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Title: Miß Rockefeller filmt

Date of first publication: 1920

Author: Artur Landsberger (1876-1933)

Date first posted: Feb. 4, 2022

Date last updated: Feb. 4, 2022

Faded Page eBook #20220208

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Artur

Landsberger

 

 

Miß Rockefeller filmt

 

Ein Filmroman

 

 

 

Thespis Verlag

 

München


Mi, dem Bleistift!

1.-10. Auflage

Copyright 1920 by Thespis Verlag, München

Erstes Kapitel

Der Hausmeister mit der dunkelblauen Mütze und dem über die Knie reichenden, enganschließenden Rock stand vor dem Portal des Auswärtigen Amts; wie seit dreißig Jahren an jedem Abend, wenn die Abteilungsleiter sich von ihrem Schreibtisch erhoben und zu ihren Sekretären „gute Nacht“ sagten.

Er war derselbe geblieben, innerlich und äußerlich, wenn das Haar auch grau geworden war und der Rücken nicht mehr ganz so in der geraden Linie verlief wie ehedem. Aber die Menschen hatten sich, ihm sehr zum Schmerz, verändert.

Es war nicht nur das Fehlen der Bügelfalte und der schlecht sitzende Rock, der die Sekretäre und Räte des alten Regimes von dem heutigen unterschied. Es fehlte die Haltung. Und Haltung war ihm gleichbedeutend mit Würde. Sie sprachen mit ihren Vorgesetzten, die Hände in den Hosentaschen, trugen Bärte oder gingen gar unrasiert, kamen im Omnibus angefahren, von dem sie während der Fahrt absprangen, und trugen Mappen unter dem Arm, wie sie früher nicht einmal die Bureaudiener trugen.

Konnte man diesen Menschen, die so schlecht Deutschlands Würde nach außen vertraten, mit Achtung begegnen? Er legte die Stirn in Falten, schüttelte den Kopf und sagte: nein! Und während er früher jeden, ganz nach dem Rang, den er bekleidete, freundlich, höflich oder devot begrüßt hatte, ließ er sie jetzt mit einem spöttischen Zug um den Mund und ohne Gruß an sich vorübergehn.

Nur in einer und zwar der wichtigsten Abteilung hatte sich, allem Umsturz zum Trotz, diese Wandlung nicht vollzogen. Hier herrschte noch heute der einknöpfige Cutaway, die Bügelfalte und der hohe Hut, und ihre Träger waren der Herkunft und dem Geiste nach dieselben wie vor dreißig Jahren. Hier war der Hausmeister Mensch, hier durft’ er’s sein! denn er vergab sich nichts. Es waren für ihn die einzigen Momente am Tage, an denen sein Standesbewußtsein nicht litt, wenn er auf den Gruß

„N’Abend, Herder!“

stramme Haltung annehmen und erwidern konnte:

„Guten Abend, Herr Baron!“

Und wenn der Herr Baron oder der Herr Graf dann um die Ecke bog, lächelte Herder wohlwollend und befriedigt und dachte: ‚Ganz der Herr Papa!‘ oder ‚als ob ich den Herrn Großvater vor mir sähe!‘ — Und wenn er sich des Abends die Decke über den Kopf zog, waren seine letzten Gedanken noch bei ihnen, und er schlief in dem Bewußtsein ein: ‚Die werden’s schon machen.‘

In dieser Abteilung kannte Herder sämtliche Personalien; jede Veränderung und Neubesetzung war für ihn ein Erlebnis. Und als eines Tages der Graf Matuschka seinen Abschied nahm und ein ganz gewöhnlicher Dr. Robert Deichler an seine Stelle trat, kam ihm nach einer schlaflosen Nacht zum ersten Male der Gedanke, sich pensionieren zu lassen. Aber die Erwägung, wer dann an seine Stelle treten würde, erregte ihn derart, daß er die Absicht bald wiederaufgab. Um so mehr beschäftigte ihn die Frage, wie er sich zu diesem Doktor Deichler stellen solle. Er galt ihm als Eindringling, der den neuen Geist auch in diese Abteilung trug, deren unverändert gebliebener Charakter ihm Amt und Leben noch erträglich machten. Er beschloß, als Zeichen, daß er trotz dieses Schönheitsfehlers der Abteilung als solcher sein Vertrauen nicht entzog, ihn zu grüßen, im übrigen aber ihm mit Vorurteil zu begegnen.

Freilich: Doktor Deichlers Äußeres sagte ihm zu. Dieser hochgewachsene, schlanke Mann mit dem bartlos-rassigen Gesicht, an dessen Kleidung und Manieren er nichts auszusetzen fand, machte auch in dieser Abteilung eine gute Figur. Und da die anderen, bis hinauf zum Staatssekretär, ihn respektierten, so überwand er auch seine Vorurteile und nahm ihn für voll. Er bemühte sich sogar um seine Herkunft, die der Gotha leider verschwieg, und brachte nicht ohne Mühe heraus, daß Papa Deichler zwar Akademiker, aber politisch nicht ganz einwandfrei gewesen war. Jedenfalls hatte er dem alten Bismarck Opposition gemacht, der Herders erster Chef gewesen war und den er wie einen Heiligen verehrte. Keine Wand in seiner kleinen Dienstwohnung, an der nicht das Bild des ersten Kanzlers hing.

Es war daher nur folgerichtig, wenn Herder einen gewissen Soupçon dem Doktor Deichler gegenüber nicht überwand und seine endgültige Stellungnahme von einer Unterredung abhängig machte, die er, an sich so wortkarg, nun krampfhaft herbeizuführen versuchte. Daß zwischen Doktor Deichler und den anderen Herren der Abteilung aber doch irgendein Unterschied bestand, das verriet schon sein Gruß. Denn auf sein:

„Guten Abend, Herr Doktor!“

zog, im Gegensatz zu den anderen, Deichler regelmäßig den Hut und sagte beinahe höflich:

„Guten Abend, Herr Herder!“

So nannten ihn die Gehilfen, Schreiber und Bureaudiener auch.

*     *     *

Doktor Deichler war schon über sechs Wochen im Amte, ohne daß Herder Gelegenheit gefunden hatte, mit ihm zu sprechen. Zwar hatte er durch die Bureaudiener und Schreiber erfahren, daß Doktor Deichler allgemein als einer der befähigtsten und zuverlässigsten Beamten der Abteilung galt und vom Abteilungsdirektor mit den wichtigsten Aufgaben betraut wurde. Er hatte auch Gelegenheit, die Angaben seiner Gewährsmänner, auf die kein absoluter Verlaß war, persönlich nachzuprüfen, denn er genoß Vertrauen und hatte daher überallhin Zutritt. Ihm unterlag die Ordnung des Hauses, und dazu gehörte auch, dafür zu sorgen, daß die Akten nicht herumlagen. Das verursachte allabendlich Arbeit. Er tat sie gern, und wenn er auf den Schreibtischen der jungen Diplomaten das Tohuwabohu sah und Ordnung schaffte, lächelte er wohlwollend und befriedigt und dachte: ‚Ganz wie bei dem Herrn Papa‘ oder ‚als wenn ich den Schreibtisch des Herrn Großvaters vor mir sehe!‘

Ganz anders bei Doktor Deichler. Die unerledigten Akten lagen hinter Glastüren in einem Schrank verschlossen, in dem der Vorgänger, Graf Matuschka, Zigaretten und Liköre aufbewahrte. Auf dem Schreibtisch lagen zwei verschlossene Mappen, darauf als Anweisung für den Bureauchef ein Zettel mit der Aufschrift: ‚Herrn Legationssekretär von dem Bussche zu übergeben zwecks sofortiger Weiterleitung an Seine Exzellenz den Herrn Staatssekretär.‘ Demnach, so folgerte Herder, hatte dieser Doktor Deichler das Recht, dem Baron von dem Bussche Anweisungen zu geben. Wenn er das auch nicht billigte — denn die Freiherren von dem Bussche saßen länger als ein Menschenalter in diesem Amte — so machte es doch Eindruck auf ihn. Ihm sagte diese Begleitschrift zu der Mappe aber auch, daß Doktor Deichler das Vertrauen des Ministers besaß; also beschloß auch er, ihm sein Vertrauen zu schenken.

Da er ihm sofort ohne Vorurteil und mit Vertrauen begegnete, war es nur natürlich, daß er auch seine Frau, Margarete Deichler, für voll nahm. Und er hoffte, so oft er diese gutgewachsene, große, schlanke Frau mit dem feinen Gesicht und dem federnden Gang sah, daß sie nicht nur dem Äußeren, sondern auch dem Blute nach eine Aristokratin wäre.

Darüber hatte er sich noch keinen Aufschluß verschafft, als sie ihn eines Abends freundlich grüßte, ansprach und fragte:

„Ist mein Mann noch oben, Herr Herder?“

„Jawohl, Frau Baronin!“ erwiderte er.

Sie sah ihn an, lachte, schüttelte den Kopf und sagte:

„Sie verwechseln mich, ich bin die Frau von Doktor Deichler.“

„Verzeihung! gewiß! ich wußte. Aber gnädige Frau sehen der Baronin von und zu Esche so verblüffend ähnlich — vermutlich eine Verwandte.“

„I Gott bewahre! weder ‚von‘ noch ‚zu‘, sondern einfach Schindler, wenn es Sie interessiert; ohne einen Tropfen blauen Bluts!“ — Und als er sie darauf enttäuscht ansah, setzte sie hinzu: „Genau wie Sie“, zeigte ihre schönen Zähne und ging lachend die Treppen zu dem Korridor hinauf, auf dem das Arbeitszimmer ihres Mannes lag.

Herder war so verblüfft, daß er den Grafen Kleist, der gerade die Treppe hinunterkam und sich interessiert nach Frau Margarete Deichler umwandte, gar nicht bemerkte. Ihre Worte ‚genau wie Sie‘ gingen ihm nicht aus dem Kopf. Darüber, daß auch er bürgerlich war, hatte er in den Jahren, während deren er an dieser Stelle stand, noch nie nachgedacht, das kam ihm erst jetzt zum Bewußtsein. Einesteils verstimmte es ihn; aber dann übten diese drei Worte doch die Wirkung, daß er in seinem Urteil milder wurde. —

Der Diener meldete dem Doktor Deichler:

„Herr Doktor! Ihre Frau Gemahlin!“

Er stand auf und sagte:

„Bitte!“

Frau Margarete trat ins Zimmer, er ging ihr entgegen, sie begrüßten sich herzlich.

„Rudi,“ sagte sie, „ich glaube an deine Karriere!“

„Nanu? so plötzlich! — darf ich wissen, wieso?“

„Weil ich wie eine Gräfin aussehe.“

„Das könnte mich allerdings für einen Botschafterposten qualifizieren.“

„Siehst du! jetzt sagst du’s selbst!“

„Und wer hat dir dies Kompliment gemacht?“ fragte er etwas ironisch.

„Herder!“

„Der Hausmeister?“

„Ja! er ist dreißig Jahre im Amte und kennt sich aus. Strafbar ist es nicht mehr. Wie wäre es also, wenn ich mich als Gräfin ausgäbe?“

„Um mir vorwärtszuhelfen?“

„Ja! wenn die Menschen doch nun einmal so dumm sind.“

Deichler klappte einen Aktendeckel zu und sagte: „Danke! auf die Art nicht! — Im übrigen, wie kommt dieser Herder dazu ...?“

„Er hat mich mit der Gräfin von und zu Esche verwechselt. Denk dir, die Ehre!“ erwiderte sie und lachte laut.

„Damit hat der schlaue Fuchs doch irgendeinen Zweck verbunden — Du hast ihn natürlich berichtigt?“

„Selbstredend.“

„Und gesagt, wer du bist?“

„Allerdings!“

„Nun also, dann weiß er ja, was er wissen wollte.“

„Du meinst ...?“

„Ich vermute. Hier schnüffelt alles an einem herum. Und wenn man nicht zum sogenannten Stamm gehört, nehmen einen selbst die Bureaudiener nicht für voll.“

„Du hast Ärger gehabt, Rudi?“ sagte sie ihm auf den Kopf zu.

„Ja!“ erwiderte er.

„Durch wen?“

„Wir kommen nicht nach Tokio.“

„Sondern?“

„Wir bleiben hier.“

„Und wer kommt statt uns ...?“ fragte sie erregt.

„Graf Kleist.“

„Der Idiot!“ rief sie wütend. „Das ist eine Niedertracht!“

Deichler wies zur Tür und sagte:

„Leise, bitte! Hier haben die Türen Ohren.“

„Mögen sie’s hören! Du hast die Zusage deines Chefs.“

Deichler zog die Schultern in die Höhe und sagte:

„Sag’ es ihm!“

„Das werde ich tun!“

Er wandte sich zu ihr um und sagte erstaunt:

„Was? — du willst ...?“

„Mit dem Minister sprechen!“ erwiderte sie bestimmt. — „Oder glaubst du, ich schäme mich? Wenn einer sich schämen muß, ist er’s.“

„Das willst du ihm doch nicht etwa sagen?“

„Vielleicht! vielleicht auch nicht. Das hängt von ihm ab und von dem, was er sagt.“

„Das ist ja doch Wahnsinn!“

„Mag sein! Aber schuld an dem Wahnsinn haben nicht wir. — Vielleicht ist es ganz gut, wenn hier einer mal auftritt und die Wahrheit sagt.“

„Aber du! — eine Frau!“

„Euch fehlt doch die Courage.“

Deichler dachte einen Augenblick nach; dann trat er an seine Frau heran, legte die Hände auf ihre Schultern und sah sie an.

„Was bedeutet das?“ fragte sie.

„Du hättest das Zeug dazu, Marga!“

„Das habe ich!“

„Und das Schlimmste, was dabei passieren kann, ist, daß sie auf meine Dienste verzichten.“

„Was wäre damit verloren? wo sie dich doch nicht vorwärtskommen lassen.“

„Also Marga, wenn dir so ums Herz ist und es dich keine Überwindung kostet ...“

„Es würde geradezu erleichternd auf mich wirken; deinet- und meinetwegen; und dann auch um der Sache willen. Denn was dir heut’ geschieht, das geschieht morgen einem anderen. Und darum sollen sie wenigstens einmal wissen, wie man darüber denkt.“

„Recht so!“ stimmte Deichler seiner Frau bei. „Meine Einwilligung hast du.“

Marga wandte sich zur Tür und gab dem Diener ihre Karte.

„Ist Exzellenz noch da?“ fragte sie.

Der Diener sah erstaunt erst sie, dann die Karte an. Und erst als Deichler energisch sagte:

„Worauf warten Sie?“

verbeugte er sich und ging.

Es dauerte kaum eine Minute, da kam er mit einem Ausdruck, der ganz Untertan war, zurück und meldete:

„Exzellenz lassen bitten.“

Frau Marga gab ihrem Manne die Hand und sagte:

„Laß dir die Zeit nicht lang werden.“

Er nickte ihr zu und sagte:

„Ich warte.“

*     *     *

Der Minister erhob sich, als Frau Marga ins Zimmer trat, reichte ihr die Hand und forderte sie auf, sich zu setzen.

„Ich will Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen, Exzellenz“, begann sie. „Sie werden zunächst erstaunt sein ...“

„Wenn Sie einen Tag lang auf diesem Sessel säßen,“ und dabei wies er auf seinen Lederfauteuil, „so würden Sie begreifen, daß nichts mehr mich in Erstaunen setzen kann.“

„Um so besser! dann darf ich also gerade heraus die Frage an Sie richten, wie es möglich ist, daß trotz Ihrer bestimmten Zusage statt meines Mannes der Graf von Kleist an die Botschaft in Tokio kommt.“

„Weil, wie ich Ihnen bereits andeutete, hier nichts unmöglich ist.“

„Ja, sind denn Exzellenz hier nicht maßgebend und verantwortlich?“

„Verantwortlich zweifellos; maßgebend nur bedingt.“

„Und wer hat, wenn ich fragen darf, hier zu bestimmen?“

Der Minister zog die Schultern hoch und sagte:

„Das weiß keiner.“

Frau Marga sah ihn erstaunt an, worauf der Minister fortfuhr und sagte:

„Ein einzelner jedenfalls nicht.“

„Sondern?“

„Das bemühe ich mich, seitdem ich hier sitze, vergeblich, zu ergründen.“

„Sonderbar!“

„Das finde auch ich ... Ich komme zum Beispiel des Morgens, nachdem ich während der ganzen Nacht über einen bestimmten Gegenstand nachgedacht habe, mit einem festen Entschluß hierher. Ohne daß neue Momente hinzugekommen wären, setze ich am Nachmittag desselben Tages meinen Namen unter ein Schriftstück, das genau das Gegenteil besagt.“

„Aus Schwäche?“

„I Gott bewahre.“

„Aus Überzeugung?“

„Ja und nein! Hier übt das Milieu seine Wirkung, der man sich einfach nicht entziehen kann. Und zwar bedeutet Milieu in diesem Falle mehr als etwa nur das, was einen augenblicklich umgibt. Wie es Gesetze mit rückwirkender Kraft gibt, so gibt es auch Milieus mit rückwirkender Kraft. Hier zum Beispiel herrscht ein unsterblicher Geist, der bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückreicht, wenn nicht weiter. Von dem Geiste eines jeden, der hier einmal gewirkt hat, spüren Sie heute noch einen Hauch. Und da es immer Geist vom selben Geiste war, so hat sich dieser Hauch zu einem Luftzug verdichtet, der so stark durch alle Räume weht, daß es kein Schutzmittel dagegen gibt. Man klappt sich den Kragen hoch und steckt sich Watte in die Ohren, aber er dringt doch durch.“

„Da müßte man eben einmal reinen Tisch machen und von vorn anfangen.“

„Sie werden doch immer an dem, was war, anknüpfen müssen.“

„Aber eine starke Persönlichkeit, Exzellenz verzeihen, muß sich derartigen Einflüssen doch entziehen können.“

„Glauben Sie nicht, gnädige Frau, daß Sie beispielsweise einem Alkoholverbot während einer Nordpolfahrt mit anderen Gefühlen gegenüberständen als während einer Reise in den Tropen?“

„Das heißt ja doch nichts anderes“, erwiderte Frau Marga erregt, „als daß sich der Klüngel hier wie eine ewige Krankheit forterbt und daß jeder Versuch, dem kranken und senilen Körper frisches Blut zuzuführen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.“

„Man tut, was man kann, zumal sich hier und da doch einmal die Gelegenheit zur Zuführung frischen Blutes bietet.“

„Und wieso nicht in unserem Falle?“

„Auch das liegt in dem System begründet. Der Personaldezernent war meiner Zusage gemäß — eine feste Zusage war es übrigens nicht —“

„Sie haben meinem Manne Ihre Unterstützung zugesagt.“

„Sehen Sie! meine Unterstützung, aber nicht die Stellung.“

„Wir mußten annehmen, daß das gleichbedeutend sei.“

„Ich glaube, Sie überzeugt zu haben, daß es das nicht ist. Jedenfalls kamen von dem Tage ab, an dem Ihr Gatte auf der Liste des Dezernenten stand, täglich mehrmals Anfragen an mich, die mich schließlich bedenklich stimmten.“

„Gegen meinen Mann?“ fragte Frau Marga erstaunt.

„Nicht, wie Sie es fassen.“

„Die üblichen Intrigen. Da niemand ihm etwas nachsagen kann, so mutmaßen und erfinden sie. Aber sie haben bisher noch immer den Rückzug angetreten.“

„Sie irren! In diesem Fall handelt es sich nicht um Persönliches. Sehen Sie“ — und er entnahm einem Aktendeckel einige Bogen, — „hier wird zum Beispiel angefragt, ob Herr Doktor Deichler bereit wäre, die Villa seines Vorgängers, des Grafen Wendheim, in Tokio zu beziehen; Jahresmiete in deutscher Währung vor dem Kriege zweiunddreißigtausend Mark. — Ich fand es taktvoll, Ihrem Gatten das Schreiben gar nicht erst zu zeigen und antwortete: nein! Daraufhin folgte eine Äußerung folgenden Inhalts: „Die europäische Aristokratie in Tokio, deren gesellschaftlicher Zusammenschluß enger ist, als in den europäischen Großstädten, interessiert sich naturgemäß für den Nachfolger des Grafen Wendheim, den sie nur ungern scheiden sieht. Kann damit gerechnet werden, daß der Nachfolger den Rennstall des Grafen Wendheim weiterführt? Die schwarzweiße Jacke mit der roten Kappe erfreute sich hier bis in weite Volksschichten hinein großer Popularität. Die Fortführung liegt daher in politischem Interesse.“ — Ich antwortete: nein! — An einem der nächsten Tage kam dieses: „Man bittet um Angaben, in welchen verwandt­schaftlichen, resp. gesellschaftlichen Beziehungen der präsumptive Nachfolger des Grafen Wendheim zur hiesigen internationalen Aristokratie steht, um die Stimmung hier sondieren zu können.“ — Ich antwortete: „weder, noch: der präsumptive Nachfolger des Grafen Wendheim steht in gar keinen Beziehungen zur dortigen Aristokratie.“ — Dann hieß es bald darauf: „Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß sich das Leben in Tokio im Verhältnis zum Jahre 1914 um das Fünffache verteuert hat. Die hiesigen Vertreter auswärtiger Regierungen verbrauchen märchenhafte Summen für Repräsentationszwecke.“ — Und neben diesen Mitteilungen, die unverkennbar eine bestimmte Absicht verfolgen, liefen Berichte ein, die den Grafen Kleist geradezu als prädestiniert für den Posten erscheinen lassen.“

„Er hat ja wohl einen Zuchthengst,“ erwiderte Frau Marga spöttisch, „der vor Jahren Union und Derby gewonnen hat. Wenn einer seiner Nachkommen also das japanische Derby gewinnt, dann wiegt das natürlich sämtliche Handels- und Meistbegünstigungsverträge auf, die unter Umständen mein Mann mit Japan in die Wege geleitet hätte.“

„Das klingt für Sie grotesk, gnädige Frau, ist es aber nicht. Denn über den gesellschaftlichen Verkehr — und als solchen fasse ich in diesem Falle auch den Sport auf dem grünen Rasen auf — werden wir viel leichter zu Handelsverträgen kommen als über den Schreibtisch.“

„Dann halten Sie meinem Manne einen Rennstall!“ parierte Frau Marga gewandt. „Der Vertrag, den er dann vorbereitet, wird um so viel günstiger für Deutschland sein als der des Grafen Kleist, daß die Kosten zehnfach dabei herauskommen.“

„Der Ansicht bin auch ich“, erwiderte der Minister. „Aber was, glauben Sie, würden die Unabhängigen toben! Nicht nur die, auch die anderen, wenn ich in der Nationalversammlung aufstehe und einen Rennstall für den Botschaftsrat in Tokio fordere.“

„Wenn die Auserwählten des Volks so beschränkt sind, dann muß man dem Minister einen Dispositionsfonds schaffen, über den er frei verfügen kann.“

Der Minister stimmte lächelnd zu, und Frau Marga fuhr fort:

„Was nützt ein stubenreiner Graf, der politisch ein Tölpel ist? Vorteile aus dem gesellschaftlichen Verkehr werden allemal die anderen ziehen. Wie sie es Jahrzehnte hindurch getan haben.“

Der Minister hatte, ohne daß es Frau Marga sah, auf einen Knopf gedrückt. In der Tür erschien darauf ein sehr eleganter Herr, Anfang der Vierziger, den ihr der Minister als Herrn Geheimrat von Stuck vorstellte.

„Sie können Frau Doktor Deichler vielleicht besser als ich über die Gründe orientieren, aus denen statt ihres Gatten der Graf von Kleist nach Tokio geht“, sagte der Minister mit einem leicht ironischen Zug um den Mund.

Herr von Stuck, der beim Anblicke Frau Margas zuerst äußerst angenehm beeindruckt war, fühlte sich jetzt, wo ihm der Minister diese sehr peinliche Mission übertrug, geniert und sagte:

„Mit Vergnügen.“

Der Minister verabschiedete sich von Frau Marga mit den Worten:

„Ich habe nämlich um acht Uhr eine Sitzung.“

Als er draußen war, wies Herr von Stuck auf einen Stuhl und sagte:

„Sie gestatten?“

Und Frau Marga erwiderte:

„Bitte.“

„Ja,“ begann Herr von Stuck, „die Gründe, aus denen Ihr von mir übrigens besonders geschätzter Gatte nicht nach Tokio geht, liegen einfach daran, daß man an maßgebender Stelle dem Grafen Kleist den Vorzug gab.“

„Wer ist diese maßgebende Stelle?“

„Der Minister.“

„Und wer hat ihn beraten?“

„Ich!“ platzte von Stuck heraus.

„Sie sind vermutlich ein Freund des Grafen von Kleist.“

„Ja! — das heißt,“ verbesserte er schnell, „bei der Besetzung des Postens spielt das selbstredend keine Rolle.“

„Was denn?“

„Das Interesse des Landes.“

„Welches Landes?“ fragte sie bissig.

Von Stuck sperrte den Mund auf und sah sie erstaunt an.

„Ja, Sie glauben doch nicht,“ sagte er pikiert, „daß wir hier die Geschäfte des Feindes besorgen?“

„Wissentlich sicher nicht.“

Von Stucks Gesichtsausdruck wurde nicht klüger. Frau Marga ließ ihn nicht aus den Augen. Das machte ihn unsicher.

„Ich gebe ja zu, Ihr Gatte ist klüger als Kleist — aber trotzdem — es ging nicht!“

„Wieso nicht?“

„Ja, fühlen Sie das denn nicht?“

„Nein!“

„Ja, sehen Sie, gnädige Frau, das ist es! Sie haben kein Diplomatenblut, das Ihnen, rein gefühlsmäßig, sagt: es geht nicht! es paßt nicht!! es ist unmöglich!!!“

„Ich begreife, daß diese Argumente den Minister bestochen haben“, erwiderte Frau Marga spöttisch. Und von Stuck, der es für ernst nahm, sagte befriedigt:

„Na, sehen Sie! — Schon die Gräfin Kleist, eine geborene Reuß ...“ — Er stutzte, sah Frau Marga prüfend an und sagte: „Das heißt — ich muß gestehen — ich hätte gar nicht geglaubt — wahrhaftig! — nicht nur, daß Gnädigste ihr ähneln — wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, zu urteilen —“

„Sie dürfen.“

„Vom Standpunkte des Äußeren, der Repräsentation aus, würde ich Ihnen, Gnädigste, sogar den Vorzug geben.“

„Sehr schmeichelhaft“, erwiderte Marga, und von Stuck, der auch jetzt wieder nicht den Spott herausfühlte, fuhr fort:

„Wenn wir uns früher begegnet wären.“

„Was wäre dann?“

„Vielleicht, daß ich dann doch — Ihnen zuliebe —“

Er stand auf und trat an Frau Marga heran. Dann sagte er:

„Bei Gott! Als wenn ich der Prinzessin gegenüberstände!“

Frau Marga lächelte:

Von Stuck deutete es falsch und griff nach ihrer Hand.

Frau Marga sprang auf, wich ein paar Schritte zurück und sagte kühl und überlegen:

„Also auch darin vieux-jeu! — Auf die Art nicht! — Sie müssen umlernen!“

„Verzeihung!“ sagte von Stuck und verbeugte sich. „Es war nicht meine Absicht ...“

„Geschenkt!“ fiel ihm Frau Marga ins Wort. „Im übrigen: es war wohl Ihre Absicht. Aber ich nehme es Ihnen nicht übel. Es vervollständigt das Bild und gehört dazu. Ja, es würde geradezu etwas fehlen, wenn der Versuch unterblieben wäre.“

„Ich versichere Sie, Gnädigste ...“

„Ich weiß! Sie versichern mich Ihrer Hochachtung und sorgen im übrigen dafür, daß mein Mann keine Karriere macht. Aber ich opfere mich nicht, und wenn der Preis ein Ministerposten wäre.“

„Ein Opfer hätte ich niemals angenommen. Wenn überhaupt davon die Rede gewesen wäre, so hätte es nur freiwillig geschehen können.“

„Kann aber nie geschehen!“ erwiderte Frau Marga bestimmt.

Von Stuck verbeugte sich und sagte:

„Ich nehme es zur Kenntnis. Das schließt aber hoffentlich eine freundschaftliche Annäherung nicht aus.“

„Zu Dritt’ gern“, erwiderte Marga.

„So war es gemeint.“

„Beweisen Sie’s!“

„Wodurch?“

„Indem Sie mir verraten, wie es zu erreichen ist, daß mein Mann eine seinen Fähigkeiten entsprechende Karriere macht.“

Von Stuck fühlte neue Möglichkeiten.

„Darüber mit Ihnen zu sprechen, wird mir ein Vergnügen sein.“

„Würden Sie mir eine Frage beantworten.“

„Wenn ich dazu in der Lage bin, mit großem Vergnügen.“

„Aber ehrlich!“

„Ich verspreche es Ihnen.“

„Kann in bezug auf Karriere ein großes Vermögen den Adel ersetzen?“

„Leider ja.“

„Wäre mein Mann, wenn er vermögend wäre, nach Tokio gekommen?“

Von Stuck zögerte.

„Sie hatten mir versprochen, meine Frage zu beantworten“, mahnte Frau Marga, und von Stuck erwiderte:

„Vermutlich, ja.“

„Und was von Tokio gilt, das gilt auch von allen anderen Posten?“

„Von den meisten.“

„Somit hängt seine Karriere lediglich von der Erfüllung dieser materiellen Bedingung ab.“

„Die war ja wohl zugegeben?“

„In vollem Maße.“

„Sie versprechen mir demnach, nach Beseitigung des materiellen Hindernisses, die Förderung meines Mannes?“

„Das kann ich mit gutem Gewissen.“

„Und ich darf Sie von Zeit zu Zeit daran erinnern?“

„Das würde mir eine besondere Freude sein.“

„Hand darauf!“

Sie streckte ihm die Hand hin und er schlug freudig ein.

‚Also doch!‘ dachte er und sagte sich: ‚das habe ich wieder einmal fein gemacht!‘

Aber Frau Marga hatte ganz andere Gedanken.

‚Wie fangen wir es an, zu Geld zu kommen?‘ war die Frage, die sie beschäftigte, als sie jetzt in das Arbeitszimmer ihres Mannes zurückkehrte.

*     *     *

Doktor Deichler wäre am liebsten seiner Frau nachgestürzt und hätte sie, noch ehe sie das Zimmer des Ministers betrat, zurückgehalten. Nicht wegen des Eindrucks, den ihr Besuch auf den Minister machen mußte, — den in eine unbequeme Situation zu bringen, bereitete ihm sogar Vergnügen. — Seine Bedenken galten Frau Marga. Die regte sich auf und ging in ihrem Gerechtigkeitsgefühl und ihrer Wahrheitsliebe womöglich zu weit. In einem Betrieb, in dem man das Wort meist dazu benutzte, um etwas zu verschweigen, in dem Aufrichtigkeit als Dummheit galt, konnte ihre simple Moral nicht auf Verständnis stoßen. Das Ergebnis mußte für sie auf jeden Fall eine Enttäuschung sein; die hätte er ihr ersparen können. Und je länger Frau Marga blieb, umso größer waren die Vorwürfe, die er sich machte.

Um so überraschter war er, als sie jetzt durchaus froh und zuversichtlich zurückkam.

