das ist recht schwierig. Aber du hast meine Jungen von dem Feinde befreit. Dir zuliebe werde auch ich mein Leben für dich einsetzen. Jedoch verlange ich von dir vierzig Schafe und vierzig Schläuche Wein. Dies alles sollst du mir bringen. Und wenn ich unterwegs „ghak“ sage, sollst du mir Fleisch, und wenn ich „ghok“ sage, sollst du mir Wein geben. Und ich will dich schon auf die Erdoberfläche hinaufbringen!“

Da kam der Prinz geradeswegs zum Padischah (S. 116) und sagte: „Efendim, ich verlange von Ihnen vierzig Schafe und vierzig Schlauch Wein.“ Der Padischah gab den Befehl dazu und gab ihm vierzig Schafe und vierzig Schlauch Wein.

Als der Prinz zu dem Platze kam, an dem der erwähnte Vogel sich befand, da legte er die Schafe auf den einen Flügel von ihm und die Weinschläuche auf den anderen Flügel und setzte selbst sich in die Mitte. Als der Vogel ihn aufgenommen hatte, erhob er sich sofort in die Luft und flog empor. Auf die Ermahnung des Vogels hin gab er, während sie unterwegs dahinflogen, so oft er „ghak“ sagte, Fleisch, und so oft er „ghok“ sagte, Wein. Während sie so dahinflogen, ging eines schönen Tages das Fleisch aus. Auf einmal sagte der Vogel wieder „ghak“: „Es ist nichts mehr da“. Wieder sagt er „ghak“: „Es ist nichts da“. Als er noch einmal „ghak“ machte, da schnitt der Prinz sich sofort das Fleisch am Schenkel ab und gab es dem Vogel. Dieser nahm es und sieht, daß es Menschenfleisch ist. Er ißt es nicht, sondern bewahrt es in seinem Munde auf.

Indessen kamen sie schon an der Mündung des Brunnens an. Der Vogel sagte zu ihm: „Sieh, mein Jüngling, ich habe dich auf die Oberfläche der Erde heraufgebracht. Wohlan, mach daß du von hier fortkommst! Gott verleihe dir Wohlsein!“ Als der Prinz sagte: „Geh nur du zuerst, dann werde ich auch gehen!“, da nahm der Vogel alsbald das Fleisch, das er aufbewahrt hatte, aus seinem Munde heraus, und als er es auf den Schenkel des Prinzen hinaufdrückte, da wurde der Fuß gebrauchsfähiger als er es früher gewesen war.

Der Prinz sagte nun: „Gott befohlen!“ und machte sich auf den Weg und ging fort. Als er in seine Heimatstadt kam, ging er schnurstracks in einen Fleischerladen hinein und kaufte dort sofort eine Haut und setzte sie sich auf den Kopf (um kahlköpfig zu erscheinen). Während er weitergeht, begegnet er unterwegs einem Hirten. Er sagte: „Um Gotteswillen, Hirte, gib mir die Kleider, die du anhast (S. 117), und ich will dir die Kleider geben, die ich anhabe.“ Da gibt ihm der Hirte seine Kleidungsstücke und nimmt die Kleidungsstücke des Prinzen und geht damit fort.

Der Prinz begibt sich daraufhin schnurstracks zu dem Obergärtner des Hofgartens seines Vaters und sagt: „Um Himmelswillen, Obergärtner, wirst du mich bei dir als Gehilfen annehmen?“ Der Gärtner sagt zwar: „Nein, es ist unmöglich!“ Doch nimmt er ihn wohl oder übel bei sich als Gehilfen an, da absolut kein Mittel dagegen fruchten will. Nach Verlauf von ein paar Tagen sammelt der Obergärtner einen Strauß Rosen, und als er im Begriffe ist, fortzugehen, sagt er: „Mein Sohn, ich gehe jetzt fort. Nimm du den Garten recht wohl in acht!“ und geht weg. Der Prinz reibt nun die Haare, die ihm das Mädchen gegeben hat, aneinander. Da kommt ein Neger und sagt: „Befiehl, mein Prinz!“ Der Prinz sagt: „Ich will von dir ein rotes Roß und einen vollständigen roten Anzug und eine Waffenausrüstung haben.“ Da sagt der Neger: „Der Befehl steht bei meinem Herrn!“ und geht weg. Er bringt dann sämtliche Sachen, die der Prinz gewünscht hat, und gibt sie ihm. Der Prinz sitzt auf, und nachdem er alle Bäume und Blumen, die sich nur im Garten befinden, zerschlagen und alles ruiniert hat, übergibt er die Kleider und das Pferd wieder dem Neger und geht fort und hält sich an seinem Posten auf.

Auf einmal kommt der Meister und sieht — was soll er sonst sehen? — im Garten ist nichts mehr übriggeblieben. Und was den kahlköpfigen Burschen anlangt, so sitzt er in einer Ecke und weint. Der Meister stürzt sofort auf den Burschen los. Da ließen die Prinzessinnen, da sie von einem Fenster aus zusahen, den Obergärtner rufen und sagten: „Laß es dir nicht beifallen! Gib dem Jungen keine Ohrfeige (S. 118)! Denn von außerhalb kam ein Mann auf rotem Rosse und verwüstete den Garten. Der Knabe hat keine Schuld.“

Da brachte der Obergärtner wohl oder übel den Garten wieder in Ordnung. Nach Verlauf von ein paar Tagen sammelte er wieder einen Strauß Rosen. Als er geht, ermahnt er den Jungen eindringlich. Mit den Worten: „Paß recht gut auf den Garten auf!“ geht er hinaus und fort. Der kahlköpfige Bursche schlägt wiederum auf die frühere Art und Weise alles im Garten kurz und klein und läßt sich dann an einem Platze nieder. Was die Prinzessinnen betrifft, so sehen sie diesen Jungen und erkennen ihn. Mit den Worten: „Der Prinz ist wieder auf die Erdoberfläche heraufgekommen!“ sagten sie der Hoheit Gottes Dank und faßten sich in Geduld.

Plötzlich kommt der Obergärtner wieder und sieht, daß alles noch mehr verwüstet ist als früher. Als er nun schnurstracks auf den Jungen losstürzt, um ihn zu verprügeln, da lassen ihn die Prinzessinnen rufen und verwarnen ihn mit den Worten: „Hüte dich! Prügle den Jungen nicht!“

Nach Verlauf von ein paar Tagen nimmt der Obergärtner wieder einen Strauß Rosen und geht fort, indem er den Jungen aufs eindringlichste verwarnt. Was den Jungen aber anbetrifft, so schlägt er den Garten in der früheren Weise kurz und klein, so daß im Garten kein Zweig mehr ganz bleibt. Auf einmal kommt der Obergärtner. Er sieht, daß im Garten überhaupt nichts mehr vorhanden ist. Sofort ruft er den Burschen und wirft ihn zum Garten hinaus.

Der Prinz rettet sich durch die Flucht und geht in einen Goldschmiedladen. Er sagte: „Um Gotteswillen, Meister, wirst du mich als Gehilfen bei dir annehmen?“ Da sagte der Goldschmied: „Fort von da, kahlköpfiger Bursche! Was werde ich mit dir anfangen?“ Als der Junge aber bettelte: „Um Gotteswillen, Meister, ich werde, wenn es sonst nichts geben sollte, wenigstens auf dein Kohlenbecken Kohlen legen!“ da nahm ihn der Goldschmied (S. 119) als Gehilfen bei sich an und ließ ihn sich niedersetzen.

Als seinerzeit die Mädchen in den Palast gekommen waren, da war zwar der Befehl zur Veranstaltung der Hochzeitsfeier gegeben worden, doch waren die Mädchen damit nicht einverstanden gewesen und hatten folgendermaßen geantwortet: „Jede von uns hat vierzig Tage Trauer.“ Infolgedessen war die Hochzeit auf später verblieben. Als jedoch die Mädchen erkannten, daß der Prinz wieder auf die Erdoberfläche heraufgekommen sei, wurde wiederum der Befehl zur Hochzeit gegeben. Aber da die Mädchen kein ganz festes Vertrauen dareinsetzten, daß der Prinz wirklich auf die Erdoberfläche emporgestiegen sei, so stellte die eine von ihnen folgendes Verlangen: „Ich will ein goldenes Stickzeug und eine goldene Nadel haben, die von selbst sticken kann.“ Und die zweite sagte: „Ich will auf einer goldenen Platte eine goldene Henne und vierzig Küchelchen haben, die goldene Gerste fressen und herumgehen müssen.“ Und die dritte sagte: „Ich will eine goldene Platte haben und darauf einen goldenen Windhund und einen goldenen Hasen, die einander nachjagen müssen.“

Da läßt der Padischah sofort die Goldschmiede rufen und gibt den Befehl, daß diese Dinge gemacht werden. Die Goldschmiede denken nach und verlangen vierzig Tage Frist. Der Padischah gibt ihnen vierzig Tage Frist, und indem er ihnen noch den Bescheid gibt: „Wenn ihr am 41. Tage die Sachen nicht bringt, werde ich euch alle umbringen!“, schickt er sie wieder in ihre Läden zurück.

Die Goldschmiede sollen nun in ihre Läden gehen und sämtlich in Beratung begriffen sein. Wir wollen zu dem kahlköpfigen Burschen kommen. Als er fragte: „Meister, warum versenkst du dich in so tiefes Nachsinnen und grübelst so?“, da sagte der Meister: „Pack dich fort, kahlköpfiger Bursche! Wenn ich nicht nachdenke, wer sollte denn dann sonst nachdenken?“ Als aber der Junge bat: „Um Gotteswillen, Meister, lieber Meister! Was ist es, worüber du nachgrübelst? Sage es mir doch!“ (S. 120), da sagte sein Meister: „Frag nur nicht erst darnach! Unsere Sache bleibt nur noch dem Herrn anheimgestellt. Denn die Söhne des Padischah haben drei Mädchen mitgebracht. Jede von ihnen hat nun einen Gegenstand verlangt. Ich weiß nicht, was wir machen sollen. Der kahlköpfige Bursche fragte nun: „Um Gotteswillen, Meister, sage, was es ist. Ich will doch sehen!“ Da sagte der Mann: „Die eine von ihnen verlangt ein goldenes Stickzeug, die zweite einen goldenen Hasen und die dritte eine goldene Henne. Alle diese Sachen sollen belebt sein. Was ist das für ein Ansinnen? Ist so etwas möglich?“ Da sagte der Bursche: „Um Gotteswillen, Meister, ich dachte, es sei etwas ganz Unerfüllbares, und deshalb fragte ich. Wegen dieser Kleinigkeit mach dir keine Sorgen. Bring du mir sofort einen Kantar Haselnüsse und einen Kantar Trauben und 40 Okka Wachskerzen. Ich will die Sachen, die du haben willst, in vierzig Tagen fertigstellen und dir geben!“ Da kaufte der Meister mit den Worten: „Die Seele des Jungen verlangt nach Haselnüssen und Trauben. Mein Kopf und mein Auge sollen ein Almosen für ihn sein!“ das Verlangte und gab es ihm.

Der Junge seinerseits begibt sich in das Zimmer und verbleibt dortselbst, indem er niemand zu sich läßt, vierzig Tage und ißt die Haselnüsse und die Trauben und verbrennt die Wachskerzen und läßt sich’s wohlsein. In der 40. Nacht rieb der Junge wieder die Haare aneinander. Als ein Neger kam und sagte: „Befiehl, mein Prinz, was willst du?“ da gab der Prinz folgenden Befehl: „Ich will aus dem im Laden vorhandenen Golde ein goldenes Stickzeug und einen goldenen Hasen und einen goldenen Windhund und eine goldene Henne haben.“ Der Neger ging hin und brachte sofort die Dinge und überreichte sie dem Prinzen. Dieser nimmt sie und verwahrt sie im Wandschrank.

Als es nun Morgen wurde, kam sein Meister. Und als er sagte: „Was hast du gemacht (S. 121), kahlköpfiger Bursche?“, da sagte dieser: „Zu was fragst du mich erst noch? Öffne den Wandschrank und schau!“ Sofort öffnet sein Meister den Wandschrank und sieht, daß schon alles fertig dasteht. Er sagt: „Ach (āman), mein Sohn!“ und umarmt ihn. Schließlich nimmt er alle diese Sachen und bringt sie geradeswegs in den Palast und übergibt sie dort. Und als die Mädchen nun diese Sachen sehen, glauben sie nun fest daran, daß der Prinz jetzt auf die Erdoberfläche heraufgekommen ist, und sagen dem Herrn Dank.

Wir wollen zu dem kahlköpfigen Burschen kommen. Kaum, daß sein Meister in den Laden kommt, so sagt er: „Meister, gib mir Urlaub. Ich will gehen.“ Sein Meister ist zwar damit nicht einverstanden. Aber so sehr er auch bittet und schöntut, so kann er doch kein wirksames Mittel dafür finden, ihn zu halten, und gab ihm Urlaub. Der kahlköpfige Bursche bricht also von dort auf und geht geradeswegs zu einem Schneiderladen und sagt zu dem Schneider: „Meister, wirst du mich als Gehilfen bei dir annehmen?“ Der Schneidermeister sagt zwar: „Ich will keinen Gehilfen! Holla, mach weiter, geh fort von hier!“, aber da er ihn auf keine Weise verjagen kann, nimmt er ihn wohl oder übel zuletzt als Gehilfen zu sich.

Wir wollen zu den Mädchen kommen: Sie senden dem Padischah Nachricht: „Wir wollen einen vollständigen Anzug haben, der nicht mit einer Schere zugeschnitten und nicht mit einer Nadel genäht ist, und der in eine Haselnußschale hineingehen soll.“ Da ließ der Padischah die Schneider rufen. Er sagte: „Ich verlange von euch einen vollständigen Anzug, der mit der Schere nicht zugeschnitten und nicht mit einer Nadel genäht ist, und der in eine Haselnußschale hineingehen soll.“ Da dachten die Schneider nach und verlangten vierzig Tage Frist. Der Padischah gab ihnen die vierzig Tage Frist und sagte: „Wenn ihr am 41. Tage nicht kommt, so laß ich euch allen den Hals (S. 122) abschneiden.“ Damit ließ er sie ihres Weges ziehen.

Die Schneider kamen in ihre Läden, und alle begannen an einem Orte sich zu beraten. Auf einmal kam der kahlköpfige Bursche und sagte: „Um Gotteswillen, Meister, lieber Meister, was grübelst du da nach?“ Da sagte dieser: „Holla, mach, daß du fortkommst, kahlköpfiger Bursche! Belästige mich nicht!“ Doch hatte das keinerlei Wirkung. Als er bat, er möchte doch sprechen, sieht sein Meister, daß es kein Mittel dagegen gibt. Er sagte nun: „Der Padischah, unser Efendi, ließ uns in den Palast rufen und verlangt von unsereinem einen vollständigen Anzug, er soll mit einer Schere nicht zugeschnitten sein und mit der Nadel nicht genäht werden und soll in eine Haselnußschale hineingehen. Wenn der Anzug nicht gemacht wird, wird er uns alle zusammen töten.“

Da sagte der kahlköpfige Bursche: „Um Gotteswillen, ist das denn eine Sache, daß du darüber nachgrübeln mußt? Bring mir 40 Kantar Haselnüsse und 40 Kantar Trauben und 40 Okka Wachskerzen. Bis zum 41. Tage werde ich dir das Kleid machen und geben.“ Da sagte sein Meister: „Der Bursche hat ein Verlangen nach Haselnüssen und Trauben. Mein Haupt und mein Auge sollen für ihn zum Almosen dienen.“ Er kaufte also die Sachen und gab sie ihm.

Der Junge aber nahm diese Dinge an sich und ging in ein Zimmer hinein und setzte sich nieder. Und er fing an, die Haselnüsse und die Trauben zu essen. Als die 41. Nacht kommt, reibt der Junge die Haare aneinander. Wiederum kommt der erwähnte Neger. Er sagt: „Befiehl, mein Prinz, was willst du?“ Da sagt der Prinz seinerseits: „Ich will im Laden ein Kleid haben, das in eine Haselnußschale hineingeht.“ Sofort ging der Neger hin und holte es. Und der Prinz nahm es und versteckte es im Wandschrank.

Am Morgen kam sein Meister. Er sagte: „Kahlköpfiger Bursche, was hast du gemacht? Ich möcht’ es doch sehen!“ Da sagte der kahlköpfige Bursche: „Zu was fragst du erst noch mich? Schau doch in den Wandschrank!“ (S. 123) Der Meister schaut in den Wandschrank und sieht, daß dort ein Kleid ist, dessengleichen es in der ganzen Welt nicht mehr gibt. Sofort nimmt er es und bringt es in den Palast und übergibt es dem Padischah.

Der Padischah nimmt das Kleid und befiehlt, daß die Hochzeit zugerüstet werde. Alsbald wird das Hochzeitsfest vorbereitet. Da nach dem damaligen Brauche die Bräutigame auf offenem Platze sich mit Pfeilschießen vergnügten, so zieht an jenem ersten Tage der älteste Prinz hinaus auf den Platz, und alle Menschen, die nur auf der Welt sind, kommen zur Schau und zur Betrachtung. Auch der Schneider sagte: „Mein Sohn, wir wollen mit dir zusammen hingehen. Heute wird der älteste Sohn des Padischah Dscherid (Wurfspeer) spielen. Wir wollen es uns ansehen.“ Da sagte der grindige Junge: „Um Gotteswillen, Meister, gehen Sie! Mein Kopf ist grindig. Wenn man im Gedränge mich mit etwas an meinen Kopf schlägt, was soll ich dann machen?“ und bleibt im Laden.

Nachdem aber sein Meister gegangen ist, reibt er die Haare aneinander. Wiederum kommt der erwähnte Neger und spricht: „Befiehl, mein Prinz!“ Kaum sagt dieser: „Ich will von dir ein rotes Pferd und ein ganz neues Wurfzeug und schwarze Kleider haben“, da bringt der Neger auch schon alles und übergibt es ihm. Der Junge zieht die Kleider an, besteigt das Pferd und reitet schnurstracks auf den Pfeilplatz. Er sieht, daß der Prinz Dscherid spielt. Auf einmal betritt der grindige Bursche den Platz, setzt hinter dem Prinzen drein, findet eine günstige Gelegenheit und trifft ihn am Arm und verwundet ihn. Als der Prinz zur Erde gestürzt ist, verschwindet der Bursche sofort vom Platze und kommt in Eile wieder in den Laden. Und Pfeil und Pferd übergibt er dem Neger und läßt sich im Laden nieder.

Auf einmal kommt sein Meister. Er sagt: „Um Gotteswillen, mein Sohn, es ist gut, daß du nicht mitgekommen bist.“ Da sagte der Junge: „Um Gotteswillen, was ist geschehen?“ Da sagte der Meister: „Ein Held auf rotem Rosse (S. 124) ist gekommen und hat den Sohn des Padischah getroffen. Jedoch ist er nicht tot.“ Der Bursche sagte: „Es ist gut, Meister, daß ich nicht mitgegangen bin. Wenn es auf meinen Kopf gekommen wäre, was würde ich da tun?“ und verstummte.

Am zweiten Tage steigt der mittlere Prinz zu Pferd und reitet auf den Plan. Der Meister geht wieder hin, und der Junge bleibt im Laden zurück. Wiederum reibt er die Haare aneinander. Als der erwähnte Neger kommt, da sagt er: „Ich will einen Pfeil und ein gelbes Pferd.“ Sofort geht der Neger und bringt es. Und als er es dem Prinzen übergeben hat, steigt dieser auf und reitet auf den Plan. Auf einmal sieht er dort seinen mittleren Bruder Dscherid spielen. Er findet auch bei diesem eine günstige Gelegenheit, und sowie er ihm einen Pfeil in den Schenkel hineingeschossen hat, stürzt dieser sofort vom Pferde herab. Darnach begibt sich der Junge wieder in den Laden, übergibt Pfeil und Pferd dem Neger und bleibt ruhig an seinem Platze sitzen.

Auf einmal kommt der Meister heim und sagt: „Um Gotteswillen, mein Sohn, es ist gut, daß du nicht mitgegangen bist!“ Da fragt er: „Um Gotteswillen, Meister, was ist geschehen?“ Sein Meister gab zur Antwort: „Ein Mann auf gelbem Rosse kam, und indem er den mittleren Sohn des Padischah in den Schenkel traf, stieß er ihn zur Erde.“ Da lobte und pries der grindige Bursche Gott, daß er nicht hingegangen sei.

Am nächsten Tage zieht der Sohn des Wesir heraus auf den Plan und spielt. Der Meister läßt den grindigen Burschen wieder im Laden und geht hin. Wiederum reibt der grindige Bursche die Haare aneinander und sagt, als der Neger kommt: „Ich will von dir einen Pfeil und ein weißes Pferd haben.“ Der Neger holt es sofort und übergibt es ihm. Der Bursche nimmt den Pfeil und steigt zu Pferde und reitet auf den Plan. Auf einmal sieht er den Sohn des Wesirs (S. 125) auf dem Spielplatz Dscherid spielen. Auch bei diesem findet er eine günstige Gelegenheit und trifft ihn mit einem Pfeile, daß er ihm ins Herz dringt und am Rücken wieder herauskommt. Diesen brachte er um und fängt nun selber an, auf dem Spielplatz herumzureiten. Alsbald ergriff man den Jüngling und brachte ihn vor den Padischah.

Sowie der Padischah den Befehl zu seiner Hinrichtung gab, da sagte der Prinz: „Mein mächtiger Padischah! Meine Brüder haben mich im Brunnen drinnen gelassen. Wirst auch du mich töten?“ Da umarmte ihn der Padischah mit den Worten: „Weh, mein Sohn!“ und weinte. Er sagte: „Mein Sohn, was willst du haben? Soll ich deine Brüder töten?“ Da sagte der jüngste Prinz: „Ich bin einverstanden mit dem Befehle Gottes. Aber gib jedem von ihnen einen Konak und verheirate das älteste Mädchen mit meinem ältesten Bruder und das mittlere Mädchen mit meinem mittleren Bruder und vermähle die Jüngste mit mir!“ Da tat der Padischah sofort die Brüder aus dem Palaste heraus und tat jeden in einen eigenen Konak. Das jüngste Mädchen wurde mit ihm vermählt.

40 Tage und 40 Nächte wurde Hochzeit gefeiert. In der 41. Nacht, einer Freitagnacht, trat er in der Brautkammer ein. Und sie erregten Leidenschaft und stillten die Leidenschaft. Auch diese Erzählung ist hier zu Ende. Und damit Schluß!

Die Geschichte von dem alten Spindelhändler.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse und die Überlieferer der Schicksalskunden erzählen also: In alter Zeit waren in einem Hause drei Schwestern. Wie sie so beisammensaßen, kam plötzlich eines Tages auf der Straße ein Spindelhändler mit einem Binsenkorb auf dem Rücken als Händler zum Hause der drei Schwestern, wobei er rief: „Ich habe drinnen (im Korbe) Spindeln, um Baumwolle zu spinnen!“ Die Mädchen sagten: „Was willst du, Vater! Pack aus! Wir wollen sehen! Hast du schöne Spindeln?“ Da stellte der Alte die in dem Binsenkorb befindlichen Spindeln auf den Boden hin. Das älteste Mädchen schaute sie an. Es gefiel ihr aber keine einzige davon. Sie sagte: „Vater, hast du keine anderen Spindeln als diese?“ Er entgegnete: „Meine Tochter, zu Hause habe ich noch welche. Geh mit mir und such dir die schönsten davon aus und nimm sie!“ Das älteste Mädchen sagte: „Sehr schön!“, stand auf und machte sich mit dem alten Vater auf den Weg.

Nach einiger Zeit kamen sie auf die Spitze eines Berges hinauf. Dann gingen sie noch eine Strecke weiter und gelangten zu einer Höhle. Wie sie eintraten, schaut das Mädchen auf einmal nach beiden Seiten und sieht, daß (S. 127) die Wand auf beiden Seiten voll menschlicher Leichen hängt. Es waren direkt in der Mitte auseinandergeschnittene Menschen an der Wand aufgehängt. Als das Mädchen dies sah, schwand ihr die Besinnung aus dem Kopfe.

Sie ging mit dem Alten noch eine Strecke weiter, und dann traten sie in ein Zimmer. Als es Abend wurde, sagte der Alte: „Wohlan, Mädchen, röste etwas von den hier aufgehängten Fleischstücken. Wir wollen essen!“ Da stand das arme Mädchen auf, nahm einen von den aufgehängten Menschen herunter, röstete ihn und setzte ihn dem alten Manne vor. Dieser fing zu essen an. Dann sagte er zu dem Mädchen: „Warum ißt du nicht?“ Das Mädchen sagte: „Ich liebe kein Fleisch.“ „Nun, was ißt du denn dann? Wirst du meinen Finger essen?“ Das Mädchen war überzeugt, daß er seinen Finger nicht abschneiden würde, und sagte: „Den werde ich essen.“ Sofort schnitt sich der Alte den Finger ab, warf ihn dann dem Mädchen vor und sagte: „Da hast du ihn, iß!“ Das Mädchen erschrak und geriet in Furcht. Rasch warf sie den Finger unter den Tisch. Als der Alte fragte: „Hast du den Finger gegessen?“, da sagte sie: „Jawohl, ich habe ihn gegessen.“ „Wenn du ihn nicht gegessen hast, soll ich dich da umbringen?“ Das Mädchen dachte sich: „Wie kann er es wissen?“ Sie sagte deshalb: „Dann bring mich nur um!“ Der Alte hub nun an und sagte: „Finger, wo bist du?“ Der Finger antwortete: „Ich bin unter dem Tisch.“ Da stand der Alte auf und schnitt das Mädchen von dem einen Ohr an bis hinunter mitten entzwei und hängte sie an die Wand.

Am folgenden Tage stand der Alte auf und kam wieder geradeswegs zu dem Hause der zwei Schwestern. Sie fragten zwar: „Vater Spindler, wo ist unsere Schwester?“ Der Alte aber sagte: „Der Prinz hat sie unterwegs gesehen und mit sich genommen. Sie hat die Ruhe gefunden. Komm, ich will auch euch hinbringen. Ich will euch mit einem reichen Gatten verheiraten.“

Da sie es für wahr (S. 128) hielten, stand das mittlere Mädchen auf und machte sich mit dem alten Vater auf den Weg. Als sie zu jener Höhle kamen, traten sie ein. Das Mädchen schaute nach beiden Seiten: Eine Menge Menschen waren dort aufgehängt. Ihre eigene Schwester hängt ebenfalls, in der Mitte auseinandergeschnitten, dort. Als sie das erblickte, sagte sie sofort: „O wehe!“, und ihr Inneres wurde voll Blut.

Weitergehend traten sie in das Zimmer. Der Alte ließ das Mädchen auf die frühere Art und Weise Fleisch braten und bot ihr welches an. Das Mädchen sagte gleichfalls: „Ich esse keines.“ Als der Alte sagte: „Soll ich dir meinen Finger geben? Wirst du ihn essen?“, da sagte das Mädchen ebenfalls: „Ich werde ihn essen.“ Der Alte schnitt sich seinen Finger ab und warf ihn dem Mädchen hin. Das Mädchen aber nahm behutsam den Finger und warf ihn zum Fenster in den Garten hinaus. Als nun der Alte sagte: „Mädchen, hast du den Finger gegessen?“, sagte das Mädchen: „Jawohl!“ Der Alte fragte: „Finger, wo bist du?“ Als nun der Finger zu sprechen anhub und sagte: „Ich bin im Garten zwischen dem Kehricht!“, da stand der Alte auf die frühere Weise auf. Er zerstückelte auch dieses Mädchen und hängte es an die Wand.

Am folgenden Tage machte er sich auf und kam schnurstracks zu jenem Hause. Die jüngste Tochter wehklagte. Als sie sagte: „Wo sind meine Schwestern? Wohin hast du sie gebracht?“, da entgegnete der Alte: „Die eine habe ich an den Prinzen verheiratet, und die andere habe ich ebenfalls einem reichen Mann zur Frau gegeben. Die Plätze deiner Schwestern sind gut. Komm, ich will auch dich hinbringen. Ich will dich an einen schönen Jüngling verheiraten.“

Nun hatte das Mädchen eine gelbe Katze im Hause. Diese nahm sie auf den Arm und ging mit dem Alten hinaus, und indem sie geradeswegs zu jener Höhle kamen, traten sie hinein. Das Mädchen schaute sich nach beiden Seiten um — Was sollte sie da sehen? (S. 129) Da waren ihre beiden Schwestern, mitten entzweigespalten, an der Mauer aufgehängt. Das Mädchen sagte: „O weh! Meine Schwestern sind tot!“, und aus ihren Augen floß Blut an Stelle von Tränen. Indem sie bei sich sagte: „Warte, du glaubensloser Bursche, ich will dich züchtigen“, ging sie weiter.

Wir wollen die Erzählung nicht allzulange ausdehnen: Als der Alte in sein Zimmer kam, sagte er auf die frühere Art und Weise zu dem Mädchen: „Ich bin hungrig geworden. Brate nun deine Schwester! Wir wollen sie aufessen.“ Das Mädchen stand auf, nahm einen Menschenleichnam, briet die eine Hälfte davon am Herd, die andere Hälfte briet sie nicht, und brachte dann die Hälfte herbei und setzte sie vor ihn hin. Und als der Alte dem Mädchen davon anbot, sagte das Mädchen ihrerseits: „Ich esse kein Menschenfleisch.“ Da sagte er: „Hallo, was ißt du denn dann? Wirst du meinen Finger essen?“ Das Mädchen sagte: „Ich werde ihn essen.“ Indem er sich alsbald den Finger abschnitt, warf er ihn dem Mädchen vor. Das Mädchen gab ihn verstohlen der unter dem Tisch befindlichen Katze. Diese nahm den Finger und verschlang ihn.