„Nun?“ fragte er voller Neugier, „was war? Wie hat er dich empfangen?“

Frau Marga lächelte und sagte:

„Ich werde dir helfen!“

„Aber Marga, wie denkst du dir das?“

„Das weiß ich in diesem Augenblicke selbst noch nicht.“

„Nun also.“

„So einfach ist es natürlich nicht.“

„Es haben sich andere schon vor uns den Kopf zerbrochen. Erreicht hat keiner etwas.“

„Um so mehr reizt es mich.“

Doktor Deichler schüttelte den Kopf.

Frau Marga trat an ihren Mann heran, legte ihre Hände auf seine Schultern und sagte:

„Du hast es mir als Bräutigam ja selbst ins Stammbuch geschrieben.“

„Was?“ fragte er.

„Den Wahlspruch von Faustens und Helenas Sohn:

‚Das leicht Errungene widert mir —

Nur das Erzwungene ergötzt mich schier‘.“

„Trifft das etwa nicht auf dich zu?“ erwiderte Deichler.

„Gewiß. Aber ich muß nun einmal verbraucht werden, wie ich bin.“

Er zog sie an sich, küßte sie auf die Stirn und sagte:

„Und grade so gefällst du mir!“

Zweites Kapitel

Vom Amt aus ging Doktor Deichler mit seiner Frau die Straße „Unter den Linden“ hinunter zur Singakademie, um Mahlers neunte Sinfonie zu hören. An der Passage belagerten dichte Menschenmassen die Kasse eines Kinotheaters. Draußen verkündeten kitschige Plakate:

Kinopalast „Unter den Linden“
Direktion: Ernst Martin.
Nuja Naja
die jüngste, elegantiste, schönste, gefeieriste, weltberühmteste
Künstlerin in dem von ihr selbst erdachten, verfaßten und
inszenierten Monster-Zirkus- und Abenteuer-Film in
7        sieben erschütternden Akten        7
„Die Dirnenbrut“
oder
„Es brach ein Herz in schwüler Nacht“
! Noch nie dagewesen !
Überall, wo der Film vorgeführt wurde, spielten sich im
Parkett erschütternde Szenen ab, die sich in Apolda bis zur
Raserei steigerten und ihren Höhepunkt in Hohensalza
erreichten, wo sich der 17 jährige Primaner Dagobert Redlich
aus unglücklicher Liebe für
Nuja Naja selbst entleibte.
Heute!   Nuja persönlich anwesend.   Heute!
Da die Aufnahmen mit Lebensgefahr verbunden waren,
so mußten die Eintrittspreise erhöht werden.
7 — ½9 — 10 Uhr.

Infolge der sich bis auf den Fahrdamm drängenden Menschen waren Deichlers gezwungen, stehen zu bleiben.

„Das sind die neuen deutschen Bildungsstätten!“ sagte Doktor Deichler und wies auf das Plakat. „Es beleuchtet mit einem Schlage die ganze Situation. An die Stelle Fichtes ist Nuja Naja getreten, und statt an seinen ‚Reden an die deutsche Nation‘ richtet sich das Volk heute an der ‚Dirnenbrut‘ auf.“

„Und lohnt es sich, für die Zukunft dieser Menschen auch nur einen Finger zu rühren?“ fragte Frau Marga.

„Sie sind wie die Kinder und lassen sich leiten und wissen nicht, was sie tun. Man muß nur verstehen, sie richtig zu nehmen.“

„Verstehst du das? Hast du überhaupt Fühlung mit ihnen? Kennst du diese Menschen?“ und sie wies auf die Massen, die sich stießen und drängten und mit verklärten Augen, wie Gläubige zu einem Heiligenbilde, zu dem expressionistisch-verzerrten Plakat Nuja Naja emporblickten.

„Ich bin seit Jahr und Tag in keinem dieser Verdummungs­institute gewesen,“ erwiderte Deichler, und seine Frau beendete den Satz und sagte:

„Die sich mühelos in Bildungsstätten verwandeln ließen.“

Doktor Deichler machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Und du meinst, daß dieselben Menschen ...“

„Ja, das meine ich,“ fiel ihm Frau Marga ins Wort, „dieselben Menschen, die heute eine Nuja Naja anbeten, jubeln morgen einem Goethe zu. Es kommt nicht auf die Kost, nur auf die Zubereitung an. Dieser ganze Schwindel“ — und sie wies wieder auf das Plakat — „beruht ja doch nur auf Suggestion. Wenn du all die Menschen da fragst, was ihnen an dieser Nuja Naja denn so außerordentlich gefällt, so werden sie, um eine Antwort verlegen, auf das Plakat weisen und sagen, daß sie die ‚jüngste, eleganteste, schönste, gefeiertste, weltberühmteste‘ Künstlerin ist. Daß unzählige andere jünger, eleganter und schöner sind, sehen sie erst, wenn es ihnen einer sagt. Und zwar in einer Form und Sprache wie dieser.“

„Gehen wir hinein!“ sagte Doktor Deichler kurz entschlossen.

„Und die Mahlersche Sinfonie?“ fragte Frau Marga.

„Ein andermal! Ich fühle jetzt gerade das Bedürfnis, diesen Film und seine Wirkung auf die Menschen kennenzulernen.“

„Schaden kann es gewiß nichts. Am Ende verfallen wir auch der allgemeinen Suggestion.“

Als Doktor Deichler sich an die Kasse drängte, die noch immer voll von Menschen war, erhob ein kleiner schmächtiger Herr den Oberkörper durch die Kassenöffnung und hängte ein Plakat mit dem Aufdruck „Ausverkauft“ heraus.

Ein lautes Johlen der enttäuschten Menschen setzte ein. Der kleine schwarze Herr zog blitzschnell den Oberkörper wieder zurück und schloß hastig hinter sich die Scheibe. Nun, in Sicherheit, grinste er, die Hände in den Hosentaschen, vor sich die bis an den Rand gefüllte Kasse, die Menschen an, die ihn, ohne daß er sie verstand, mit Fragen bestürmten. Er zog von Zeit zu Zeit die Schultern in die Höhe, zeigte die unschönen Zähne, erriet, was die Leute draußen sprachen, und versuchte, sich mit den Händen verständlich zu machen. Und die Menschen verstanden ihn und wiederholten:

„Nächste Vorstellung: zehn Uhr!“

Viele, denen Nuja Naja eine Angina aufwog, warteten trotz des kalten Wetters; die meisten vertrieben sich die Wartezeit in einem der umliegenden Lokale; verschwindend wenige brachten das Opfer des Verzichts und kehrten heim.

Doktor Deichler nahm eben Frau Marga unter den Arm und sagte:

„Dann also schnell in die Singakademie!“ als eine Stimme hinter ihm laut:

„He! Deichler!!“ rief.

Beide wandten sich um und sahen den kleinen schwarzen Mann mit den schlechten Zähnen, der eben noch hinter dem Kassenfenster gestanden hatte, mit beiden Armen winkend auf sich zustürzen.

Doktor Deichler schüttelte den Kopf und sagte:

„Nanu?“

und Frau Marga wollte eben fragen:

„Wer ist das?“

als der kleine Herr ihren Mann auch schon bei den Armen packte und, auf Frau Marga weisend, sagte:

„So stell’ mich doch deiner Frau vor.“

Jetzt erkannte ihn Deichler, mußte lachen und sagte laut: „Heilmann!“

„Na natürlich!“ erwiderte der. „Claudo, divido, laedo, ludo ...“

„plaudo, rado, rodo, trudo,“ fiel Deichler lachend ein.

„Ich kann es heut noch nicht und wäre ohne dich nie nach Obersekunda gekommen,“ sagte der Kleine. „Aber was meinst du? — Karriere habe ich doch gemacht! — Sie gestatten ...“ wandte er sich an Frau Marga und zog den Hut, „Ernst Martin Heilmann, Direktor des Kinopalasts Unter den Linden — wollen Sie glauben, daß ich seit vier Wochen jede Vorstellung ausverkauft habe? Ein Jahr so weiter, und ich vergrößre mich bis zum Brandenburger Tor hin. Nu ja, verstehen Sie das? Die russische Botschaft steht seit vier Jahren leer! bei den Mietspreisen! zu zweihunderttausend Mark jährlich wäre sie zu vermieten. Eine nette Regierung! — Haben Sie Kohlen? Ich bin eingedeckt bis zum Frühjahr! — Herrgott! Mensch!!“ wandte er sich wieder an Deichler, „haben wir uns lange nicht gesehen! Schöne Zeiten waren das! Das heißt, ich sehn’ mich nicht nach der Penne zurück. Eine Künstlernatur muß sich ausleben, verträgt keinen Zwang. Meinen Sie nicht auch, Gnädigste?“

Aber ehe Frau Marga, die ganz entgeistert auf den kleinen beweglichen Mann mit dem schwarzen Haar und den schlechten Zähnen herabsah, noch etwas erwidern konnte, redete er schon wieder auf Deichler ein:

„Gratuliere, Deichler! Alle Wetter!! Wußte gar nicht, daß du dich verheiratet hast. Obersekunda — warte mal! — Heut sind wir dreiunddreißig! Damals waren wir fünfzehn! Achtzehn Jahre lang haben wir uns demnach nicht gesehen! da passiert allerlei. Überhaupt, heut’ soll man sagen; wer hat damals an ’nen Weltkrieg gedacht? Wenn ’n Junge auf der Straße mit ’ner Korkenpistole geschossen hat, hat man sich die Ohren zugehalten. Und man hat auch gelebt. Besser als heut’. Mir soll einer mit der eisernen Zeit kommen!“

Deichler streckte dem Schulfreund die Hand hin und sagte:

„Auf Wiedersehen also!“

„I Gott bewahre!“ erwiderte der und griff in die Tasche. „Ihr bleibt.“

Deichlers sahen sich an und verstanden nicht. Der kleine Herr Heilmann hatte inzwischen eine Karte hervorgezogen und reichte sie jetzt Frau Marga:

„So! Ihr setzt euch jetzt in die Direktionsloge und seht euch an, was bei mir los ist!“

„Aber nein!“ wehrte Frau Marga ab.

„Wetten, daß?“ erwiderte Heilmann. „Wozu braucht ihr euch zu drängen und bis zehn Uhr auf der Straße zu stehen?“

„Wir wollten in die Singakademie!“

„Ausgerechnet! Was sind das für veraltete Sachen? — Singakademie! — Ich entsinn’ mich, als ich noch Kind war, daß mein Vater alle Montag abend in die Singakademie ging. Er liebte Musik — brotlose Kunst! — bei seinem Sohn ist, Gott sei gelobt, das Talent auf den Film geschlagen — Also redet nicht so viel und kommt!“

Dabei hängte er sich rechts bei Frau Marga und links bei Doktor Deichler ein und schob beide, die derart konsterniert waren, daß sie gar keine Abwehr fanden, an der Kasse vorbei in das Theater. Und als sie die Treppe hinaufstiegen, redete er noch immer auf sie ein:

„Eine Goldgrube, sage ich euch. Was meint ihr, was das Haus pro Abend bringt? Na, ich werde euch nach dem Theater erzählen. Die Augen werden euch übergehn.“ — Er wandte sich zu Deichler und betrachtete ihn genau. „Das heißt, du siehst auch nicht übel aus! Allerdings bei deiner Figur besagt das nicht viel. Was treibst du eigentlich? Ich hoffe, es geht dir gut. Du hast doch nicht etwa studiert?“

„Mein Mann hat einen ziemlich prominenten Posten im Auswärtigen Amt,“ erwiderte Frau Marga.

Ernst Heilmann schüttelte wenig respektvoll den Kopf und sagte:

„Auswärtiges Amt! nu ja! auch ganz schön. Direktor im Kinopalast ist mir lieber. — Übrigens, die Weisheit habt ihr da nicht gerade mit Löffeln gegessen. — Aber das brauchst ja nicht gerade du zu sein.“

Sie traten jetzt in die Loge, und Frau Marga dachte: gut, daß es so dunkel ist und er mein Gesicht nicht sieht.

Im selben Augenblick knipste Heilmann das Licht an, und alle Theaterbesucher, von der Leinwand abgelenkt, sahen zur Loge, in der jetzt Heilmann dicht neben der hübschen, schlanken Frau Marga stand. Die meisten kannten ihn und alle dachten, die beiden gehörten zusammen, ein Eindruck, den er noch dadurch zu erhöhen suchte, daß er sich zu ihr beugte und ihr den Zobel abnahm, den sie über den Schultern trug.

„Nicht doch!“ sagte sie leise und wehrte mit der Hand ab; aber im selben Augenblick erlosch das Licht in der Loge.

„Entschuldigt mich!“ sagte Heilmann, „ich komme wieder.“

Und Doktor Deichler und Frau Marga, die sich so lange beherrscht hatten, lachten laut, als er draußen war.

Jetzt sahen sie zum ersten Male zur Bühne. Der Monster-Zirkus- und Abenteuer-Film mußte auf dem Höhepunkt der Handlung angelangt sein, denn auf der Leinwand verkündete der leuchtende Titel das nächste Bild mit den Worten:

‚Dunkle Wolken ballen sich am Horizont der Liebenden.‘

Und wie beschränkt der Horizont dieser Liebenden war, zeigte das Bild. — Vom Vorführer falsch eingespannt, sah man zunächst nur zwei gutgeformte Beine. Aber da es der dritte Akt war, so wußte das Publikum, daß diese Beine Nuja Naja gehörten. Es erhitzte sich also und juchzte vor Vergnügen.

Richtig eingestellt zeigte das Bild ein prunkhaftes Boudoir. Geöffnete Fenster. Sternklare Nacht. Vollmond.

Ein paar Backfische im Parkett seufzen schmachtend:

„Ach!“

Auf dem Diwan wälzt sich im Halbschlaf Nuja Naja.

Das Boudoir rückt näher an den Mond heran. Nujas Unruhe wächst. Das Publikum holt tief Atem.

Bildtitel: ‚Das Verhängnis naht.‘

Zunächst in Gestalt einer schwarzen Wolke, die auf Befehl am Horizont aufsteigt. Ihr folgt in einigem Abstand, steif, träumend und die Laute schlagend, ein Mann.

Bildtitel: ‚Prinz Nitri, der in Gedanken an Nuja keine Ruhe findet, lustwandelt nächtens im Park.‘

Er nähert sich dem Fenster.

Nuja wühlt in den Kissen; atmet schwer.

Prinz Nitri hört’s, fährt auf, sieht zum Fenster empor, hebt die Laute, schlägt in die Saiten.

„Entzückend!“ flüstern die Damen im Parkett.

Bildtitel: ‚Neues Gewölk steigt auf.‘

Links über dem Prinzen marschiert eine Wolke schnurstracks auf den Mond zu. Der verzieht keine Miene.

Nuja Naja spielt Erwachen: sie rekelt und windet sich wie eine mit Strychnin Vergiftete, die mit dem Tode ringt.

Prinz Nitri reißt den Mund auf, zeigt die Zähne.

Eine Dame im Parkett erläutert:

„Er singt!“

„Was wohl?“ flüstert ein Backfisch.

Nuja wird munter.

Horcht.

Prinz Nitris Mund wird immer größer.

Nuja steigt in ein Paar seidene Pantöffelchen. Sehr langsam. Und läßt Sekunden lang — die Programme verkünden’s! — ihre preisgekrönten Füße bewundern.

Bildtitel: ‚Das Gewölk ballt sich zusammen.‘

Tatsächlich rücken die beiden Wolken, und zwar gleichmäßig — so daß der Mond in der Mitte bleibt — einander näher.

Und das Publikum, das an kein Atelier glaubt, flüstert bewegt:

„Wie schön!“

Nuja sieht auf.

Wiegt sich in den Hüften.

Schwebt ans Fenster.

Nitris Mandoline rast.

Das Publikum zittert.

Nuja beugt sich herab,

Nitri hinauf.

Nujas herabwallendes Haar und Nitris emporstrebender Mund berühren sich.

Eine Intellektuelle seufzt:

„Maeterlinck!“

Und ihr langhaariger Nachbar ergänzt:

„Pelleas und Melisande!“

Bildtitel: ‚Nahender Sturm.‘

Die beiden Wolken berühren den Rand des Mondes.

Nitri schwebt an Nujas Haaren empor.

Die Damen im Parkett führen die Hände unwillkürlich an Transformationen und Schlimmeres.

Bildtitel: ‚Gewitter.‘

Die beiden Wolken ziehen über den Mond.

Vereinigen sich.

Der Mond verschwindet.

Nacht!

Die Tür des Boudoirs.

Ein leichter Schimmer.

Ein Schatten.

Die Tür gleitet ins Zimmer.

Der Schatten wächst.

Ein Dolch blitzt auf.

Nuja läuft es kalt über den Rücken.

Schatten und Dolch in der Nähe des Fensters.

Ein Blitz.

Helle.

Die Gestalt des Schattens.

Eine Dame in der vordersten Reihe sagt ganz laut:

„Mystik!“

Der Dolch durchschneidet Nujas Haar.

Nitri stürzt in die Tiefe.

In den gekrampften Händen hält er Nujas Haare.

Nuja stürzt sich auf den Schatten.

Entreißt ihm den Dolch.

Stößt ihn sich in die Brust.

Wankt.

Sinkt.

Bauchtanz.

Krämpfe.

Atemnot —

Sie stirbt —

Im Publikum hysterisches Schluchzen.

Die Wolken ziehen wieder auseinander.

Mond.

Helle.

Sternklare Nacht.

Der Schatten beugt sich über Nuja.

Und deckt sie mit einem seidenen Tuche zu.

Bildtitel: ‚Wer viel geliebt, dem wird auch viel verziehen.‘

Nuja, seidenbestrumpft, fährt in den Himmel.

An der Himmelspforte nimmt eine Schar von Engeln sie in Empfang und geleitet sie zu dem Thron Gottes.

Nuja, zum ewigen Leben erwacht, kokettiert mit dem lieben Gott und — ziert sich.

Der Vorhang fällt. —

„Kitschig!“ sagt Frau Marga und wendet sich zu ihrem Gatten.

Der hat ein vergnügtes Gesicht, hält das Ganze für eine Parodie und erwidert:

„Ulkig!“

Im Publikum erst atemlose Stille. Dann Tränen, Schluchzen und das Knistern von Taschentüchern.

In der Direktionsloge legt sich eine Hand auf Doktor Deichlers Schultern und eine Stimme fragt scharf:

„Nu? was sagst du?“

„Ganz ulkig!“ wiederholt der.

„Du bist verrückt!“ erwidert Ernst Martin und knipst das Licht an.

Gleich darauf setzt die Musik aus, der Saal wird hell.

Das Publikum, eben noch eine einzige Masse, ein Riesenkörper mit einem Gehirn und einem Herzen, holt tief Atem. Ineinander­geschlungene Beine und Hände lösen sich. Vom Licht geblendet schließt man die Augen, führt man die Hände vor das Gesicht, sucht und findet man sich allmählich in die Wirklichkeit zurück.

Noch ist man stark beeindruckt und bewegt, als der bisher in der Versenkung unsichtbare Kapellmeister in die Höhe schnellt, die Künstlermähne schüttelt, die Arme hochreißt und den Taktstock schwingt.

Trommelwirbel.

„Achtung!“ schreit schrill die Stimme Ernst Martins in den Saal und weist auf die leere Mittelloge im ersten Rang.

Wie ein Mann erhebt sich das gesamte Parkett und macht, Front zur Loge hin, kehrt.

Blaubefrackte Diener schleppen Blumenarrangements und stellen sie auf die Brüstung.

Ernst Martin hat Frau Marga rücksichtslos zur Seite gedrängt, steht vorn und klatscht in die Hände.

Das Publikum folgt automatisch.

Ernst Martin gibt den Takt an.

Die Arme des Kapellmeisters schweben noch immer in der Luft, die Cellisten und Violinspieler haben den Bogen angesetzt, Flötenspieler und Hornisten holen noch einmal tief Atem, die Finger der Dame am Flügel liegen gekrümmt auf den Tasten — da brüllt eine helle Stimme im ersten Rang:

„Jetzt!“

Mit einem Ruck, daß man denkt, sie fliegen vom Körper, flitzen die Arme des Kapellmeisters ins Orchester. Ein Tusch dröhnt durch den Saal und mit einem Riesentuff dunkelroter Rosen im Arm betritt Nuja Naja in Begleitung von ein paar befrackten Lebemännern die Loge.

Orkanartig tobt’s durch den Saal. Man brüllt, klatscht, steigt auf die Sitze, schwenkt Tücher, wirft Blumen, trampelt mit den Füßen, zerrt sich gegenseitig in die Höhe und gibt, in der Begeisterung und Erregung völlig unbeherrscht, Laute von sich, die kaum noch an Menschen erinnern.

Zunächst nimmt Nuja die Huldigungen wie etwas Selbstverständliches entgegen. Sie läßt die Meute heulen und toben und nimmt kaum Notiz von ihr. Gravitätisch sitzt sie da und blickt über die Menschen hinweg, die sich immer toller gebärden. Wer gute Augen hat, sieht, ihre Blicke sind auf Ernst Martin unten in der Loge gerichtet.

Der steht zitternd, mißt die Stimmung und zählt die Sekunden. Plötzlich gibt er mit dem Kopf zur Loge hinauf ein Zeichen. Im selben Augenblick verändert Nuja den Gesichtsausdruck und lächelt.

Das Publikum überschlägt sich.

Abermals gibt Ernst Martin ein Zeichen. Nuja Naja erhebt sich. Lächelnd steht sie da und grüßt die Menge. Die Kapelle rast. Tusch folgt auf Tusch. Ein Zeichen Ernst Martins zur Loge hinauf: Nuja wirft Rosen unter die Menge! Tausend Arme fliegen in die Höhe. Wer eine Rose oder nur ein Blatt ergattert, dem schlägt das Herz bis zum Hals hinauf. — Aber auch die Rosen nehmen ein Ende. Und nun wirft Nuja Kußhände unter die Menge. Die erwidert die Zärtlichkeiten. Hier und da schmatzt ein breiter Kriegsgewinnler ganz laut. — Plötzlich erlischt auf ein Zeichen Ernst Martins hin das Licht, das Orchester verstummt, ein grelles Klingelzeichen schneidet durch den Saal, auf der Leinwand vorn tanzt irgendein Plakat, das besagt:

,Allein Prenzlauer Stiefelwichse gibt den Schuhen Glanz‘.

Die Menschheit sieht sich jäh ins Leben zurückgerissen, greift zum Programm und liest:

„Die neue Meßter-Woche.“

„Komm!“ sagt Doktor Deichler zu seiner Frau und steht auf.

„Nicht komisch?“ fragt die und erhebt sich.

„Die Menschen schon. Wie ernst und feierlich sie alle dasitzen.“

„Dabei wette ich mit dir,“ erwidert Marga, „wenn vorhin im Augenblick der dramatischen Höchstspannung ein Witzbold beherzt vor die Leinwand getreten wäre und die Bilder nur mit ein paar Sätzen satirisch glossiert hätte, statt der Tränen hätte es einen Heiterkeitserfolg ohnegleichen gegeben.“

„Da magst du recht haben. Es entscheidet eben, wie in allem, das ‚wie‘. In der Politik ist es genau so. Es kommt gar nicht darauf an, ‚was‘ man vertritt.“

Obgleich sie leise sprachen, forderten ein paar Stimmen im Parkett gebieterisch Ruhe.

„Ja, es gibt doch gar nichts zu hören,“ entfuhr es ganz unwillkürlich Frau Marga. Nicht einmal die Musik spielte in diesem Augenblick.

Entrüstete Rufe nach der Loge hin waren die Antwort. In ihrem Kunstgenuß gestört, in ihren heiligsten Gefühlen beleidigt, überschüttete die andächtige Gemeinde Frau Marga so leidenschaftlich mit unfreundlichen Rufen, daß Doktor Deichler es für angebracht hielt, sie unter den Arm zu nehmen und hinauszuführen.

Draußen auf dem Flur stand der Direktor.

„Nu? hab’ ich zuviel gesagt?“ fragte er und ging den beiden entgegen.

„Amüsant und lehrreich,“ erwiderte Deichler.

Ernst Heilmann nickte mit dem Kopf, wies mit der Hand auf sich und sagte stolz,

„Von mir persönlich zusammengestellt.“

„Was?“ fragte Deichler erstaunt.

Ernst Martin sah ihn groß an und sagte:

„Frage! das Programm! was sonst?“

„Ich meinte ja die Menschen.“

„Was für Menschen?“

„Nur schade, daß der Zuschauerraum die meiste Zeit über dunkel ist.“

„Menschenskind!“ kläffte Ernst Martin. „’Ne Kinovorstellung ist doch kein Illuminationsfest. Aber das ist echt Auswärtiges Amt! Wenn du hier die Leitung hättest, dann würdest du den Zuschauerraum beleuchten und die Bühne dunkel lassen und dich wundern, wenn das Publikum nach Licht schreit.“

„Wir gehen so selten ins Kino,“ verteidigte sich Deichler und stieß seine Frau an.

„Das ist es ja!“ erwiderte Ernst Martin. „Für den modernen und gebildeten Menschen ist das Kino eine Lebensbedingung wie Luft, Wasser und Brot.“

Deichler nickte und sagte:

„Ja! und damit ist ihm eine große Verantwortung in die Hand gegeben.“

„Was glaubst du, worauf das Volk lieber verzichtet: aufs Kino oder aufs Auswärtige Amt?“ fragte Ernst Martin.

Doktor Deichler und Frau Marga lachten, und Ernst Martin fuhr fort:

„Ich warne dich vor einer Volksabstimmung; sonst könnt ihr morgen eure Koffer packen, und ich eröffne in euren Räumen eine Filiale.“ — Er nahm Deichler an den Arm und sagte: „Aber nun kommt!“

„Wohin?“ fragten beide.

„Wir bleiben natürlich heut’ abend zusammen! Alle achtzehn Jahre einmal! Wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen, habe ich Max Reinhardt gestürzt und du bist Reichskanzler.“

„Den Ehrgeiz hab’ ich nicht!“

„Aber ich! Unsere Zeit verträgt das viele Reden nicht mehr! Heut’ heißt es: handeln!“ — Dabei nahm er Frau Marga unter den Arm und sagte: „Vorwärts!“

„Wohin?“ fragten beide.

„Zunächst in mein Bureau! ohne Extraentree! Ihr werdet staunen!“

Gleich darauf traten sie in ein Zimmer, an dessen Tür stand: ‚Direktion‘. Wertvolle Perser, schwere Ledersessel, ein Riesenschreibtisch und an den Wänden bis hinauf zur verqualmten Decke die Photos der bekannten Filmdivas.

„Nu, was sagt ihr? — hab’ ich zuviel gesagt? Oder sieht’s bei dir im Auswärtigen Amt feiner aus?“ — Er sah Deichler überlegen an. „Ich möcht’ nicht tauschen. Hab’ ich recht? — Allein der Teppich“ — und er wies auf den Boden neben der breiten Chaiselongue, — „ist vier­undsechzig­tausend Mark wert — Vier­undsechzig­tausend Mark!“ wiederholte er mit starker Betonung, „von Sachverständigen taxiert. Hast du meinen seligen Vater noch gekannt? — Nee? schade! Dessen Gesicht stell’ ich mir vor, wenn er den Teppich bei seinem Sohne säh’. So ein alter, abgeschabter hat bei uns im Salon gelegen. Dreimal haben wir uns die Schuhe säubern müssen, und wenn’s Wetter noch so schön war, eh’ wie durften unsre Füße drauf setzen. Und dann hat meine Mutter noch geschrien: ‚Müßt ihr denn immer auf dem teuern Teppich herumtrampeln, Jöhren? geht doch auf dem Holz!‘ “

„Es waren doch schöne Zeiten,“ sagte Deichler und dachte an seine Jugend.

„Danke!“ erwiderte Ernst Martin. „Nicht geschenkt möcht’ ich in die beschränkten Verhältnisse zurück. Ich fühl’ mich heut’ wohler. Ich muß Betrieb haben, mich ausleben. Dafür bin ich Künstler.“ — Er wandte sich wieder an Deichlers, die inzwischen die Photographien an der Wand betrachteten.

„Der Mühe Lohn!“ sagte Ernst Martin stolz. „Ihr im Auswärtigen Amt behängt Euch mit Titeln und Orden. Platonische Freuden! Nichts für Vaters Sohn. In unserer Branche denkt man praktischer.“

Und dabei spreizte sich dieser kleine, häßliche Mensch wie ein Pfau auf und ließ mit dem Ausdruck des Siegers seine geröteten Augen über die Bilder gleiten.

Auf einem Bilde, das vor Frau Marga hing, stand: ‚Dem verehrungswürdigen Herrn Direktor Ernst Martin zu lieber Erinnerung und unvergeßlicher Zuneigung an schön verschwundene Stunden am Ostseestrande gewidmet von seiner Lola de Mons.‘

Frau Marga wandte sich um, um ernst zu bleiben, sah nun aber dem verehrungswürdigen Direktor gerade in das Siegerantlitz, konnte sich nicht länger beherrschen und lachte laut.

„Eine Bekannte?“ fragte Ernst Martin, der das Lachen falsch deutete.

„Wer?“

„Lola de Mons. Auf deutsch: Luise Müller. Prima Familie! Ihr Vater ist Stadtrat in Charlottenburg.“

Frau Marga wies auf die Widmung:

„Und die schreibt ...“

„Was heißt: schreibt? filmt! Die sollten Sie sehen! im Film! aber auf mich hält sie große Stücke. Man hat eben auch seine Protegées und spielt die eine mehr als die andere. Was glauben Sie, was die verdient? Seit drei Monaten beim Film und hat heut’ schon ...“

„Aber das interessiert meine Frau ja nicht.“

„Doch! doch!“ widersprach Marga lebhaft, und Ernst Martin lachte spöttisch und erwiderte:

„Die Frau möcht’ ich sehen, die Geld nicht interessiert; die muß erst geboren werden.“

Doktor Deichler wies auf seine Frau und sagte:

„Die ist schon da!“

„Also sagen Sie schon, was sie verdient!“ drängte Marga.

„Nu?“ wandte sich Ernst Martin an Doktor Deichler, „wer hat recht?“

„Ich begreife dich gar nicht?“ sagte Deichler und sah erstaunt seine Frau an.

„Ich bin für Gründlichkeit,“ erwiderte Frau Marga. „In allem. Und da wir nun gerade beim Film sind, so sehe ich nicht ein, weshalb ich mich nicht orientieren soll.“

In diesem Augenblick kam in großer Erregung, ohne anzuklopfen, ein junger Mann in das Bureau gestürzt.

„Mein Sekretär!“ erläuterte Ernst Martin schnell, und zu dem jungen Mann gewandt, fragte er: „was is?“

„Sie kommt, Herr Direktor!“ rief der laut, und seine Stimme überschlug sich.

„Schon?“ fragte der und stürzte an den Schreibtisch, zog hastig Kamm und Bürste heraus und brachte vor dem Spiegel seine paar Haare in Ordnung. Dann nahm er einen Flakon, der vor dem Spiegel stand und spritzte sich eine süßlich riechende Flüssigkeit an. Das alles geschah so schnell, daß Doktor Deichler und seine Frau nicht einmal Gelegenheit hatten, zu fragen, wessen Ankunft die Herren derart in Erregung versetzte. Der Sekretär war im selben Augenblicke auch schon wieder draußen und man hörte im Korridor seine Stimme, die jetzt noch eine Nuance höher klang.