Als der Alte auf die frühere Weise sagte: „Mädchen, hast du den Finger gegessen? Soll ich dich umbringen, wenn du ihn nicht gegessen hast?“, da antwortete das Mädchen: „Dann bring mich um!“ Wie der Alte nun auf einmal sagte: „Finger, wo bist du?“, da sagte der Finger: „Ich bin in einem ganz warmen Bauche.“ Da sagte der Alte: „Bravo, meine Tochter! Von jetzt ab bist du meine wirkliche Tochter.“ Endlich ließ dieses Mädchen jenen Alten das Gelübde ablegen, kein Menschenfleisch mehr zu essen, und indem er von draußen ein Lamm brachte, aßen sie zusammen.

Eines Tages sagte der Alte: „Meine Tochter! Deine Seele soll sich nicht langweilen! Nimm diese vierzig Schlüssel. Öffne damit die vierzig Zimmer und ergeh dich darin und wandle nach Herzenslust herum. Jedoch das 41. Zimmer sollst du nicht aufmachen! (S. 130) Damit verwarnte er das Mädchen und ging hinaus und weg.

Das Mädchen stand auf, öffnete die vierzig Zimmer und sieht, daß in ihnen Edelsteine und Kostbarkeiten und Rubine und alle möglichen Sachen da sind. Während das Mädchen dieses betrachtete, war sie neugierig auf jenes andere Zimmer, von dem er gesagt hatte: „Öffne es nicht!“ und sagte bei sich: „Wohlan, ich will auch jenes Zimmer aufmachen!“ Wie sie an die Tür des Zimmers kommt, öffnet sie sie schnell und tritt hinein. Mit einem Male sieht sie, daß an der Decke ein Jüngling an seinen Haaren aufgehängt ist. Er war so schön wie der Vollmond. Kein Mensch konnte sich losreißen, ihm ins Gesicht zu sehen, so vollkommen schön war er. Seinesgleichen, einen, der ihm ähnlich gewesen wäre, gab es nicht. Wie das Mädchen ihn erblickte, schwand ihr die Besinnung aus dem Kopfe. Als sie fragte und sprach: „Bist du ein Mensch oder ein Dschinn?“, antwortete der Jüngling: „Ich bin ein Menschenkind.“ „Wer hat dich hier aufgehängt?“ Der Knabe sagte: „Der hier befindliche Hexenmeister wollte mich vernichten. Da ich aber obsiegte, so packte er mich endlich zu guter letzt an meinen Haaren und hing mich hier auf.“

Das Mädchen erzählte nun die ihr zugestoßenen Abenteuer eins nach dem anderen. Als sie sagte: „O Jüngling, gibt es denn ein Mittel, um ihn zu töten?“, da sagte er: „Meine Sultanin! Der Hexenmeister wird jetzt kommen. Sag zu ihm: „Komm, ich will deinen Kopf pflegen!“ und schneide vorsichtig an seinem Kopfe eine Anzahl Haare ab. Der Hexenmeister verfällt dann in einen Schlaf, der genau vierzig Tage dauert. Erst am 41. Tage steht er wieder auf. Dies sollst du ausführen. Dann wollen wir ihn verlassen und unseren Kopf in Sicherheit bringen und fliehen. Dann bist du mein und ich dein!“

Nachdem sie diesen Beschluß gefaßt hatten, schloß sie ihn behutsam wieder ein und kehrte in das Zimmer des Hexenmeisters zurück. Nach einiger Zeit kam der Hexenmeister. Er sagte zum Mädchen (S. 131): „Hast du dir die Zimmer betrachtet?“ Das Mädchen entgegnete: „Jawohl, mein Herz hat sich ein wenig erheitert.“ Als sie dann sagte: „Komm, Vater, ich will deinen Kopf pflegen!“, da legte der Hexenmeister seinen Kopf dem Mädchen auf das Knie. Das Mädchen schnitt ihm vorsichtig seine Haare ab und nahm sie fort. Der Hexenmeister aber verfiel in Schlaf.

Das Mädchen ließ ihn sofort von ihrem Knie zur Erde sinken und kam schnurstracks in das Zimmer, in dem jener Jüngling war. Sie machte ihn dann von der Fessel seiner Haare frei und ließ ihn herab. Sie sagte: „Mein Jüngling, von jetzt an bist du mein, und ich bin dein.“ Er sagte: „Es ist nicht möglich zu bleiben. Wir wollen fliehen.“ Sie nahmen dann von dort alles mit, was nur da war leicht an Gewicht und schwer an Wert und gering an Umfang, und machten sich auf den Weg und gelangten, gerade als die vierzig Tage zu Ende waren, in die Stadt. Sie kamen zum Hause des Mädchens und begannen zu kosen.

Diese sollen also hier verweilen. Wir wollen zu dem Hexenmeister kommen. Am 41. Tage erwachte er vom Schlafe und schaute sich in allen vier Winkeln um. Als er das Mädchen nicht mehr erblickte, ging er sofort nach oben und kam in das Zimmer, in dem der aufgehängte Jüngling gewesen war. Weder der Jüngling war da, noch das Mädchen. Er sagte: „Weh, du glaubensloser Vagabund, weh! Zuletzt hast du noch das Mädchen mitgenommen und bist entflohen!“ und geriet in große Wut. Indem er sich auf den Weg machte und einen Weg von vierzig Tagen in einem einzigen Tag zurücklegte, kam er zu der erwähnten Stadt.

Er nahm die Gestalt eines Armen an und kommt zu der Türe jenes Mädchens. Er sagte: „Um Gotteswillen, meine Tochter. Um Gottes Liebe willen soll es sein! Nimm mich drinnen auf!“ Das Mädchen nahm ihn auch auf, da es ihn für einen Armen hielt. Der Jüngling war, wie dem auch sein mag (S. 132), ausgegangen, um etwas einzukaufen. Als er nach einer Stunde zurückkam und den Alten im Hause erblickte, da erkannte er ihn sofort. „O weh!“ sagte er bei sich. Doch stellte er sich jetzt ganz sorglos und ging in sein Zimmer. Als es Abend wurde, aß er und gab auch jenem Armen ein bißchen.

Kurz und gut. Wir wollen die Geschichte nicht zu lang machen. Es wurde Nacht. Das Mädchen schlief ein. Dem Jungen aber kam kein Schlaf in die Augen. Als es auf 4 Uhr oder 5 Uhr ging, da streute der Hexenmeister Totenerde auf die im Stadtviertel befindlichen Menschen aus und zog einen Zauberkreis. Und indem er zu jenem Jüngling kam, stellte er ihm eine Totenflasche zu Häupten hin. Sofort fiel auch der Jüngling in einen Schlaf wie ein Toter. Alsbald hob der Hexenmeister das Mädchen auf und gab ihr eine solche Tracht Prügel, daß ihr Geschrei zum Himmel emporstieg. Da sie keinen Ort finden konnte, wohin sie hätte entfliehen können, so lief sie um jenen Jüngling herum, wie das Himmelsgewölbe um die Erde sich dreht. Auch der Hexenmeister hielt nicht an und jagte sie vor sich her. Dem Mädchen blieb schon keine Kraft und Stärke mehr.

Mitten in jenem Getümmel spaltete sich die Wand entzwei, und eine Stimme kam heraus, die besagte: „Mädchen, zu was zauderst du? Zu Häupten des Jünglings steht eine Flasche. Die zerschlag und zerbrich! Dann steht der Jüngling wieder auf.“ Als das Mädchen das hörte, wendete sie sich um und zerbrach die erwähnte Flasche mit ihrem Fuße. Und sofort wachte der Jüngling auf und sah, daß das Mädchen in Qual war und ihr Geschrei zum Himmel stieg. Mit den Worten: „Wehe!“ packte er den verfluchten Hexenmeister, hob ihn auf und warf ihn auf die Erde. Sofort stieß er ihm am Nabel einen Pfahl hinein und verbrannte ihn ganz und gar.

Indem er hernach (S. 133) das Mädchen heiratete, wurden sie ihres Wunsches teilhaftig. Auch diese Geschichte ist hier am Ende. Und damit Schluß!

Die Geschichte von dem Dieb und dem Taschendieb.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse und die Übermittler der Schicksalskunden erzählen also: In alter Zeit hatte eine Frau zwei Männer. Der eine war ein Dieb, der andere ein Taschendieb.

Eines Tages ist der Dieb daran, zu verreisen. Er läßt seine Frau eine Pastete bereiten. Die Hälfte der Pastete gibt ihm die Frau mit. Sobald er sie an sich genommen hat, macht er sich auf den Weg und geht fort. Als jetzt der Taschendieb nach Hause kommt, sagt er zu seiner Frau: „Frau, morgen werde ich nach auswärts gehen.“ Die Frau gibt ihm also die andere Hälfte der Pastete. Er nimmt sie und macht sich auch auf den Weg.

Als er beim Fortwandern auf den Dieb traf, sagte er: „Kamerad, wohin gehst du?“ Der Dieb sagte: „Ich gehe nach der Stadt Aleppo. Wollen wir zusammen Kameradschaft halten!“ Da war auch dieser damit einverstanden, und sie machten sich zusammen (S. 135) auf den Weg. Als sie nach einiger Zeit hungrig wurden, setzten sie sich mit den Worten: „Komm, Kamerad, wir wollen ein wenig essen!“ an einem Orte nieder. Der Dieb zog nun alsbald die Pastete aus dem Sack heraus und tischte sie auf. Indem der Taschendieb aus seinem Zwerchsack ebenfalls die Pastete herauszog, tischte er sie gleichfalls auf. Auf einmal sieht der Dieb, daß die beiden Pasteten zusammengehören und zusammen eine Pastete bilden und auf einer Pfanne gebacken worden sind. Jetzt sagt der Dieb: „Diese Pastete hat meine Frau gemacht.“ Der Taschendieb sagt: „Nein, meine Frau hat sie gemacht.“ Plötzlich fragt der Dieb: „Wie heißt deine Frau?“ Der Taschendieb sagt: „Meine Frau heißt Marie.“ Der Dieb sagt: „Das ist ja meine Frau!“ Der andere sagte: „Sie ist meine Frau!“

Sie gehen nun, während der Streit immer hitziger wird, in ihr Haus zurück. Jetzt sagt der Dieb zu der Frau: „Holla, bist du denn nicht meine Frau?“ Die Frau sagte: „Jawohl!“ Der Taschendieb sagt: „Holla, bist du denn nicht meine Frau?“ Die Frau sagte auch zu diesem: „Jawohl.“ Jetzt sagt der Dieb: „So lange Zeit schon hast du also zwei Männer, pfui, du Vagabundenweib, pfui! Schau nur! Hat sie mir ein einziges Mal etwas davon gesagt?“

Sie brechen dann von dort wieder auf und gehen schnurstracks zum Gericht und legten die Sache, wie sie war, dem Richter vor. Der Richter gab ihnen folgenden Bescheid: „Legt beide eine Probe eurer Kunst ab. Wer von euch dabei gewinnt, dem gehört auch die Frau!“

Die beiden kamen also nach Hause zurück. Eines Tages sagte der Dieb zu der Frau: „Holla, gib die Brosche her! Wir wollen sie an den Goldschmied verkaufen und davon den Haushalt bestreiten!“ Der Taschendieb kam von außen dazu. Während der Dieb die Brosche wegnahm und auf den Markt geht (S. 136), nimmt ihm der Taschendieb, indem er ihn anrempelt, die Brosche unbemerkt aus dem Busen und bringt sie wieder nach Hause. Was den Dieb anbetrifft, so hat er keine Ahnung davon. Er kommt geradeswegs zum Goldschmied und will sie herausziehen und zeigen. Da merkt er auf einmal, daß die Brosche nicht mehr da ist. Mit den Worten: „Ich habe sie wohl zu Hause vergessen,“ kehrt er um und kommt nach Hause.

Er sagt: „Frau, ich habe wohl die Brosche hier vergessen. Gib die Brosche her!“ und nimmt die Brosche wieder. Während er so dahingeht, nimmt sie ihm der Taschendieb wieder schnell vom Busen weg und bringt sie wieder nach Hause. Der Dieb hat wiederum keine Ahnung davon. Er kommt geradeswegs zum Goldschmied. Als er ihm die Brosche geben will, sieht er auf einmal, daß sie wieder nicht da ist. Er sagt: „Seltsam! Ich habe sie wohl wieder zu Hause vergessen!“ kehrt um und kommt noch mal nach Hause. Er sagt: „Frau, ich muß wohl wieder die Brosche vergessen haben. Gib sie her. Ich will sie diesmal gut verwahren.“ Und bindet sie an seinen Penis an. Während er nun schnurstracks auf den Markt geht, kommt der Taschendieb und nimmt ihm den Fes weg. Er hebt ihn auf und wirft ihn auf das Dach eines Ladens. Da schaut der Dieb ihn an. Er sagt: „Was machst du da, du unverschämter Bursche!“ Da sagt dieser: „Um Gotteswillen, Efendim, verzeihen Sie mir gütigst. Es ist ein Jugendstreich. Meine Jugend ist mir wieder in den Sinn gekommen. Komm, ich will dir auf die Schultern steigen und den Fes wiederholen.“ Der Dieb betrachtet ihn und sieht, daß seine Füße voll Schmutz sind. Er sagt darum: „Deine Füße sind schmutzig. Ich will auf deine Schultern steigen und ihn selber holen.“ Sowie der Dieb ihm auf die Schulter steigt, nimmt ihm der Taschendieb vorsichtig von seinem Glied die Brosche weg und steckt sie an seinen Busen.

Der Dieb geht nun weiter zum Goldschmied. Als er ihm die Brosche geben will, sieht er auf einmal, daß wieder keine Spur von ihr mehr da ist. Er sagt: „Wehe, was ist mit mir denn los? Was für eine Verhexung ist mir widerfahren?“ Als der Goldschmied sagt: „Treibst du Spott mit mir?“, da geriet der Dieb in Zorn und kam dann (S. 137) nach Hause. Er sagte: „Holla, Frau, ich habe die Brosche an mein Glied gebunden. Aber jetzt ist sie nicht mehr da. Was ist mit mir eigentlich los?“ Da trat der Taschendieb auf den Plan und sagte: „Bruder, hast du es jetzt mit angesehen? Das ist meine Kunst. Üb nun auch du deine Kunst aus!“

Der Dieb sagte: „Komm hinter mir drein!“ Damit brechen sie von dort auf und kommen geradeswegs auf den Markt. Der Dieb kauft einen Riesenkorb voll Nägel und einen Hammer. Dann kommen sie nachts geradeswegs zu dem Palast des Padischah, und indem sie in die Mauer Nägel einschlugen, stiegen sie hinauf. Sodann stiegen sie die Mauer auf der anderen Seite wieder hinab. Nun befand sich im Garten eine Gans. Der Dieb packte diese Gans und erwürgte sie. Er sagte zum Taschendieb: „Ich gehe jetzt in das Zimmer des Padischah. Alles Gut, das dort ist, werde ich stehlen und dann kommen. Du sollst unterdessen hier Feuer anzünden und die Gans braten!“

Der Dieb ging dann geradeswegs in das Zimmer, in dem sich der Padischah befand. Auf einmal sieht er, daß der Padischah im Bette liegt und daß sein Lala (Erzieher) zu seinen Füßen sitzt und ihm das Knie reibt, während er zugleich Mastixharz kaut, um nicht einzuschlafen. Der Dieb ging rasch hinein, rupfte von seinem Haupthaar ein einzelnes Haar aus, steckte es behutsam dem Lala in den Mund und nahm ihm damit das Mastixharz, das er im Munde hatte, heraus. Darauf verfiel der Lala sofort in Schlaf. Unverzüglich tat er den Lala in einen Korb, zog ihn an die Decke hinauf und band ihn fest. Dann ging er selbst hin und rieb dem Padischah das Knie. Er sagte zum Padischah: „Mein Padischah, ich will dir eine Geschichte erzählen. Aber wirst du mir nichts tun?“ Der Padischah befahl es ihm und sagte: „Sprich!“ (S. 138)

Erzählung.

„O mein Padischah! Seinerzeit gab es einen Taschendieb und einen Dieb. Diese hatten gemeinsam eine Frau. Nachts lebte der eine mit ihr, und tags lebte der andere mit ihr. — Dreh um, daß die Gans nicht anbrennt! — Als sie dieser Sache inne wurden, machten sie sich auf, und die Sache kam vor das geistliche Gericht. Darnach erklärte man ihnen: „Gebt eine Probe eurer Kunst!“ Der Taschendieb führte seine Sache aus. — Dreh um, damit die Gans nicht anbrennt und unser Padischah es nicht merkt!“ —

Als der Taschendieb draußen dies alles mit anhörte, fingen ihm Hand und Fuß zu zittern an bei dem Gedanken: „Um Gotteswillen, wenn der Padischah es merkt, daß ich die Gans brate, so läßt er uns sofort den Kopf abschlagen.“

Der Padischah fragt: „Lala, was hat das zu bedeuten, dieses: „damit die Gans nicht anbrennt!“ Da sagte der Dieb: „Efendim, das ist so ein Refrain.“

Wie er darauf fortfuhr: „Mein Padischah, diese sind nun hierhergekommen. Sie haben nichts verlangt, haben nur ihre Gans gegessen und haben aus dem Palaste nichts mitgenommen. So viel Kühnheit hatte der Dieb! Wem fällt jetzt diese Frau zu?“ Da sagte der Padischah: „Sie fällt dem Dieb zu!“

Endlich schlief der Padischah ein. Sie brachen dann von dort auf und kamen in ihr Haus zurück.

Als der Morgen kam, stand der Padischah auf, und als er seinen Lala rief, kam kein Ton zur Antwort. Er rief noch einmal: „Lala, wo bist du?“ Da sagte dieser (S. 139): „Um Gotteswillen, Efendim, ich bin an der Decke.“ Der Padischah sagte: „Wehe, so war also derjenige, der mir nachts eine Geschichte erzählte, ein Dieb!“ Er ließ hierauf seinen Lala herunter, und so wurden sie der Sache kundig. Der Padischah gab sofort den Ausrufern Befehl, und sie gingen von Stadtviertel zu Stadtviertel.

Als der Taschendieb und der Dieb den Ausrufer sahen, sagten sie: „Jawohl, wir sind es.“ Sofort nahm man sie und führte sie vor den Padischah. Wie der Padischah fragte: „Wer von euch ist der Dieb? Wer von euch ist der Taschendieb?“, sagte der Dieb: „Efendim, ich bin der Dieb. Der Taschendieb ist mein Kamerad.“ Der Padischah sagte: „Mein Sohn, warst du es, der neben mir nachts die Geschichte erzählte?“ Da sagte er: „Jawohl, Efendim. Ich war es.“ Nun schaute man im Palaste nach — es fehlt nichts. Der Padischah sagte zum Dieb: „Holla, ich habe dich zum Günstling avancieren lassen. Jene Frau ist jetzt dein.“ Er verehrte dem Dieb und dem Taschendieb je 100000 Piaster.

Sie brachen darnach von dort auf und kamen in ihr Haus. Der Taschendieb trennte sich von ihnen und reiste nach einem anderen Orte. Und der Dieb seinerseits vermählte sich von neuem mit seiner Frau und sie ließen sich’s gut gehen. Auch diese Erzählung ist zu Ende und damit Schluß.

Die Geschichte von Dschefâ und Sefâ.

Die Erzähler der Geschichten und die Berichterstatter der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit gab es einen gerechten Padischah. Doch hatte er keine Kinder bekommen. Eines Tages nahm er seinen Lala mit sich, und in Verkleidung machten sie sich auf die Reise. Sie kamen zu einer Quelle und nahmen eine vollständige Abwaschung vor. Während sie das Gebet verrichteten, erschien von der andern Seite ein Derwisch und kam an ihre Seite und sagte: „Der Gruß sei auf euch, mein Padischah!“ „Und auf euch sei der Gruß, Derwisch Baba!“ sagte der Padischah. „Du hast erkannt, daß ich der Padischah bin, du kennst auch meinen Wunsch!“ Da sagte der Derwisch: „Mein Padischah, du hast keine Kinder!“ Damit zog er aus seiner Tasche einen Apfel heraus und sprach: „Mein Padischah, nimm diesen Apfel! Schäl ihn mit der Sultanin zusammen ab, und die Hälfte davon sollst du ihr selbst und die andere Hälfte der Kinderfrau (Taja) zu essen geben. Es wird euch dann ein Knabe zur Welt kommen. Aber hüte dich, gebt ihm keinen Namen, bevor ich komme!“

Alsbald steckte der Padischah seine Hand in die Tasche, um dem Derwisch Geld zu geben. Da bemerkt er auf einmal, daß der Derwisch schon verschwunden war.

Sie standen darauf (S. 141) auf und kamen geradeswegs in den Palast. Sie schälten den Apfel ab und gaben die eine Hälfte der Sultanin und die andere Hälfte der Kinderfrau. Diese aßen sie auf. An jenem Abend legten sie sich nieder.

Gott gab ihnen nun Nachkommenschaft. Als 9 Monate 10 Tage vergangen waren, kam dem Padischah ein Knabe zur Welt, und auch von der Kinderfrau kam ein Knabe auf die Welt. Der Padischah gab alsbald den Armen zahlreiche Geschenke.

Endlich traten der Prinz und sein Lala in das Alter von vier oder fünf Jahren. Man gab sie in die Schule, damit sie Wissenschaft lernen sollten. Und in der Schule rief man sie: „der namenlose Prinz“.

Eines Tages ward dies dem Prinzen lästig. Er ging schnurstracks zu seinem Vater und sagte: „Mein Vater, habe ich denn keinen Namen? Warum haben Sie mir keinen gegeben?“ Da sagte dieser: „Mein Sohn, du bist durch einen Derwisch zur Entstehung gekommen. Solange jener Derwisch nicht kommt, kann ich dir deinen Namen nicht bezeichnen.“ Als der Großwesir in der Versammlung erklärte: „Mein Padischah! Wer weiß, wann der Derwisch kommt? Wir wollen den Namen des Prinzen festsetzen!“, da sagte der Padischah: „Sehr schön!“

Zur Zeit, als man nun den Namen des Prinzen festsetzen wollte, erschien der Derwisch. Er sagte: „Mein Padischah! Der Name des Prinzen ist Sefâ (Freude), und der Name seines Lala ist Dschefâ (Leid)“, und damit ging er auf und davon.

Was die Knaben anbetrifft, so eigneten sie sich vollständig die Wissenschaft an. Eines Tages gingen Sefâ und Dschefâ in den Hofgarten. Während sie sich dort ergingen, sagte Dschefâ zu Sefâ: „Ich gehe jetzt, um die Abwaschung vorzunehmen“, und ging fort. Während nun Sefâ nach allen vier Seiten sich umschaute, erschien dort ein Derwisch (S. 142). Er zog aus seiner Tasche ein Bild heraus und gab es dem Prinzen. Der blickte es mit einem Male an: Es war ein Mädchen, schön wie der strahlende Vollmond, das Abbild der Welt, der Liebling der Zeit. Sofort verliebte er sich in dieses Bild und fiel zu Boden und wurde ohnmächtig. Nach einiger Zeit kam ihm die Besinnung wieder in den Kopf zurück. Er nahm Dschefâ mit sich, und sie kamen geradeswegs in den Palast.

Der Prinz lag nun krank darnieder und erbleichte von Tag zu Tag mehr und welkte dahin. Die Ärzte und Chodschas (die Besprecher) besichtigten ihn zwar, doch fanden sie keinerlei Mittel. Der Padischah sagte: „Wer kennt den Kummer des Prinzen? Dschefâ weiß ihn.“ Er ließ ihn rufen. Dschefâ aber stand mit demütig gekreuzten Händen vor ihm. Der Padischah sagte: „O Dschefâ! Was ist eigentlich die Krankheit meines Sohnes? Du sollst mir Kunde davon geben! Du hast vierzig Tage Frist. Am 41. Tage lasse ich dir den Hals abschneiden.“

Da kam Dschefâ zu Sefâ und sagte: „Mein Prinz! Ihr Vater hat mir vierzig Tage Frist gegeben. Sagen Sie mir, was Ihre Krankheit ist! Denn am 41. Tage wird er mir den Hals abschlagen lassen.“ Doch so sehr er auch flehte, so konnte er doch keine Antwort erhalten. Als der 41. Tag gekommen, sagte er: „Mein Prinz, sieh, heute ist der Tag der Trennung. Komm, wir wollen uns von dir feierlich verabschieden!“ und umschlang seinen Hals. Aus seinen Augen floß an Stelle von Tränen Blut. Dschefâ sagte: „Ich befehle dich Gott an.“ Da rief ihn Sefâ und sagte: „Komm, Dschefâ, nimm dieses Bild und gib es meinem Vater!“

Dschefâ nahm das Bild des Mädchens. Voll Freude kam er geradeswegs zu seinem Vater und sagte: „Mein Padischah, ich bringe eine Freudenbotschaft! Der Prinz hat mir das Bildnis eines Mädchens gegeben.“ Auf einmal sieht der Padischah, daß es die Tochter des Padischah von Jemen ist. Er kommt zu Sefâ und sagt: „Mein Sohn, du bist also in die Tochter des Padischah von Jemen verliebt! Warum hast du das bis zu dem jetzigen Augenblicke nicht gesagt? Soll ich ein Padischah sein und kein Mittel für meinen Sohn finden können?“ Sodann rief er Dschefâ und sagte: „Ich verlange von dir die Tochter des Padischah von Jemen!“ und gab damit den Befehl. Sefâ aber sagte: „Wo immer Dschefâ ist, dort bin auch ich. Wenn Sie erlauben, werde ich zusammen mit Dschefâ gehen.“ Darnach verabschiedete er sich von seiner Mutter.

Nachdem sie die Reisevorbereitungen getroffen hatten, bestiegen sie ihre Pferde und machten sich auf den Weg. Während sie fort und fort weiterzogen, ließen sie, an einer Quelle anlangend, ihre Pferde auf der Wiese frei. Diese gingen fort. Sie selbst überließen sich ein wenig der Ruhe. Auf einmal sieht der Prinz eine alte Frau, mit einem Krug in der Hand, kommen, um Wasser zu holen. Er fragt das Mütterchen: „Mutter, wie heißt hier diese Stadt?“ Die Mutter sagte: „Mein Sohn, die Stadt hier heißt Jemen.“ Er sagte: „Mutter, wirst du uns heute Nacht als Gäste aufnehmen?“ Da entgegnete sie: „Mein Sohn, ich habe keinen Platz, wo ich mich selber niederlegen könnte.“ Als der Prinz aber aus seiner Tasche eine Handvoll Goldstücke herauszog und ihr gab, da sagte die Frau: „Mein Sohn, ich habe auch Platz, wo man selber sich niederlegen kann, und Platz für die Pferde in meinem Stall.“ Und sie kam heim und nahm sie in ihrem Hause auf. Sie banden die Pferde im Stalle an und stiegen ins obere Stockwerk hinauf. Sie ließen sich dort in einem Zimmer nieder.

Da rief der Prinz die Mutter und sagte: „Mutter, du fragst uns gar nicht nach unseren Umständen!“ Als er so sagte, da sprach sie: „Mein Sohn, sprich, was ist denn los?“ Er erklärte nun: „Ich bin der Sohn des Padischah von Stambul. Ich habe mich in die Tochter des Padischah von Jemen verliebt. Deshalb bin ich in dieses fremde Land geraten. Ist sie etwa hier?“ Da sagte die Alte: „Jawohl, mein Sohn (S. 144). Ich bin ihre Lehrerin. In dieser Woche noch geht sie als Braut des Padischah von Indien fort.“ Da seufzte der Prinz einmal aus seinem innersten Herzen auf, und der Spiegel des Himmels wurde schwarz für ihn.

Am folgenden Tage kam für die Frau Nachricht des Inhalts: „Die große Sultanin verlangt nach Ihnen.“ Als die Frau Lehrerin zu den Boten sagte: „Meine Söhne, zu mir sind Gäste von auswärts gekommen. Wie soll ich sie allein lassen und fortgehen?“, da gingen sie sofort hin und gaben davon Kunde. Nun kam der Befehl des Inhalts: „Sie soll ihre Gäste mitnehmen und kommen!“

Wir wollen zu Sefâ und Dschefâ kommen: Da sie aus einem Apfel entstanden waren, so trennten sie sich niemals voneinander. Die Frau Lehrerin sagte nun: „Meine Söhne, was sagt ihr dazu? Man hat auch euch eingeladen! Wir wollen auch jetzt, bitte, hingehen!“ Sefâ sagte: „Bring mir Schleier und Überwurf! Ich will mich verkleiden und so gehen.“ Da sagte sie: „Sehr schön.“ Er zog Schleier und Überwurf an, und sie gelangten mit der Frau Lehrerin zusammen zum Seraj. Die Tochter des Padischah von Jemen ging, wie der strahlende Vollmond wandelnd, die Treppe herunter und kam ihnen mit den Sklavinnen entgegen. Als Sefâ sie erblickte, da fingen ihm Hände und Füße zu zittern an. Wie dem auch sein mag, sie gingen hinauf und ließen sich in einem Zimmer nieder. Sie zogen ihre Überwürfe und ihre Schleier herunter und fingen an, sich freundschaftlich zu unterhalten.