Gleich darauf hielt Nuja Naja in Begleitung ihrer Kavaliere und unter Vorantritt des Sekretärs ihren Einzug in das Direktorialbureau.

Der kleine, süß duftende Ernst Martin, der sich mit einem Polierer schnell noch über die manikurten Fingernägel gefahren war und sein seidenes Taschentuch etwas sichtbarer gesteckt hatte, ging ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen und sagte mit großem Pathos:

„Göttliche!“

Nuja Naja nahm diese Huldigung als etwas Selbstverständliches entgegen, lächelte ein wenig und sagte:

„Danke!“

„Sie haben sich wieder einmal selbst übertroffen. Im Film, wie im Leben.“

Nuja Naja verzog keine Miene; die Kavaliere nickten zustimmend und zogen ihre Chapeauclaques von den Köpfen. Der Sekretär verdrehte schwärmerisch die Augen; Doktor Deichler und Frau Marga staunten.

„Seit Neros Zeiten hat man derartige Huldigungen nicht mehr erlebt,“ beteuerte Ernst Martin. „Man kann Throne stürzen — wir haben es erlebt! — aber die Majestät der Schönheit ist unabsetzbar!“

Nuja Naja reichte Ernst Martin die Fingerspitzen und sagte:

„Wie artig.“

„Ich sage die Wahrheit — oder lüg’ ich?“ wandte er sich zu Deichlers, die ihm jetzt erst wieder in Erinnerung kamen.

Doktor Deichler verbeugte sich und nannte seinen Namen; dann stellte er seine Frau vor.

Nuja Naja nickte steif.

„Ein Schulfreund!“ erläuterte Ernst Martin, „der mir seit Jahren täglich damit in den Ohren liegt, Ihnen vorgestellt zu werden, göttliche Nuja!“

Nuja setzte, obschon sie scharf sah wie ein Luchs, die einäugige Lorgnette an und musterte Doktor Deichler. Und da er ihr gefiel, so lächelte sie, was wiederum den Neid des Sekretärs erregte.

„Sie wissen, ich halte die Menge sonst von Ihnen fern, Nuja. Drinnen liegen bergehoch Briefe von Menschen, die Sie sehen wollen und um Autogramme betteln. Mein Sekretär hält sie Ihnen fern.“

„Nur über meine Leiche!“ beteuerte der.

Nuja Naja würdigte ihn keines Blicks.

„In diesem Falle aber — Sie verstehen — wo man durch gemeinsame Erlebnisse von Kindesbeinen an sozusagen zusammengewachsen fürs Leben — wie? was? Sie verstehen?“

Nuja, die Doktor Deichler noch immer beäugte, nickte wohlwollend und sagte:

„Durchaus!“

„Außerdem sozusagen ein Kollege!“

„Oh, wie interessant! Und wir sind uns noch nie begegnet?!“

„Von der anderen Fakultät,“ berichtigte Ernst Martin.

„Ich verstehe nicht ganz ...“

„Ich überhaupt nicht,“ sagte Deichler.

„Nu, die hohe Politik ist ja wohl auch eine Kunst, wenn sie auch nicht immer künstlerisch gehandhabt wird. — Im übrigen: mit Ihrer Kunst natürlich nicht zu vergleichen, Nuja! nicht in einem Atem zu nennen! Man müßte denn gerade bis auf Bismarck zurückgehen oder auf Cäsar oder Alexander den Großen.“

„Direktor, Sie übertreiben!“ sagte Nuja, sehr gegen ihre Überzeugung.

„Übertreib’ ich?“ verteidigte der sich und wandte sich an Deichlers. „Hab’ ich ein Wort zu viel gesagt? Was man sagt, ist zu wenig! Sie hätten Deichlers hören sollen, doch gebildete Menschen, eng befreundet mit Max Reinhardt, also in Punktum Kunst etwas gewöhnt, anspruchsvoll bis da hinaus! Aber das übertraf doch ihre Erwartungen. Dabei hatte ich ihnen tüchtig eingeheizt. Sie waren einfach erschlagen. Das ist das richtige Wort. Die Sterbeszene, nicht wahr, Gnädige,“ wandte er sich an Frau Marga, „wie sagte Sie doch? zwei Worte, aber die besagen viel, besagen alles!“

„Darf ich wissen ...?“ fragte Nuja.

„Natürlich dürfen Sie wissen! Sie müssen es sogar wissen. Schon des Ansporns wegen. Obschon eine Steigerung nicht mehr möglich ist.“

„Die beiden Worte?“ drängte Nuja.

„Worte? welche Worte?“ fragte Ernst Martin.

„In die Frau Doktor Deichler meine Leistung zusammenfaßte“.

„Ach so! natürlich! Sie können sich denken. Ich sagte ja, sie war erschlagen. Da spricht man nicht viel. Aber was braucht man da auch viel zu reden? Ich bin kein Freund von vielen Worten.“

„Ich wüßte es gern.“

Und Ernst Martin, derart in die Enge getrieben, überlegte noch einen Augenblick und sagte:

„Einfach Duse.“

Ein befriedigtes Lächeln glitt über Nuja Najas Züge, und einer der Kavaliere, der große Brillanten in seinem Vorhemd und eine hellila seidene Weste trug, nickte mit dem Kopf und sagte:

„Mir aus der Seele gesprochen.“

Das rief den Rivalen auf den Plan. Der Kavalier links, der sich von dem rechts in nichts anderem als in der Farbe der Frackweste unterschied, schüttelte den Kopf und sagte:

„Mich erinnert die Naja in jeder Bewegung an die Sarah Bern-Hart.“

„Ob sie der Sarah Bernhard oder der Duse mehr ähnelt, wird die Geschichte entscheiden,“ sagte Ernst Martin. „Mir scheint sie ist eine Eigene und mit keiner ihrer Vorgängerinnen zu vergleichen.“

Auf ein Zeichen Ernst Martins hatte ein Diener zwei Magnum-Flaschen französischen Sekt gebracht.

„Sie schenken uns eine Viertelstunde?“ bat Ernst Martin die Diva.

Nuja Naja wandte sich zu ihren Kavalieren, die wie auf ein verabredetes Zeichen hin ihre Uhren zogen und sagten:

„Um halb elf ist das Diner bei Hiller bestellt.“

„Also noch eine halbe Stunde, die uns gehört,“ erwiderte Ernst Martin und lud alle ein, sich zu setzen. Nur der Sekretär erhielt einen Blick, der allem andern ähnlicher war als einer Einladung. Er schlug noch einmal die Augen zu Nuja Naja auf und verschwand.

„Es muß ein eigenartiges Gefühl sein,“ wandte sich Deichler, nur um etwas zu sagen, an die Diva, „von tausend Menschen umjubelt zu werden.“

„Man ist daran gewöhnt,“ erwiderte die, „es berührt einen kaum.“

„Haben Sie sich nie auf der Bühne versucht?“ fragte Frau Marga.

Ein verächtlicher Blick Nujas war die Antwort.

„Versucht, ist gut,“ sagte Ernst Martin. „Ein Genie versucht sich nicht, es ist einfach da, sieht und siegt. Oder, wie der Lateiner sagt: — na, wie sagt er doch?“ wandte er sich an Deichler, „Du warst mir in den toten Sprachen ja immer über, bist daher auch in deinem Mausoleum gut aufgehoben; mein Leben rollt ab wie ein Tausend-Meter-Film.“

Nuja Naja wandte sich an Frau Marga.

„Wir, das heißt, ich und was künstlerisch außer mir in Frage kommt, wir kommen natürlich alle von der Bühne her.“

„Das wußt’ ich nicht,“ sagte Frau Marga.

„Ich betrachte die Bühne als Vorstufe des Kinos. Als solche wird sie auch immer ihre Bedeutung behalten. Ich würde daher bedauern, wenn das Kino das Theater gänzlich verdrängte.“

„Und Sie meinen, die Gefahr besteht?“

„Die Kultur schreitet fort und läßt sich nicht aufhalten. Eine Erfindung verdrängt die andere. Das Pulver hat das Schwert verdrängt, die Eisenbahn die Postkutsche, das elektrische Licht die Petroleumlampe — mit derselben Naturnotwendigkeit verdrängt das Kino das Theater.“

„Ausgezeichnet!“ sagte Ernst Martin, und die Kavaliere nickten wie Pagoden mit den Köpfen.

„Sehen Sie,“ wandte sich Nuja Naja an Frau Marga, „was heißt denn Kultur? Doch nichts anderes, als daß das Zweckmäßige das Überflüssige überwindet. Das elektrische Licht erspart das Streichholz, die Maschine die Hand, das Kino das Wort.“

„Ganz ausgezeichnet!“ rief Ernst Martin, und die Köpfe der Kavaliere bewegten sich schneller.

„Die Sprache hat doch den Zweck, sich verständlich zu machen,“ fuhr Nuja fort. „Gelingt das ohne Worte, so ist sie überwunden, überholt. Gelingt es, die Liebe oder den Schmerz glaubhaft zu machen, ohne lange Tiraden ins Publikum zu schmettern, so hat, wie die Maschine die Hand, das elektrische Licht das Streichholz, die Eisenbahn die Postkutsche ...“

„Nuja Naja die Sprache verdrängt!“ fiel ihr Ernst Martin ins Wort, stand auf, hob sein Glas und rief: „Hoch Nuja Naja!!“

Die Kavaliere stimmten laut ein, während Doktor Deichler und Frau Marga aus Höflichkeit mittranken.

„Ich danke Ihnen,“ sagte Nuja, „und trinke auf Ihr Wohl!“

„Prosit!“ riefen Ernst Martin und die Kavaliere.

„Demnach hätten Goethe und Schiller umsonst gelebt,“ sagte Deichler.

„O nein!“ widersprach Frau Marga, und außer ihrem Manne hörte niemand den Spott heraus: „Sie sind nur überwunden.“

„Sie haben ihrer Zeit genügt,“ stimmte Nuja Naja bei, „die anspruchsloser war. Und dann: sie bedeuten eine Vorstufe in der heutigen Entwicklung. Wer weiß, ob ohne sie das Kino heute auf der Höhe stände.“

„Sie sind die Vorläufer,“ sagte Ernst Martin. „Nuja Naja ist die Erfüllung!“

Und abermals hoben sie die Gläser und tranken sie auf ihr Wohl.

Einer der Kavaliere gab Nuja ein Zeichen; die stand auf, hob ihr Glas und sagte:

„Auf das Wohl des feinsinnigen Förderers meiner Kunst, mein verehrter Freund, Herr Direktor Ernst Martin, er lebe hoch!“

Die Kavaliere riefen ‚hoch‘, und alle tranken aus.

Ernst Martin beugte den Rücken und küßte ihr die Hand.

„Nun muß ich leider gehen,“ sagte sie.

„Und morgen?“ fragte Ernst Martin, der noch immer ihre Hand hielt. „Sie kommen wieder? das Publikum erwartet Sie!“

„Das hängt davon ab, was Sie zahlen.“

Frau Marga sah verdutzt auf.

„Sie werden zufrieden sein!“

„Keine Witze!“ sagte Nuja in einer Sprache, die natürlich und ganz anders klang. „Sie Schlauberger kenn’ ich. Sie plakatieren ‚Nuja Naja persönlich anwesend‘, erhöhen daraufhin die Preise und finden mich mit einem Braunen ab. Das könnte Ihnen passen.“

„Haben Sie ’ne Ahnung von meinen Unkosten?“ erwiderte Ernst Martin.

„Interessiert mich nicht.“

„Aber mich.“

„Dann lassen Sie sich sonstwen kommen, aber nicht Nuja Naja! Oder glauben Sie, ich sitz’ hier zweiundeinhalb Stunden lang rum für nichts und wieder nichts?“

„Tausend Emm sind eine runde Summe.“

„Sie verdienen drei mit mir!“

„Wer sagt Ihnen das?“

„Wir haben’s heute während der Vorführung an der Hand des Theaterplans ausgerechnet.“

Der Kavalier mit den großen Brillanten im Vorhemd und der hellila seidenen Weste zog einen Zettel aus der Tasche und sagte:

„Das Haus bringt bei drei ausverkauften Vorstellungen ...“

„Lassen wir das!“ winkte Ernst Martin ab. „Ich laß mich nicht lumpen. Ich zahl’ Ihnen ungerechnet meine Unkosten, zwölfhundert. — Nu, is das ein Wort?“

Nuja Naja schüttelte den Kopf.

„Ich mach’ Ihnen die Bombenreklame für Ihr Theater, die allein dreitausend Mark wert ist, und Sie wollen an mir noch verdienen?“

„Verdienen will heute jeder!“

„Sehr richtig, Herr Heilmann!“

„Wozu nennen Sie mich Herr Heilmann, wo Sie wissen, es ärgert mich und ich heiß’ für die Branche Direktor Ernst Martin? Glauben Sie, ich zahl’ darum mehr? Im Gegenteil! es reizt mich nur.“

„Glauben Sie, Sie reizen mich nicht?“

„Darum nenn’ ich Sie doch Nuja Naja, schon aus Respekt vor der Branche.“

„Ich wüßte auch nicht, wie Sie mich sonst nennen könnten.“

„Bei Ihrem Namen!“

„Das wär’ eine Gemeinheit!“

„Also ich biete Ihnen fünfzehnhundert.“

„Sie sind ein gewalttätiger Mensch! Das ist Erpressung!“

„Und Sie nutzen die Konjunktur und saugen mich aus!“

„Als wenn Sie sich aussaugen ließen!“

„Also was fordern Sie?“

„Zweitausend; dann bleibt Ihnen noch immer ein Brauner.“

„Ich will Ihnen was sagen: teilen wir!“

„Zweitausend!“ wiederholte Nuja Naja und wandte sich zur Tür. „Oder —“

Der kleine häßliche Ernst Martin biß die Lippen aufeinander, sah wütend die Diva an und fragte:

„Ist das Ihr letztes Wort?“

„Mein letztes!“

Ernst Martin Heilmann ging an den Schreibtisch, entnahm ihm zweitausend Mark und legte sie neben sich.

Nuja Naja griff hastig nach dem Geld und schob es in ihre goldene Tasche, dann wandte sie sich nach den Kavalieren um, sagte:

„Kommt!“

grüßte steif und förmlich zu Deichlers hinüber, wandte sich an der Tür noch einmal um, winkte mit den weißen Schweden, die sie in der Hand hielt, Ernst Martin zu und rief lachend:

Au revoir! Direktorchen! schlafen Sie wohl!“ und ging.

Ernst Martin sperrte statt einer Antwort den Mund weit auf und sagte:

„Bäh!“

Die Kavaliere verbeugten sich.

Als sie draußen waren, wandte sich Ernst Martin zu Deichlers um, die von einem Staunen ins andere fielen, lachte über das ganze Gesicht und sagte:

„Nu, was glaubt ihr, was ich dabei verdiene?“

Doktor Deichler zog die Schultern hoch; Frau Marga stand unbeweglich.

„Rate!“

„Wie soll ich das raten?“

„Beinahe dreitausend Mark.“

„Diese Kriegskavaliere haben sich demnach verrechnet?“

„Nee! aber ich habe ihnen, um sie zu beschäftigen, einen Plan des Theatersaals aus der Zeit vorm Umbau in die Loge gelegt. Mein gutes Recht! Haben sie da nötig, gleich meinen Gewinn nachzurechnen? ihr Schade! damals waren es zwei­hundertund­achtzig Plätze weniger; ist ’n Unterschied!“ — Er lachte und zog die Schultern hoch. „Habe ich ihnen vielleicht gesagt, sie sollen rechnen? ist mir nicht eingefallen. Hätt’ ich ihnen ’nen Plan von der großen Oper reingelegt, hätte sie fünftausend verlangt; also gleicht sich’s aus. Was geht sie mein Plan an!?“

Deichlers standen jetzt vor ihm.

„Vielen Dank für den bunten Abend,“ sagte Frau Marga. „Es war ebenso amüsant wie lehrreich.“

Ernst Martin sah zu ihr auf, wandte sich dann an Deichler und sagte:

„Eine schöne Frau hast du!“

„Laß das!“ wehrte Deichler nicht gerade freundlich ab.

Aber Ernst Martin betrachtete sie ungeniert weiter, schüttelte den Kopf und sagte:

„Schade!“

Auch Deichler gab ihm die Hand und bedankte sich.

Als sie an der Tür waren, wandte sich Frau Marga noch einmal um und sagte:

„Sagen Sie, Herr Direktor, wofür bekommt diese Nuja oder Naja, oder wie sie heißt, eigentlich diese zweitausend Mark?“

„Komische Frage! dafür, daß sie Nuja Naja ist; wofür wohl sonst?“

„Ich meine, was tut sie, was bietet sie dafür?!

„Sie sitzt von ½9 Uhr ab bis 10 Uhr gratis in meiner besten Loge, für die jeder andere fünfzig Mark bezahlt.“

Frau Marga schüttelte den Kopf und sagte:

„Tollhaus! — Für zweitausend Mark muß mein Mann zwei Monate lang von früh bis spät arbeiten.“

„Ja, beste Frau,“ erwiderte Ernst Martin beinahe gekränkt, „Sie können doch das Auswärtige Amt nicht mit uns vergleichen. Was da verlangt wird, hat man schon vor fünfzig Jahren genau so, wenn nicht besser, gemacht. Von uns aber verlangt man fortgesetzt Neues, positive Leistungen, eigene Ideen, kurzum alles, was man da nicht verlangt.“

Auch Deichler blieb jetzt stehen, lachte und sagte:

„In manchem, was du sagst, hast du nicht unrecht.“

„In manchem? in allem! verlaß dich drauf! Ich möcht’ am Ende des Jahres mit deinem Chef mal Bilanz zusammen machen. Wir kämen mit einem Hauptbuch aus. Ich beleg’ die Kredit-, er die Debitseite.“

„Ich werd’s ihm vorschlagen!“ versprach Deichler, gab dem Schulfreunde noch einmal die Hand, nahm Frau Marga unter den Arm und ging.

Als er draußen war, stand Ernst Martin noch eine Weile in Gedanken und sah ihnen nach. Dann schüttelte er den Kopf und wiederholte laut:

„Schade!“

*     *     *

„Tut das gut! die frische Luft!“ sagte Frau Marga, als sie aus dem Theater traten, und Doktor Deichler erwiderte:

„Wir hätten doch lieber zur Mahlerschen Sinfonie gehen sollen.“

„Zeitgemäßer war jedenfalls das. Und eine Sinfonie war es schließlich auch.“

„Pöbelsinfonie!“ sagte Deichler. „Ich betrete die nächsten zehn Jahre kein Kino mehr.“

„Rudi!“ mahnte Frau Marga, „versprich nicht zu viel!“

„Glaubst du etwa, daß es mir schwer fällt, das zu halten?“

„Zehn Jahre sind eine lange Zeit.“

„Ich verpflichte mich, für jede Zuwiderhandlung ...“

„Bitte, leg’ dich nicht fest!“ fiel sie ihm ins Wort.

„Gerade das möcht’ ich. Um gegen jede Versuchung immun zu sein.“

„Man soll nichts abschwören, denn man kann nie wissen, ob man nicht doch eines Tags darauf zurückkommt.“

„Aufs Kino? — Ich wüßte wirklich nicht, wie das geschehen sollte.“

„Vielleicht früher, als du denkst.“

„Hast du etwa vor, mich mit Ernst Martin zu etablieren?“

„Ich glaube kaum, daß er Wert darauf legen würde.“

„Er? — Und ich? Ja, glaubst du, ich könnte mich jemals so weit erniedrigen?“

„Als Mittel zum Zweck — warum nicht? — Und dann wäre es eben keine Erniedrigung.“

„Das scheint ja gerade, als hättest du etwas Bestimmtes im Auge.“

„Hab’ ich,“ erwiderte sie. „Gehen wir hier hinein!“ — Sie standen vor Habel. „Bei einem Glas Wein spricht es sich leichter.“

„Also da bin ich doch wirklich begierig, in welcher Form die Kunst Nuja Najas deine Phantasie befruchtet hat.“

„Du wirst staunen,“ erwiderte sie, während sie sich setzten.

Und Doktor Deichler, als ahnte er die Bedeutung dieser Stunde, bestellte eine Flasche 1875er Château Latour Schloßabzug.

Drittes Kapitel

„Schmeckt es dir?“ fragte Deichler.

Frau Marga erwiderte schmunzelnd:

„Ich glaube, von der Sorte genügt eine Flasche, um dich zu überzeugen.“

„Ist das dein stärkstes Argument?“

„Ich weiß nicht. — Aber wenn man dich so manchmal sprechen hört, kann man glauben, du entwickelst dich zum Philister.“

„Nichts ist mir gräßlicher als der Gedanke, und ich akzeptiere von vornherein jedes Mittel, das mich davor bewahrt.“

„Um solch ein Mittel handelt es sich.“

„So nenn’ es schon!“ drängte Deichler.

„Ich muß mich zuvor vergewissern, ob unter der Tätigkeit im Auswärtigen Amt dein Sinn für Humor gelitten hat.“

„Also Marga, du machst mir tatsächlich Angst vor mir selbst. Die Aussicht, das Amt könnte aus mir einen humorlosen Pedanten machen, ließe mich selbst eine Kombination Heinz Martin ins Auge fassen.“

„So gefällst du mir! Aber sobald du feierlich wirst ...“

„Du weißt, wie ich alles Feierliche hasse.“

„Vor fünf Minuten sahst du in dieser Kombination noch eine — Erniedrigung! Und wurdest pathetisch! Dabei waren wir übereingekommen, das Leben als einen Schwank zu werten, über den es sich nicht lohnt, auch nur einen Augenblick lang ernsthaft nachzudenken.“

„Gut, Marga, daß du mir das hin und wieder zum Bewußtsein bringst. Es ist so! und wir wollen danach leben. — Prost!“

„Habe ich dich nun endlich in der richtigen Stimmung?“

„Ich fühle mich jedenfalls ganz behaglich.“

„Also, dann will ich dir mein Programm entwickeln. Du bleibst, wo du bist.“

„Und du?“

Ich werde Filmdiva!

Er fuhr zurück und sah sie entgeistert an. Sie schob ihm sein Glas hin und sagte:

„So, und nun trink erst mal einen Schluck auf den Schreck hin.“

Er nahm zitternd das Glas in die Hand, und als er es an den Mund führte, sagte er ganz unbewußt vor sich hin:

„Nu—ja, — Na—ja!“

Frau Marga mußte laut lachen, schüttelte den Kopf und sagte:

„I Gott bewahre! — ganz anders! — Aber erst trink einmal!“

Und Deichler leerte das Glas in einem Zuge.

„So, und nun wirst du zum ersten Male zu beweisen haben, daß du nicht nur in der Theorie der großzügige und vorurteilslose Mensch bist.“

„Das scheint eine ziemlich harte Belastungsprobe zu werden.“

„Um auf besagte Nuja Naja zurückzukommen ...“

„Aha! also doch!“

„So hör’ mich doch erst einmal an!“

„Bitte!“

„Glaubst du, daß ich, abgesehen von dem bißchen Technik, die ich mir in acht Tagen aneigne, kann, was sie kann?“

„Ich muß gestehen, daß ich dich auf deine Wirkung im Film hin noch nie betrachtet habe.“

Das klang etwas bitter; aber Frau Marga erwiderte in aller Ruhe:

„Dann tue es bitte jetzt!“

„Du würdest jedenfalls geistiger und natürlicher wirken. — Überhaupt: Du bist eine ganz andere Klasse Mensch, und ich begreife nicht, wie du dich mit dieser Frau vergleichen kannst!“

„Danke! ich akzeptiere. — Wenn diese Nuja also dreimal hunderttausend Mark im Jahre verdient, so müßte ich deiner Kritik nach mindestens dasselbe verdienen.“

„Und wo bleibe dann ich und meine Karriere?“

Frau Marga mußte lachen und dachte: ‚So ein Egoist.‘

„Daran hast du natürlich nicht gedacht!“ fragte er weiter.

„Derentwegen soll es ja geschehen“, erwiderte sie. „Sind die materiellen Bedenken behoben, so avancierst du. Die Zusicherung habe ich.“

„Die Diva als Diplomatensgattin? — Nein! Vieles ist heute möglich. Aber so weit sind wir denn doch noch nicht.“

„Ich bin anderer Ansicht, und es käme auf den Versuch an. Film und Diplomatie sind keine Gegensätze, sondern vertragen sich sehr gut miteinander.“

„Du meinst den Film als politischen Stimmungsmacher?“

„Allerdings! und verlaß dich drauf: in der Hand eines geschickten Diplomaten ist er heute ein wirksameres Instrument als die Presse.“

„Möglich! Aber was hat das mit dir und der Diva zu tun?“

„Viel! Denn in bezug auf Popularität steht eine Filmdiva heute höher im Kurse als eine Prinzessin. Und das gibst du mir wohl zu: vom grünen Tisch aus erobert man sich heutzutage nicht mehr die Sympathien eines Volkes.“

„Du willst die Diva doch nicht etwa zu politischen Zwecken verwenden?“

„Gerade das will ich!“

„Bist du toll? — Eine politische Diva ...“

„Gerade in dem unpolitischen, neutralen Wesen der Diva liegt ihre Bedeutung, die ihr Diplomaten bisher weder genützt, noch auch nur erkannt habt. Nimm beispielsweise die Porten! Das ist ein Begriff, genau wie die Manzini. Nationalität Nebensache. Richard Strauß dagegen bleibt immer der deutsche Musiker, mit dem man sich Achtung erobert, nie aber Sympathien. Aber die Liebe — und auf die Sinne läuft der ganze Divarummel ja letzten Endes hinaus — ist international.“

„Wenn ich dich recht verstehe, so willst du die Sympathien, die eine berühmte Diva genießt, politisch ausschlachten.“

„Haucht ein paar gescheiten Filmdivas ein wenig politischen Geist ein — aber nicht zuviel, sonst verfallen sie auf eure toten Methoden — und ihr werdet sehen, daß sie die geschultesten Diplomaten ausstechen. Wo die noch wartend im Vorzimmer stehen, sitzen jene mit den Ministern schon Hand in Hand.“

„Und das reizt dich?“

„Ich finde es lustig — zumal, wenn man innerlich unbeteiligt bleibt.“

„Aber die Hauptsache bleibt, trotz des politischen Mäntelchens, das du der Sache umhängst, doch die Filmdiva.“

„Die Hauptsache bleibt, Geld zu verdienen und dir die Mittel für deine Karriere zu verschaffen.“

„Auf einem Wege, den vor dir tausend andere gegangen sind und den Millionen andere nach dir gehen werden.“

„Da unterschätzt du mich denn doch.“

„Ich zweifle gar nicht daran, daß du Erfolg haben wirst.“

„Das genügt mir nicht.“

„Du hast also den Ehrgeiz, die Duse des Films zu werden?“

„Ich wiederhole dir: ich habe den Ehrgeiz, dir zu helfen.“

„Bedeutet diese Hilfe für dich ein Opfer, oder kostet sie dich auch nur die leiseste Überwindung, so ...“

„Im Gegenteil! es reizt mich!“ fiel sie ihm ins Wort. „Ich sehe da unbegrenzte Möglichkeiten nicht etwa nur materieller Natur. Das Filmen betrachte ich dabei nur als Mittel zum Zweck. Eine Diva kann sich heute die Welt erobern.“

„Dann willst du also der Napoleon des Films werden.“

„Nenn es, wie du willst. Amüsant ist es auf alle Fälle. Und gefahrlos auch. Menschen bleiben dabei nicht auf der Strecke. Dein Vergleich mit Napoleon ist daher nicht ganz stichhaltig.“

„Ob es wirklich so gefahrlos ist?“

„Rudi!“ sagte sie gekränkt. „Verlangst du darauf eine Antwort?“

Er schüttelte den Kopf, reichte ihr die Hand über den Tisch und sagte:

„Nein! — im übrigen: die Angelegenheit beginnt, auch auf mich Reiz zu üben.“

„Ein Beweis, daß du noch nicht völlig verkalkt bist,“ frotzelte Frau Marga.

„Und dieser Gedanke ist dir heute abend erst gekommen?“

„Gestern hätte ich ihn noch für einen schlechten Scherz gehalten. Heute halte ich ihn für einen guten — und zwar für einen so guten, daß ich förmlich darauf brenne, ihn zu verwirklichen.“

„Wie das geschehen soll, weißt du aber noch nicht?“

„Das werden wir jetzt bei der zweiten Flasche besprechen.“

„Du, erlaub’ mal!“ wehrte Deichler ab und wies auf die Weinkarte. „Das ist kein Talerwein.“

„Lieber Rudi!“ erwiderte Marga. „Du sitzt einem kommenden Filmstar gegenüber. Bitte, benimm dich danach. Unsereins ist verwöhnt.“

Deichler mußte lachen, sah sie an und dachte: gibt es überhaupt einen Star, der aussieht, wie sie? — Lange nicht genug würdigte er sie! Dieser prachtvolle Kopf mit den großen braunen Augen, die bald strahlten, bald in alle Tiefen träumten, diese seelenvollen Hände, auf denen die blauen Adern wie Kirschsaft auf weißen Linnen lagen, — ihr schlanker Körper, den sie völlig beherrschte, der eben noch unter Menschen unnahbare Würde wahrte und eine Stunde später zu Haus, während er am Flügel saß, tanzend sich wie eine Gerte bog — diese Frau, die wie keine andere Geist, Temperament und Kultur besaß, brachte alles für den Film mit, was den andern — und er dachte an die gefeierte Nuja — fehlte.

Er ging auf ihren Scherz ein:

„Ich weiß die Ehre durchaus zu schätzen, mit einer der schönsten und gefeiertsten ...“

„Mein Herr, Sie übertreiben ...“ wehrte Marga ab.

„Jedes Wort ist zu wenig“, erwiderte Deichler, ganz in den Anblick seiner Frau versunken, an der er jetzt, wo sie als der kommende Filmstar vor ihm saß, Reize entdeckte, auf die er zuvor kaum geachtet hatte.

„Hallo!“ rief ein Herr, der eben das Lokal betrat und jetzt hinter dem Kellner stand.

Deichler wandte sich um und erwiderte:

„Hallo, Anton!“

Anton trat an den Tisch heran und streckte Frau Marga die Hand hin.

„Grüß’ Gott, Marga!“ sagte er.

Die sah ihn groß und erstaunt an und tat, als wenn sie ihn nie zuvor gesehen hätte.

„Ja, was bedeutet denn das?“ fragte er und wandte sich an Deichler. Dann nahm er das Körbchen mit dem 75er Château Latour auf und sagte: „Ah so! also Größenwahn! — Ihr seid wohl von der Steuerbehörde übersehen worden?“

„Lieber Anton,“ erwiderte Deichler und tat verlegen, „ich bin durch einen Zufall“ — und dabei wies er auf Marga — „das heißt, eigentlich aus politischer Erwägung — meine Frau weiß davon — es handelt sich nämlich darum, den Film politischen Zwecken dienstbar zu machen. — Und diese Dame da“ — er wies auf Marga — „dir dem Äußeren nach sicher bekannt —“

„Darf ich fragen, bei welcher Flasche ihr bereits angelangt seid?“

„Bitte, setz’ dich!“ forderte er Anton auf, und zu seiner Frau gewandt, sagte er: „Sie gestatten doch?“

„Ja — ich weiß gar nicht,“ erwiderte die chokiert, „vielleicht haben Sie die Freundlichkeit und stellen mich vor.“

„Wie ihr wollt“, erwiderte Anton. „Ich mache mit! Bei dem Wein!“ — Er wies auf das Körbchen. — „Und wenn es noch tausendmal doller kommt. Irgendeinen Sinn wird es ja haben.“

Deichler stellte vor.

„Herr Anton Reber — Fräulein — ä — ä — na, du weißt ja! Alle Welt spricht von ihr. Nuja Naja ist nichts daneben.“

Anton sah erst seinen Freund Deichler, dann Frau Marga an.

„Filmfimmel!“ konstatierte er. „Hoffentlich steckt das nicht an.“

Statt eine Antwort zu geben, drang Frau Marga jetzt auf ihn ein:

„Sie also sind Reber! Anton Reber! der die tollen Romane schreibt!“

„Kennen Sie etwa meine Bücher?“

„Ja! — das heißt: nein! oder doch nur zum Teil.“

„Von meinem letzten Buch sind dreizehn Exemplare auf regulärem Wege durch den deutschen Buchhandel abgesetzt worden. Drei davon in Berlin. Es bestände daher immerhin die Möglichkeit, daß Sie ...“

„Man lobt Ihre Bücher.“

„Aber man liest sie nicht. Es lohnt sich nicht, seine Phantasie anzustrengen, eine Handlung zu erfinden, Spannung zu erzeugen, um dreizehn Menschen zu unterhalten. Es sei denn, daß Sie unter diesen dreizehn sind.“

„Phantasie, Handlung, Spannung!“ wiederholte Frau Marga. — „Alles das, was ich brauche!“

Anton Reber lächelte, nahm Frau Margas Hand, küßte sie und sagte:

„Mir liegt jedenfalls mehr daran, schöne Frauen zu fesseln, als vor dem Richterstuhl der sogenannten literarischen Kritik zu bestehen.“

„Die kommt für meinen Fall auch gar nicht in Frage. Was ich brauche, sind Ideen, die blenden, zünden, mit fortreißen, den Atem benehmen und einem gar nicht Zeit lassen, nachzudenken.“

„Wenn Sie das suchen, gnädige Frau, bin ich Ihr Mann!“

Sie hielt ihm die Hand hin. Er schlug ein und sagte:

„Auf Gedeih und Verderb! Und wenn die Ehe meines Freundes Deichler dabei in die Brüche geht.“

Marga entzog ihm die Hand und sagte:

„So nicht!“

„Wie denn?“ fragte Anton, und Deichler beugte sich über den Tisch und flüsterte ihm zu:

„Ohne Erotik!“

worauf Anton erwiderte:

„Dann möchte ich doch bezweifeln, ob ich der Geeignete bin.“

Deichler und Frau Marga mußten lachen.

„Also pass’ auf, Anton,“ sagte Frau Marga und gab das Spiel auf. „Ich will dir mit ein paar Worten sagen, um was es geht. Um Roberts Karriere. Die erfordert Geist und Kapital. Der Geist ist da. Das Kapital fehlt.“

„Und da willst du ...?“

„Sehr richtig!“

„Unter Ausnutzung der Konjunktur — denn nirgends ist es leichter, Geld zu verdienen — das Äußere dazu hast du — fragt sich nur, wie sich der Beruf deines Mannes und die soziale Position einer Diva ...“

„Über alles das ist zwischen uns bereits völliges Einvernehmen erzielt“, fiel ihm Deichler ins Wort. „Marga wird eine Diva auf gesellschaftlicher und politischer Grundlage.“

„Ein schöner Vorsatz!“ erwiderte Anton. „Und ein großes Programm! Für das alle Voraussetzungen erfüllt sind, bis auf eine.“

„Welche?“ fragte Marga.

„Eine Diva lancieren kostet Geld.“

„Oder Geist.“

„Ich glaube beides!“ meinte Deichler.

„Gewiss!“ stimmte Anton zu. „Mit dem Unterschied, daß man Mangel an Geist durch Geld ersetzen kann; aber nicht umgekehrt.“

Frau Marga widersprach:

„Der Geist richtig angewandt, soll Geld schaffen, nicht ersetzen. — Was hast du davon, daß du deinen Geist in Bücher legst, die niemand aufschlägt? Genau so wenig, wie man von seinem Gelde etwas hat, das man im Schrank verschließt.“

„Zeige mir einen Weg, wie ich es ändre.“

„Das eben will ich! — Wie heißt doch gleich dein letzter Roman?“

„‚Frida Adams Kampf mit vier Männern.‘“

„Ein vielversprechender Titel.“

„Alle schreiben anerkennend über das Buch ...“

„Das ist höchst gleichgültig.“

„Erlaub’ mal, das beweist doch, daß es Qualität hat.“

„Auch darauf kommt es nicht an.“

„Da muß ich denn doch protestieren.“

„Es kann ein Schmarren sein — wenn es nur Schmiß hat.“

„Schmiß hat es. — Aber ein Schmarren ist es freilich nicht.“

„So mache einen daraus!“

„Ich soll das Buch umschreiben?“

„Du sollst einen Film von mindestens zweitausend Metern und acht Akten daraus machen.“

„Das ist ein Gedanke!“

„Und ich werde die mir auf den Leib geschriebene Rolle der Frida Adam darin spielen.“

Anton Reber stutzte.

„Erlaube mal,“ wandte er ein. „Frida Adam ist eine kleine schwarze Jüdin.“

„Ja — und?“

„Du bist der Typ einer Brunhilde.“

„An solchen Kleinigkeiten stößt sich das Kinopublikum erfahrungsgemäß nicht.“

„Das träfe zu, wenn du bereits eine unserer bekanntesten Filmgrößen wärst.“

„Eine gefeierte Diva ist selbstsüchtig und duldet keine Götter neben sich. Sie tötet jedes Interesse für den Autor. Und wenn es Goethe ist, — Fern drückt ihn an die Wand.“

Reber lachte und gab ihr recht.

„Und du traust dir zu, die Heldin meines Romans, so wie ich sie sah und gab, im Film zu verkörpern?“ fragte er.

„Restlos!“ erwiderte Marga, „... Und wenn du es wünschest, so lege ich sogar noch mehr hinein.“

Anton Reber schien betroffen.

„Mein Buch hat dich demnach unbefriedigt gelassen?“ fragte er.

„Ich kenn’ es nicht.“

„Wie denn?“ fragte er erstaunt.

„Liest du etwa Romane?“

„Nein!“ sagte er bestimmt.

„Nun also! weshalb verlangst du es von mir? Sie sind sämtlich nach ein und demselben Klischee verfaßt, und auf Seite dreißig weiß man bereits, was sich qualvoll auf den nächsten dreihundert Seiten begibt. Vorausgesetzt, daß sich überhaupt etwas begibt.“

„Ja, dann weißt du doch gar nicht, wovon mein Buch handelt.“

„Aber ja, ich kenn’ doch den Titel. Das Zusammenleben von Mann und Frau bedeutet stets Kampf. Verschieden ist immer nur die Art der Kriegführung.“

„Das glaubst du wirklich?“

„Ganz bestimmt! Der aggressive Teil ist in fast allen Fällen die Frau. Der Mensch ist nun einmal eine Kampfnatur. Der Mann kämpft draußen, außerhalb des Hauses, und wünscht sich daher in seinen vier Wänden nichts sehnlicher als den Frieden. Ihm bedeutet die Ehe: ausruhen vom Kampf und Kräfte zu neuen Kämpfen sammeln, die der nächste Tag bringt. Aber die Frau muß am Abend los werden, was sich tagsüber an Galle in ihr aufgespeichert hat. Und wer ist das natürliche Objekt für die Ablage? der Mann! Und da die Frau eine feine Psychologin ist, so wird sie jeden Mann da treffen, wo er am empfindlichsten ist. Deine Frida Adam kämpft mit vier Männern. Ich nehme an hintereinander!“

„Allerdings!“ bestätigte Reber.

„Und wird mit allen vier fertig?“

Reber nickte.

„Bringt sie womöglich alle vier unter die Erde?“

„Ja!“ sagte Reber erstaunt. „Und du hast mein Buch nicht gelesen?“

„Aber nein! Du siehst ja, ich weiß auch ohnedies, was drin steht. Ich fühle diese Frau und werde sie so darstellen, daß jeder an ihre Existenz glaubt.“

„Das ist die Hauptsache!“ stimmte Anton freudig bei.

Aber Frau Marga widersprach und sagte:

„Nein! — die Hauptsache ist der Bluff!“

„Auf deutsch: die Ausnutzung der menschlichen Dummheit.“

„Sehr richtig! Dies Feld ist wie die Dummheit unbegrenzt und lautet in unserem Falle: Sensation.“

„Es käme demnach zunächst darauf an, dem Film außer der spannenden Handlung einen sensationellen Charakter zu geben.“

„I Gott bewahre! das verlangt kein Mensch! das hieße ja, für jeden Film eine neue Sensation schaffen. Denk doch, die Mühe, die das macht. Und dann, wer garantiert, daß die Sensation beim Publikum auf Verständnis stößt? Nur keine neuen Gedanken in den Film tragen! Für Experimente ist die Herstellung zu teuer.“

„Ja, aber wie denkst du dir dann die Sensation?“

„Die muß außerhalb des Films liegen. In unserem Falle bei mir! In dem neuen Menschen, den ich auf die Beine stelle.“

„Du willst dich verleugnen?“

„Selbstredend! Schon mit Rücksicht auf Rudi und das Amt. Vor allem aber, weil ich, selbst wenn ich mich ‚Diandre Andra‘ nenne, für die Massen kein Programm bedeute.“

„Du müßtest eben jemand sein, der durch seine bloße Existenz Aufsehen erregt.“

„Das ist es!“ stimmte Frau Marga bei.

„Der würde dann doch aber in Wirklichkeit existieren“, wandte Deichler ein. „Und das würde sehr bald zu Kollisionen führen.“

„Nicht unbedingt!“ widersprach Frau Marga. „Wie wäre es zum Beispiel, wenn ich mich in eine Milliardärstochter aus der Fifth Avenue verwandelte?“

„Das wäre, da du standesgemäß auftreten müßtest, mit ungeheuren Unkosten verbunden“, erwiderte Anton Reber.

„Ich könnte ja von der europäischen Krankheit infiziert und Sozialistin sein und mir mein Geld selbst verdienen wollen.“

„Das ginge“, erwiderte Anton. „Aber die Reporter würden sehr bald feststellen, daß in den Familien der Vanderbild, Morgan, Rockefeller oder wie sonst du dich nennen willst, kein Mitglied von dieser Krankheit befallen ist.“

„Mit den Reportern würde ich mich schon verständigen. Was ist natürlicher, als daß ein Rockefeller seine Tochter, die Sozialistin ist und zum Kino geht, verleugnet?“

Anton Reber schmunzelte und sagte:

„Mit dir werde ich viel Geld verdienen. Aber wäre eine der ermordeten Töchter des Zaren nicht sicherer?“

„Nein! denn die Vanderbildtochter, die ich darstelle, existiert auf keinen Fall. Aber was geschähe, wenn sich der Mord an der Zarenfamilie nicht bestätigt? — Und denkt euch, die Reklame, wenn ein Mitglied der Familie Rockefeller nach Europa reist, um mich zu beaugenscheinigen. Bis es zwischen uns zu einer Aussprache kommt, werde ich längst Weltruhm erlangt haben.“

Anton Reber nickte, nahm seine Füllfeder und schrieb.

„Doch nicht schon eine Pressenotiz?“ fragte Deichler.

„Erraten!“

„Welchen Inhalts?“

„Einen Augenblick! — Also hört:

Die Milliardärstochter als Filmdichterin!

Man kabelt uns, daß die Tochter eines der bekanntesten New Yorker Milliardäre den berühmten Roman Anton Rebers ‚Frida Adams Kampf mit vier Männern‘ für den Film bearbeitet und den Wunsch geäußert hat, die tragende weibliche Rolle selbst zu kreieren.“

„Ausgezeichnet!“ sagten beide, und Anton Reber, der nun mal im Schreiben war, fuhr fort:

„In ein paar Tagen lassen wir eine zweite Notiz folgen:

Ein deutscher Film in Amerika.

Die Aufnahmen des Films nach dem Reberschen Roman ‚Frida Adams Kampf mit vier Männern‘ in Amerika haben in Anwesenheit des Dichters, der Regie führt, begonnen. Die Tochter des Milliardärs, die bekanntlich den Roman für den Film bearbeitet hat und die tragende Rolle selbst spielt, wird sich mit den Hauptdarstellern demnächst zwecks Fertigstellung des Films nach Europa einschiffen.“

„Ich bin überzeugt,“ fuhr Reber fort, „daß sich die politischen Leitartikler sehr bald des Falles annehmen und eine Entspannung der Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika feststellen werden.“

„Wirklich ausgezeichnet!“ stimmte Frau Marga bei, „diese beiden Notizen, durch die man die Neugier anregt, können erscheinen, ohne daß wir auch nur einen Finger zu rühren brauchen.“

„Wir haben nichts weiter zu tun, als für die Zeit der Überfahrt zu verschwinden — und zwar an einen Ort, wo man uns beide nicht kennt.“

„Ihr könnt doch unmöglich zusammen reisen“, warf Deichler ein.

„Wir müssen!“ entschied Frau Marga. „Aber wenn ich mich auch in eine Sozialistin verwandle, so bleibe ich darum doch immer Miß Rockefeller aus der Fifth Avenue. Die aber ist gewöhnt, mit Gesellschafterin und Zofe zu reisen.“

„Dann geht es schon eher,“ erwiderte Deichler. „Aber Geld scheint die Metamorphose doch zu kosten.“

„Ich bitt’ dich,“ sagte Frau Marga, „in drei Monaten gründen wir eine Rockefeller-Film-Company mit dreißig Millionen Kapital, und du bekommst deine Unkosten mit Gewinn wieder heraus.“

„Das glaube ich auch“, stimmte Reber bei. „Das Geheimnis, das deine Persönlichkeit umgibt und dessen Aufklärung — sollte sie je gelingen, was ich bezweifle, — Jahre in Anspruch nähme, wird die Phantasie sämtlicher Reporter der Welt beflügeln und wird ein Propagandamittel ersten Ranges sein.“

„Hoffentlich gelingt es mir, mir diesen zweiten Menschen so zu suggerieren, daß ich selbst an ihn glaube.“

„Und für mich hörst du auf zu existieren?“ fragte Deichler.

„I Gott bewahre! Unsere Ehe wird darunter nicht leiden. So wenig wie unser gesellschaftlicher Verkehr. Und wenn deine Vorgesetzten — was ich ihnen am Ende doch zutraue — eines Tages eine Ähnlichkeit zwischen mir und der berühmten Diva feststellen, so kann auch das für uns und deine Karriere nur ein Vorteil sein.“

„Ja, aber muß man denn wirklich gar nichts lernen, um eine gottbegnadete Diva zu werden?“ fragte Deichler, und Reber erwiderte:

„In der Frage liegt schon die Antwort. Wer gottbegnadet ist, bedarf keiner menschlichen Anweisungen. Ob der liebe Gott bei Schaffung der Welt schon an das Kino gedacht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er jeder Frau, mit der er es auch nur ein bißchen gut meinte, die für eine Diva erforderlichen Qualitäten mitgegeben.“

„Aber so ein wenig Technik muß man sich doch wohl aneignen?“ fragte Marga.

„Das bringe ich dir in ein paar Nachmittagen bei,“ erwiderte Reber und zog einen Bogen Papier aus der Tasche.

„Demnach hätten wir uns nur noch über die Bedingungen zu einigen“, meinte Marga.

„Ich bin gerade dabei“, erwiderte Reber und wies auf das Papier. „Wir halbieren.“

„Erlaube mal,“ widersprach Frau Marga, „das Kapital, das ich als Miß Rockefeller einbringe, ist doch hundertmal höher zu bewerten als der Name Reber. Denn schon eine gewöhnliche Diva wiegt heute schwerer als ein Dutzend der namhaftesten deutschen Dichter.“

„Dann sage du mir, wie du es dir dachtest.“

„Ich hatte die Absicht, dich mit zehn Prozent an meinen Einnahmen zu beteiligen.“

Anton Reber schüttelte erst den Kopf; dann kam ihm ein Gedanke, und er sagte:

„Unter einer Bedingung.“

„Nämlich?“

„Daß du als Miß Rockefeller der Welt gegenüber meine Geliebte bist.“

„Was hättest du von diesem platonischen Vergnügen?“

„Eine Reklame, die größer wäre, als es die Duse für d’Annunzio war.“

Frau Marga dachte einen Augenblick nach; dann sagte sie:

„Es geht nicht!“

„Und warum nicht?“ fragte Reber.

„Weil ich mich dadurch eines meiner Hauptreizmittel begebe.“

„Liebenswürdig ist das nicht.“

„Aber wahr! — Denn vor der Diva Miß Rockefeller werden die Männer aller vier Erdteile auf den Knien rutschen. Ihr persönliches Auftreten wird die Sensation aller europäischen Großstädte sein. Nicht nur alle Impresarios und Filmmagnaten, sondern auch alle Juweliere und Tailleurs der Rue de la Paix, alle Spitzen- und Wäschelieferanten Gents, sämtliche Porträtisten Ungarns und alle Pelzhändler Moskaus werden sie auf ihren Tournees begleiten. — Heißt es aber, die Diva Miß Rockefeller ist die Geliebte eines Schriftstellers namens Reber, so wird man lächelnd sagen: ‚Dummchen!‘ Und kein Kavalier, kein Impresario, kein Maler und Photograph, kein Juwelier und Spitzenhändler wird diesem hoffnungslosen Falle auch nur fünf Minuten seiner Zeit opfern.“

„Vor dieser Perspektive kapituliere ich bedingungslos,“ erwiderte Reber. Er schob Frau Marga das Blatt hin; die las:

New York, den 15. März 1920.

Hiermit ernenne ich den Schriftsteller Anton Reber aus Berlin, Germany, zu meinem Generalbevollmächtigten. Er allein ist abschlußberechtigt für meine gesamte künstlerische Tätigkeit. An den Einnahmen aus den durch ihn gefertigten Verträgen partizipiert er mit zehn Prozent.

„Hm,“ sagte Frau Marga, über das Blatt gebeugt. „Ist Germany das einzige englische Wort, über das du verfügst?“

„So ziemlich,“ erwiderte Reber.

„Es wäre gut, den ganzen Vertrag in englischer Sprache abzufassen.“

„Ich bedaure.“

„Laß nur, das besorge ich. Ich war in Edinburgh in Pension, spreche daher Englisch wie Deutsch.“

„Ausgezeichnet!“ sagte Reber.

„Außerdem,“ fuhr Frau Marga fort und hielt den Bogen gegen das Licht — „ist es recht unwahrscheinlich, daß man in New York deutsches Reichsadler-Papier verwendet.“

Reber machte gerade kein kluges Gesicht und sagte:

„Da hast du recht.“

„Nach Amerika brauchen wir darum nicht zu fahren,“ beruhigte ihn Frau Marga. „Ich hoffe, ich finde zu Haus noch irgendwo einen leeren Bogen. Natürlich werde ich mir als Miß Rockefeller auch eine andere Handschrift zulegen müssen.“

„An was du alles denkst!“ sagte Reber und unterdrückte Deichlers letzte Bedenken damit, daß er erklärte: „Es wäre von dir engherzig und egoistisch, wenn du den ungewöhnlichen Talenten deiner Frau die Möglichkeit nähmst, sich auszuwirken.“

Deichler sah das ein, erhob sein Glas und trank auf das Wohl der Diva Rockefeller und ihres Impresarios.

Viertes Kapitel

Acht Tage, nachdem die zweite Notiz die Runde durch die Presse gemacht hatte, las man in der Fremdenliste des Vierwaldstätter Sees unter Luzern im Schweizerhof:

Miß Cissy Hill mit

Miß Davison, Gesellschaftsdame und Bedienung U. S. A.

Selbst wer die Notizen, die auch in Schweizer Blätter übergingen, gelesen hatte, kam nicht auf den Gedanken, daß sich hinter Miß Cissy Hill die dort erwähnte Milliardärstochter aus der Fifth Avenue verbarg. Denn Anton Reber, Schriftsteller aus Berlin, wohnte im Hotel des Alpes, das von der großen Welt unbeachtet in der Nähe der alten Brücke lag.

Cissy Hill verließ mit ihrer Gesellschafterin, die den Eindruck einer vollendeten Dame machte, jeden Morgen um acht Uhr, als die Hotelgäste noch in ihren Betten lagen oder beim ersten Frühstück saßen, unauffällig das Hotel, bestieg am Kapellenplatz ein Motorboot, in dem Anton Reber saß, und fuhr in der Richtung Brunnen davon.

In Brunnen, auf dem Wege nach Gersau, war in einem Schweizerhäuschen ein Operateur aus Zürich mit allen für einfache Filmaufnahmen notwendigen Requisiten einquartiert. Acht Tage lang wurden hier tagtäglich die schönen Schweizer Berge dazu mißbraucht, amerikanisches Gebirge vorzutäuschen. Der Kurbelkasten arbeitete unermüdlich, um die gemeinsam von Anton Reber und Frau Marga, alias Miß Rockefeller, alias Cissy Hill, in dem Film „Frida Adams Kampf mit vier Männern“ eingefügten amerikanischen Szenen an — wie sie es lustig nannten — Ort und Stelle aufzunehmen.

Auch Miß Davison, die im gewöhnlichen Leben Thea von Kracht hieß und Margas beste Freundin war, wirkte mit. Echt dagegen und allerliebst war die Bedienung, Mademoiselle Liane Laroche, eine Westschweizerin, die kein Wort Deutsch sprach und selbstredend aus — Paris stammte. Sie war eben achtzehn Jahre alt und aus ihrer Heimat Neuenburg, wo ihr Vater Weißbrot buk, noch nie herausgekommen. Dies war ihre erste Stelle, die sie einem Berner Vermittlungsbureau verdankte. Als „Übergang“, wie sie allen sagte, denn die Sehnsucht zog sie nach ihrer Heimat, von der sie beständig sprach und träumte und die, wie sie allen vorlog, Paris war. Sie half Cissy Hill gewandt beim Umkleiden und wurden ohne daß sie es wahrnahm, auch hin und wieder bei den Aufnahmen verwendet.

Den Lunch nahmen sie vom Hotel aus mit und blieben, wenn das Wetter gut war, bis zur Dunkelheit draußen. Erst gegen Abend fuhren sie heim, stiegen, ohne sich im Hotelvestibül umzusehen, in den Fahrstuhl, zogen sich Abendkleider an und nahmen die Hauptmahlzeit auf dem Zimmer.

So fielen sie den Gästen nicht auf. Der Züricher Operateur hielt sie für Mitglieder einer der unzähligen Filmgesellschaften, die in der Schweiz Aufnahmen machten und nicht nur, um die Kosten der Reise zu sparen, einen Schweizer Operateur, der die Gegend und deren bildhafte Wirkung kannte, dem eigenen vorzogen.

Neugierig war natürlich der Portier. Wäre der Krieg nicht vorüber gewesen, so hätte es keines Scharfsinns bedurft, um diese kleine Gesellschaft zu durchschauen. Sie spionierten eben! Herrgott, wer tat das nicht? Und gerade dies Hotel war ja bekannt als Hochburg antideutscher Spionage. Weshalb es auch von den deutschen Diplomaten in Bern bevorzugt wurde. Die merkten ja nicht einmal, wenn man ihre Koffer durchsuchte!

Alle diese Erinnerungen kamen eben dem Hotelportier, als Liane Laroche in ihren ausgeschnittenen Lackschuhen und dünnen Seidenstrümpfen erregt die Hoteltreppe heruntertrippelte und schon vom letzten Treppenabsatz aus, unbekümmert um die Gäste, die unten standen, rief:

Concierge! Schnell! Schnell! — Ich hab’s!“

Der Hotelportier, seit dem Kriege Kapitalist und nur noch aus Gewohnheit und Gefälligkeit im Amte, ließ die Gäste, die nach Briefen, Zügen und Dampfschiffen fragten, stehen und eilte mit Liane Laroche, die triumphierend einen Bogen in der Hand hielt, in seine Box.

„Da lesen Sie! — Ich habe ja immer gesagt, das Ganze ist Schwindel! Sie ist eine brasilianische Prinzessin! Einer Pariserin macht man nichts vor!“

Und der Portier nahm den Brief und las:

„Göttin! Ich stehe im Begriff, Brasilien zu verlassen und nach Paris zurückzukehren. Ich warte auf ein Wort von Ihnen, Königin, das mir einen Schimmer von Hoffnung läßt. In Anbetung

Jean de Boutin.“

„Hm,“ meinte der Portier und zog die Stirn in Falten, während Liane auf den Zehenspitzen hinter ihm stand und Wort für Wort noch einmal las — „sehr interessant! Wo haben Sie den gefunden?“

„Auf dem Schreibtisch! — Eine nette Wirtschaft! — Alles liegt da offen herum! — Briefe, Karten, Manuskripte, alles in Englisch! — Aber da!“ — und sie wies auf den Bogen — „endlich einmal ein Brief in der Kultursprache! — aus Paris! meinem Paris!! — Meinen Sie, ich habe darin herumgestöbert? Gerochen habe ich es! Mit geschlossenen Augen hätte ich ihn herausgefunden, den Brief aus Paris! — Wie poetisch, wie gefühlvoll! Aber so sind wir!“ — Sie sah den Portier schmachtend an: „Sind Sie schon einmal von einer Pariserin geliebt worden?“

„O ja!“ erwiderte er überlegen. „Das bringt mein Beruf mit sich.“

„Nun, dann kennen Sie’s ja.“

„Allerdings.“

„Schade! — Ich dachte, ich wäre die erste.“

Der Portier kniff sie in die Wange.

„Nicht! nicht, Sie Wüstling!“ rief sie. „Wenden Sie doch den Brief, da steht noch mehr.“

Der Portier folgte und fragte:

„Was ist denn das?“

„Ihre Antwort! — Im unreinen!“ sagte sie und lachte spöttisch. „Ich hätte ihr das nur so hingeschmissen!“

Der Portier las:

„Mein Herr. Ich habe Ihnen keine Veranlassung gegeben, zu hoffen. Ich wäre nicht die Tochter meines Vaters, wenn ich nicht wüßte, daß ich für Sie nicht mehr bedeute als die Dollarprinzessin, als die in Ihrer Erinnerung fortzuleben Ihnen genügen muß. Ihre ergebene Miß R.“

Während auf Liane Laroche die Worte Brasilien und Prinzessin am stärksten wirkten, so daß sie aus Cissy Hill sofort eine brasilianische Prinzessin machte, klammerte sich der Hotelportier an das Wort Dollar und den Buchstaben R —, woraus er mit seinem jahrelang trainierten Gehirn folgerte, daß sich hinter Cissy Hill eine steinreiche Amerikanerin verbarg, deren Name weltbekannt war, so daß sie, um Belästigungen und Attentaten zu entgehen, vorzog, unter einem Pseudonym zu reisen. Und von da aus bis zu der Entdeckung, daß der Buchstabe R nichts anderes bedeuten könne als — er senkte ehrfurchtsvoll das Haupt — Rockefeller, war nur ein Schritt.

Er veränderte sofort sein Benehmen Liane Laroche gegenüber:

„Liane, wenn Sie mir in allem folgen wollen — ich glaube, ich wäre imstande, Ihre Liebe zu erwidern.“

Lianes Mund zog sich vor Vergnügen in die Breite, sie machte graziös einen Knicks und sagte:

„Mein Herr! ich werde mir Ihren Antrag durch den Kopf gehen lassen.“

Dann machte sie kehrt und trippelte die Treppe wieder hinauf.

Oben im Salon stellte Frau Marga mit Vergnügen fest, daß der Brief fehlte. Sie vermutete richtig, daß er den Weg genommen hatte, für den er bestimmt war.

Die Filmaufnahmen, für die Amerika den Hintergrund bildete, waren beendet. Nun hing alles davon ab, daß man sich hier für spätere Fälle das Fundament schuf, kraft dem jedem Zweifler einwandsfrei bewiesen wurde, daß Cissy Hill in Wirklichkeit Miß Rockefeller war.

Wer von diesem Augenblicke an von dem Portier Post, Auskunft über ankommende und abgehende Züge, sein Gepäck oder sonst etwas erbat, wer im Bureau Zimmer oder seine Rechnung verlangte, wer beim Stubenkellner Tee oder Schokolade bestellte oder unten beim Ober einen Tisch für das Diner belegte — jedem wurde aus einem erregten und verklärten Gesicht die Antwort:

„Einen Augenblick! Ich muß eben mal zur Miß Rockefeller aufs Zimmer!“

Selbst auf die robustesten Kriegsgewinnler, die schon von mittags an unter dem wohligen Einfluß französischer Weine standen, wirkte das Wort „Rockefeller“ wie eine eiskalte Dusche. Sie „fühlten sich“ in diesem Hause, in dem, wie überall, sie den Ton angaben, und sahen sich nun zum ersten Male einer Konkurrenz gegenüber, der sie nicht gewachsen waren. Fürsten und Könige, die zu Dutzenden hier im Asyl lebten, imponierten ihnen längst nicht mehr; die Götter, zu denen sie einst gebetet hatten, konnten ihnen nun, wo sie am Ziele waren, nichts mehr bieten. — Rockefeller aber, das bedeutete ihnen, die nur in Zahlen dachten und fühlten, eine Ziffer, bei der ihr Begriffsvermögen versagte, eine Höhe, vor der ihnen schwindelte und neben der ihnen der Montblanc, selbst wenn sie ihn vom Fuß bis zur Spitze mit Dollarnoten belegten, als eine Ebene erschien.

An diesem Nachmittage rührte sich, obschon der Himmel blau war und die Sonne schien, kein Gast aus dem Hotel. Alles saß in der Halle. Das Vestibül glich dem Parkett eines Theaters. Die breite Treppe, die hinauf in die Etagen führte, war die Bühne; die kleine Loge, in der der Portier, wie ein Jäger auf Anstand, lugte, der Souffleurkasten. Kodaks wurden, je nach dem Takt ihrer Besitzer, teils verborgen, teils ganz ungeniert auf Säulen und Tischen placiert. Denn an diesem Nachmittag, so hieß es, würde Miß Rockefeller, entgegen ihrer Gewohnheit, den Tee in der Halle nehmen.

Es war eine schwüle Luft, und ein Berliner Bankier, der seinen letzten Tausendmarkschein eben in rumänische Lei eingewechselt hatte, flüsterte seiner Frau zu:

„Es riecht hier förmlich nach Dollarnoten.“

Der Maître d’Hôtel ließ in der Mitte des Vestibüls einen runden Tisch aufstellen, belegte ihn mit dem feinsten Tischzeug, schmückte ihn mit kostbarem Silber und leuchtenden Blumen, wählte das beste Kristall und gab das Sevres, das seit König Eduards Aufenthalt nicht mehr benutzt worden war, heraus.

Die Tische in unmittelbarer Nähe vergab der Oberkellner gegen ein Aufgeld von zwanzig bis hundert Franken. Der Berliner Bankier mit den eingewechselten Leis, dessen Tisch etwa fünf Meter von dem der Miß Rockefeller entfernt stand, sagte zu seiner Frau:

„Wenn ich drei zähle, rücken wir mit den Beinen unseren Tisch nach vorn.“

Sobald er sich unbemerkt glaubte, gab er das Zeichen. Und als er das drittemal „Halt!“ rief, war sein kleiner Tisch an einer Reihe der umstehenden vorbeigerückt und stand — zum größten Erstaunen des Oberkellners — unmittelbar neben dem der Miß Rockefeller.