Nachdem Kaffee getrunken und Tabak geraucht worden war, sagte die Lehrerin, als die Prinzessin sie fragte: „Frau Lehrerin, woher ist dieser Gast gekommen, und wer ist es?“, also: „Sie ist aus meiner Heimat und gehört zu meinen Verwandten.“ Die Prinzessin sagte: „Sehr schön. Es freut mich sehr.“

(S. 145) Es wurde Abend. Die Prinzessin sagte: „Frau Lehrerin, Sie sollen heute hier Gast sein! Ich lasse Sie nirgends hin.“ Die Lehrerin erklärte: „Um Gotteswillen, meine Tochter, zu Hause ist ihre Mutter. Sie hat keine Kenntnis davon, daß sie hierhergekommen ist. Sie wird sich beunruhigen. Ich will morgen von ihrer Mutter die Erlaubnis einholen und sie dann mitbringen.“ Sie brachen dann auf und kamen direkt nach Hause. Jene Nacht legten sie sich dort nieder.

Am folgenden Tage ließ die Alte den Sefâ zu Hause und nahm den Dschefâ mit. So kamen sie geradeswegs zum Palast. Es wurde Abend. Als die Speisen eingenommen worden waren, gab man der Lehrerin ein eigenes Zimmer. Dschefâ und die Prinzessin aber zogen sich in ein Zimmer zurück und zündeten die goldenen und silbernen Leuchter an. Und aus Vogelflaum waren Polster aufgebettet. Sie legten sich nieder. Das Mädchen umarmte sofort den Dschefâ und küßte ihn. Sie sagte: „Wenn du mich doch auch umarmtest und küßtest!“ Da umarmte und küßte sie Dschefâ seinerseits. Das Mädchen aber sagte: „Das ist ein Männerkuß!“ Schließlich gab Dschefâ sich zu erkennen: „Und der gestern Gekommene ist der Sohn des Padischah von Stambul und dein Geliebter.“ Er erklärte ihr, daß sie beide aus einem Apfel entstanden seien, alles von Anfang bis zu Ende, eines nach dem andern.

Die Liebe des Mädchens nahm immer mehr zu. Sie sagte sich: „Man muß ihm einen Vorschlag machen,“ und sagte: „Dschefâ, morgen gehe ich als Braut des Sohnes des Padischah von Indien fort. Unweit der Stadt ist an einem eine halbe Stunde entfernten Orte eine Türbe. Bevor wir nicht zu jener Türbe gegangen sind und hingewallfahrt haben, gehen wir nicht fort. Ihr sollt morgen von der Frau Lehrerin aufbrechen und geradeswegs zu jener Türbe kommen. Dem Türbe-Wächter sollt ihr etwas Geld geben und eintretend mich (S. 146) dort erwarten. Wir werden zu Wagen zur Türbe kommen. Ich werde vom Wagen aussteigen und werde allein die Türbe betreten. Die Brautkleider, die ich anhabe, werde ich unverzüglich dich anziehen lassen. Du steigst dann in den Wagen. Du sollst als Braut zu dem Sohne des Padischah von Indien gehen. Sodann werden Sefâ und ich aufbrechen und fliehen. An dem Berge so und so werden wir dich erwarten. Auch du sollst dann eines Tages fliehen und zu uns kommen!“ Diesen Entschluß also faßten sie in jener Nacht.

Es wurde Morgen. Die Frau Lehrerin und Dschefâ brachen auf und kamen nach Hause. Dschefâ teilte heimlich den ganzen Plan dem Sefâ mit. Sie gaben der Frau Lehrerin einiges Gold und brachen mit den Worten: „Gott befohlen!“ aus dem Hause auf und kamen zur Türbe. Sie gaben dem Türbe-Wächter eine Handvoll Goldstücke, und Sefâ und Dschefâ verbargen sich in einem Winkel der Türbe.

Wir wollen die Erzählung nicht zu lang machen. Als von der anderen Seite die Wagen kamen, stieg die Braut aus dem Wagen und trat in die Türbe ein. Mit einem Blick sah sie, daß Sefâ und Dschefâ schon dort waren. Ohne zu säumen, zieht sie sofort die Kleider, die sie anhat, aus und gibt sie dem Dschefâ. Sowie Dschefâ sich dann erhob und zum Wagen kam, da umarmte man ihn und steckte ihn in den Wagen. Indem man den Pferden je einen Peitschenhieb gab, machte man sich dann auf den Weg nach Indien.

Eines Tages trafen sie in Indien ein. Mit den Worten: „Die Tochter des Padischah von Jemen wird jetzt die Braut des Padischah von Indien!“ wurden Kanonen abgeschossen und Freudenbezeugungen kundgetan. Aus den geöffneten Palasttoren kam man ihnen entgegen. Die Sklavinnen faßten den Dschefâ unter den Arm und führten ihn in den dritten Stock hinauf.

Kurz und gut, in jener Nacht (S. 147) führte man den Dschefâ, da man ihn für ein Mädchen hielt, in die Brautkammer. In jener Nacht aber kam es zu keinerlei Beziehung zwischen der Braut und dem Bräutigam. Am Morgen ging der Prinz mit einem finsteren Gesicht heraus und fort. Die Braut blieb gleichsam im Palaste. Nach Verlauf von ein, zwei Tagen erschien die Schwester des Bräutigams, während die Braut sich im Garten erging, von der andern Seite. Sie sagte: „Meine Prinzessin, komm! Wir wollen hier mit dir zusammen ein Gebet zum Herrn tun. Sicherlich wird dann eine von uns ein Mann werden.“ Das Mädchen hätte dies für eine große Gnade gehalten, die es mit Dank angenommen hätte. Dschefâ betete nun, und das Mädchen sagte dazu: „Amen.“ Als sie nun sich selbst untersuchen, sagt das Mädchen: „Bei mir ist nichts los.“ Dschefâ sagt: „Bei mir hat etwas zu sein angefangen.“ Damit umarmten sie sich aufs innigste und sammelten von den Pfirsichen alle, die schon reif waren, und tischten die auf, die erst noch reif werden sollten. Dschefâ sagte nun: „Hier zu bleiben ist nicht mehr möglich. Wir wollen in unsere Heimat gehen!“ Indem sie sodann die Pferde bestiegen, machten sie sich mit den Worten auf den Weg: „Wo bist du doch, Sefâ?“

Nach vier, fünf Tagen trafen sie bei den andern ein. Sie fragten sich gegenseitig nach ihrem Befinden und erzählten sich alles, was ihnen zugestoßen war, eines nach dem andern. Diese sollen nun hier verweilen. Wir wollen nach Indien kommen.

Es wurde Abend. Auf einmal bemerkten sie dort, daß weder die Braut da ist, noch auch die Schwester des Bräutigams. Im Palaste brach ein Wehklagen aus. Indem sie sofort die Chodscha Hanym (die Besprecherin) riefen, ließen sie sie das Sandorakel befragen. Dieses sagte: „Wehe, das Knaben-Mädchen, das zu uns gekommen ist, hat zugleich die Schwester des Bräutigams mitgenommen. Sie sind noch auf der Flucht.“ Die Chodscha Hanym zauberte sofort ein Pferd her (S. 148) und sandte es gegen die Flüchtlinge aus, in der Absicht, sie dadurch zu Grunde zu richten.

Das Pferd kam in vollster Karriere dort an. Zur selben Zeit, als es auf sie losstürmen wollte, erschien ein Derwisch und sagte: „Dschefâ, nimm eine Handvoll Erde vom Boden und streu sie auf das Pferd, das da herankommt, aus!“ und verschwand damit. Auf einmal sieht Dschefâ ein Pferd, wie es seinesgleichen in der ganzen Welt nicht mehr gibt. In dem Augenblick, da er vom Boden eine Handvoll Erde aufhob und sie auf dasselbe streute, wurde es aber zu einem erbärmlichen Tier.

Die Chodscha Hanym sandte daraufhin einen Hirsch aus. Es war so ein herzerfreuendes Tier, dessen Haare von den verschiedenartigsten Farben waren und dessen Geweih ebenfalls nach allen vier Seiten Licht gab. Sefâ sagte: „Ich will dieses Tier hübsch fangen und meinem Vater zum Geschenk bringen!“ Dschefâ seinerseits hob vom Boden eine Handvoll Erde auf und streute sie auf das Tier. Im selben Augenblick wurde auch dieser Hirsch zu einem häßlichen Tier. Der Prinz wurde deswegen aber dem Dschefâ grimmig böse.

Dann zauberte die Chodscha Hanym noch einen Drachen und sandte ihn. Er kommt, aus Maul und Nase Feuerflammen streuend, blitzähnlich daher. Auch ihn vernichtete Dschefâ, indem er ihn mit Erde bewarf.

Sie brachen dann von dort auf und machten sich auf den Weg und kamen nach Verlauf von ein paar Tagen nach Stambul. Man sagte nun: „Mein Padischah, wir bringen Freudenbotschaft! Der Prinz kommt jetzt!“ Kanonen wurden abgeschossen, und es gab Freudenausbrüche. Der Großwesir ging ihnen entgegen. So brachte man sie in den Palast. Der Prinz aber sagte: „Mein Vater, du mußt sofort den Dschefâ hinrichten lassen.“ Der Padischah gab auch alsbald dem Henker hierzu Befehl.

Der Henker faßte den Dschefâ an der Hand. Er brachte ihn geradeswegs auf den Berg, um ihn zu erschlagen. Als der Henker ihm aber ins Gesicht sah, konnte er in keiner Weise Hand an den Jüngling anlegen. Er stach also sofort einen jungen Hund ab und tauchte das Hemd Dschefâ’s in dessen Blut. Den Dschefâ aber tat er zwischen zwei Steine und brachte hernach das blutige Hemd dem Padischah.

Nach ein oder zwei Tagen kam dem Prinzen der Gedanke in den Sinn: „Auf den Wegen hat er für mich doch die Mühsale getragen! O weh, mein Dschefâ, wo bist du?“ Mit diesem Rufe eilte Sefâ in die Berge, um ihn zu suchen.

Wir wollen zu Dschefâ kommen. Der Arme steckte seit geraumer Zeit zwischen den Steinen. Es gab da weder Brot noch Wasser. Der Jüngling, der stark wie ein Felsblock gewesen war, wurde nun so dünn wie ein Nähfaden. Alle zwei Stunden erhob er seinen Kopf und sagte immer wieder: „Sefâ, Sefâ!“ Dem, der ihn ansah, wurde das Innere zu Blut.

Als eines Tages in jener Gegend eine Karawane vorbeizog, kam ihr ein Geseufze zu Ohren. Doch obwohl die Leute mit den Worten: „Was ist das?“ herumsuchten, konnten sie doch nichts finden und gingen vorüber und zogen weiter. Der Prinz traf auf sie. Er sagte: „Karawanenführer, hast du in diesen Gegenden keine Menschen gesehen?“ Da sagte der Karawanenführer: „Auf der Spitze jenes Berges kam mir ein Seufzen ins Ohr. Ich suchte, aber ich konnte nichts finden. Ich weiß auch nicht, was es war.“

Der Prinz säumte nun nicht länger und stieg auf die Spitze des Berges hinauf. Er spitzte das Ohr und lauschte. Da sagte zwischen den Steinen eine sehr leise Stimme alle zwei Stunden einmal: „Sefâ, Sefâ!“ Als der Prinz dies vernahm, zerbrach ihm im Innern das Herz zu lauter Stücken.

Sofort bemühte er sich und hob den Stein auf und warf ihn auf die Seite (S. 150). Auf einmal sah er, daß Dschefâ wie ein Kind von sechs Monaten geworden war. Er sagte zu ihm: „Dschefâ, Dschefâ, ich bin gekommen!“ und gab sich zu erkennen.

Sofort umarmten sie sich dort auf das innigste. Darauf nimmt er den Dschefâ mit und kommt in eines der in der dortigen Gegend befindlichen Häuser. Er läßt Suppe kochen, und indem er ein, zwei Tage gut auf ihn schaut, bringt er ihn wieder etwas zu Kräften.

Eines Tages brachen sie von dem erwähnten Hause auf und kamen direkt in den Palast. Sefâ vermählte sich mit der Tochter des Padischah von Jemen. Und die Tochter des Padischah von Indien vermählte er mit Dschefâ. Vierzig Tage und vierzig Nächte wurde Hochzeit gefeiert. In der 41. Nacht traten beide Liebenden in die Brautkammern ein und wurden ihres Wunsches teilhaftig.

Ihr übriges Leben verbrachten sie in Freude und Lust. Auch diese Erzählung hat ihr Ende gefunden. Und damit Schluß.

Die Geschichte von Ali Dschengiz.

Die Erzähler der Geschichten und die Übermittler der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit hatte eine Frau einen Sohn, der besaß eine außerordentliche Schönheit. Seinesgleichen war nicht auf der ganzen Welt. Und er war voller Tugend. Die Frau nun nahm diesen Knaben und gab ihn in den Palast. Eines Tages langweilte sich der Padischah, und als er zu seinen Leuten sagte: „Ist jemand unter euch, der das Ali Dschengiz-Spiel versteht?“, da sagte dieser Knabe: „Mein Padischah, wenn ich Ihre Erlaubnis erhalte, so will ich es erlernen und dann kommen.“ Der Padischah gab zu jener Stunde noch die Genehmigung und entsandte diesen Jüngling.

Während der Knabe zum Hause des Ali-Dschengiz ging, da begegnete ihm unterwegs ein Derwisch. Dieser sagte: „Mein Sohn, wohin gehst du?“ Da sagte er: „Ich gehe jetzt, um das Ali-Dschengiz-Spiel zu erlernen.“ Sofort sagte der Derwisch: „Komm, mein Sohn, ich will es dich lehren,“ und nahm den Knaben, und sie machten sich auf in die Berge.