Der Berliner Bankier sah schmunzelnd seine Frau an und sagte:

„Wieder dreihundert Mark gespart.“

Gleich darauf sprang er auf und begrüßte Berliner Bekannte, die eben — statt der sehnlichst erwarteten Miß Rockefeller — die Hoteltreppe herunterstiegen und aller Augen auf sich gerichtet fanden.

„Sieh nur, Max, man hält uns für die Rockefelders!“ flötete die Dame ihrem Manne zu, der nicht eben freundlich erwiderte:

„Halt dich grade und setze die Füße nicht übereinander!“

In diesem Augenblicke begrüßte sie der Bankier:

„Nu, was sagen Sie zu der Gesellschaft?“

„Man akklimatisiert sich,“ log die Dame. „Und findet bald nichts mehr dabei. Ich jedenfalls fühle mich zugehörig.“

„Sie nehmen den Tee doch hier?“ fragte der Bankier.

„Selbstverständlich.“

„Hoffentlich sind Sie gut untergebracht.“

„Wieso?“ fragte die Dame, sah sich im Vestibül um, nahm wahr, daß es überfüllt war und schrie: „Siegfried, Tölpel! Dazu ziehe ich mich an!“

Der Bankier fragte:

„Ja, haben Sie denn keinen Tisch bestellt?“

Der vorbeigleitende Ober, an den sich Siegfried wandte, rief ihm, ohne den Kopf zu wenden, zu:

„Bedaure!“

Eine Explosion der Dame schien unvermeidlich.

„Wenn Ihnen soviel daran liegt,“ flüsterte der Bankier und wies auf den Tisch, an dem seine Frau saß, „wir rücken zusammen.“

Die Dame war Feuer und Flamme, und Siegfried sagte:

„Sie haben doch gewiß ...“

„Gewiß hab’ ich. Wir halbieren. Zwanzig Dollar ist es Ihrer Gattin ja wert.“

„Selbstredend!“ erwiderte die, während Siegfried erstaunt fragte:

„Wieso Dollar? — Sie meinen Franken?“

Aber die Dame schüttelte den Kopf, schob ihren Mann vorwärts und sagte:

„Dummchen! Seit wann rechnen die Roxfelders nach Franken?“

Eine sehr gescheite Frau, dachte der Bankier, nahm von Tischen, an denen sie vorübergingen, ohne zu fragen, zwei leere Stühle weg, überhörte den Einspruch der Besitzer und stellte Siegfrieds seiner Frau vor.

Die fand, daß dadurch weder der äußere Eindruck des Tisches gehoben, noch das Sitzen bequemer wurde, witterte dahinter aber ein Geschäft ihres Mannes, lächelte daher und war freundlich.

Siegfried und Frau saßen kaum — Siegfried fragte eben:

„Wie steht der Dollar?“

Da ging eine starke Erregung durch die Menge. Der Direktor rückte seinen Cut zurecht, der Portier kroch aus seiner Loge, die Kodaks traten in Tätigkeit — und Miß Rockefeller, an der Seite der Miß Davison, gefolgt von Anton Reber, erschienen auf der Treppe.

Miß Rockefeller behandelte die ganze Gesellschaft als Luft. Sie ließ sich, ohne ihre in Englisch geführte Unterhaltung mit Miß Davison auch nur für einen Augenblick zu unterbrechen, an ihren Tisch führen. An den Menschen sah sie vorbei, als wenn die Halle leer wäre.

Als sie kerzengrade vor ihrem Tische stand und alle dachten, jetzt wird sie sich setzen, bog sie ihren Kopf zurück, wandte sich an ihre Begleiter und sagte, nicht eben laut, aber doch so, daß man es an den nächsten Tischen hörte:

„Schlechte Luft! Wir wollen den Tee oben trinken!“

Und sie ging, ohne nach rechts oder links zu sehen, gefolgt von Miß Davison und Anton Reber, denselben Weg zurück, den sie kaum zwei Minuten zuvor gekommen war.

Im ganzen Vestibül herrschte Totenstille, wie in einem Konzertsaal während einer Mahlerschen Sinfonie. Staunen und Bestürzung benahmen den Atem. Miß Rockefeller trug ein marineblaues Mantelkleid mit grünen Taftplissees und hochgeschlossenem Kragen und am Halse als einzigen Schmuck eine in Platin gefaßte riesenschwarze Perle, die man, wäre es nicht Miß Rockefeller gewesen, die sie trug, bei jeder anderen für Imitation gehalten hätte.

Als Miß Rockefeller eben den Fuß auf die Estrade setzte, die zur Treppe führte, trat der Direktor auf sie zu und überreichte ihr eine Visitenkarte. Sie nahm sie gleichgültig und las, ohne eine Miene verziehen:

Lilly Smith,

eine alte Freundin Ihrer Frau Mutter, sah Sie heute auf dem Quai und hätte Ihnen gern die Hand gedrückt, beste Miß Rockefeller!

Sie reichte ihm die Karte zurück und sagte laut:

„Was geht das mich an? Ich bin Miß Cissy Hill aus Chicago. Sorgen Sie dafür, daß man das richtigstellt.“

Der Direktor verbeugte sich und sagte:

„Leider ist durch eine Indiskretion bekannt geworden ...“

„Was?“ fragte Frau Marga.

„Daß Sie das nicht sind.“

„Dann reise ich morgen ab!“

Der Direktor wurde kreidebleich und platzte so ungeschickt wie möglich heraus:

„Das werden Sie uns doch nicht antun!“

„Miß Rockefeller hat ganz recht,“ sagte hinter ihnen ganz laut eine weibliche Stimme.

Frau Marga wandte sich um. Eine sehr elegante Amerikanerin streckte beide Hände nach ihr aus und sagte, womöglich noch lauter:

„Beste Freundin! Wahrhaftig! Sie sind’s!“

Frau Marga blieb gar nichts anderes übrig als einzuschlagen. Die Amerikanerin fuhr fort:

„Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Als Sie so klein waren“ — und bei der Bewegung, die sie dabei mit den Händen machte, mußte das freilich weit zurückliegen — „haben Sie schon auf meinem Schoß gesessen.“

Frau Marga lächelte verbindlich.

„Und die Mama. Geht es ihr gut?“ fragte die Amerikanerin weiter. „Und Papa Rockefeller? Was macht seine Dosensammlung? Hat er die Emaillebüchse Gregors VII. ersteigert? Oder ist ihm der junge Vanderbilt zuvorgekommen? Sie müssen mir erzählen, Beste! Ich bin seit einem halben Jahre in Europa und aus allem heraus.“

„Morgen, verehrte Freundin“, erwiderte Marga. „Ich suche Sie auf.“

„Ich wohne im National“, erwiderte die, versicherte noch ein paar Male, wie sie sich freue und griff nach der Hand, die ihr Frau Marga entgegenstreckte. Dann rauschte sie echauffiert durch das Vestibül und verließ das Hotel.

Miß Rockefeller aber stieg mit Gleichmaß und Ruhe und äußerlich ohne das geringste Interesse für alles, was um sie herum vorging, die Treppen hinauf.

Da dieser Vorgang sich unmittelbar an der Treppe abspielte, waren im Vestibül die besten Tische die schlechtesten geworden. Und der Bankier sagte, als er von Siegfried die hundert Franken = zwanzig Dollar einkassierte:

„Schade um das Geld!“ —

Oben im Zimmer sank Frau Marga in einen Stuhl, atmete auf und sagte:

„Das Debüt wäre geglückt.“

Thea von Kracht, alias Miß Davison, fragte:

„Wie erklärst du dir die Begegnung mit der Amerikanerin?“

„Sehr einfach!“ erwiderte Marga. „Die Freundin irgendeiner Mama Rockefeller, die dort im Hause verkehrt und mich, ich meine die Tochter Rockefeller, noch als Kind gekannt hat.“

„Sie hat dich doch aber an der Ähnlichkeit wiedererkannt“, wandte Anton Reber ein.

„Dann habe ich eben das Glück, einem Mitgliede der Familie Rockefeller ähnlich zu sehen.“

„Jedenfalls ein Glückszufall ohnegleichen“, meinte Thea. „Diese Frau hat dich vor aller Welt als Miß Rockefeller legitimiert. Auch auf Bestellung hätte sie nicht besser arbeiten können.“

„Sie hat auf Bestellung gearbeitet!“ erklärte Reber.

Beide Frauen sahen ihn erstaunt an.

Reber erzählte:

„Und das Wesentliche: dieser Trick belastet unser Budget nicht um einen Franken.“

„Da bin ich doch wirklich gespannt!“ sagte Frau Marga, und Reber fuhr fort:

„Ich sah die Amerikanerin gestern abend im Spielsaal verlieren. Für dortige Verhältnisse ungewöhnlich viel. Sie war in Gesellschaft eines Herrn, der wenig Vertrauen einflößte. Vom Kursaal aus gingen beide in die Bar des National Hotels. Ich folgte und setzte mich neben sie. Wir kamen ins Gespräch. Sie sprachen von ihrem Spielverlust. Offenbar befanden sie sich in Verlegenheit. — „Ich bitt’ Sie,“ sagte ich, „was kann Ihnen das ausmachen, wo Ihre reichste Landsmännin zehn Schritte von Ihnen entfernt wohnt?“ — Sie waren sofort im Bilde und wußten, wer sich hinter Cissy Hill verbarg. — „Wir kennen sie nicht“, sagten beide. — „So tun Sie, als ob Sie sie kennen“, riet ich ihnen. „Der Miß Rockefeller werden im Laufe des Jahres derart viele Menschen vorgestellt, daß sie gar nicht imstande ist, sie alle im Gedächtnis zu behalten. — Der Vorschlag leuchtete ihnen ein. Wir vereinbarten die Szene von vorhin, die sie übrigens vollendet spielte. Morgen wird sie versuchen, sich mit dir anzubiedern, und übermorgen wird sie kommen und dich bitten, ihr aus der Verlegenheit zu helfen.“

„Wirklich talentvoll!“ erklärte Thea und Frau Marga sagte:

„Ja! ja! Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken.“

Liane Laroche, die sich bisher ziemlich ungeniert in Gegenwart Margas bewegt und wenig Respekt gezeigt hatte, kam mit Briefen und Zeitungen ins Zimmer. Ihr Wesen war völlig verändert. Sie sah scheu, fast demütig zu Marga auf, legte die Post auf den Tisch und breitete ostentativ die neue Nummer der Fremdenliste vor ihr aus. Dann ging sie wieder.

„Was ist?“ fragte Marga. Anton nahm das Blatt und las:

„Miß May Rockefeller weilt zurzeit in Luzern. Zwecks Wahrung ihres Inkognitos ist sie statt in dem von Amerikanern bevorzugten Hotel National in einem Hotel am Schweizerhofkai abgestiegen. — Luzern ist keine Großstadt, in der ein derartiger Besuch lange verborgen bleiben kann. Immerhin ist zu hoffen, daß Einheimische und Fremde die Rücksicht üben und dem Inkognito Rechnung tragen.“

„Natürlich von dir eingesetzt“, sagte Frau Marga.

Anton Reber schüttelte den Kopf und sagte:

„Nein! Eingesetzt nicht! Verursacht, ja!“

„Wie hast du das angestellt?“

„Ich habe im Namen mehrerer amerikanischer Familien, die ihre Übersiedlung nach Luzern von der Anwesenheit Miß Rockefellers abhängig machten, von Zürich aus anfragen lassen, ob sie schon eingetroffen sei. Da das National von Amerikanern bevorzugt wird und von Kennern, deren Zunge so fein ist, daß sie einen 75er Château Lafite von einem 69er unterscheiden, einen Point höher bewertet wird als der Schweizerhof, so mußte es auffallen und das Prestige des Hotels gefährden, wenn eine Rockefeller statt im National, im Schweizerhof abstieg. Ich dachte mir also, die werden mindestens dasselbe Interesse daran haben wie wir, deinen Aufenthalt im Schweizerhof, der allen Amerikanern auffallen mußte, zu motivieren. Du siehst, sie haben es getan!“

„Ja, aber warum sind wir dann nicht in das National gezogen?“ fragte Thea.

„Einmal, weil eine derartige Notiz für uns Goldes wert ist, dann aber, weil die Gefahr bestand, daß wir dort tatsächlich irgendeiner Tante Rockefeller in die Arme liefen.“

„Anton, du bist der geborene Impresario!“ rief Frau Marga. „Wenn du so weiterarbeitest, erhöhe ich deine Beteiligung.“

„Vorläufig“, erwiderte Reber, „haben wir nur Unkosten, und ich überlege grade, ob wir die nicht auf irgendeine Art ablösen können.“

„Soll ich Autogramme verkaufen oder Schecks auf New York ausstellen?“ fragte Frau Marga.

Liane Laroche erschien und meldete den Hotelier.

Der kroch demütig herein, blieb ein paar Schritte von Frau Marga entfernt stehen, verbeugte sich tief und erklärte:

„Madame, ich bin tief unglücklich, daß durch die Indiskretion der Konkurrenz Ihr Kognito, das ich mit peinlichster Sorgfalt gewahrt hatte, gelüftet worden ist.“

„Sie wußten demnach ...?“

Der Hotelier lächelte überlegen und sagte:

„Von der ersten Minute an! Unsereins hat den Blick dafür. Und nun gar eine Miß Rockefeller! Ich wäre nicht wert, Besitzer des Hotels Schweizerhof zu sein, wenn mein Instinkt da versagte und ich das nicht herausfühlen würde.“

„Sie haben sich aber bis heute nicht viel um uns gekümmert“, erwiderte Frau Marga.

„Ein Gebot des Taktes, Miß Rockefeller! Ich habe Sie absichtlich ignoriert, damit Ihnen nicht der Gedanke kam, erkannt zu sein. — Daher dürfen Sie mich auch nicht für die Indiskretion einer eifersüchtigen Konkurrenz verantwortlich machen. — Ich habe bereits drei Berliner Familien gekündigt, um Ihnen in meinem Hause ein behagliches Heim zu schaffen.“

„Davon kann keine Rede sein. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist — meine Europafahrt ist keine Vergnügungsreise — —“

„Ich bin vollkommen im Bilde. Leider sind auch die Aufnahmen bei Brunnen nicht unbemerkt geblieben.“

„Auch nicht nötig“, erwiderte Frau Marga. „Ich habe nun mal die Laune, eine berühmte Diva zu werden, infolgedessen haben wir, um in der Übung zu bleiben, hin und wieder am See gekurbelt.“

„Eine Kaprize, wie man sie bei hohen und höchsten Herrschaften ja nicht selten findet“, meinte der Hotelier.

„Ich sage Ihnen das nicht, um Ihr Urteil zu hören,“ erwiderte sie eisig, „vielmehr um meine Abreise zu motivieren. Auch will ich nicht, daß andere mir zuliebe ihre Zimmer räumen.“

„Die Berliner Familien sind glücklich, Ihnen gefällig sein und ihre Appartements mit denen der Miß Rockefeller vertauschen zu dürfen.“

„Sie können doch nicht drei Familien in den zwei Zimmern hier unterbringen“, meinte Reber.

„Es kommt ja doch nur auf den Glauben an“, erwiderte der Hotelier. „Einwänden von Gästen, denen ich ansehe, daß sie mit den für sie reservierten Zimmern unzufrieden sind, beuge ich seit Jahren damit vor, daß ich sage: diese Räume haben vor Ihnen Herr und Frau Rockefeller bewohnt.“

„Ich weiß wirklich nicht, wie ich zu dem Vertrauen komme, in Ihre Geschäftsgeheimnisse eingeweiht zu werden“, erwiderte Frau Marga, nahm ein Buch und schlug es auf, so daß dem Hotelier nichts übrigblieb, als für die Störung um Entschuldigung zu bitten und sich zu entfernen.

Sie nahmen den Tee auf dem Zimmer und machten dann gegen Abend noch einen Spaziergang. Auf dem Kai wurde Frau Marga von den Fremden, die dort promenierten, sofort erkannt und wie ein Wunder angestaunt. Die meisten blieben, sobald sie sie kommen sahen, stehen, um sie genau betrachten zu können. Viele grüßten sogar, teils devot, teils wie gute Bekannte. Und nur die prononzierte Art, in der Frau Marga alles, was um sie herum vorging, ignorierte, verhinderte, daß man sie nicht auch ansprach.

Mit dem Sechs-Uhr-Zug traf ein Vertreter einer Berner Zeitung in Luzern ein und suchte durch Vermittlung des Direktors eine Audienz bei Miß Rockefeller, alias Cissy Hill, nach. Er war im Gehrock und sehr erregt. Er wußte: solche Amerikanerinnen waren oft extravagant, und da er stattlich und in den besten Jahren war und zudem den Namen eines deutschen Dichters trug, der freilich nicht er, sondern sein großer Bruder war — aber das spielte bei Amerikanerinnen, die meist großzügig und ungebildet waren, keine Rolle — sie verwechselten ja auch Richard Strauß mit Oskar — warum sollten sie da nicht auch ihn — dachte er — und so weiter.

„Strengstes Inkognito!“ sagte der Direktor und legte den Finger auf den Mund.

„Ich weiß. Sonst wäre es für mich auch ohne Interesse.“

„Wir selbst wissen es erst seit gestern.“

„In London, Paris und Berlin ist es bereits seit vorgestern bekannt“, log Werner Weinstamm.

„Nicht möglich! Ist der Schweizerhof genannt?“

„Das wird mir vorbehalten bleiben.“

„Herr Weinstamm, ich betrachte Sie als Gast des Hauses.“

„Ich akzeptiere. — Von London, Paris und Berlin sollen bereits Züge mit Journalisten, Juwelieren und Heiratsvermittlern in der Richtung Basel-Luzern laufen.“

„Ich werde die Dependancen öffnen lassen.“

„Unter den Bewerbern sollen sich zwei Hohenzollernprinzen, ein Bonaparte, zwei Orleans und der Herzog der Abruzzen befinden.“

Alle diese Einfälle, die Weinstamm während des Sprechens kamen, notierte er sich für sein Interview und dachte, als er es später niederschrieb, keinen Augenblick daran, daß „der zuverlässige Gewährsmann“, den er nicht nannte, er selber war.

„Wie hoch taxieren Sie das Vermögen Ihres Gastes?“ fragte er den Direktor.

„Bei der heutigen Valuta, in Mark berechnet, kann man sämtliche Schulden des Deutschen Reiches damit bezahlen.“

„Sie, das ist ein Gedanke! Denken Sie die Wirkung von Extrablättern in Berlin, wenn es heißt:

Völlige Tilgung der Schulden Deutschlands,

Miß Rockefeller opfert ihr Vermögen!

„Aber Sie wissen doch gar nicht ...“

„Glauben Sie, eine Amerikanerin läßt sich die Reklame entgehen? — Bis der Herr Papa in der Fifth Avenue davon erfährt und widerruft, ist sie die populärste Frau der Welt.“

„Sie sind der geborene Journalist!“

„Ich bin Werner Weinstamm. — Es gibt tausend geborene Journalisten, aber nur einen Weinstamm. — Wollen Sie mich nun melden?“

„Sie ist noch nicht zurück.“

„Wo hält sie sich für gewöhnlich auf?“

„Bis gestern war sie tagsüber in Brunnen.“

„Was macht sie da?“

„Sie filmt.“

„Machen Sie keine Witze!“

„Ich verbürge mich dafür.“

„Wissen Sie Näheres?“

Der Direktor rief den Portier. Der ließ Liane Laroche herunterkommen.

Liane Laroche zeigte sich gegen ihre Gewohnheit verstockt und erklärte:

„Ich plaudre nichts aus.“

Werner Weinstamm versprach ihr hundert Franken.

Sie lächelte überlegen und sagte:

„Miß Rockefeller gibt mir hundert Dollar, wenn ich schweige.“

Werner Weinstamm spreizte den kleinen Finger und fragte:

„Was sagen Sie zu dem Brillanten?“

„Ich bin nicht käuflich.“

Werner Weinstamm kniff sie in die Wangen.

Sie lächelte und sagte:

„Sie Heuchler!“

„Fordern Sie Beweise für meine Liebe!“

„Es gibt nur einen.“

„Nämlich?“

„Die Ehe!“

„Ich bin nicht abgeneigt. Ich suche schon lange.“

„Sie tragen ja einen Ehering.“

„Aus Gewohnheit. — Das heißt, meine Frau ...“

„Sie sind geschieden?“

„Noch nicht.“

„Sie leben in Scheidung?“

Er kniff sie abermals in die Wangen und sagte:

„Von diesem Augenblicke an.“

„Meinetwegen?“ fragte sie.

Er nickte, nahm ihre Hand, die gar nicht nach Arbeit aussah, küßte sie und sagte:

„Liane Weinstamm. — Klingt das nicht schön?“

Sie errötete, hauchte:

„O ja!“ und wußte nicht recht, ob sie nun verlobt war.

Er nahm sie unter den Arm und sagte:

„Nun komm!“

„Wohin?“ fragte sie.

„Auf dein Zimmer!“

Und während sie mit glühenden Wangen und pochendem Herzen im Fahrstuhl mit ihm hinauffuhr, zog er sein Messer aus der Tasche und spitzte seinen Bleistift an.

Inzwischen war Frau Marga mit ihrer Freundin Thea von Kracht und Anton Reber ins Hotel zurückgekehrt. Sie wollten eben aus dem Fahrstuhl treten, als Werner Weinstamm sich in seiner ganzen Breite vor die Tür pflanzte und ihnen den Weg versperrte. In der Hand schwang er einen Zettel, der, wie sich bald herausstellte, unzählige, durch die Unterhaltung mit Liane entstandene Fragen enthielt.

„Miß Cissy Hill?“ fragte er in den Fahrstuhl hinein und führte den Zeigefinger an den Hut.

„Ja! — Was gibt’s?“

Er musterte sie genau.

„Haben Sie zufällig eine Photographie bei sich?“

„Nein. — Was bedeutet die Frage?“

„Schade! — Na, man ist gewandt. Es geht auch so.“ — Er führte den Bleistift an die Lippen, schrieb und sprach dabei laut: „Imponierende Erscheinung — der Geldadel steht ihr im Gesicht geschrieben. — Man muß sie schön nennen, auch vom Standpunkt des europäischen Geschmacks aus. — Man würde den Anstrom der in Luzern versammelten Männerwelt, der gefährliche Dimensionen annimmt, auch begreifen, wenn diese Dollarprinzessin eine gewöhnliche Sterbliche ohne unbeschränkte Bankkredite wäre.“

„Was soll denn das?“ fragte jetzt Reber. „Wollen Sie uns nicht aussteigen lassen?“

„Nein.“

„Wer sind Sie?“

„Frage! Werner Weinstamm. — Erkundigen Sie sich beim Direktor. — Aber ich hab’ keine Zeit; wir sind das bedeutendste Blatt und müssen daher die Ersten sein. — Oder hat Sie etwa schon ein anderer interviewt?“

„Nein!“

„Zu welchem Zwecke halten Sie sich in Luzern auf?“

„Zu Filmzwecken!“ erwiderte Frau Marga.

„Was?“ rief Weinstamm entsetzt und biß die Spitze seines Bleistifts ab. Dann sagte er: „Pfui!“ und spuckte auf die Erde. — „Filmen? Was heißt das?“ — Dabei zog er einen anderen Bleistift aus der Tasche. „Was haben Sie als Miß Rockefeller nötig zu filmen?“

„Wer sagt Ihnen, daß ich Miß Rockefeller bin?“

„Machen Sie keine Witze. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Mir haben Kaiser und Könige und die Sarah Bernhard gesessen, also ist es keine Schande, wenn auch Sie ...“

Anton Reber reichte ihm die Zeitungsnotiz, aus der hervorging, daß die Tochter eines der bekanntesten New Yorker Milliardäre den berühmten Roman Anton Rebers „Frida Adams Kampf mit vier Männern“ für den Film bearbeite und darin die weibliche Hauptrolle spiele.

„Ist Ihnen davon nichts bekannt?“

Weinstamm überflog die Notiz, die er zum ersten Male sah, lächelte überlegen und reichte sie dann Reber zurück.

„Sie sind gediegen, junger Mann! Ob mir davon nichts bekannt ist? Was glauben Sie, wer diese Notiz in die Presse lanciert hat? Ich! Und darum habe ich auch Anspruch darauf, nun mehr zu erfahren. — Also, warum filmen Sie?“ fragte er wieder, zu Frau Marga gewandt. „Aus unwiderstehlichem Drang?“

„I Gott bewahre! — Um Geld zu verdienen.“

„Haben Sie nötig!“

„Ich bin sozial veranlagt.“

„Keine Kunst bei Ihren Milliarden.“

„Und habe den Ehrgeiz, mich von meiner Familie finanziell unabhängig zu machen.“

„Sie, das ist glänzend! Das ist eine Sensation! — Was sagt Ihre Familie zu der Verrücktheit?“

„Sie wird vermutlich erst durch Sie davon erfahren.“

„Darauf können Sie sich verlassen. Und wenn ich persönlich nach ... wo wohnen Sie?“

„Meinen Eltern werde ich Sie nicht auf den Hals hetzen.“

„Gut! Ich werd’s schon drüben erfahren. Bleiben Sie in der Schweiz?“

„Wir fahren morgen nach Deutschland.“

„Wozu?“

„Um unseren ersten Film fertigzustellen.“

„Was heißt: unseren?“

„Das ist der Schriftsteller Anton Reber“, sagte sie und wies auf Reber.

Weinstamm sah ihn groß an und sagte:

„Selbstredend!“ — Und halb vor sich hin flüsterte er: „Diese Liane ist ein Idiot!“

„Kennen Sie mich?“ fragte Reber.

„Meinen Sie, ich schlafe! Ich kann Ihnen Adams Kampf mit den Männern Seite für Seite hersagen. Im übrigen spreche ich Englisch wie Deutsch — nur bin ich im Augenblick etwas aus der Übung. — Also: wer macht den Film? Frage! Kunststück! Rockefeller-Film! Weltschlager! Und wenn er noch so blöd ist. — Wie lange gedenken Sie in Deutschland zu bleiben?“

„Bis ich mich durchgesetzt habe.“

„Und dann?“

„Gründe ich eine eigene Fabrik.“

„Rockefeller-Film-Compagnie. Kapital: eine Milliarde“, sagte er und notierte es auf seinem Zettel. „Aufgelegte Sache! — Was für’n Genre werden Sie bevorzugen? Frage! Salonstück natürlich. Fabelhafte Toiletten! Pariser Schneider! Was kostet Sie die Garderobe für den Re... Re...“

„Reber“, ergänzte Frau Marga.

„Reberschen Film? — Wie? Eine halbe Million? Oder ist das zu hoch gegriffen? Sagen wir sechsmal­hundert­tausend Franken. Minimum. Wie steht’s mit dem Schmuck? Perlen, wie? Millionenwerte! Und die Dekorationen natürlich sämtlich nach eigenen Angaben und von ersten Künstlern! — Regie? —“

„Anton Reber.“

„Wer denn sonst? Nu nein! Wie ich Anton Reber kenne, wird er sich die Okkasion nicht entgehen lassen. — Und Papa? Was sagt Papa dazu? Er weiß nichts. Gut! Aber wenn er’s weiß, was wird er sagen? Familienkonflikte! Prozesse! Kabel hin, Kabel her. Sie sind für die nächsten fünf Jahre die größte Sensation! Vorausgesetzt, daß kein neuer Weltkrieg entsteht. Aber dafür wird Papa schon sorgen. Keine Geschäfte mehr zu machen für Papa und seine Freunde. Europa ist ausgepowert. Er wird sich beteiligen, wie ich ihn kenne, an der Rockefeller-Film-Companie. — Ein Schaf diese Liane! Sie, Herr Reber, hat sie für den Herzog der Abruzzen gehalten! — Richtig, Miß Davison, Gesellschaftsdame! So’ne Gesellschafterin ließ ich mir auch gefallen. Erste Familie natürlich! Deutscher Abstammung; ausgewanderter Adel! Verarmt. Ich kenn’ mich aus. Schon drüben geboren oder als Kind hinübergekommen? Wie? Mir ist es gleich. — Etwas wenig Bedienung, Miß Rockefeller! Finden Sie nicht?“

„Absichtlich!“

„Richtig! Ich hatte vergessen, Sie leiden ja an sozialer Hysterie! Epidemische Erkrankung der höheren Gesellschaftskreise. Modesache! Legt sich!“ — Er trat zur Seite: „Bitte! Mein Interview ist beendet. Sie dürfen aussteigen.“

Frau Marga, Thea von Kracht und Anton Reber, die längst jeden Widerstand aufgegeben und die Unmöglichkeit erkannt hatten, etwas zu erwidern, traten aus dem Lift.

„Auf Wiedersehen, Miß Rockefeller!“ sagte er und stieg in den Fahrstuhl. Und aus der bereits halbgeschlossenen Tür streckte er schnell noch einmal den Kopf heraus und rief Lianen, die vom Gang aus das alles mit angehört hatte, ohne ein Wort zu verstehen, auf französisch zu:

„Laß dich mit deinem Herzog der Abruzzen begraben, dumme Gans!“

Liane Laroche schrie laut auf und fiel ohnmächtig Anton Reber in die Arme.

Aber sie erholte sich schnell wieder und sagte zu dem Hotelarzt, der sich um sie bemühte:

„Pah! Als wenn ein Schweizer eine Pariserin beleidigen könnte! — Wenn der Herr glaubt, daß ich ihn geheiratet hätte, dann irrt er sich!“

Dann stürzte sie zum Portier und log dem mit allen Einzelheiten vor, wie dieser Werner Weinstamm sich um sie bemüht habe und wie sie ihn habe abfallen lassen. — Und der Portier billigte ihr Verhalten und sagte:

„Mademoiselle Liane, wir könnten uns, wenn wir es schlau anstellen, bei Rockefellers in ein paar Jahren ein Vermögen machen.“

„Wir uns?“ fragte sie erstaunt.

„Sie machen sich bei der Miß unentbehrlich, und dann heiraten wir uns.“

Liane stutzte einen Augenblick, warf sich dann dem Portier, der in seiner nüchtern berechnenden Art wenig Sinn für diesen Gefühlsausbruch hatte, in die Arme und verlobte sich innerhalb eines Nachmittags zum zweiten Male.

Vor dem Diner suchten Frau Marga, Thea von Kracht und Anton Reber das Vestibül auf. Da die Gäste beim Anziehen waren und niemand sie um die Zeit hier erwartete, so war der Raum leer. Sie waren alle drei in Abendtoilette. Frau Marga trug ein ausgeschnittenes Kleid aus weißer Duchesseseide mit einem Überkleid aus Silberspitze. Ihr einziger Schmuck war auch jetzt wieder die große schwarze Perle, die auf dem hellen Hintergrunde stark ins Auge fiel. — Sie ließen die Gäste, die zum Diner gingen, an sich vorüberdefilieren. Die meisten opferten die Hors d’œuvres, taten, als wenn sie etwas vergessen hätten, kehrten um, gingen bis zur Treppe, blieben da ein paar Augenblicke stehen, kamen zurück und fanden es höchst originell, daß die Miß Rockefeller sich das Diner statt auf dem Zimmer oder im Speisesaal im Vestibül servieren ließ. Auch die Kapelle ließ sie sich kommen und in der Garderobe, die unmittelbar am Vestibül lag, spielen. — Als die Gäste eine Stunde später noch kauend aus dem Saal kamen, war der Tisch leer. Über dem Stuhl, auf dem Frau Marga gesessen hatte, lag ein seidener Schal, davor auf ihrem Platz ein Paar unbenutzter weißer Schweden und ein Strauß Flieder. Infolgedessen füllten sich die Tische schnell, und wie am Nachmittag, so lag auch jetzt wieder Erregung und Erwartung über den Menschen.

Etwa eine Stunde später erschien im Zofenkostüm, reizend und kokett und von allen angestaunt, Liane Laroche, ging auf Frau Margas leeren Tisch zu, nahm graziös erst den Schal, dann die Handschuhe und den Flieder auf, kehrte damit um, blieb beim Portier stehen, brach ein paar Blüten ab, reichte sie ihm, lächelte und trippelte dann in ihrem kurzen Röckchen wieder die Treppe hinauf.

„Ein reizendes Bild!“ sagte die Frau des Berliner Bankiers, und Siegfried, der wieder an ihrem Tische saß, erwiderte:

„Nur gut, daß es nicht wieder Geld kostet.“ —

Mitten in der Nacht schrie Liane Laroche, die neben Frau Margas Badezimmer schlief, plötzlich laut auf und rief:

„Hilfe!“

Die Flurtür ihres Zimmers stand weit geöffnet.

Der Portier, der die Nachtwache hatte und gerade auf dem Flur war, stürzte herbei. Die Gäste in den anliegenden Zimmern, darunter auch der Bankier und seine Frau, erwachten. Frau Marga sprang aus dem Bett, warf sich einen Mantel um, knipste das Licht an, riß die Tür auf und fragte:

„Was ist?“

Liane Laroche saß in einem dünnen Batisthemdchen mit angstvoll aufgerissenen Augen und erhobenen Armen zitternd im Bett und schrie noch immer um Hilfe.

In undefinierbaren Kostümen standen die Hotelgäste um sie herum und staunten sie an. Bis ein beherzter Herr, der sich das leisten durfte, da er eine seidene Pyjama und ein Monokel trug, an ihr Bett trat, sagte:

„Das sieht zwar ganz allerliebst aus — aber es stört die Nachtruhe“, und ihr die Hand auf den Mund legte.

Auch der Direktor und Thea von Kracht waren jetzt im Zimmer, als Liane Laroche unter dem begütigenden Einfluß des Herrn allmählich wieder zur Ruhe kam. Er gab ihr den Mund frei, legte, was seinem Gefühl weit mehr entsprach, den Arm um ihre Schulter und fragte sie in einem Tone, der ganz der Kleidung und Situation entsprach und auf die Umstehenden keine Rücksicht nahm:

„Und nun, schönes Kind, beichten Sie mal, was Ihnen zugestoßen ist.“

„Jemand war an meinem Bett.“

„An oder in?“

„An.“

„Wer war der Jemand?“

Liane Laroche zog die Schultern hoch. Der Herr fragte:

„Ein Mann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Hat er Ihnen was getan?“

„Ich glaube nicht.“

„Und es tut Ihnen nichts weh?“ fragte der Herr und tastete sie sachverständig ab.

„Soweit war er nicht“, erwiderte sie und schüttelte den Kopf.

„Die Flurtür stand ja sperrangelweit auf“, erklärte der Nachtportier und traf damit viel mehr die Sache, auf die es ankam, als der Herr in der seidenen Pyjama.

Der saß jetzt neben Liane auf dem Bett, fühlte den Puls und streichelte ihre Wangen. Dann sagte er, aber mehr der anderen wegen:

„Sie sieht ja ganz blaß aus.“

„Meinen Sie, es ist ihr etwas geschehen?“ fragte Frau Marga besorgt.

„Das kann nur sie oder ein Arzt entscheiden“, erwiderte der Herr, stand auf und verließ das Zimmer.

Alle waren erstaunt, denn sie hatten ihn für den Arzt gehalten. Nur der Direktor, der wußte, daß es der sehr vergnügte Marquis de Lamballe aus Paris war, lächelte und dachte sich sein Teil.

Aber Anton Reber, der erst am Tage zuvor vom Hotel des Alpes in den Schweizerhof übergesiedelt war und am anderen Ende des Flures wohnte, kam, von dem Lärm erwacht, gerade, als der Marquis das Zimmer verließ. Einer der Gäste orientierte ihn schnell.

„Ganz klar,“ rief er, „ein Hoteldieb!“

„I Gott bewahre!“ widersprach der Direktor, „ein Abenteurer.“

Aber Anton Reber ließ das nicht gelten.

„Waren die Türen denn verriegelt?“ fragte er erregt.

„Nein,“ antwortete man ihm, „sie standen offen.“

„Sind alle Ihre Sachen da?“ drang er auf Liane ein. „Ihre Uhr, Ihr Portemonnaie, Ihre Brosche?“

Liane sah ihn verdutzt an und sagte:

„Ich glaube.“

„Von wo kam er?“ fragte Reber.

Liane wies zur Tür und sagte:

„Von da.“

Reber stürzte in das Badezimmer.

„Hier sieht es ja wüst aus!“ rief er und tastete den dunklen Raum ab, der zugleich Frau Marga als Toilettenzimmer diente.

Frau Marga und der Direktor folgten ihm. Auch Liane sprang aus dem Bett und stellte sich in die Tür.

Die Frau des Bankiers trat vor ihren Mann und sagte:

„Sieh weg!“

„So knipsen Sie doch das Licht an!“ rief der Direktor.

Als der Raum hell war, stellte sich heraus, daß Frau Margas Kleid, das sie am Abend getragen hatte, zusammen mit anderen Kleidungsstücken auf der Erde lag. Auch auf dem Toilettentisch lag alles durcheinander. Die Tür zum Korridor stand angelehnt.

„Das Schloß ist intakt“, konstatierte der Direktor, während der Bankier Liane mit Blicken liebkoste und meinte:

„Die Hilferufe des gnädigen Fräuleins haben vermutlich den Dieb verscheucht.“

Der Direktor geriet in Verlegenheit. Über den Marquis, den er seit Jahren kannte, täuschte er sich nicht. Er hatte Güter in der Bretagne und besaß Millionen. Aber schloß eins das andere aus? Der Dieb veranlaßte die Hilferufe, die Hilferufe verscheuchten den Dieb; aber nicht nur ihn, auch den Marquis; der zog wahrscheinlich gerade auf Abenteuer aus, war vielleicht mitten im Erleben. Da hörte Liane Geräusch, vermutete einen Dieb, am Ende auch ihre Herrin. In ihrer Angst schrie sie auf. Der Dieb floh, der Marquis floh, kehrte aber, als er den Wächter sah, um und war so unauffällig als erster zur Stelle. So erklärte sich der Direktor den Fall.

„Ja, ja“, meinte der Bankier. „Eine Miß Rockefeller im Hotel zu haben, ist nicht ungefährlich.“

„Ihr Schmuck!“ schrie plötzlich laut Reber und stürzte auf Marga zu. Die lächelte und sagte in aller Ruhe:

„Der liegt ganz sicher, wo ihn niemand vermutet.“

Der Direktor atmete auf.

„Die schwarze Perle!“ schrie Anton Reber.

Frau Marga wies, ohne den Ausdruck ihres Gesichts zu verändern, auf den Toilettentisch.

Reber und Frau Thea suchten hastig. Auch der Bankier trat an den Tisch. Aber nur, um ungestört Lianen durch den Spiegel zu betrachten.

„Ist die Perle da?“ fragte der Direktor.

Frau Thea und Anton Reber sagten:

„Nein!“

Alle sahen entsetzt Frau Marga an.

Die verzog auch jetzt keine Miene und meinte:

„Sie wird sich schon finden.“

„So sehen Sie doch selbst!“ rief Reber ihr zu. „Sie ist nicht da! Wie können Sie auch so ein Stück offen herumliegen lassen!“

„Erfahrungsgemäß durchsuchen Diebe Schränke, Koffer und Kommoden und sehen an dem, was offen herumliegt, vorbei!“ erwiderte Frau Marga.

Alle suchten jetzt fieberhaft. Liane kroch auf der Erde herum, und der Bankier mühte sich, um ihr zu folgen, eben in die Knie, als seine Frau ihn hochriß und sagte:

„Komm jetzt ins Bett, hier gerät man schließlich noch in Verdacht.“

Der Bankier sagte:

„Quatsch! Such’ lieber mit! So’ne Gelegenheit kommt nie wieder! Auf Grund dieser Nachtvisite knüpfe ich geschäftliche Verbindungen mit Rockefellers an.“

Das leuchtete ihr ein. Sie bückte sich, stöhnte, hob einen Schuh auf, schüttelte ihn, sah hinein und sagte laut zu Frau Marga:

„Hier ist sie auch nicht, Miß Rockefeller!“

„Aber bemühen Sie sich doch nicht!“ bat Frau Marga und nahm ihr den Schuh ab.

Da kam dem Direktor eine Idee, an die er selbst nicht glaubte.

„Haben Miß Rockefeller vor dem Schlafengehen vielleicht noch ein Bad genommen?“ fragte er höflich.

Frau Marga kehrte ihm den Rücken zu und sagte:

Shocking!

„Was wollen Sie damit feststellen?“ fragte Reber, der mit dem Oberkörper gerade unter der Heizung lag.

„Ob die Perle am Ende in die Badewanne ...!“ brachte der eingeschüchtert und zaghaft hervor.

„Das wäre ja auch, ohne daß ich gebadet habe, möglich“, meinte Frau Marga.

Mit einem kühnen Satz schwang sich Liane in die Wanne. Der Bankier kroch auf allen vieren nach — es war ein köstliches Bild, und es kribbelte Frau Marga in den Fingerspitzen; zu gern hätte sie die beiden, die sich so ungleich wie eine Forelle und eine Schildkröte waren, unter Wasser gesetzt.

„Die Möglichkeit besteht immerhin ...“ begann der Direktor wieder.

„Welche?“ fragte Anton Reber.

„Daß die Perle in die Wanne ... und von da aus in den Ablauf ...“

„Meinen Sie, Miß Rockefeller steigt in ihrer Abendtoilette in die Badewanne?“ unterbrach ihn Reber, woraufhin der Bankier, der beim Absuchen des Abflußrohres eben in Kontakt mit Liane gekommen war, den runden Kopf aus der Wanne hob und meinte:

„Nu, man soll sagen, bei den Milliarden!“

„Meine Herrschaften“, erklärte jetzt Marga sehr bestimmt. „Wie ich bade, das geht wohl nur mich an! Im übrigen bitte ich Sie, und zwar sämtlich, sich meinetwegen nicht weiter zu bemühen. Bitte, gehen Sie schlafen.“

„Und die Perle?“ fragten alle.

„Da sie nur einmal existiert, so kann der Dieb damit nichts anfangen. Es nimmt sie ihm keiner ab. Ich werde öffentlich vor dem Ankauf warnen.“

„Und hunderttausend Franken dem aussetzen, der sie wiederschafft“, fügte Anton Reber hinzu und sah dabei Frau Marga so scharf an, daß sie ihr „Gott bewahre“, das ihr schon auf der Zunge lag, unterdrückte.

Der Direktor wollte noch eine feierliche Erklärung abgeben, die Kosten für die Recherchen übernehmen — aber Frau Marga schnitt alles das ab und erklärte:

„Schuld habe ich. Ich habe fahrlässig gehandelt, also trage auch ich die Folgen. Ich allein! — Ich danke Ihnen, meine Herrschaften! —“ Sie gab jedem die Hand — die des Bankiers war ganz naß — und zog sich in ihr Zimmer zurück.

„Vornehm,“ sagte eine Dame, „das nenne ich Adel.“

„Kunststück!“ erwiderte der Bankier. „Mit den Milliarden wäre ich auch vornehm.“

Und eine Amerikanerin blähte sich auf und sagte stolz:

„Eine echte Rockefeller!“

Fünftes Kapitel

Am nächsten Morgen bestürmte Anton Reber beim ersten Frühstück Frau Marga:

„Also ich muß unbedingt heute noch, bevor wir nach Zürich fahren, hunderttausend Franken haben.“

„Wozu denn?“ fragte sie entsetzt.

„Um die Nachnahme einzulösen.“

„Was für eine Nachnahme?“

„Die mir morgen früh in unserem Hotel in Zürich zugehen wird.“

„Anton!“ rief Frau Marga, „doch nicht etwa die Perle?“

„Eben die!“

„Was hast du angestellt?“

„Was in diesem Falle selbstverständlich war.“

„Nämlich?“

„Der Hotelier, in Todesangst um das Renommee seines Hotels, aber mehr noch aus Furcht, für den Millionenschaden schließlich doch noch aufkommen zu müssen, hat heute nacht noch alle zu ergreifenden Maßnahmen mit mir besprochen.“

„Was habt ihr getan?“

„Zunächst habe ich ihm insinuiert, mich zu bitten, auf eine Anzeige bei der Polizei zu verzichten.“

„Das war auf alle Fälle gescheit.“

„Sämtliche Gäste und Angestellte wären sonst einer höchstnotpeinlichen polizeilichen Durchsuchung unterzogen worden. — Ich verhielt mich dieser Forderung gegenüber erst ablehnend, ließ mich dann aber von seinen Argumenten, die völlig sinnlos waren, überzeugen.“

„Gott sei Dank, daß die Polizei ausgeschaltet ist.“

„Wir haben uns telephonisch mit Weinstamm verständigt. Heute nacht noch ist durch die Schweizer Telegraphen-Information folgendes Bulletin in aller Welt verbreitet worden:

‚Millionendiebstahl in einem Schweizer Hotel. Der amerikanischen Milliardärin Miß R., die sich zu Filmzwecken in der Schweiz aufhält und eben nach Deutschland reisen wollte, ist durch eigenes Verschulden in der Nacht vom Montag zum Dienstag die berühmte schwarze, unter dem Namen Perla Negri bekannte Perle abhanden gekommen. Vor Ankauf wird gewarnt, der Entwender oder Finder hingegen ersucht, die Perle gegen Nachnahme von hunderttausend Franken an den Sekretär und Impresario der Miß R., Herrn Anton Reber, Baur au Lac, Zürich zu senden. Andernfalls erfolgt Anzeige.‘

Dies Bulletin enthält alles, was wir zu Reklamezwecken im Augenblick benötigen. Es avisiert dich in Deutschland und wird im Zusammenhang mit den früheren Notizen alle Filminteressenten auf den Plan rufen. Es nennt mich als deinen Vertreter, gibt die Adresse an, unter der man mich erreicht — kurzum, es bedeutet eine Reklame, die — wenn sie normal überhaupt möglich wäre, was ich bezweifle — Hunderttausende kosten würde.“

„Und so kostet sie hunderttausend Franken. Selbstredend wird der Dieb die sicheren hunderttausend Franken der Ungewißheit, einen Abnehmer zu finden, und der Gefahr, ertappt zu werden, vorziehen. Wahrscheinlich aber hat er längst erkannt, daß die Perle gar nicht e...“

„Pscht!“ rief ihr Reber ins Wort. „Das darfst du nicht einmal in meiner Gegenwart aussprechen.“

„Aber wenn es nun bekannt wird?“

„Die Miß Rockefeller besitzt von jedem Stück Schmuck eine erstklassige Imitation, die sie an Stelle des Originals, aus Furcht vor Diebstählen, auf Reisen mit sich führt. Das braucht sie aber nicht jedem auf die Nase zu binden.“

„Aber die hunderttausend Franken,“ erwiderte Marga, „wo nehmen wir die her?“

„Ich habe eine Idee!“ rief Reber. „Höchst einfach!“ läutete und ließ den Direktor kommen.

„Hören Sie, Direktor, es ist doch immerhin möglich, daß wir die Perla Negri zurückerhalten.“

„Ich glaube das sogar bestimmt!“ versicherte der.

„Ich lasse uns sofort telegraphisch die hunderttausend Franken anweisen. Da das bei den heutigen Postverhältnissen aber zwei Tage dauern kann, so muß ich Sie bitten, mir den Betrag auf vierundzwanzig Stunden vorzuschießen.“

„Nein! Nein!“ suchte Frau Marga zu widersprechen.

Aber der Direktor zog mit großer Bereitwilligkeit sein Scheckbuch aus der Tasche und füllte, während Frau Marga dagegen protestierte, einen Scheck über hunderttausend Franken aus.

„Das ist doch nicht der Rede wert“, sagte er, als er Reber das Papier überreichte, verbeugte sich und verließ das Zimmer.

„Höre mal,“ stürmte jetzt Marga erregt auf Reber ein, „ich mache nicht mehr mit! Mit dem, was du da machst“, und sie wies auf den Scheck, den Reber lächelnd eben in seiner Tasche verschwinden ließ, „begeben wir uns auf eine schiefe Bahn. Das grenzt an Hochstapelei, wenn es nicht noch Schlimmeres ist.“

„Wieso meinst du das?“ fragte er gelassen.

„Willst du mir vielleicht verraten, wie du in achtundvierzig Stunden die hunderttausend Franken zurückbezahlen willst?“

„Gern!“ — Und da er schwieg, so fragte sie:

„Nämlich?“

„Die bekomme ich per Nachnahme für diese“ — er griff in die Tasche und holte die Perle heraus — „Perla Negri“.

„Du — du — hast — die — Per — le?“

„Dann hast du also wirklich nicht bemerkt, daß ich diesen nächtlichen Schwank inszeniert habe?“

Frau Marga sank laut lachend in einen Stuhl und sagte:

„Anton, das muß ich sofort an Rudi berichten.“

„Damit warte doch, bis wir in Berlin sind.“

„Wann, meinst du, fahren wir?“

„Sobald wir wissen, daß Berlin uns entgegenfiebert.“

„Du bekommst es fertig und bringst die ganze Stadt in Aufruhr.“

„Das will ich hoffen. Warum soll Berlin der Abwechslung halber nicht auch mal einer Diva wegen in Aufruhr geraten.“

„Ich fürchte nur immer noch, daß ich dies Doppelleben nicht werde durchführen können.“

„Du mußt bedenken,“ erwiderte Reber, „daß deine Bekannten dich ja nur als Frau Doktor Deichler, alle Filminteressenten dagegen nur als den amerikanischen Star zu sehen bekommen. Es besteht also gar keine Kollisionsgefahr.“

„Außerdem verändert dich diese Frisur derart,“ sagte Frau Thea, die hinzugekommen war, „daß selbst gute Bekannte nicht mehr als eine gewisse Ähnlichkeit feststellen werden.“

„Und wie man eine Diva, die man nur im Film gesehen hat, selten wiedererkennt, wenn man ihr im Leben begegnet, so wird dich auch umgekehrt keiner, der dich als Marga kannte, hinter dieser Weltberühmtheit vermuten.“

„Schon weil sie es dir weder zutrauen, noch gönnen.“

„Dies Argument ist durchschlagend!“ erwiderte Marga. „Und es wird demnach darauf ankommen, daß ich als Diva völlig zurückgezogen und für niemanden erreichbar lebe.“

„Was dir nicht schwer fallen wird,“ erwiderte Reber, „da du deinen Vergnügungen ja als Marga Deichler nachgehen kannst.“

„Ich war nie vergnügungssüchtig. Heute, bei der Gesellschaft, schon gar nicht.“

„Immerhin hat dein Mann gesellschaftliche Pflichten“, meinte Thea, und Marga erwiderte:

„Die man in heutiger Zeit sowieso auf das äußerste einschränkt. Im übrigen sind das ausschließlich Diplomaten und Gelehrte, die das Kino nur vom Hörensagen kennen.“

„Wo wirst du in Berlin wohnen?“ fragte Frau Thea.

„Welche Frage! Bei meinem Mann! Wo sonst?“

„Ich meine als Miß Rockefeller.“

„Ach so — natürlich! Ja, wie macht man das?“

„Sehr einfach!“ erwiderte Reber. „Du wirst bei mir gemeldet. Meine Hausdame ist gescheit und zuverlässig und besitzt Humor. Die wird, selbst in komplizierten Situationen, niemandem eine Antwort schuldig bleiben.“

„Und was wird Liane sagen, die auch nicht auf den Kopf gefallen ist, wenn ich nie da bin?“

„Die mußt du natürlich aufgeben“, meinte Thea.

Anton Reber widersprach.

„Von diesem klassischen Zeugen, deren Verwendbarkeit wir doch nun erprobt haben, trennen wir uns auf keinen Fall.“

„Als deine Zofe ist sie jedenfalls undenkbar.“

„Ich wüßte nicht, was wir sonst mit ihr beginnen sollen.“

Anton Reber kniff die Lippen zusammen, lächelte verschmitzt und sagte:

„Aber ich.“

„Nämlich?“ fragten beide.

„Ich habe einen ausgezeichneten Gedanken.“

„So nenn’ ihn doch!“ drängte Marga.

„Ich fürchte, daß ich deiner Standesehre damit zu nahe trete.“

„Welcher Standesehre?“

„Als Diva.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Auch setzt es eine gewisse Größe von deiner Seite voraus, die man erfahrungsgemäß gerade bei der Diva selten findet.“

„So rede doch einmal ernst.“

„Das tue ich fortgesetzt. Ich möchte dir nämlich nahelegen, Liane Laroche von heute ab nicht mehr als deine Zofe — ich sehe ein, das geht nicht — sondern als deine Kollegin zu betrachten.“

„Anton!“

„Sie bringt, wie du, alles dazu mit: eine allerliebste Figur, Charme, Grazie und Geschmack.“

„Und den Geist?“ fragte Frau Thea, die noch immer nicht wußte, ob Reber es ernst mit seinem Vorschlag meinte.

„Benötigt eine Diva nicht. Im Gegenteil, er stört in den meisten Fällen. — Marga freilich braucht ihn. Aber nicht als Diva, sondern lediglich für ihre Rolle als Miß Rockefeller.“

„Da hat er recht“, bestätigte Frau Marga. „Und so sicher ich mir der männlichen Filmstars bin, schon weil die ja sämtlich mit einer stillen Eroberungsabsicht an eine Miß Rockefeller herantreten werden, ebenso überzeugt bin ich, daß die Divas einer derart gefährlichen Konkurrenz mit Vorurteil, wenn nicht gar mit einem gewissen Zweifel begegnen werden. Daher ist es gut, wenn ich eine Partnerin habe, auf die ich mich auf alle Fälle verlassen kann.“

„Das ist sehr klug, was du da sagst“, erwiderte Reber. „Und das allein wäre Grund genug, sich diese Liane zu sichern. Und zwar sofort. Denn ich habe Grund zu der Annahme, daß auch andere ein Auge auf sie geworfen haben.“

Liane Laroche wurde gerufen.

„Madame wünschen?“ fragte sie und blieb an der Tür stehen.

Sie sah, wie immer, allerliebst aus. Und wenn man einer solchen Zofe auf der Bühne begegnete, so sagte man sich: so etwas gibt’s in Wirklichkeit nicht.

„Kommen Sie doch näher!“ forderte sie Frau Marga auf. Und schon dieser veränderte Ton machte Lianen stutzig.

Sie trippelte ein paar Schritte ins Zimmer und blieb dann, an einen Tisch gelehnt, stehen. Viele Sünden fielen ihr ein, und sie vermutete eine Kündigung, der man, eben weil man Miß Rockefeller war, eine freundliche Form gab. Während sie noch vor zwei Tagen mit einem schnippischen Lächeln darauf reagiert, einen Knicks gemacht und kokett erwidert hätte: „Mit dem größten Vergnügen! Ich hatte sowieso die Absicht“ — war sie jetzt entschlossen, jede von ihr gewünschte Besserung zu geloben und, wenn es sein mußte, kniefällig zu bitten, es doch noch einmal mit ihr zu versuchen.

„Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, Zofe zu werden?“ fragte Frau Marga.

Liane stöhnte — denn nun war es ja klar — man war unzufrieden und ließ sie gehen. Tränen traten ihr in die Augen und sie brachte kein Wort heraus.

Marga, die keine Erklärung dafür hatte, trat auf sie zu und sagte:

„Wir finden nämlich, daß Sie dafür zu schade ...“

„Ach, sagen Sie das nicht!“ platzte sie schluchzend heraus.

„... und zu Höherem geboren sind.“

Liane nahm das Taschentuch vom Gesicht und sah Frau Marga aus Augen, die voller Tränen standen, fragend an.

„Ich wäre schon zufrieden,“ erwiderte sie, „wenn ich nur bleiben könnte, was ich bin — aber bei Ihnen!“

„Bei mir sollen Sie bleiben“, sagte Marga.

Da sperrte Liane den Mund weit auf, zeigte die schneeweißen Zähne und lachte, während ihr noch die dicken Tränen über die Wangen liefen. — Und Marga fuhr fort:

„Aber nicht als Zofe!“

„Ich habe sonst nichts gelernt“, erwiderte sie und wurde schon wieder unsicher.

„Was Sie zu dem brauchen, was wir aus Ihnen machen wollen, das haben Ihnen Ihre Eltern mit in die Wiege gegeben. Es braucht nur richtig angewandt zu werden. Sie sollen zum Film gehen. Wir wollen eine Diva aus Ihnen machen.“

Liane fühlte, daß ihre Knie nachgaben und hielt sich an dem Tisch fest.

Nun nahm Reber das Wort:

„Wir würden, ohne daß Ihnen daraus Kosten erwachsen, — Geld spielt für uns keine Rolle, sagen Sie das jedem, von dem Sie hören, daß er sich mit Geld bei uns beteiligen will — für uns kommt nur Kunst in Frage — Kunst in jedweder Form — also auch in dieser“ — und dabei sah er sie an und genoß sie mit dem Behagen, mit dem man vor einem Kunstwerk steht. Liane errötete und sah zur Erde — „also“, fuhr er fort, „wir würden Sie aus Interesse und — Liebe“ — hinter diesem Worte machte er eine Pause und vertiefte sich nochmals in ihren Anblick — „ausbilden und emporentwickeln — bis zum Star! — Was das bedeutet, wissen Sie als Frau, die im Leben steht.“

Liane sehnte sich nach einem Stuhl.

„Sie werden berühmt werden.“

Liane führte die Hand vor die Augen. Ihr wurde schwindlig.

„Nicht nur in Deutschland. — In der ganzen Welt.“

Liane senkte den Kopf und glitt auf einen Sessel, den Reber ihr hinschob. Reber fuhr fort:

„Auch in Paris!“

Liane schloß die Augen und sah sich auf großen Plakaten auf den Boulevards von Paris, das sie gar nicht kannte.

Aber Reber blieb nicht auf halbem Wege stehen.

Bedingung: „Sie müßten uns gehören! Ausschließlich uns! Und sich mindestens auf drei Jahre verpflichten, nur bei uns zu spielen.“

Liane vermochte längst nicht mehr zu folgen.

„Wir siedeln noch heute nach Zürich über,“ fuhr Reber fort, „und es wäre gut, wenn dort schon der Wechsel vollzogen wäre.“ — Er trat nahe an sie heran, nahm ihre Hand auf, unterzog sie einer genauen Betrachtung und sagte: „Diese Hände könnten ebensogut einer Prinzessin gehören.“ — Und als er die Hand, bevor er sie losließ, ein wenig intensiver drückte, als es die Situation erforderte, da war es ihm, als wenn sie trotz ihrer völligen Verblüfftheit den Druck zaghaft erwiderte.

„Ich vermute, Fräulein Laroche,“ sagte Frau Marga, „daß Sie mit Rücksicht auf Ihren neuen Beruf noch mit Ihrer Garderobe zu tun haben werden. Miß Davison wird Ihnen dabei gern zur Seite stehen. Nur müßte es, da wir doch reisen, sofort geschehen.“

Liane hob den Kopf ein wenig und nickte.

„Und was wir besprochen haben, gilt als bindend für beide Teile?“ fragte Reber.

Liane sah jetzt Reber fest in die Augen, reichte ihm die Hand und sagte:

„Wenn Sie wirklich glauben, daß ich ...“

„Ich bin überzeugt davon.“

Frau Marga, die an sie herangetreten war, reichte ihr die Hand und sagte:

„Ich auch!“

Liane hatte den ersten Überraschungsschreck überwunden und fühlte, wie allmählich die Ruhe bei ihr wiederkehrte.

„Ich hatte ja immer den Drang“, log sie; und da Reber ermunternd nickte, so fuhr sie fort: „Schon auf der Schule sagte man, ich sei zu Höherem geboren.“

„Ganz unverkennbar!“ stimmte Reber zu. „In der Branche werden wir Sie als Filmphänomen ankündigen.“

Ungeniert schritt sie jetzt auf Anton Reber zu, drückte ihm die Hand und sagte:

„Ich bin Ihnen ja so dankbar.“

Während Miß Davison Lianen veranlaßte, sich fertig zu machen, um mit ihr einkaufen zu gehen, sagte Frau Marga zu Anton Reber:

„Du sorgst also für eine neue Zofe?“

„Bei deiner Ankunft in Zürich wirst du sie vorfinden“, erwiderte der.

Liane, die schon in der Tür stand, wandte sich um und sagte:

„Dann besorgen Sie bitte auch für mich eine mit.“

Reber war so verdutzt, daß er sich, statt eine Antwort zu geben, einfach verbeugte.

Liane reagierte darauf durch ein leichtes Nicken des Kopfes, wandte sich wieder um und ging hinaus.

Mühsam hatten sich die beiden beherrscht, ließen sich nun aber, als Liane draußen war, gehen und lachten laut auf.

Am Nachmittag kam ein Kartenbrief an Frau Marga von dem Berliner Bankier, der schrieb:

Sehr geehrte Miß!

Nachdem meine Frau und ich das Vergnügen und die Ehre hatten, heute nacht Ihre Gäste zu sein, bitten wir Sie und Miß Davison für heut nachmittag zum Tee auf unseren Salon.

Mit freundlichem Gruß von Haus zu Haus

Max Schlochauer und Gemahlin

aus Berlin W.

„Das wäre das Richtige!“ sagte Frau Marga, ging ans Telephon, ließ sich mit dem Zimmer des Bankiers verbinden und sagte:

„Hier die Zofe von Zimmer 24/25. Die Herrschaften bedauern, aber sie sind verhindert.“

Und ehe es dem Bankier noch eingegangen war, hatte sie schon wieder angehängt. —

Liane Laroche saß nach ihrem Ausgang mit Thea von Kracht, die ganz verblüfft über den Geschmack und die Gewandtheit der Zofe war, zum ersten Male seit ihrer Erhebung in den neuen Stand, die so unerwartet und so ohne jeden Übergang erfolgt war, mit ihren Gedanken allein. Und als geborene Diva erkannte sie sofort, worauf es in ihrem neuen Berufe in erster Linie ankam. Daß alle Welt erfuhr, wer sie war! Daß die Zofe Liane der Vergangenheit angehörte und die Diva Liane Laroche de Paris an ihre Stelle getreten war. Sie schrieb also:

Erstens: An den Portier des Hotels Schweizerhof.

 

Herr Theodor!

Verzeihen Sie, daß ich mit Ihnen spielte. Aber die Rücksicht auf meine liebe Freundin Miß Rockefeller, deren Inkognito zu wahren mir oblag, gebot mir, gerade Ihnen, dem Sprachrohr des Hotels und seiner Gäste, vorzutäuschen, daß meine liebe Freundin eine brasilianische Prinzessin und ich ihre Zofe sei.