Nach einiger Zeit kamen sie zu einer Höhle (S. 152) und traten ein. Nachdem sie noch eine Minute weitergegangen waren, kamen sie zu dem Zimmer, in dem der Derwisch wohnte, und setzten sich ein wenig nieder. Nach einiger Zeit wurde es dem Knaben langweilig, und er ging aus dem Zimmer heraus. Während er herumging, kam er zu einem direkt daneben befindlichen Zimmer und trat ein. Auf einmal sieht er dort ein Mädchen, strahlend schön wie der Vollmond, mit Augen, die beide wie Brunnen waren. Sie saß und stickte. Der Knabe fragte: „Bist du ein Mensch oder ein Dschinn?“ Da sagte das Mädchen: „Ich bin weder ein In, noch ein Dschinn. Ich bin gleich dir ein Menschenkind.“ Der Knabe fragte: „Holla, woher bist du gekommen?“ Das Mädchen antwortete: „Während ich ein Kind war, besuchte ich die Schule. Eines Tages ergriff mich dieser Derwisch und brachte mich hierher. So sehr er sich auch bemühte, mich lesen zu lehren, so sagte ich doch in keiner Weise nach, was er mir vorsagte. Dann sperrte er mich in dieses Zimmer ein.“

Darnach zeigte sie dem Knaben einen Brunnen. Er war bis an den Rand voll mit Menschenleichen. Dem Knaben schwand die Besinnung aus dem Kopfe. Er fiel zu Boden und wurde ohnmächtig. Nach einiger Zeit kehrte ihm die Besinnung wieder in den Kopf zurück, und das Mädchen sagte nun zu ihm: „Mein Jüngling, wenn dieser Derwisch dich unterweist, so lies immer das Gegenteil und lies nicht richtig!“ Und sie ermahnte ihn tüchtig.

Endlich stand dann der Knabe auf und kam geradeswegs an den Ort, an dem der Derwisch war. Der sagte: „Komm, Knabe, ich will dich lehren!“ und nahm den Knaben vor. Was den Knaben betrifft, so setzte er sich auf beide Knie und begann zu lesen. Wenn der Derwisch a sagte, so sagte der Jüngling d. Wenn er b sagte, sagte er t. Kurz und gut, da er bis zum Schlusse (S. 153) auf diese Weise zu lesen fortfuhr, so verdroß es den Derwisch. Er ließ den Knaben sich hinlegen und schlug ihn, soviel er nur wünschte. Darnach ließ er ihn das Ali-Dschengiz-Buch lesen. Doch auch dieses las der Knabe wieder verkehrt. Was aber dieses Buch betrifft, so erlernte der Knabe es vollständig auswendig. Der Derwisch aber hörte auf, ihn zu schlagen, indem er sagte: „Auch dieses wird er nicht lesen!“ und warf ihn auf einen Berg.

Von da kommt der Knabe geradeswegs in sein Haus und sagt zu seiner Mutter: „Mutter, morgen werde ich mich in ein Pferd verwandeln. Nimm mich dann und verkauf mich für Geld an den Padischah! Aber hüte dich, gib ja nicht meinen Zaum mit weg!“ Als es nun Morgen wurde, steht seine Mutter auf und sieht, daß ihr Sohn tatsächlich im Stalle zu einem schönen Pferd geworden ist. Da faßt sie es an seinem Halfter und bringt es dem Padischah und verkaufte es für 100000 Piaster. Und sie nahm den Zaum wieder mit und kam nach Hause.

Als es Nacht wurde, kam ihr Sohn heim und sagte zu seiner Mutter: „Mutter, morgen werde ich zu einem Widder werden. Nimm mich wieder auf die frühere Art und Weise und verkauf mich an den Padischah!“ Am folgenden Tage wurde der besagte Knabe ein Widder, und seine Mutter packte ihn. Und während sie ihn geradenwegs zum Padischah bringt, wird die Sache dem erwähnten Derwisch kund.

Er sagte: „Wehe, du Schweine-Knabe! Zuletzt hat er mir noch meine Kunst gestohlen!“ und geriet in große Wut. Er paßte der Frau den Weg ab und hielt sie an. Er sagte: „Mutter, nimm dieses Geld und verkauf mir diesen Widder!“ Als die Frau ihn dem Derwisch übergeben wollte, da wurde der Knabe zu einem (S. 154) Vogel und flog davon. Sofort wurde der Derwisch hinter ihm drein zu einer Taube und stürzte ihm nach, um ihn zu fassen. Die arme Frau blieb dortselbst allein zurück.

Die beiden aber kamen, immer weiterfliegend, zum Palaste des Padischah. Während der Padischah eben im Aussichtsturme saß und hinaussah, wurde der Vogel zu einem Apfel und fiel dem Padischah in den Schoß. Die Taube ihrerseits wurde wiederum zum Derwisch, der zum Kiosk hereintrat. Er sagte: „Mein Padischah, jener Apfel ist mein.“ Als ihm schließlich der Padischah den erwähnten Apfel geben wollte, da wurde der Apfel in seiner Hand zur Hirse und zerstreute sich auf die Erde. Da wurde der Derwisch zu einer Henne, und während diese anfing, die Körner aufzupicken, wurde die Hirse im selben Augenblick zum Marder, der auf die erwähnte Henne lossprang und sie erwürgte.

Hierauf schüttelte sich der Marder alsbald und wurde wieder zum Jüngling wie früher. Der Padischah sagte: „Wehe, du bist es, mein Sohn!“ Da sagte dieser: „Jawohl, mein Padischah! Siehe, das nennt man das Ali-Dschengiz-Spiel. Jener Derwisch war mein Meister. Er bemühte sich, mich zu verderben. Was mich betrifft, so wurde ich Meister über ihn und vernichtete ihn.“

Diese Sache gefiel dem Padischah sehr, und er machte ihn mit 100000 Piastern sofort zum Günstling und schenkte ihm auch einen mächtigen Konak. Hier ist auch diese Geschichte zu Ende, und damit Schluß!

Die Geschichte vom schönen Wasserträger.

Die Erzähler der Geschichten und die Übermittler der Geschehnisse erzählen also: In alter Zeit hatten ein Padischah und sein Wesir je eine Tochter. Während diese eines Tages zum Fenster heraus einander betrachteten und sich grüßten, kam ein schöner Wasserverkäufer des Weges daher. Die Tochter des Padischah sagte: „Schöner Wasserhändler, schöner Wasserhändler! Ist die Tochter des Wesirs schöner, oder bin ich schöner?“ Da sagte der schöne Wasserhändler: „Meine Prinzessin, ihr seid beide schön! Aber die Tochter des Wesirs ist doch noch weit schöner!“ Damit ging er vorüber und fort.

Jetzt wurde die Tochter des Padischah zur Todfeindin der Tochter des Wesirs. Nach einiger Zeit wird die Tochter des Padischah krank und liegt zu Bette. Der Padischah läßt Ärzte und Chodschas (Besprecher) rufen, und sie untersuchen auch das Mädchen. Das Mädchen gibt einem Arzte eine Handvoll Goldstücke in die Hand und sagt: „Du sollst meinem Vater sagen: Bevor du die Tochter des Wesirs nicht abschlachtest und (S. 156) bevor die Prinzessin nicht deren Blut getrunken hat, gibt es keine Rettung für sie.“

Der Arzt kam auch geradeswegs vor den Padischah und sagte: „Mein Padischah! Bevor du nicht die Tochter des Wesirs abschlachtest und die Prinzessin deren Blut trinkt, wird letztere nicht genesen.“ Der Padischah gab nun Befehl, und man sandte dem Wesir Botschaft. Der Wesir brachte es nicht über sich, seine Tochter umzubringen und schlachtete darum eine junge Katze und schickte der Prinzessin das Blut. Darauf ließ er eine innen mit Färbemitteln für die Augenbrauen dunkel gebeizte Truhe aus Haselnußholz anfertigen, setzte seine Tochter hinein und brachte sie auf den Bit pazary (Trödelmarkt) und ließ sie versteigern.

Als von der andern Seite der schöne Wasserhändler vorbeiging, sah er diese Truhe und kam zu dem Ausrufer. Er kaufte die Truhe und gab das Geld für sie. Dann übergab er die Truhe einem Hammal und begab sich in sein Zimmer. Er brachte die Truhe in dem Zimmer unter, in dem er selbst schlief, und stellte sie dort hin.

Als es Morgen wurde, ging der schöne Wasserverkäufer fort. Während er fort war, stand das Mädchen aus der Truhe auf, fegte tüchtig das Zimmer, machte das Bett und ging dann wieder in die Truhe hinein und legte sich dort nieder. Am Abend kommt der schöne Wasserverkäufer heim. Plötzlich sieht er: Das Zimmer ist gekehrt, und das Bett ist gemacht. Er dachte darüber nach: „Wer ist eigentlich wohl heute hierhergekommen?“ Nachts legte er sich endlich nieder.

Am Morgen ging er wieder aus. Während er fort war, kehrt das Mädchen auf die vorherige Weise das Zimmer und macht das Bett. Als es Abend wird, geht sie wieder in die Truhe hinein und legt sich nieder. Dann kommt der schöne Wasserverkäufer und sieht — was soll er denn sonst sehen —, wiederum ist das Bett gemacht. Er blieb stehen und dachte eine Zeit lang nach. Jetzt kam er zu der Truhe und sagte: „He, du Nichtsnutz, wer es auch ist, er soll herauskommen!“ (S. 157) Es kommt aber kein Ton heraus.

In jener Nacht legte er sich wieder nieder. Am Morgen kaufte er von einem Schlāchter Fleisch und brachte es in sein Zimmer und legte es hin. Er sagte zu sich selbst: „So Gott will, werde ich es morgen kochen.“ Dann steht er auf und geht fort.

Das Mädchen nun kam wieder aus der Truhe heraus und räumte auf und kochte das Fleisch. Sie legte es auf die Kupferplatte und beschäftigte sich mit dem Waschen der Wäsche. Auf einmal kommt der schöne Wasserverkäufer und tritt herein. Er sieht das Mädchen die Wäsche waschen. Das Mädchen aber ruft, als sie ihn erblickt: „Erbarmen!“ Und macht aus ihrem Kleidersaum für ihr Gesicht eine Verhüllung. Der schöne Wasserverkäufer sagt: „Meine Sultanin, du bist mein, ich bin dein. Jetzt gibt es kein Fliehen mehr. Du bist also mein Kismet.“

Alsbald versammelten sich dort einige Personen, und er vermählte sich mit diesem Mädchen, und sie begannen sich zu liebkosen.

Eines Tages lud der schöne Wasserverkäufer auf vierzig Maultiere Geld und schickte das Mädchen mit den Tieren zu seiner Mutter. Das Mädchen ging hin und ließ sich dort nieder.

Eines Tages senden die Einwohner jenes Stadtviertels dem schönen Wasserverkäufer einen Brief des Inhalts: „Deine Frau ist zur Dirne geworden.“ Der schöne Wasserverkäufer nahm ein Dolchmesser in die Hand und kam geradeswegs in das Haus seiner Frau und ging zur Türe herein. Mit silbernen Leuchtern in beiden Händen bewillkommnete das Mädchen den schönen Wasserträger. Als dieser aber auf das Mädchen loszustechen im Begriffe war, warf sich das Mädchen in den Fluß, der direkt am Hause war. Der Fluß aber führt das Mädchen mit sich und trägt sie geradeswegs in das Meer.

Dort saßen drei Fischer. Während sie fischten, kam ihnen das Mädchen ins Netz hinein. Die Fischer (S. 158) ziehen den Fang heraus und sehen — ja, was sollten sie sonst sehen? — ein Mädchen ist im Netz. Sie ziehen sie heraus und fangen mit den Worten: „Ich werde sie heiraten! Du wirst sie heiraten!“ dort zu streiten an. Einer von ihnen sagt: „Wir wollen diesen Pfeil abschießen. Wer von uns hingeht und ihn wiederbringt, dem gehört das Mädchen!“ Sie schossen den Pfeil ab und stürzten alle auf einmal hinter ihm drein.

Da flieht das Mädchen von dort. Sie geht immer weiter und traf auf einen Juden. „He, mein Mädchen“, sagte er, „ich werde dich durchaus heiraten. Ich laß dich nicht. He, was sagst du dazu?“ Das Mädchen steckte dem Juden in jede Hand einen silbernen Leuchter und entflieht ebenfalls von dort. Sie geht immer weiter und kommt an eine Quelle und setzt sich nieder.

Auf einmal erblickt sie der Sohn des Padischah, nimmt dieses Mädchen von dort mit sich und vermählt sich mit ihr.

Jetzt sagte das Mädchen: „Prinz, laß die hier befindliche Quelle fassen und diejenigen, die Wasser trinken, sollen darin mein Bild sehen!“ Der Prinz ließ, wie das Mädchen beschrieben hatte, die Quelle fassen. Nach einigen Tagen kamen die drei Fischer, und während sie aus der erwähnten Quelle Wasser tranken, erblickten sie im Wasser die Schönheit des Mädchens. Sie fielen hin und wurden ohnmächtig. Dann kam dieser Jude. Auch er fiel, während er Wasser trank, hin und wurde ohnmächtig.

Eines Tages kam der schöne Wasserträger. Während er Wasser trank, fiel auch er zu Boden und wurde ohnmächtig. Das Mädchen beobachtete alles vom Fenster aus (S. 159). Sie sagte es dem Prinzen. Man nahm die Leute alle augenblicklich herein und setzte sie gefangen.

Eines Tages kam das Mädchen mit dem Prinzen zu den Gefangenen und sagte: „Mein Prinz! Diese Fischer haben mich aus dem Wasser gezogen. Und dieser Jude hat mich beschimpft. Und dieser schöne Wasserträger war früher mein Mann.“ Der Prinz sagte: „Wehe, meine Sultanin, ist dem so?“ Darauf ließ man die Fischer frei. Dem Juden schlug man den Kopf ab. Und dann überantwortete der Prinz das Mädchen dem schönen Wasserträger. Er sagte zu ihm: „Geh hin und laß dich in Ruhe nieder!“

Der schöne Wasserträger nahm sodann das Mädchen und brachte sie geradeswegs nach seinem Hause. Das Mädchen erzählte ihm alles, was ihr zugestoßen war, eines nach dem anderen.

Der schöne Wasserträger verheiratete sich wiederum mit diesem Mädchen. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte Festesfreude und Festgelage. In der 41. Nacht ging er in die Brautkammer hinein, und sie wurden ihres Wunsches teilhaftig.

Auch diese Geschichte fand hier ein Ende. Und damit Schluß!

Die Geschichte von der Schwarzen Schlange.