Nun, wo das Inkognito gelüftet ist, will ich das falsche Spiel nicht weiter treiben und bekennen, daß ich selbst, die Tochter eines französischen Millionärs, bei Rockefellers zu Besuch war und dort von meiner Freundin und deren Fachgenossen als ein Filmphänomen erkannt wurde. Als solches werde ich nun bald über die Bretter der Welt ziehen, und wenn wir uns dort begegnen, dann wollen wir uns schweigend des Spieles erinnern, das trotz des Widerstandes meiner reichen Familie Ernst geworden wäre, wenn — ja, wenn ich das Recht hätte, mein Leben, das der ganzen Welt und Nachwelt gehört, an einen Menschen zu ketten. Glaub’ mir, Theodor, ich darf nicht! Aber stolz darfst du darum doch auf mich sein. Und bring dich nicht um!

Liane.

 

Zweitens: An den Marquis Lambelle.

 

Mein Herr Marquis!

Sie werden nun wohl alles erfahren haben. Ja, nicht nur Cissy Hill, auch ich war nicht die, für die Sie mich, als ich heute nacht in Ihren Armen lag, hielten. Ich mußte schweigend alles dulden, um das Inkognito meiner Freundin Rockefeller nicht zu verraten. Glauben Sie ja nicht, daß ich, die Tochter eines Millionärs, mich Ihnen sonst so hingegeben hätte! Aber ich wußte ja, mit wem ich es zu tun hatte! Sie nicht! Sie werden als Marquis und Kavalier die Folgen aus Ihrem Handeln tun und mich, ein Mädchen der besten Gesellschaftskreise, die zudem als Filmphänomen von Rang ist, zur Marquise machen. Nur in dieser Annahme erwarte ich Sie heut nacht in Zürich, wohin wir übersiedeln.

Ihre unglückliche

Liane La Roche.

Drittens: An ihre Eltern in Neuenburg, Westschweiz.

 

Liebe Eltern!

Wenn Ihr dachtet, Eure Tochter Luise werde als Zofe bei irgendeiner beliebigen Madame ihr kostbares Leben fristen, dann habt Ihr Euch aber gehörig ins Fleisch geschnitten. Fällt ihr nicht ein! Im Gegenteil! Erstens war Cissy Hill, die Amerikanerin, nicht Cissy Hill, sondern, was ich sofort ahnte, Miß Rockefeller aus Amerika, die so reich ist, daß sie den ganzen Ozean, der Europa von Amerika trennt, mit Dollarnoten trockenlegen kann. Wenn sie will — aber sie will nicht! Denn sie ist Künstlerin wie ich, auf der Ihr jahrelang herumposamentiert habt. Aber mein Künstlerblut war dicker als Eure Bemühungen. Ich bin als Filmphänomen, als das ich jetzt meine Kreise über die ganze Welt ziehen werde, entdeckt und gegründet worden. Millionen liegen mir zu Füßen. Der Fürst Lambelle wirbt um meine Hand, und es ist nicht ausgeschlossen, daß ich ihn erhöre. Es entscheidet sich heute nacht! Neuenburg kann sich gratulieren! Näheres, was Ihr nicht aus den Zeitungen über mich erfahrt, drahte ich Euch, da mir zum Briefeschreiben natürlich keine Zeit bleibt. Wir fahren noch heute mit unserer Lustflugjacht nach Zürich und Berlin. Viele Grüße Eure in Gold und Wonne schwimmende

Tochter Luise,

jetzige Liane de La Roche,

in Kürze Duchesse de Lambelle.

Sie las die Briefe noch einmal durch. Sie gefielen ihr. Vor allem die Zeilen an den Concierge des Hotels fand sie würdig und wirksam und berauschte sich an den Phrasen, die sie der Lektüre von Romanen verdankte. Die Zofe, die ihr das nachmachte, mußte erst geboren werden! Und da es die nicht gab, so war es ganz klar, daß ihr kurzes Zofentum ein Irrtum, eine Irrung gewesen war, die sie für immer in ihrem Gedächtnis zu löschen beschloß. Sollte während ihrer Künstlerlaufbahn aber doch einmal irgendwer auf ihre dunkle Vergangenheit zurückgreifen, so würde sie zwar bekennen, aber hinzufügen: „Eine echte Künstlerin studiert ihre Rollen nicht vor dem Spiegel, sondern im Leben. So bin ich auch in die Niederungen des Lebens hinabgestiegen und habe vorübergehend Zofe gespielt, eben um in dieser im Film so beliebten Zofenrolle echt zu wirken.“ Und boshaft würde sie hinzufügen: „Würden meine Kolleginnen, wie ich die Zofe, so die Dame studieren — was ich bei meiner Kinderstube nicht nötig habe —, so würden sie in ihren Filmschlössern, umgeben von Dienerschaften, weniger unwahrscheinlich wirken.“ — Liane berauschte sich an ihren Gedanken und fühlte, wie sie mit ihren höheren Zwecken immer weiter über sich hinaus wuchs. Das letzte Zofenhafte war eben von ihr abgefallen, als es an ihre Türe klopfte und sie, in den Sessel zurückgelehnt, so gleichgültig wie ihr amerikanisches Vorbild „Herein!“ rief.

Anton Reber erschien mit einem Schriftstück in der Hand.

„Mein liebes Fräulein,“ sagte er und begrüßte sie mit einem Handkuß, während sie bewußt sitzenblieb und sich noch weiter in den Sessel zurücklehnte, „verzeihen Sie diese Störung, aber ich möchte, daß Sie mir diesen Vertrag unterzeichnen.“

Liane nahm das Schriftstück und beäugte es durch das Einglas mit dem kurzen Bronzestil, das sie sich eine halbe Stunde zuvor mit Frau Thea gekauft hatte.

„Allerliebst!“ entschied Reber. „Allerbestes Kino!“

Liane, die das als ein Kompliment aufnahm, sagte mit einer leichten Bewegung des Kopfes, die ganz Dame war:

„Das freut mich, Herr Reber — zumal aus ihrem Munde.“

Den Vertrag selbst las sie kaum, einmal, weil ihr Reber sofort tausend Franken auf den Tisch legte, dann aber auch, weil sie ihre ganze Aufmerksamkeit darauf verwandte, einen günstigen Eindruck zu machen. Aber da sie doch etwas sagen mußte, so wandte sie sich zu Reber und erklärte:

„Von einigen Kleinigkeiten abgesehen, sagt mir der Vertrag zu!“

„Bitte! Was wünschen Sie geändert zu haben?“ erwiderte Reber.

„Es könnte zum Beispiel sein, daß ich heirate — davon steht, soviel ich sehe, in diesem Vertrage nichts.“

„Das sind ja auch rein persönliche Dinge.“

„Sie werden wissen: der Marquis de Lambelle aus Paris ... übrigens ein entfernter Verwandter ...“

„Natürlich! Der Marquis interessiert sich für Sie — übrigens kein Wunder: wer täte das nicht?“

Sie klopfte mit dem Einglas auf seine Hand und sagte kokett:

„Schmeichler!“

„Sagen Sie nicht Schmeichler!“ flötete Reber; „sagen Sie Kenner! Kunstkenner! Genießer! Fachmann! Künstler! Alles das bin ich, und eben darum hänge ich mich an Sie. — Es reizt den Kenner, Künstler und Genießer, aus diesem seltenen Stoff“ — und dabei legte er den Arm um ihre Schulter — „ein Kunstwerk zu formen, vor dem die ganze Welt in die Knie sinkt.“

Liane lehnte sich mit wohligem Gefühl an seinen Arm, schloß die Augen und hauchte:

„Das hört sich wie ein Traum an!“

Reber beugte sich zu ihr herab, küßte sie auf die Augen und sagte:

„Träumen Sie, Kinoprinzessin! Und lassen Sie mich den Prinzen sein, der Sie erweckt!“

Sie schlug die Augen zu ihm auf, und er las darin die Antwort.

„Sie wollen?“ fragte er zärtlich.

Da schlug sie die Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich herab, küßte ihn auf den Mund und seufzte:

„Anton!“

„Liane!“ erwiderte er.

„Von der ersten Stunde an habe ich dich geliebt“, log sie und schob behutsam die Briefe, die sie eben geschrieben hatte, unter eine Mappe, die auf dem Tische lag.

„Liane!“ rief er zärtlich und dachte: erstens ist sie allerliebst, außerdem äußerst verwendbar und drittens habe ich sie als meine Geliebte ständig unter Kontrolle, so daß sie nicht nur keinen Schaden anrichten, sondern darüber hinaus von großem Nutzen für uns sein kann.

Auf dieser rein ideellen Grundlage erfolgte die Vereinigung Anton Rebers mit Liane Laroche, kurz bevor sie Luzern verließen.

Ihre drei Briefe aber sandte Liane, nachdem sie einige innere Bedenken überwunden hatte, trotzdem ab.

Am nächsten Tage brachten alle Blätter Berichte über den Perlendiebstahl, dem die amerikanische Milliardärstochter und Filmdiva Miß R. zum Opfer gefallen war. Und vierundzwanzig Stunden später folgte, was noch mehr Aufsehen erregte, die Nachricht von dem Trick ihres Impresarios, dank dem die Perle am nächsten Nachmittage gegen Nachnahme von hunderttausend Franken wieder zugestellt worden war.

Anton Reber wurde von den Redaktionen der illustrierten Blätter der ganzen Welt bestürmt, Bilden der Miß R., auf denen sie die entwendete Perle trug, zu senden. Aber er war klug genug, sich weder durch den Verdienst, noch die ungeheure Reklame, die in einem Eingehen auf die Forderung lag, zu einem Fehler verleiten zu lassen. Er sagte sich: für eine auf Grund der Photographie erfolgende Erklärung der Familie Rockefeller, daß ihr die auf dem Bilde wiedergegebene Persönlichkeit gänzlich unbekannt sei, war es noch zu früh. Rechnen mußte man eines Tages mit diesem oder einem ähnlichen Protest. Aber jetzt hätte ihm die Beweislast obgelegen. War Frau Marga aber erst der allgemein gefeierte Star, den jeder unter dem Namen Miß Rockefeller kannte, so blieb sie es so lange, bis der anderen Seite der einwandfreie Beweis des Gegenteils gelang. Und wieviel schwerer, ja fast unmöglich war es, diesen negativen Beweis zu führen.

Reber lehnte also ab. Und der schwarzen Liane, die in ihrer grazilen Schlankheit der großen, blonden Frau Marga glänzend stand, erzählte er, daß er es ihr zuliebe täte.

„Ihr sollt beide gleichzeitig berühmt werden!“ sagte er, und Liane, die nicht wußte, mit welcher Spannung die Filmfachleute in Deutschland infolge der Preßnotizen der Miß Rockefeller entgegensahen, glaubte es.

Willi Weinstamms Artikel, auf den Reber bestimmend eingewirkt hatte, war durch sämtliche deutsche Blätter gegangen. Von der sozialen Modekrankheit der oberen Zehntausend in New York war die Rede und von der Miß Rockefeller, als deren exponiertestem Vertreter. Während die meisten Milliardärstöchter in sozialen Berufen, hauptsächlich in Krankenpflege und Armenfürsorge, sich betätigten, habe sich Miß R., deren Äußeres allerdings dazu prädestiniert erscheine, sich dem Film zugewandt. Und wenn die Familie sich dieser Extravaganz eines ihrer Mitglieder gegenüber vorläufig auch noch ablehnend verhalte, so sei der alte R. ein viel zu kluger Kaufmann, um die hier sich erschließenden wirtschaftlichen Möglichkeiten gesellschaftlichen Vorurteilen zu opfern. Die Gründung einer Rockefeller-Film-Company sei nur eine Frage der Zeit. Daß die aber eine völlige Neuorientierung auf dem internationalen Filmmarkt bedeute, stehe außer Zweifel. Im Augenblick hänge für die deutsche Filmindustrie alles davon ab, daß sie es verstände, die durch den Aufenthalt der Miß Rockefeller in Berlin sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen und die Filmindustrie der beiden Länder auf eine gemeinsame Basis zu stellen. Da Wirtschaft und Politik untrennbar miteinander verbunden seien, so könne eine geschickte Hand hier eine Brücke schlagen, die für das Verhältnis zwischen den beiden Völkern von bleibender Bedeutung wäre. Alles hänge heute davon ab, Miß Rockefeller für die deutsche Filmindustrie zu gewinnen. Dazu gehöre außer klugem Geschäftssinn aber dreierlei: Takt, abermals Takt und zum dritten Male Takt. — Und der Artikel schloß mit der herausfordernden Frage: „Gibt es in der deutschen Filmindustrie Männer, die ihn aufbringen?“

Und da auch der Name des Impresarios und das Hotel Baur au Lac in Zürich genannt war, so erhielt Anton von allen großen Filmfabrikanten Brieftelegramme mit märchenhaften Offerten. Aber auch Spekulanten aller Art, die dem Film völlig fernstanden, machten Angebote und versuchten, auf alle mögliche Art eine Verbindung mit Reber und Miß Rockefeller herzustellen.

Reber erwog alle Chancen und sichtete mit großer Umsicht. Und als die kleine Gesellschaft, die in Zürich um zwei neue Zofen bereichert war, bald darauf ihren Einzug in Berlin hielt, trug Reber in seiner Aktenmappe all die Abmachungen und Verträge, die den Erfolg ihres Abenteuers sicherten.

Sechstes Kapitel

Unter den unzähligen Bewerbern, die sich um Miß Rockefeller rissen, und die sämtlich bereit waren, Anton Rebers Bedingungen zu erfüllen, trug der Direktor der „Ika“ den Sieg davon. Es handelte sich zunächst nur um den Erwerb des Reberschen Manuskripts mit der Bedingung, daß Reber den Film mit Miß Rockefeller in der Hauptrolle auf Kosten der „Ika“ und in deren Ateliers herstelle und der „Ika“ den fertigen Film zur freien Verfügung überlasse. Aber auch in allen Besetzungs- und Propagandafragen hatte sich Reber das Bestimmungsrecht gesichert. Statt der Million Mark, die man ihm und Miß Rockefeller als Gage geboten hatte, verlangte er, ohne sich einen Mindestsatz garantieren zu lassen, eine prozentuale Beteiligung.

Wegen aller Fragen, die Miß Rockefeller betrafen, mußte sich die „Ika“ an Reber wenden. Zwar verriet Liane Laroche, die Wunderdinge von Miß Rockefeller erzählte und sich als deren beste Freundin aufspielte, mancherlei, was aber durchweg frei erfunden und nur geeignet war, die Neugier zu erhöhen und den Glauben, der übrigens keinen Augenblick gefährdet war, zu stärken.

Da Frau Marga immer erst im Atelier erschien, wenn der Umbau fertig war, die Mitwirkenden an Ort und Stelle und der Kurbelkasten in Bereitschaft standen, und sofort nach der Kurbelung wieder verschwand, so hatte während der zehntägigen Aufnahmen kaum jemand ein Wort mit ihr gesprochen.

Sie beschränkte sich darauf, wenn sie kam und ging, ihren Kollegen die Hand zu drücken und sie mit großer Herzlichkeit nach ihrem Befinden zu fragen. Und als einer der männlichen Stars, der sich vergeblich um sie bemüht hatte, eines Tages eine abfällige Bemerkung machte, da verteidigte Liane ihre Freundin und sagte:

„Für sie ist diese Einsamkeit am schlimmsten. Aber sie muß.“

„Warum muß sie?“ fragte der; worauf Liane, der gerade nichts anderes einfiel, geheimnisvoll erwiderte:

„Der Prinz von Wales.“

Diese Worte wurden vom Atelier aus in allen möglichen Nuancen weitergeleitet. Im Filmklub, auf der Filmbörse und in den Cafés platzten bereits am selben Abend die Meinungen hart aufeinander, Freundschaften gingen in die Brüche, und Wetten in Höhe von Monatsgagen wurden abgeschlossen: War der Prinz von Wales der Freund der Miß Rockefeller oder war sie seine Braut? — Die weibliche Mehrheit plädierte für ein Verhältnis, während das Gros der Männer an eine eheliche Verbindung glaubte.

Die Ika benutzte — auf Rebers Anregung — die Gelegenheit zu einer öffentlichen Kundgebung und verbreitete folgende Notiz:

„Der Sekretär der Miß Rockefeller ersucht uns, das Gerücht von einer ehelichen Verbindung der Miß mit dem ihr völlig unbekannten Prinzen von Wales zu dementieren. — Gleichzeitig legt der Sekretär Wert auf die Feststellung, daß der Aufenthalt der Miß Rockefeller ausschließlich künstlerischen Zwecken dient. Daher sind alle Nachrichten, die ihren Namen in Verbindung mit politischen und wirtschaftlichen Fragen bringen, frei erfunden.“

Die natürliche — und von Reber beabsichtigte — Folge dieser „Berichtigung“ war, daß nun erst recht alle an eine Verbindung zwischen Miß Rockefeller und dem Prinzen von Wales glaubten und ihre politische Tätigkeit, von der bisher nie und nirgends die Rede gewesen war, eifrig diskutierten. — So eifrig, daß selbst das Auswärtige Amt horchte und in Aktion trat.

Geheimrat von Stuck beriet sich mit den für Washington und London bestellten Geschäftsträgern, Baron von Simpeln und Herrn von Trott und zog — worin er eine Konzession an den Geist der neuen Zeit sah — auch Doktor Deichler zu der Beratung hinzu.

Geheimrat von Stuck hatte die Kreuz-Zeitung vor sich und las die Berichtigung der Ika vor.

„Dies Dementi“, meinte der Geheimrat, der als Diplomat der alten Zunft gewohnt war, aus jeder Nachricht das Gegenteil von dem herauszulesen, was sie enthielt, „macht mich stutzig.“

„Ich halte das für gänzlich ausgeschlossen“, erklärte Simpeln, worauf von Trott erwiderte:

„Ich auch.“

„Das monarchische Prinzip,“ fuhr Simpeln fort, „das durch den Weltkrieg leider starken Erschütterungen ausgesetzt war ...“

„Leider!“ stimmte von Trott bei.

„... kann nur durch engsten Zusammenschluß aller monarchisch Gesinnten wieder gefestigt werden.“

„Ganz meine Meinung“, erklärte von Trott.

„Der englische König wird daher nicht so töricht ...“ — er erschrak — „wollte sagen, so wenig einsichtsvoll sein — es gibt ja Prinzessinnen in Fülle — allein in Deutschland zur Zeit siebenundzwanzig“ — und er zählte sie, während von Trott andächtig zuhörte, der Geheimrat unruhig wurde und Deichler Akten las, der Reihe nach auf. „Alle die,“ fuhr er fort, „kommen als ebenbürtig für eine Ehe mit dem englischen Thronfolger in Frage. Warum sollte er da so töricht ...“ — er erschrak — „wollte sagen, so wenig einsichtsvoll sein und in eine bürgerliche Ehe willigen?“

„Ich muß da widersprechen“, sagte jetzt Deichler zum nicht geringen Erstaunen der Herren. „Wenngleich auch ich dies Gerücht nicht ernst nehme ...“

„Oho!“ widersprach der Geheimrat. „Man muß in der Politik alles ernst nehmen. Man erlebt da oft Unmögliches.“

„Sehr wahr!“ erwiderte Deichler aus voller Überzeugung. Und die drei Herren sahen nicht den spöttischen Zug um seinen Mund. „Ich möchte jedoch zu erwägen geben, ob nicht vielleicht gerade Klugheit den englischen König bestimmen könnte ...“

„Aber! aber!“ widersprach von Trott und war ganz ungehalten. Baron Simpeln meinte:

„Der englische König ist ja kein Trottel.“

„Darf ich sprechen?“ fragte Deichler.

Die beiden Herren nickten, und Deichler fuhr fort:

„Ein Königtum auf demokratischer Grundlage ...“

„Ist ein Widerspruch in sich selbst“, unterbrach ihn Simpeln, worauf ihn Deichler sehr bestimmt berichtigte und sagte:

„O nein, Baron Simpeln! vielmehr eine Tatsache! — Und wenn Sie mir gestatten wollen, auszusprechen — ich war im Begriff zu sagen: ein Königtum auf demokratischer Grundlage wie das englische kann angesichts der Entwicklung, die sich augenblicklich in der Welt vollzieht, gar nichts Vernünftigeres tun als eine bürgerliche Ehe befürworten. Aus politischen und monarchischen Gründen.“

„Aber! — aber!“ rief von Trott empört und schüttelte den Kopf.

„Freilich!“ fuhr Deichler fort, „ob nun eine Rockefeller gerade die geeignete ist, das möchte ich bezweifeln.“

„Wenn’s nach Ihnen ginge,“ meinte Simpeln, „dann müßte es wohl gleich ein Pastorentöchterchen oder eine Barmaid sein.“

v. Trott lachte, klopfte ihm auf die Schultern und sagte:

„Ausgezeichnet, Simpeln! Am Ende gar Fräulein Ebert.“

Und nun lachten alle drei so laut, daß Deichler, um sich verständlich zu machen, schreien mußte:

„Ich weiß nicht,“ sagte er, „was gegen eine Pastorentochter oder ein Fräulein Ebert einzuwenden wäre.“

„Verehrter Herr Doktor“, erwiderte Simpeln. „Zwischen uns ist keine Verständigung möglich, uns trennt eine Welt.“

„Hier handelt es sich um die Sache, nicht um uns.“

„Na,“ meinte Baron Simpeln, „was die Sache anbelangt, das werden wir gleich haben.“

„Was wollen Sie tun?“ fragte der Geheimrat.

„Den englischen Geschäftsträger zu einer offiziellen Erklärung veranlassen.“

„Ausgezeichnet!“ stimmte von Trott zu.

„Zu welchem Zweck?“ fragte Deichler.

Alle drei sahen ihn verdutzt an.

„Zweck?“ wiederholte von Trott. „Eine höchst sonderbare Frage!“

Das fanden auch die andern.

„Ja, würden Sie denn dieser offiziellen Erklärung Glauben schenken?“ fragte Deichler.

Baron Simpeln und von Trott lachten laut.

„Nehmen Sie’s nicht übel, Doktor“, rief von Trott. „Aber Sie sind naiv! Einer englischen offiziellen Erklärung Glauben schenken? Nee! Da wären wir weit jekommen!“

Deichler glaubte, er verstände nicht recht; aber Simpeln überzeugte ihn schnell vom Gegenteil.

„Haben Sie schon mal was von englischer Mentalität gehört?“ fragte er.

„Wozu also eine Erklärung veranlassen, der Sie doch nicht glauben?“ fragte Deichler.

„Wenn man in der hohen Politik alles ausschalten wollte, was Lüge ist,“ erwiderte der Geheimrat, „dann könnte das gesamte Beamtenheer vom Minister abwärts auf Urlaub gehen.“

„Sehr richtig!“ stimmte von Trott bei und sah Doktor Deichler überlegen an. „So einfach, wie Sie es sich denken, ist die hohe Politik nicht.“

„Ich habe aber noch eine andere Frage“, wandte sich der Geheimrat an Baron Simpeln: „Meinen Sie, daß es in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht irgendwie von Nutzen und Interesse sein kann, mit dieser Miß Rockefeller in Verbindung zu treten?“

Der für Washington bestimmte Geschäftsträger klemmte sein Monokel ein und überlegte. Dann sagte er, der Bedeutung seiner Worte bewußt:

„Das ist schwer zu sagen. — Gewiß! die Rockefellers spielen eine Rolle — aber da es drüben bekanntlich keine Rangstufen gibt, so weiß man nicht recht, wo man sie einrangieren soll. — Jedenfalls vergibt man sich nichts! — Ich selbst habe sogar die Absicht, drüben mit diesen Kreisen Fühlung zu nehmen.“

„Ganz meine Ansicht!“ sagte von Trott. „Unsere Zeit fordert vorurteilslose Diplomaten. Man bleibt ja darum doch, wer man ist.“

„Ich stelle also fest, meine Herren,“ erklärte Geheimrat von Stuck und erhob sich, „daß in unseren Auffassungen vollkommene Übereinstimmung herrscht.“

Damit war die Beratung beendet.

Draußen sagte von Trott zu Baron Simpeln:

„Ein völlig unpolitischer Kopf, dieser Deichler.“

„Wo soll er’s auch herhaben“, erwiderte der. „Vater war, glaube ich, Anwalt. Nächstens werden sie uns noch Veterinärssöhne ins Auswärtige Amt setzen.“

„Und dann wundern sie sich, wenn der Karren schief geht.“ —

Der englische Geschäftsträger aber dementierte:

„Zwischen dem Prinzen von Wales und der zurzeit in Berlin weilenden Miß Rockefeller besteht, wie auch von seiten der Miß Rockefeller ausdrücklich erklärt wird, kein Zusammenhang irgendwelcher Art.“

„Nach dieser amtlichen Erklärung,“ sagte Deichler zu seiner Frau, „wirst du keiner Behörde der Welt jemals mehr klarmachen können, daß du Frau Marga Deichler und nicht Miß Rockefeller bist.“

„Mithin,“ erwiderte die, „kann das Spiel beginnen.“

Und es begann.

Eines Tages prangte in sämtlichen Berliner Zeitungen auf ganzseitigen Inseraten, auf Riesenplakaten an den Säulen und in allen illustrierten Blättern das Bild Miß Rockefellers, von expressionistischer Hand entworfen, so daß selbst Papa Rockefeller auf die Frage, ob das seine Tochter oder eine seiner zahlreichen Verwandten sei, nicht mit „ja“ oder „nein“ hätte antworten können.

Das war drei Tage vor der ersten Vorstellung. Gleichzeitig wurde der Vorverkauf für die ersten zehn Abende mit einem Aufschlag von hundert Prozent eröffnet. Und am Mittag des gleichen Tages gab es keine Eintrittskarten mehr. Trotzdem wurde die Reklame in derselben Form fortgeführt. Und am Morgen der Erstaufführung ließ die Ika in sämtlichen Blättern verbreiten, daß Miß Rockefeller dem Drängen ihrer Familie nachgegeben und die Vorführung ihres Films gegen Zahlung der vereinbarten Konventionalstrafe von dreieinerhalben Million untersagt habe.

Die Folge war, daß das Ikagebäude eine Stunde später von Filmenthusiasten umlagert war. Die einen tobten gegen die Gesellschaft, die andern gegen Miß Rockefeller, und ein Witzbold, der dem Schriftsteller Anton Reber verteufelt ähnlich sah, plädierte dafür, daß Miß Rockefeller die moralische Pflicht habe, den Film laufen zu lassen oder aber dieselbe Entschädigungssumme, zu der sie sich der Gesellschaft gegenüber verpflichtet habe, auch an die Inhaber von Eintrittskarten, als Ersatz für ihre getäuschten Hoffnungen, zu zahlen. Der Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen, und der Zug der Enttäuschten setzte sich über den Potsdamer Platz nach den Linden zu in Bewegung, da Miß Rockefeller, wie ein Herr zu wissen angab, im Bristolhotel, Unter den Linden, wohne. Unterwegs tauchten in dem Zuge, dem sich ständig Neugierige anschlossen, plötzlich große Plakate mit der Aufschrift: „Miß Rockefeller, spiele oder zahle!“ auf. Niemand von den Teilnehmern wunderte sich oder fragte, wo diese Plakate plötzlich herkamen.

Obgleich der Hoteldirektor die feierliche Versicherung abgab, daß zu seinem aufrichtigen Bedauern Miß Rockefeller nicht Gast seines Hauses sei und zum Beweise die Hotelliste vorlegte, gab sich der Verhandlungsführer, eben jener junge Mann, der Herrn Reber zum Verwechseln ähnlich sah, mit dieser Erklärung nicht zufrieden und erklärte:

„Natürlich wohnt sie, um nicht überlaufen zu werden, unter einem Pseudonym!“

Alle Versicherungen des Direktors blieben erfolglos, obschon der Herr, der für das Bristolhotel plädiert hatte, längst verschwunden war. Da sich draußen immer mehr Publikum ansammelte und die im Takt hervorgebrachten Rufe: „Miß Rockefeller, spiele oder zahle!“ immer lauter wurden, so willigte der Direktor unter diesem Zwange schließlich ein, daß der Verhandlungsführer und eine Dame, die gebrochen Deutsch sprach und fortgesetzt versicherte, Miß Rockefeller persönlich zu kennen, die im Hause befindlichen Amerikanerinnen in seiner Begleitung aufsuche.

„Aber Sie klopfen nur an und stecken den Kopf hinein“, bat der Direktor.

Der Verhandlungsführer versprach’s. Natürlich standen des Lärms auf der Straße wegen alle Hotelgäste an den Fenstern und waren, zumal die Amerikaner, äußerst neugierig zu erfahren, was diese Berliner da unten von ihrer Miß Rockefeller wollten.

Während in den ersten Zimmern, in die sie der Direktor führte, schon das Alter der darin befindlichen Damen die Wahrscheinlichkeit der Identität mit Miß Rockefeller ausschloß, trafen sie am Ende der zweiten Etage in einem Appartement von mehreren Zimmern eine allerliebste Amerikanerin in tiefstem Negligé.

Auf die Frage des Verhandlungsleiters, ob sie Miß Rockefeller sei, zeigte sie die Zähne und lachte.

Und als er die Frage, die ihr schmeichelte und sie äußerst belustigte, wiederholte, setzte sie eine schelmische Miene auf und erwiderte:

„Warum nicht?“

Nun trug ihr der Verhandlungsführer den Sachverhalt vor. Die Miß bog sich vor Vergnügen.

„Miß Rockefeller — Filmdiva — Schmerzensgeld!“ wiederholte sie und war entzückt von diesem Erlebnis, das ihr in Chikago drei Winter lang als Unterhaltungsstoff dienen konnte.

„Sind Sie bereit zu zahlen?“ fragte der Verhandlungsleiter und nannte die Summe.

„Aber ja!“ erklärte sie. „Herzlich gern!“ trippelte an den Schreibtisch und nahm das Geld, das in Dollarnoten ein winziger Betrag war, heraus.

Der Verhandlungsleiter und die begleitende Dame traten jetzt an das Fenster, öffneten es und verkündeten das Resultat ihrer Bemühungen. Die immer weiter angewachsene Masse unter den Linden brüllte laut Beifall und verlangte stürmisch, Miß Rockefeller zu sehen. Die trat strahlend ans Fenster und wurde bejubelt.

„Ziehen Sie sich schnell etwas über!“ rief ihr der Verhandlungsleiter zu, der sofort sah, daß er eine extravagante Amerikanerin vor sich hatte. „Aber nicht zuviel! und kommen Sie mit!“

„Wohin?“ fragte die Miß.

„Das Volk wird Sie im Triumph durch die Straßen tragen.“

Der Gesichtsausdruck der Miß verklärte sich. Sie stieg in eine rohseidene blaue Pyjama und folgte zur Verblüffung des Hoteldirektors und der begleitenden Dame, die, wir wollen’s gestehen, Liane Laroche war, dem Verhandlungsführer, hinter dem sich Anton Reber verbarg, über Korridor, Treppen und Vestibül auf die Straße. Ein paar Worte von ihm genügten, die Miß war auf die Schultern von ein paar Studenten gehoben, und unter stürmischen Hochrufen auf Miß Rockefeller ging es durch die belebtesten Straßen Berlins bis zum Bureauhaus der Ika.