Die Erzähler der Geschichten und die Übermittler der Geschehnisse und die Überlieferer der Lebensschicksale erzählen also: In alter Zeit war einmal ein gerechter Padischah. Er hatte aber keine Kinder. Und da er selbst sehr alt war, rief er eines Tages seinen Wesir und sagte: „Mein Wesir, ich bin hochbetagt, und ich habe nicht ein einziges Kind auf der Welt. Wenn ich sterbe, wird meine Krone und mein Thron fremden Händen verbleiben.“

Da sagte der Wesir: „Mein Padischah, der Herr soll Ihnen ein langes Leben verleihen! Darum sollen Sie kein Bedauern empfinden. Morgen werden wir mit Ihnen zusammen uns verkleiden und uns aufmachen, um eine Reise zu unternehmen. Vielleicht treffen wir auf einen Mann, dessen Mund Segen spricht, und vielleicht schenkt die Hoheit des Herrn — er ist erhaben! — Ihnen noch ein Kind!“

Der Padischah sah seinerseits diesen Vorschlag für annehmbar an (S. 161). Und am nächsten Tage verkleideten sie sich und gingen aus dem Palaste heraus, um sich auf die Reise zu machen. Nachdem sie eine Weile vorwärts gegangen waren, kamen sie an eine Quelle. Auf einmal sahen sie, daß von der Gegenseite her ein weißbärtiger, majestätisch aussehender, in einen weißen Mantel gekleideter Derwisch kommt. Dieser Derwisch erscheint ganz plötzlich und sagt zu ihnen: „Der Gruß sei auf euch, mein Padischah!“ Nachdem der Padischah seinen Gruß angenommen und erwidert hatte, sagte er zu dem Derwisch: „Derwisch Dede, du hast erkannt, daß ich der Padischah bin. Du erkennst deshalb auch den in meinem Herzen befindlichen Wunsch!“

Da zieht der Derwisch aus seinem Busen einen Apfel heraus und sagt zum Padischah: „Mein Padischah, nimm den Apfel! Gib die eine Hälfte der Sultanin, und iß die andere Hälfte selbst! Gott wird euch ein Kind geben!“ und verschwindet.

Sie nehmen also den Apfel und kommen direkt zum Palast. An jenem Abend ißt die Sultanin die eine Hälfte des Apfels und der Padischah die andere Hälfte. In jener Nacht vollziehen sie das Beilager. Die Sultanin wird schwanger. Als 9 Monate und 10 Tage vergangen sind, erfassen sie die Wehen, und man ruft die Hebamme.

Auf einmal beginnt die Sultanin zu gebären. Da sehen sie plötzlich, daß es eine schwarze Schlange ist. In dem Augenblick, wo sie geboren werden soll, sticht sie die Hebamme und tötet sie. Man ruft eine andere Hebamme. Auch diese tötet die Schlange. Kurz, die Schlange ließ keine Hebamme in der Stadt mehr übrig, die sie nicht getötet hätte.

Die Eunuchen suchten von Tür zu Tür eine Hebamme. Sie kamen schließlich in das Haus einer Frau. Als sie sagten: „Mutter (S. 162), gibt es hier gar keine Hebamme?“ Da sagte die Frau — sie hatte nämlich eine Stieftochter, der sie äußerst feindselig gesinnt war —: „Meine Söhne, ich habe hier eine Tochter. Sie ist eine ganz einzigartige Meisterin in der Geburtshilfe.“ Als diese das hörten, sagten sie: „Mutter, gebt eurer Tochter die Erlaubnis dazu. Sie soll mit uns in den Palast kommen!“

Da rief die Frau das Mädchen und sagte: „Meine Tochter, man hat dich vom Palaste aus gerufen. Du sollst hingehen und Geburtshilfe bei der Sultanin verrichten!“ Dem armen Mädchen blieb sonst kein Ausweg. Sie kam auf geradem Wege zu dem Grabe ihrer Mutter und sagte: „Mein Mütterchen, mein Mütterchen, meine Stiefmutter schickt mich in den Palast, um Geburtshilfe zu leisten. Ich gehe jetzt, um zu sterben. Mein Mütterchen, hilf mir!“

Da kommt aus dem Grabe eine Stimme heraus, die sprach: „Meine liebe Tochter! Während du in den Palast gehst, tu Milch in eine Dose und geh darnach an die Seite der Sultanin und halte die Milch ihr gegenüber. Was sie im Leibe hat, ist eine schwarze Schlange. Wenn diese hervorkommen und sich auf dich losstürzen sollte, so halt die Dose hin und mach dann den Deckel zu, sobald die Schlange hineingefallen ist, und gib sie dem Padischah!“

Das Mädchen nahm voll Freude eine Dose und kam geradeswegs in den Palast. Sie begab sich zur Sultanin. Während diese wieder Wehen hatte, kam eine schwarze Schlange heraus. Als sie auf das Mädchen losstürzen wollte, hielt das Mädchen ihr die Milchdose entgegen. Die Schlange fiel in die Milchdose hinein. Das Mädchen schloß ihren Deckel (S. 163), nahm die Dose darauf, brachte sie im Palaste vor den Padischah und stellte sie hin.

Als der Padischah das sah, verwunderte er sich. Er verehrte dem Mädchen zahlreiche Geschenke. Das Mädchen brach wieder aus dem Palaste auf und kam geradeswegs nach Hause und gab die vom Padischah erhaltenen Geschenke der Stiefmutter.

Diese sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu dem in der Dose befindlichen Prinzen im Schlosse kommen. Man bestimmte ihm eine Sklavin, gab ihm jeden Tag Knochenmark und ernährte ihn damit. Als der Prinz vier oder fünf Jahre alt geworden war, kam diese Sklavin zum Padischah und sagte: „Efendim, der Prinz will mit der Schule beginnen.“ Da sagte der Padischah: „Sehr schön!“ und berief am folgenden Tage den Lehrer. Während er die Schlange lehrt, sticht sie den Lehrer im selben Augenblicke und tötet ihn. Dann ruft man einen anderen Lehrer. Auch ihn tötet sie.

Kurz und gut: auf der ganzen Erde bleibt kein Lehrer mehr übrig. Sie tötet alle Lehrer. Eines Tages sagt der Großwesir, als Versammlung ist: „Mein Padischah, wer als Hebamme für diesen Prinzen fungiert hat, der wird ihn auch unterrichten. Außer ihm kann niemand ihn unterweisen.“

Der Padischah sah diese Rede für vernünftig an. Man sandte also zur selben Stunde (S. 164) Diener zu seiner Hebamme. Das Mädchen ging aus dem Hause heraus und ging geradeswegs zu dem Grabe ihrer Mutter. Als sie wehklagend sagte: „Ach, mein Mütterchen. Ich habe es so gemacht, wie du beschrieben hast. Ich habe diese Schlange zur Welt gebracht. Jetzt ruft man mich wieder. Was soll ich machen? Ich kann mir nicht mehr helfen!“

Da kam aus dem Grabe eine Stimme, die besagte: „Meine Tochter, fürchte dich nicht! Du wirst 41 Rosengerten abreißen und zu jener Schlange gehen. Wenn sie auf dich einen Angriff macht, so schlag sie mit vierzig Gerten. Mit einer treib sie an.“

Als das Mädchen 41 Rosengerten mitgenommen hatte, kam sie sofort schnurstracks in den Palast und ging in das Zimmer, in dem der Prinz war. Sofort nahm man die schwarze Schlange aus der Dose heraus und brachte sie zu dem Mädchen und ließ sie dort. Das Mädchen öffnete einen Koran-Abschnitt. Während das Mädchen lehrt, macht die Schlange auf sie einen Angriff. Da hebt das Mädchen jedesmal den Stock auf und läßt ihn auf sie herabsausen. Der Prinz ward ein wenig besänftigt. Kurz und gut — sie unterrichtete auf diese Weise vortrefflich die schwarze Schlange.

Man teilte dem Padischah diese frohe Botschaft mit. Mit den Worten: „Der Prinz kann schon lesen!“ läßt der Padischah sie wieder gehen und gab ihr reichlich Geld. Das Mädchen nahm das Geld und kam nach Hause. Und das Geld gab sie wieder ihrer Stiefmutter.

Diese sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu dem Prinzen kommen: Der Prinz kam in das Alter von 14, 15 Jahren. Eines Tages kam er zu seinem Vater und sagte: „Vater, verheiraten Sie mich!“

(S. 165) Wohl oder übel nahm der Vater für ihn ein Mädchen. Und nachdem die Vermählung stattgefunden hatte, tat man sie in das Brautgemach. In jener Nacht noch sticht er das Mädchen und tötet sie. Am Morgen sieht man, daß er das Mädchen umgebracht hat. Wir wollen die Geschichte nicht zu lange machen. Kurz und gut, so viel Mädchen man für ihn freite, er tötete sie alle. Auf der ganzen Welt bleibt kein Mädchen mehr.

Eines Tages berief der Großwesir die Versammlung. Man gab folgende Erklärung ab: „Mein Padischah, so geht es nicht. Wer immer dem Prinzen Geburtshilfe geleistet hat, die gebt ihm jetzt auch zur Frau. Eine andere als diese kann nichts machen.“ Dieses Wort schien vernünftig, und man sandte dem Mädchen Nachricht.

Das Mädchen brach aus seinem Hause auf und kam geradeswegs zu dem Grabe seiner Mutter auf dem Friedhofe und sagte wehklagend: „Mein Mütterchen, mein Mütterchen! Ich habe ihn auf deine Unterweisung hin lesen gelehrt. Jetzt werden sie mich mit ihm verheiraten. Wie wird nun mein Los sein? Ich weiß es nicht.“

Während sie so wehklagte, kommt aus dem Grabe eine Stimme, die sprach: „Meine liebe Tochter! Fürchte dich ja nicht! Nimm 41 Igelhäute und zieh sie an. Wenn du in die Brautkammer eintrittst, kommt die schwarze Schlange. Wenn sie sich in jener Nacht auf dich stürzt, so werden ihr die Stacheln in den Rachen eindringen. Sie wird zu dir sagen: „Zieh die Häute herunter!“ Dann sag du nur: „Zieh du zuerst deine Kleider aus, dann werde auch ich sie ausziehen.“ Die Schlange wird dann anfangen, ihre Häute von sich auszuziehen. Wenn sie ganz damit fertig ist, sollst du sie sofort in ein Kohlenbecken legen und verbrennen. Dann wird jene Schlange ein Jüngling werden, strahlend schön wie der Vollmond. Dann sei ihm willig!“

(S. 166) Das Mädchen geht also hin, nimmt 41 Igelhäute und zieht sie an und geht geradeswegs in den Palast. Der Padischah vermählt sofort das Mädchen mit dem Prinzen und setzt sie in das Brautgemach. Das Mädchen zündet ein Kohlenbecken an und läßt es vor der Zimmertüre stehen und tritt hinein. Die Schlange kommt nun herbei und stürzt sich auf das Mädchen. Als ihr die Igelhaut in den Rachen kommt, sagt sie: „Mädchen, zieh dein Gewand herunter!“ Das Mädchen sagt seinerseits: „Zuerst zieh du deine Kleider aus, dann will auch ich die meinen ausziehen.“ Als er sie vollständig heruntergezogen hat, nimmt das Mädchen die Kleider und wirft sie sofort ins Feuer und verbrennt sie. Auf einmal sieht sie, daß es ein Jüngling, strahlend schön wie der Vollmond, ist. Das Mädchen zieht nun auch ihrerseits die Kleider aus und ist dem Prinzen willig. Und sie umschlingen einander auf das innigste.

Am Morgen kommen Vater und Mutter des Prinzen. Als sie dies sahen, verwunderten sie sich. Sie dankten Gott vielmals. Der Prinz und das Mädchen verweilten nun geraume Zeit beieinander.

Eines Tages kam der Prinz zu seinem Vater und sagte: „Vater, ich reise jetzt fort. So Gott will, werde ich etwa in zwei Monaten wiederkommen.“ Er stand auf, kam geradeswegs zu dem Mädchen, küßte sie auf beide Augen und sagte: „Gott befohlen!“ Dann ging er aus dem Palaste heraus und zog fort. Nach einem Monate schrieb er seiner Mutter einen Brief und sandte ihr diesen.

Die im Palaste befindlichen Sklavinnen waren neidisch auf das Mädchen, und um es zu verderben, schrieben sie ein Papier und legten es in diesen Brief mit hinein. Sie präsentierten den Brief der Sultanin-Mutter. Die Mutter des Prinzen öffnete (S. 167) den Brief mit den Worten: „Von meinem Sohn ist ein Brief gekommen!“ und sieht, daß darin zwei Papiere sind. Sie liest das eine von ihnen: es sind Grüße und freundliche Worte. Und sie öffnet auch noch das andere. Wie sie es liest, so steht geschrieben: „Zerbrecht meiner Hanym die Hände und Füße und werft sie zur Türe hinaus!“ So schrieb er.

Als seine Mutter dies vernahm, verwunderte sie sich. Nun aber hörte das Mädchen es durch die Türe. Sie trat sofort hinein und sagte: „Mutter, ich will gehen, bevor man mir Hand und Arm gebrochen hat“, und brach von dort auf und ging aus dem Palaste heraus und begab sich in die Berge.

Als sie nach einiger Zeit zu einer Gräberstätte kam, legte sie sich dort nieder. Auf einmal schaut sie sich um: in dem in ihrer Nähe stehenden Sarge liegt ein Jüngling. Dieser Jüngling stand auf und kam geradeswegs zu dem Mädchen. Er sagte: „Mädchen, wie bist du hierhergekommen, ohne dich zu fürchten? Jetzt wird eine Taube kommen, und sobald sie dich erblickt, wird sie dich töten. Um Gotteswillen, komm, ich will dich in diesem Sarg verstecken!“

Er nahm das Mädchen und ging mit ihr in die Gräberstätte hinein, und indem sie sich dort aufs innigste umschlangen, übten sie dortselbst den Beischlaf aus. Das Mädchen wurde nun von dem Jünglinge schwanger. Dann begab sich der Jüngling wieder in seinen eigenen Sarg und legte sich nieder. Nach einiger Zeit kam eine Taube und brachte dem Jüngling Nahrung. Dann flog sie wiederum auf und davon.

Kurz und gut, der Jüngling aß mit dem Mädchen die Nahrung, die der Vogel brachte, und sie vergnügten sich. Als die Zeit, da das Mädchen gebären sollte, herangekommen war, sagte der Jüngling: „Mädchen, wenn du jetzt auf diesem Wege weitergehst, kommt weiterhin eine Quelle. An jener Quelle sollst du dich hinsetzen. Davor befindet sich ein Konak. Von dort kommt ein Mädchen zur Quelle, um Wasser zu holen. Du sollst zu ihr sagen: „Nehmt mich, um des Hauptes Bachtijârs willen drinnen auf! Ich werde gebären!“ Wenn dich diese innen aufnehmen, so sollst du in meinem Zimmer gebären. Dann werde ich kommen und dem Kinde seinen Namen bestimmen.“

Das Mädchen stand dann auf und kam, wie der Jüngling beschrieben hatte, geradeswegs zu der erwähnten Quelle. Sie stieg auf den Stein hinauf und ließ sich dort nieder. Nach einiger Zeit kommt aus dem Konak eine Sklavin heraus und kommt, mit goldgestickten Pantoffeln an den Füßen und mit Wasserbechern in beiden Händen, zum Wasserholen. Als das Mädchen die Sklavin erblickte, sagte sie: „Um Gotteswillen, meine Schwester, um des Hauptes Bachtijârs willen nehmt mich drinnen auf! Ich werde gebären.“ Die Sklavin kam in den Palast zurück und eröffnete das der Sultanin. Diese sagte: „Um Gotteswillen, meine Tochter, jene Frau kennt meinen Sohn Bachtijâr. Und dazu hat sie noch eine Beschwörung gebraucht! Bring sie sofort hier her und nimm sie auf!“

Die Sklavin kehrte wieder um und kam zu dem Mädchen. Sie sagte: „Um Gotteswillen, meine Schwester! Ich habe es der Hanym gesagt. Sie verlangt nach dir. Komm, wir wollen gehen!“ Sie nahm das Mädchen mit. Diese kam geradeswegs in den Konak, stieg die Treppe hinauf und kam vor die Sultanin. Das Zimmer ihres Sohnes Bachtijâr war unbenützt. Sie brachte also das Mädchen sorgsam in diesem Zimmer unter. Dort entband man das Mädchen. Es kam ein strahlendschöner Knabe von ihr zur Welt.

Um Mitternacht (S. 169) kam der Jüngling. Mit den Worten: „Meine Sultanin, der Name meines Sohnes soll Chawbetjâr (Hungerfreund) sein!“, ging er auf und davon. In der zweiten Nacht legte die Schwester dieses Jünglings das Kind in die Wiege. Während sie es einschläferte, kam der Jüngling wieder und sagte: „Meine Sultanin, was macht mein Chawbetjâr?“ Das Mädchen sagte: „Deine Schwester schaukelt ihn; es schläft mein Chawbetjâr.“ Dies hörte aber die Schwester des Jünglings drinnen mit an. Der Jüngling jedoch geht auf und davon.

Am Morgen geht die Schwester hin und erzählt die Sachlage ihrer Mutter und älteren Schwester und schildert ihnen alles. Die älteste Schwester sagt: „Weh, seit meiner frühen Jugend ist er schon verloren gegangen. Er kommt in das Zimmer des Mädchens, die wir aufgenommen haben, und liebkost sie.“ Sie sagt: „Um Gotteswillen, morgen Nacht will ich hingehen und will die Wiege des Kindes schaukeln.“

In der dritten Nacht tritt die ältere Schwester des Jünglings in das Zimmer hinein und schaukelt die Wiege des Kindes. Als das Mädchen hinausgeht, kommt der Jüngling herein. Er sagt: „Meine Sultanin, was macht mein Chawbetjâr?“ Da sagt das Mädchen: „Deine älteste Schwester schaukelt seine Wiege. Er schläft jetzt.“ Von innen hört es auch die ältere Schwester des Jünglings mit an. Dann geht der Jüngling fort.

Am Morgen kommen sie in das Zimmer des Mädchens. Sie begrüßen das Mädchen freundlich. Dann nagelten sie an der Decke des Zimmers schwarzes Tuch in einem Stück an. Aus ausgestreutem Messing machten sie dreieckige Sterne und legten sie darauf.

Als es Mitternacht ward (S. 170), kam der Jüngling. Er sagte: „Meine Sultanin, was macht mein Chawbetjâr?“ Das Mädchen sagte: „Deine Mutter schaukelt seine Wiege. Er schläft jetzt.“ Sofort kam seine Mutter heraus. Sie umschlang ihren Sohn und nahm ihn mit hinein. Der Jüngling sagte: „Mutter, ich werde wieder an meinen Ort gehen. Wenn der Vogel sieht, daß ich hierhergekommen bin, wird er mich töten.“ Seine Mutter sagte: „Mein Sohn, es ist noch frühe. Schau doch nur! Es sind noch die Sterne da!“ Der Junge hielt es für wahr und setzte sich mit der Mutter nieder.

Als es Morgen wurde, da machte ein Vogel ein pochendes Geräusch und kam ans Fenster. Er hub zu sprechen an, und als er sagte: „Mein Bachtijâr, die Mauer, die ich berühre, soll einstürzen!“ da machte die Mauer ein lautes, prasselndes Geräusch und stürzte ein. Der Vogel sagte wiederum: „Die Zweige, auf die ich mich setze, sollen vertrocknen!“ Da vertrocknete der Baum, und seine Blätter fielen ab. Indem er so fort und fort sprach, machte dieser Vogel plötzlich einen lauten Krach und platzte mitten entzwei.

Mit den Worten: „O Herr, Dank sei dir! Dieser Vogel ist gestorben! Und ich bin gerettet!“ umschlang der Jüngling seine Mutter und seinen Sohn und küßte sie auf die Augen. Alsbald vermählte die Mutter dieses Mädchen mit ihrem Sohne. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte Festeslust und Festversammlung. In der 41. Nacht führte man den Bachtijâr in die Brautkammer. Sie kosten und vergnügten sich dort.

(S. 171) Nach Verlauf von ein oder zwei Monaten kam Bachtijâr eines Tages in das Kaffeehaus jener Stadt und setzte sich nieder. Diese sollen nun hier verweilen. Wir wollen zu dem Prinzen kommen.

Er kam vom Auslande zurück und kam geradeswegs zu seiner Mutter. Er küßte ihr die Hand. Nachdem die Frage nach dem Wohlbefinden erledigt war, sagte die Mutter: „Mein Sohn, du hast einen Brief gesandt des Inhalts: „Zerbrich dem Mädchen Arm und Fuß und wirf sie zur Tür hinaus!“ Derart hast du geschrieben. Als das Mädchen dies vernahm, kam sie zu mir und sagte: „Mutter, bevor du mir noch Arm und Fuß gebrochen hast, will ich selbst gehen!“ und ging zum Palast hinaus und geradeswegs in die Berge. Ist es nicht schade? Warum bist du so mit dem Mädchen umgesprungen?“

Als der Prinz dies hörte, sagte er: „Um Gotteswillen, Mutter, ich habe nichts Derartiges geschrieben. Dahinter muß absolut eine Böswilligkeit stecken. Von nun ab soll mir alles hier versagt sein!“ und ging aus dem Palast heraus und eilte wehklagend in die Berge, um das Mädchen zu suchen.

Indem er immer weiterging, gelangte er zu der Stadt, in der Bachtijâr sich befand. Es ging gegen Abend. Er kam nun in das Kaffeehaus der Stadt, bot den Selâm und setzte sich nieder. Nun aber war auch Bachtijâr eben in jenem Kaffeehaus. Als der Prinz der dortigen Bevölkerung die Sache eröffnete (S. 172), da ward auch Bachtijâr der Sache kundig. Er kam sofort an seine Seite und begann ihn auf das eingehendste zu befragen. Ein wenig drang sein Verstand in die Sache ein. Als er sagte: „Geruhen sie doch, uns eines Abends zu besuchen! Wir wollen eine Schüssel Suppe zusammen essen!“, da sagte der Prinz: „Steh auf, gehen wir!“ Sofort brachen sie von dem Kaffeehaus auf, kamen in den Konak und nahmen in einem Zimmer Platz. Nachher wurde gegessen. Und nachdem die frohe Laune ihren Platz gefunden hatte, erklärte Bachtijâr dem Prinzen die Sache von Anfang bis zu Ende. Dann ging Bachtijâr zum Zimmer hinaus und sagte zu dem Mädchen: „Meine Sultanin! Siehe, der da gekommen ist, das ist dein erster Gatte. Ich werde wieder hineingehen und mich hinsetzen. Du aber denke nach und überlege dir die Sache! Geh dann zur Türe hinein! Wen du von uns willst, an dessen Seite sollst du kommen und dich niedersetzen! Doch wisse, daß ich dir, wenn du gehst, mein Kind nicht mitgeben werde. Das nehme ich für mich!“

Sodann ging Bachtijâr hinein und setzte sich wieder auf die Matratze. Da schaute das Mädchen zur Tür hinein, und als sie den Prinzen erblickte, ging sie hinein und kam schnell an die Seite des Prinzen und setzte sich nieder. Als Bachtijâr dies sah, sprach er: „Gott soll es segnen, mein Prinz!“ und blieb nicht mehr im Zimmer und ging rasch hinaus.

Jene Nacht verweilten sie dort. Am Morgen aber nahm der Prinz das Mädchen und brachte sie direkt zum Palast. Das Mädchen erzählte dem Prinzen den tatsächlichen Sachverhalt. Sie feierten in jener Nacht von neuem Hochzeit (S. 173) Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte Festgelag und Festversammlung. In der 41. Nacht betrat er die Brautkammer. Und auch diese beiden Liebenden wurden ihres Wunsches teilhaftig. Auch diese Erzählung fand hier ein Ende und damit Schluß!

Nachschrift.
Von Georg Jacob.

Während Herr Dr. Menzel in Konstantinopel und Odessa weilte, habe ich die Korrekturen dieses Bandes erledigt, indem ich mich natürlich streng an sein Manuskript hielt. Dabei fielen mir mancherlei Parallelen aus der Märchenliteratur ein, auf die ein Hinweis demjenigen willkommen sein dürfte, der sich für die Herkunft und Geschichte dieser Stoffe interessiert. Das Wichtigste hat allerdings bereits Chauvin im 16. Jahrgang der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, Berlin 1906, S. 289 bis 243 in einer Besprechung von Kúnos Türkischen Volksmärchen gegeben; auf das von ihm gesammelte Parallelenmaterial verweise ich nicht noch einmal. Ich selbst habe bereits vor einem Vierteljahrhundert den damals bei uns noch gänzlich unbekannten Billur Köschk in einem Kolleg interpretiert und ihn 1900 im 1. Jahrgang von Keleti Szemle S. 328 und 1901 in meiner Türkischen Volksliteratur S. 5 ff. behandelt.

Der Stil des Büchleins ist dürftig; nur selten zeigt sich die Kunst des Meddah wie S. 163 oben in dem hübsch wiedergegebenen Gespräch des Prinzen mit der alten Frau. An Träume erinnern die phantastischen Umwege, auf welchen die einfachsten Ziele erreicht werden. Die Stoffe scheinen z. T. abendländischer Herkunft, aber arg zerfahren.

Das erste Märchen vom Kristallpalast enthält Züge aus dem Dornröschen- und Schneewittchenkreis, die ursprünglich identisch waren. Der Kamm Schneewittchens ist ja lediglich eine Variante des Schlafdorns. Auch bei Schneewittchen handelt es sich um den Winterschlaf des Vegetationsgenius im gläsernen Sarg, der die Eisrinde darstellt, bei den Zwergen, den kunstreichen Schmieden, deren Kunstwerke ursprünglich den Blumenschmuck der Erde bedeuteten. Zweifelhaft bleibt, ob im Billur Köschk noch die ursprüngliche Einheit des Dornröschen- und Schneewittchen-Märchens nachlebt oder eine späte Kontamination beider vorliegt. Zunächst beachte man das Inclusa-Motiv: die Königstochter wird, unterirdisch eingesperrt, ernährt; der dann für sie erbaute Kristallpalast ist wohl ursprünglich ein Eispalast; bei der verabredeten Begegnung mit dem Königssohn wird sie, bevor sie zu ihm gelangt, von einem Rosendorn gestochen und kehrt um.

Die zweite Geschichte, Helwadschy güzeli, ein Genovefa-Motiv, entspricht der Rahmenerzählung zu Choros kardasch, bearbeitet von Rudolf Lindau, Türkische Geschichten, Berlin 1897, S. 123 ff.: Geschichte von der schönen Dschanfeda. — Das Eintauchen des Hemdes in Blut hat sein Vorbild bereits Gen. 37, 31. — Die S. 32 erwähnten Helva-Gesellschaften bildeten ehemals eine beliebte türkische Unterhaltung, die namentlich unter dem Großvezirat des Damad Ibrahim Pascha (1718-30) blühte, der selbst Sultan Ahmed III. gelegentlich solcher Veranstaltungen bei sich sah, vgl. Ta’rich-i-Dschevdet, Konstantinopel 1309, I. S. 63; Mehmed Tevfik, Istambolda bir sene II. Helva sohbeti; Kúnos: Ungar. Revue XIV, 1894, S. 427 ff.

Die vierte Geschichte vom weinenden Granatapfel und der lachenden Quitte enthält eine Reihe bekannter Motive. Das Wasserbecken deutet wohl darauf hin, daß die Taube ursprünglich ein Wasservogel (Schwan) war, doch spielt Wasser bekanntlich auch bei der Entzauberung eine Rolle.

Das fünfte Märchen von der Schönen, die ihren Wunsch erreichte, scheint in seinem ersten Teil mit dem zweiten Teile der Schwarzen Schlange (Nr. 14) verwandt; doch ist die Beziehung zwischen dem Vogel und dem Scheintoten verdunkelt, während noch die Fassung in Kúnos Textausgabe I, Nr. 44 den Vogel als eine der Kyrklar, in denen vermutlich die Sirenen nachleben, kennt, welche den Jüngling entführt und verzaubert haben. Das Motiv ist das nämliche wie in Grimms Gänsemagd.

Die sechste Geschichte von der Schönen, die ihren Wunsch nicht erreichte, weist Anklänge an Grimms Gänsemagd und Schneewittchen auf. Über Einatmen des Blumenduftes als Symbol für den Liebesgenuß, vgl. Georg Jacob, Das Hohelied, Berlin 1902, S. 8.

Nr. 9: „Der alte Spindelhändler“ ist eine Blaubartgeschichte mit Verwendung des Simsonmotivs. — Zu S. 145, Z. 4 vergegenwärtige man sich, daß Ruhe und Glück für den Orientalen synonyme Begriffe bilden.

Nr. 10: „Der Dieb und der Taschendieb“ ist die bekannte Erzählung aus 1001 Nacht, s. Chauvin, Nr. 151: „Les deux maris.“

Zu Nr. 11: „Dschefâ und Sefâ“, das Anklänge an Hugdietrichs Brautfahrt enthält, vgl. Andrzej Gawronski, Notes sur les sources de quelques drames indiens (Mémoires de la Commission Orientale de l’Académie Polonaise Nr. 4), W. Krakowie 1921, S. 63 ff.: La fable dramatique du Mâtatîmâdhava dans la littérature populaire turque. — Zu S. 161 vgl. 1001 Nacht ed. Habicht und Fleischer XI, S. 133 ff., „Der König, welcher sich in ein Bild verliebte.“ — Zu S. 163 vgl. Gen. 24, 19 und 31, zu der S. 168/9 gegen den Feind geschleuderten Erde die bekannte Parallele aus der vita des Propheten.

Nr. 12: „Ali Dschengiz“ stellt ein sehr beliebtes Wandermärchen dar, über das man die erwähnten Bemerkungen Chauvins zu Kúnos, S. 277 ff. vergleiche.


Satz und Druck:

A. W. Zickfeldt, Osterwieck-Harz.


Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druck- und Rechtschreibfehler wurden korrigiert. Bei Varianten der Schreibweise wurde die häufigste verwendet.

Die Zeichensetzung wurde nur bei eindeutigen Druckfehlern geändert.

 

[Das Ende von Türkische Märchen I edited by Theodor Menzel]