Nach den militärischen Umzügen der letzten Zeit war der Anblick dieses Zuges mit der bildhübschen Amerikanerin in der blauseidenen Pyjama ein ebenso ungewohnter wie angenehmer Anblick. Kein Wunder, daß die Kodaks von Amateuren und Berufsphotographen die Gelegenheit nutzten. Und schon am nächsten Tage kamen Tausende von Ansichtskarten mit der Unterschrift: „Die Filmdiva Miß Rockefeller hält ihren Einzug in Berlin“, in den Handel. Und kluge Leute erkannten sie auf Grund der Ähnlichkeit mit den Plakaten auch sofort wieder.

Vor dem Geschäftshause der Ika in der Köthener Straße nahmen auf Rebers Veranlassung Angestellte des Betriebes den Studenten die süße Last ab und trugen die Amerikanerin, die fortgesetzt nickte und Handküsse warf, unter dem Beifallsjubel der Menge ins Haus. Plakate an sämtlichen Fenstern verkündeten kurz darauf, daß Miß Rockefeller den Berlinern zuliebe ihren Einspruch gegen die Vorführung des Films zurückgezogen habe.

Der Direktor der Ika, dem Reber den Vorfall meldete, war entzückt über diese aparte und kostenlose Reklame und bat Reber, mit dem er bereits über die Stellung eines Dramaturgen verhandelte, gleichzeitig als Chef der Propaganda in die Gesellschaft einzutreten.

„Einen Mann mit neuen Ideen brauchen wir!“ sagte er. „Und die haben Sie! Von diesem Umzug wird morgen ganz Berlin sprechen. Und sollte es selbst herauskommen, daß es eine falsche Rockefeller war, so wird das Reiz und Neugier nur erhöhen. Je mehr falsche Miß Rockefellers herumlaufen, um so höher wird die eine echte im Werte steigen!“

„Ganz meine Meinung!“ erwiderte Reber. „Die Rockefellerei muß epidemisch werden.“ — Sein Gedankengang aber, den er für sich behielt, war, daß der alte Rockefeller beim Anblick des Bildes eines weiblichen Familienmitglieds, das sich als Filmdiva in blauseidener Pyjama von Studenten durch die Straßen Berlins tragen ließ, einen geharnischten Protest erlassen und betonen werde, daß diese Amerikanerin sich zu Unrecht den Namen einer Miß Rockefeller aneigne. Diesem Protest werde sich dann die Ika im Namen und im Interesse ihrer Miß Rockefeller anschließen. Und in dieser gemeinsamen Kundgebung läge dann die Bestätigung der Echtheit Frau Margas durch das Rockefellersche Familienhaupt.

Der Direktor ließ sich die Amerikanerin vorführen. Seine Absicht, Empörung zu heucheln, hielt dem Eindruck, den diese reizende Person auf ihn machte, nicht stand. Er lud sie ein, sich zu setzen und sagte:

„Ich freue mich sehr — aber Sie haben uns einen bösen Streich gespielt.“

Sie ignorierte das völlig und erwiderte:

„Ich habe mich himmlisch amüsiert! das war ein Erlebnis! Und dabei so billig!“

„Hoffentlich haben Sie sich nicht erkältet.“

„Ich bitt’ Sie! auf den Schultern Ihrer Studenten sitzt man wie auf einem elektrischen Ofen.“

„Was sagen wir aber der Miß Rockefeller?“

„Mama wird mich schön suchen.“

„Eine Mama haben Sie auch?“

„Die sollten Sie kennen! die ließe mich am liebsten mit undurchsichtigen Schleiern herumlaufen.“

„Und dann machen Sie in dem Kostüm einen Umzug durch die Stadt! Da wird die Frau Mama ja ihre Freude haben!“

„Ich? wie kommen Sie darauf? Sie verwechseln mich, scheint’s, mit Ihrer Miß Rockefeller.“

„Ah so! ich verstehe! — Aber wenn die Blätter nun außer dem Bericht auch Ihr Bild bringen?“

„Dann wird Mama die Miß Rockefeller wegen Mißbrauchs und Beleidigung verklagen.“

„Das kann ja nett werden!“

„Aber wie komme ich nun nach Haus?“

„Ich lasse Ihnen einen Wagen holen.“

„Ja, was denken Sie! ich kann doch unmöglich in dem Aufzug auf die Straße und ins Hotel zurück!“ erwiderte sie nicht ohne Vorwurf.

Der Direktor mußte lachen. Eine derartige Mentalität war ihm denn doch noch nicht begegnet.

„Aber hierher ging’s“, sagte er.

„Das war Miß Rockefeller und ging mich nichts an.“

„Wie kamen Sie überhaupt dazu, sich als Miß Rockefeller auszugeben?“

„Man hat mich drum gebeten. Warum sollte ich den Leuten den Gefallen nicht tun? Und dann: als man bei mir eindrang, stand ich in — Unterhosen.“

Dem Direktor schien der Zusammenhang nicht ganz klar zu sein.

„Ich weiß nicht,“ fuhr sie fort, „ob Sie ermessen können, was es für eine Amerikanerin bedeutet, in — Unterhosen vor einem fremden Mann zu stehen.“

„Gewiß! das ist für jede Frau peinlich, — nicht nur für eine Amerikanerin.“

„Nun also! dann werden Sie auch begreifen ...“

Der Direktor schüttelte den Kopf.

„Ich war also heilfroh, daß man mich für jemand anderes hielt. Denn als Miß Rockefeller konnte es mir ja gleichgültig sein, wie ich dastand.“

Der Direktor rückte seinen Stuhl etwas näher an den der Miß heran. Sie hatte die Beine über­einander­geschlagen. Die blauseidene Hose reichte ihr kaum bis zum Knie. Er beugte sich nach vorn und fuhr mit der Hand über ihr Bein, das schön geformt war und in schwarzseidenen Strümpfen steckte.

Die Amerikanerin sprang entsetzt auf und rief laut:

„Was fällt Ihnen ein! — Ich bin eine Dame! Bin Amerikanerin! Sie scheinen nicht zu wissen, was das heißt!“

Der Direktor blieb vollkommen ruhig, breitete die Arme aus und sagte:

„Doch! — Aber ich kann mir nicht helfen, Miß Rockefeller! ich liebe Sie!“

Da stutzte die Miß, die eben noch ehrlich entrüstet war, lächelte, sah den Direktor an und warf sich ihm in die Arme.

Und als die junge Amerikanerin eine halbe Stunde später stolz, steif und feierlich in einem langen Abendmantel, mit Hut und Schleier in das Hotel zurückfuhr, lachte der Direktor, der ihr vom Fenster aus nachsah, und dachte: also auch das Schamgefühl hat die Bourgeoise ihren Gesetzen unterworfen.

Daß nach allem Vorangegangenen die Erstaufführung des Films „Lily Adams Kampf mit vier Männern“ nach dem gleichnamigen Roman von Anton Reber mit Miß Rockefeller in der Hauptrolle sich zur Sensation des Jahres gestalten würde, war vorauszusehen. An der Berliner Börse, wo seit Tagen die tollsten Gerüchte über einen amerikanisch-deutschen Milliardenfilmtrust zirkulierten, tat man, als ob die Angelegenheit ausschließlich sie anginge. Die sogenannte Berliner Gesellschaft wiederum, die sich in ihrer Unsicherheit längst nach einem Gipfel und Götzen sehnte, dem nachzuleben sich lohnte, faßte es als das gesellschaftliche Ereignis, das kommen mußte. Für die Branche schließlich bedeutete es eine Art Revolution, zu der sie Stellung nehmen mußte, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Kein Wunder also, daß zu der sogenannten Presseaufführung die wenigen verfügbaren Einlaßkarten an der Börse mit tausend Mark und mehr gehandelt wurden. Die besten Plätze in der Philharmonie waren in kluger Voraussicht der Presse gewidmet. Sie saßen im Rang auf den ersten Reihen, vor den Ministern, denen man unauffällig zu verstehen gab, daß die hintersten Plätze im Kino bekanntlich die besten seien. Und da es sich um Minister handelte, so glaubten sie’s. Auch daß sich die Journalisten vor ihnen auf bequemen Sesseln rekelten, während sie mit ihren Damen auf eng aneinander gereihten schmalen Stühlen saßen und sich anstrengen mußten, von dem tausendköpfigen Parkett bemerkt, erkannt und bestaunt zu werden, änderte daran nichts. Und als ein besonders ehrgeiziger Journalist, der bei den Verteilungen der Portefeuilles bisher vergessen worden war, der Frau eines Ministers seinen Sessel anbot, lächelte deren Gatte staatsmännisch klug und lehnte ab. In den Seitenlogen saßen, von Reber mit feinem Takt verteilt, immer je ein Bankdirektor, eine Filmdiva, ein Theaterdirektor, ein Großindustrieller und eine Schauspielerin. Und das Parkett zerbrach sich den Kopf und stritt sich, wie sie zusammengehörten.

In der Proszeniumsloge waren die drei vorderen mit Orchideen und Maréchal Niel-Rosen geschmückten Plätze frei. Auf sie konzentrierte sich natürlich das allgemeine Interesse. Dahinter saß, neben dem Direktor der Ika und dem Leiter einer Großbank, die eigens aus Rom herbeigeeilte Bertini. Überhaupt fiel auf der internationale Charakter. So saß die Porten zwischen Max Reinhardt und einem riesigen Türken. Eine schlanke Ägypterin, neben einem fetten Börsianer und dem Führer der Expressionisten, zog beständig ihre lange Kette mit den erbsengroßen Perlen durch die weißen Zähne. In drei Logen nebeneinander saßen, ohne sich zu bewegen, Amerikaner mit ihren Damen. Nur wenn es auf irgendein Klingelzeichen hin für einen Augenblick ruhig im Saale wurde, hörte man sie ganz laut Englisch sprechen. In einer anderen Loge saßen ausschließlich Japaner. Sie gackerten wie die Gänse, und eine ihrer Damen, die ganz weiß gepudert und kunstvoll frisiert war, vertrieb sich die Zeit bis zum Anfang damit, daß sie ihr kleines Spitzentuch mit dem Rufe: „ju-u!“ einem zwei Reihen hinter ihr sitzenden Japaner zuwarf, der es ihr mit einer tiefen Verbeugung immer wieder überreichte. Das Publikum staunte, beruhigte sich aber damit, daß hier und da jemand erläuternd sagte: „Jana Takka, die japanische Diva.“ In Wirklichkeit hatte Reber die ganze Gesellschaft auf einem Dresdener Rummel aufgelesen und sie, wie viele andere, hier als Publikum zur Schau gestellt. So wirkte eine Loge, in der ein halbes Dutzend kostbarer Fächer von schönen Spanierinnen fortgesetzt in Bewegung gehalten wurde, wie das Bild eines berühmten Meisters. Unechtes wechselte geschickt mit Echtem; und das gab wirksame Kontraste, über deren Ursache sich bei der bunten Fülle der Gesichte niemand klar war.

Für viel Geld hatte man sich einen berühmten Dirigenten mit seinem Orchester verschrieben. Als der eben zum Taktstock griff, erschien in der Proszeniumsloge an der Seite Anton Rebers Liane Laroche.

Das Publikum trampelte und klatschte.

Nur die Amerikaner in ihren Logen rührten sich nicht.

Liane Laroche trat an die Brüstung, ließ sich anstaunen und verneigte sich. Alles an ihr war bestes Paris. Bei Paillard und in der Großen Oper hätte sie neben Suzanne Desprès und der Prinzessin d’Arenberg bestanden.

Da sich aber die Amerikaner völlig passiv verhielten, Liane sich rechts, Anton links an die Rampe setzten und den mittleren, etwas erhöhten Sessel frei ließen, so erkannte das Publikum seinen Irrtum und beruhigte sich.

Der Dirigent schlug auf das Pult; der Saal verdunkelte sich, nur das Orchester und die daranstoßende Proszeniumsloge blieben hell. Alles sah zu dem leeren Sessel, an den Reber alle paar Augenblicke rührte, um die Neugier immer mehr aufzustacheln.

Schluß der Ouvertüre. Der Dirigent tritt ab. Das Licht im Orchester erlischt. Ein Paar matte Lampen lassen nur noch die Konturen Lianes und Anton Rebers erkennen. Da wird in der vom Flur aus erleuchteten Tür der Loge für einen Augenblick Frau Marga sichtbar.

Ein allgemeines „Ha!“ flutet durch den Saal.

Die Tür schließt sich hinter ihr. Im Dunkeln bleibt nur die hohe Gestalt sichtbar. Sie läßt sich auf dem Sessel zwischen Liane und Anton Reber nieder. Die neigen sich zu ihr.

„Licht!“ ruft eine Stimme. Das Publikum nimmt den Ruf auf. Tausendfach tönt es jetzt im Saal, laut und immer lauter: „Licht!“

Ein grelles Klingelzeichen durchschneidet die Stimmen. Vom Balkon aus fällt hellgelbes Licht auf die Leinwand. Der Vorführer stellt ein; dreht:

Miß-Rockefeller-Film

Luxus-Klasse

der

Ika

Das Publikum sieht auf; beruhigt sich. Der Operateur dreht.

Lily Adams Kampf mit vier Männern

Filmdrama in sechs Akten

von

Anton Reber.

Die Musik beginnt wieder. Das Orchester bleibt unerleuchtet.

Es folgt:

„Miß Rockefeller als Lily Adams.“

Stürmisch beklatscht erscheint auf der Leinwand Frau Marga; ganz amerikanisch gekleidet; im Reisedreß. Sie geht, von ein paar Zofen und Dienern begleitet, die Ledertaschen und andere Reiseutensilien tragen, den Bahnsteig entlang und steigt in einen Salonwagen, dessen Türen ihr ein paar Bahnbeamte öffnen. Auf dem Trittbrett bleibt sie stehen und winkt mit dem New York Herald einer übermodern pariserisch gekleideten Dame zu, die mit einem Strauß Orchideen im Arm auf den Wagen zutrippelt. Die Leinwand verrät ihre Personalien.

Mademoiselle Liane de La Roche.

Das Publikum erkennt die Dame in der Proszeniumsloge und klatscht.

Mademoiselle Liane de La Roche reicht der Miß Rockefeller graziös den Orchideenstrauß und läßt sich dann von den Dienern in den Wagen heben. Miß Rockefeller und Liane stehen auf der Plattform. Ein eleganter Herr, dem ein paar Diener Manuskriptmappen und einen Kurbelkasten nachtragen, erscheint. Die Leinwand verkündet:

„Anton Reber, der Dichter und Regisseur.“

Er begrüßt die Damen und steigt zu ihnen. Das Zofen- und Dienerpersonal folgt. Der Zug setzt sich in Bewegung. Miß Rockefeller steht noch immer zwischen Liane und Anton Reber auf der Plattform und winkt der grüßenden Menge zu.

Vermutlich stellt dieser Auftakt die Abreise Miß Rockefellers nach Europa dar. Denn nachdem man einen Blick in das elegante Innere des Wagens getan hat, in dem die drei bei einer opulenten Mahlzeit sitzen, erscheint plötzlich der Hafen New Yorks, und gleich darauf sieht man die ganze Gesellschaft sich an Deck eines Schiffes begeben, das nach Europa fährt. Jeder Idiot versteht nun, um was es sich handelt; und als jetzt Miß Rockefeller als Schlußapotheose dieses sinnreichen Auftakts an Bord des Schiffes neben der amerikanischen Flagge die deutsche hißt, die sofort brüderlich vereint im Winde flattern, da bricht im Saal ein Jubelorkan los, der beweist, daß sich Miß Rockefeller die Herzen des Publikums im Sturm erobert hat. Den Vaterländern steigt die Nationalhymne in die Kehle, den Finanzleuten scheint der amerikanisch-deutsche Milliardentrust verwirklicht, Strauß und Reinhardt sehen die Böden ihrer Saves unter der Dollarflut zusammenbrechen, die Fern Andra erhebt sich, will etwas sagen und nimmt mit Entsetzen wahr, daß sie die deutsche Sprache verlernt hat; in den Köpfen der Journalisten reiht sich Satz an Satz für einen Leitartikel, und in der Reihe der Minister vollzieht sich das große Wunder, und bestaunt von seinen Kollegen ruft einer der Minister laut: „Ich habe eine Idee!“

In der Proszeniumsloge aber klemmt der Direktor der Ika sein goldumrändertes Monokel ein, drückt Anton Reber die Hand und sagt:

„Ich gratuliere!“

In rasendem Tempo läuft der Dreitausend-Meter-Film. Gegen Ende hin erhebt sich unbemerkt Frau Marga und verläßt die Loge. Die Musik wächst zu vollen Akkorden an. Auf der Leinwand würgt Miß Rockefeller mit Erfolg den vierten Gatten. Hinter der Lebensmüden schließen sich die Mauern des Klosters. Der Vorhang fällt. Das Licht geht an. Die Menge steht auf, ruft:

„Miß Rockefeller!“

und drängt zur Loge.

Vor die wiedererleuchtete Leinwand tritt Anton Reber und verkündet:

„Die Pariser Diva Liane de La Roche bittet um Gehör!“

Im Saal herrscht Totenstille.

Liane de La Roche erscheint. Mit forciert fremdländischem Akzent beginnt sie:

„Meine Freundin, Miß Rockefeller ...“

In den amerikanischen Logen wird ostentativ geklatscht. Obgleich niemand weiß, weshalb, klatscht daraufhin das ganze Parkett mit.

Liane de La Roche fährt fort:

„Ich wu-erde Mitteilung machen von diese Ovation meine Freundin, Miß Rockefeller. Sie läßt Ihnen durch mir grüßen von ganze Herz und wird sein überglücklich, wenn sie hat vor Sie gefunden Anerkennung für ihr Spiel.“

Der Beifall wiederholt sich. Aber dazwischen erschallen laute Rufe nach Miß Rockefeller.

„Meine Freundin, Miß Rockefeller, haben leid, nicht selbst zu danken. Aber vor die Aufregung und Arbeit bei dies Film ist Miß Rockefeller zusammengebrochen.“

Ein allgemeines „Oh!“ der Teilnahme summt durch den Saal.

Liane de La Roche tritt ab. Anton Reber erscheint wieder.

„Meine Damen und Herren! Damit Sie einen Begriff von der Arbeitsleistung der Miß Rockefeller bekommen, möchte ich Ihnen zahlenmäßig die Zuschriften bekannt geben, die sie während ihres vierzehntägigen Aufenthaltes in Berlin erhalten hat.“ — Er zog einen Zettel hervor und las: „1789 Telegramme, davon 815 aus ihrer Heimat. 114 975 Briefe, in denen Miß Rockefeller um Geld, um geschäftliche Transaktionen, um Autogramme, um ihr Bild, um Rendezvous und um Eingehung der Ehe gebeten wird. Allein die Zahl der Heiratsanträge beträgt 9517. Darunter befinden sich: 1 König, 8 Prinzen, 59 Fürsten und über 5000 Grafen und Barone. Seifen- und Parfümfirmen, Schuh-, Automobil-, Konserven-, Leder-, Handschuh-, Schokoladen-, Zigarren-, Koks-, Gummi-, Sekt-, Wein-, Likör- und Mostrichfabrikanten bieten hohe Summen, um ihren Namen und ihr Bild als Marke für ihre geschäftlichen Zwecke verwenden zu dürfen. Dutzende von Kinodirektoren versprechen für den Fall ihres persönlichen Erscheinens bei der Erstaufführung neben namhaftem Honorar, ihr Theater fortan „Miß Rockefeller-Kino“ zu nennen. Verschiedene Städte, die sich von der Freundschaft Miß Rockefellers wirtschaftliche Vorteile und Verringerung ihrer Schuldenlast versprechen, laden sie zu Besuchen ein, stellen ihr ein Schloß oder eine Villa mit Personal, Automobilen, Pferden, Wagen zur Verfügung und versprechen, bei längerem Aufenthalt Straßen und ganze Stadtteile nach ihr zu benennen. „Alle diese Gesuche,“ fährt Reber fort, „und noch eine ganze Reihe anderer, hauptsächlich industrieller Art, werden wohlwollend geprüft und, wenn irgend möglich, wird ihnen stattgegeben. Nur die 9517 Heiratsanträge mußten abschlägig — zum Bedauern Miß Rockefellers — beschieden werden, da Miß Rockefeller nur den Mann ehelichen wird, den sie liebt. Bei ihrer völligen Vorurteilslosigkeit hat bei ihr ein König keine größeren Chancen als ein Zuckerbäcker. Da aber nach dem heutigen Eintritt Miß Rockefellers in die Öffentlichkeit mit einem ungeheuren Anwachsen aller dieser Gesuche gerechnet werden muß, so ist ein Stab von vierundzwanzig Sekretären mit den Vorarbeiten betraut worden. Alle rein persönlichen Anliegen, mit Ausnahme der Unterstützungsgesuche, die eine besondere Kommission bearbeitet, sind an Mademoiselle de La Roche zu richten. Die Ika hat ihrer Diva Miß Rockefeller für alle diese Zwecke dreißig Räume ihres Geschäftshauses unentgeltlich zur Verfügung gestellt.“

Die Journalisten, für die in erster Linie ja diese Angaben bestimmt waren, hatten eifrig mitgeschrieben und an jede Zahl eine Null gehängt.

Anton Reber trat ab. Vom oberen Rang aus starteten drei kleine Flugzeuge mit der amerikanischen und deutschen Flagge, stiegen bis beinahe zur Decke hinauf und flogen dann surrend durch den Saal. Auf das Publikum ergoß sich ein Meer von Rosen, Konfekt und Bildern, die Miß Rockefeller und Liane de La Roche in den Rollen ihres ersten Films zeigten.

Das Orchester spielte einen Marsch und das Publikum tobte vor Vergnügen.

Siebentes Kapitel

Einige Nachwirkungen dieses Abends, die sich feststellen ließen, waren folgende:

I. Presse.

Der Verleger zum Chefredakteur: „Lieber Herr Doktor, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf diese Miß Rockefeller lenken. Man kann nicht wissen. Mir scheint — Sie verstehen?“

Der Chefredakteur: „Bin durchaus im Bilde, Herr Geheimrat!“

Der Verleger: „Schließlich bilden Trusts ja auch eine Schutzwehr gegen den Bolschewismus.“

Der Chefredakteur: „Ich stehe durchaus auf dem Standpunkte. Das Desinteressement Amerikas an Europa, nachdem es sich einmal, und zwar entscheidend, um es bekümmert hat, ist ein Unglück.“

Der Verleger: „Darum nehmen Sie jede Gelegenheit wahr! Diese Miß Rockefeller ist eine!“

Der Verleger geht, der Chefredakteur verbeugt sich, läßt sich den Handelsredakteur, den Leiter des Feuilletons und den Kinoreferenten kommen, setzt eine wichtige Miene auf und sagt:

„Herr Kinoreferent, wie hat Ihnen diese Miß Rockefeller gefallen?“

Dir Kinoreferent, der gerade Nutscha Natscha protegiert und dem der gewaltige Rockefeller-Rummel daher sehr ungelegen kommt, erwidert: „Ihnen gesagt, Herr Doktor, man weiß doch Bescheid!“

Der Chefredakteur (sehr unbefriedigt): „Was wollen Sie damit sagen?“

Der Kinoreferent schüttelt mit dem Kopf und redet mit den Händen, die deutlich verraten, daß er Miß Rockefeller ablehnt. Auf das Drängen des Chefredakteurs, mit dem Mund zu reden, platzt er schließlich heraus und sagt: „Nu, Nutscha Natscha hat im kleinen Zeh mehr Talent als diese Amerikanerin.“

Der Chefredakteur: „Interessiert uns nicht. Uns interessiert Miß Rockefeller, hinter der Amerika steht. Wissen Sie, was das bedeutet? — Nein! denn sonst würden Sie nicht die erste beste Diva gegen sie ausspielen. Der Chef hat mit mir gesprochen. Er verlangt, und mit Recht, von den Redakteuren eines Weltblattes, daß sie Blick für die großen Zusammenhänge zeigen.“

Der Handelsredakteur in drohender Haltung gegen den Kinoreferenten: „Daß Sie mir die Miß nicht verreißen! Daß Sie mir die Miß nicht verreißen!“

Der Kinoreferent höhnisch: „Sie haben wohl in amerikanischen Werten spekuliert?“

Der Handelsredakteur drohend: „Und Sie haben ein Verhältnis mit der Ziege Nutscha!“

Beide brüllend: „Herr Chefredakteur! Herr Chefredakteur, schützen Sie mich gegen diese Angriffe!“

Der Chefredakteur beschwichtigend: „Liebe Kollegen, der Eifer, mit dem Sie Ihre Pflicht erfüllen und verteidigen, ehrt Sie. Derartige Kollisionen zwischen den einzelnen Ressorts sind in einem derart großen Betriebe natürlich unvermeidlich. Oberstes Prinzip bleibt: Niemand darf seiner Überzeugung ein Opfer bringen!“

Der Chef des Feuilletons, der Handelsredakteur und der Kinoreferent sperren den Mund weit auf und sehen sich verdutzt an.

Der Handelsredakteur, der sich von seinem Staunen zuerst erholt: „Ja — aber!“

Der Kinoreferent: „Ja — aber!“

Der Chefredakteur zu dem Leiter des Feuilletons: „Lieber Herr Kollege, unter diesen Umständen übernehmen Sie es wohl, über Miß Rockefeller zu schreiben! Aber ausführlich! Ein Feuilleton, bei dem man warm wird! Heiß, wenn es geht! Und natürlich an erster Stelle!“

Der Leiter des Feuilletons: „Mit Vergnügen! Aber leider mußte ich gestern in die Hauptmannpremiere und konnte daher nicht ...“

Der Chefredakteur, ihm ins Wort fallend: „Um so besser. Dann können Sie ja ganz objektiv schreiben!“

Der Leiter des Feuilletons verbeugt sich. Die Herren wenden sich zur Tür.

Der Chefredakteur ruft ihnen nach: „Aber nicht wahr, meine Herren, Blick für die großen Zusammenhänge! — Und niemand darf seiner Überzeugung ein Opfer bringen!“

Die drei Herren verbeugen sich.

Der Chefredakteur: „Auf Wiedersehen, meine Herren!“

II. Ika und D.-Bank.

Der kleine, runde, mächtige Direktor Bankwitz von der D.-Bank hatte nach der Miß Rockefellerpremiere eine unruhige Nacht gehabt. Das lag einmal daran, daß ihn Anton Reber so pratschig wie nur möglich in einer der vorderen Logen zwischen einem dekolletierten Filmstar und einer Japanerin placiert hatte, vor allem aber an den finanziellen Möglichkeiten, die sich in Miß Rockefeller als Filmdiva seiner Phantasie erschlossen. Das Resultat seiner Erwägungen war, die Miß in ein Unternehmen einzufangen, das eine spätere geschäftliche Verbindung mit dem Hause Rockefeller ermöglichte.

Er fuhr früher als sonst in sein Büro und ließ sofort den Direktor der Ika zu einer dringenden Rücksprache zu sich bitten. Noch ehe die Verbindung hergestellt war, gab er Gegenbefehl und ließ fragen, wann dem Herrn Direktor sein Besuch genehm sei. Es war das erstemal, daß er ihn die Zeit bestimmen ließ und sich persönlich zu ihm bemühte. Trotzdem nahm der sehr kluge Direktor Grätz von der Ika die Bestellung als etwas Selbstverständliches entgegen und ließ, da er gerade Frau Marga und Anton Reber erwartete, antworten: „in einer Stunde!“

Und nach einer Stunde entwickelte sich zwischen Direktor Bankwitz, Anton Reber und Direktor Grätz folgendes Gespräch.

Bankwitz: „Falls Miß Rockefeller bereit ist, zusammen mit der D.-Bank und der Ika eine Miß-Rockefeller-Film G. m. b. H. zu gründen, als deren Geschäftsführer Direktor Grätz und ich bestellt werden, garantiere ich ihr für die nächsten drei Jahre ein jährliches Mindesteinkommen von fünfmalhunderttausend Mark.“

„Gegenverpflichtung?“ fragte Reber.

„Keine Beteiligung irgend welcher Art bei einer anderen Gesellschaft.“

„Wieviel Films im Jahre?“

„Darauf käme es mir weniger an!“

„Aber der Ika!“ wandte Grätz ein. „Sechs Filme im Jahr ist das Mindeste.“

„Unter hunderttausend Mark Honorar pro Film spielt Miß Rockefeller nicht.“

„Gut! Garantie sechsmal­hundert­tausend Mark,“ erhöhte Bankwitz.

„Miß Rockefeller stellt noch eine Bedingung.“

„Nämlich?“

„Sie will künftighin nicht als Miß Rockefeller, sondern unter dem Namen Cissy Hill auftreten.“

Bankwitz fuhr zurück, schlug die Hände an die Brust und brachte vor Schreck kein Wort heraus.

Grätz klemmte das goldumränderte Monokel ein und sagte vollkommen ruhig:

„Sie spaßen, Reber!“

„Sie besteht darauf!“

„Aus Rücksicht auf die Familie?“

„Vermutlich.“

Bankwitz schob sich, die Hände auf den Rand des Tisches gestemmt, in die Höhe und sagte:

„Für Cissy Hill nicht fünf Groschen.“

„Sie ist eine Künstlerin!“ verteidigte sie Reber, aber Bankwitz kniff die Augen zusammen und sagte:

„Ich pfeif’ drauf! Wir wollen Geld verdienen.“

„Nehmen Sie an,“ wagte sich Reber vor, „Miß Rockefeller wäre gar nicht Miß Rockefeller.“

„Sondern?“

„Irgend eine x-beliebige Person.“

„Dann wäre sie so gerissen, daß ich ihr daraufhin siebenmal­hundert­tausend Mark garantieren würde.“

„Und an der Tatsache selbst würden Sie keinen Anstoß nehmen?“

„Sie kann sich als Künstlerin nennen, wie sie will.“

„Solange der Träger des Namens nicht auf Unterlassung klagt.“

„Den Prozeß wünsch’ ich unserer Gesellschaft!“ sagte Bankwitz. „Die Prozeßkosten bestreite ich aus meiner Tasche.“

„Sie tun ja grade, als wäre es so,“ meinte Grätz.

„Ich wünscht’ mir’s fast.“ —

Reber gab, nachdem Bankwitz finanziell immer weiter entgegengekommen war, schließlich nach. Miß Rockefeller erhielt bei Abschluß des Vertrages eine Million Mark, die gleichzeitig als Honorar für den Film ‚Lily Adams Kampf mit vier Männern‘ galt; die Gesellschaft engagierte ferner Anton Reber als Dramaturgen und Regisseur und Liane de La Roche mit Riesengehältern und verpflichtete Bankwitz, etwaige Kosten, die Miß Rockefeller mittelbar oder unmittelbar aus ihrer Tätigkeit in der Gesellschaft entstehen sollten, persönlich zu tragen.

Als Grätz den Direktor hinausbegleitete, sagte er:

„Haben Sie nicht den Eindruck, daß da etwas nicht stimmt?“

„I Gott bewahre!“ erwiderte der Direktor. „Angst vor dem Herrn Papa! weiter nichts! — Stellen Sie die Miß nur so laut und so lärmend wie möglich heraus! Scheuen Sie keine Kosten! Der alte Herr Rockefeller muß auf Schritt und Tritt auf die Miß-Rockefeller-Film G. m. b. H. stoßen! Bis er anbeißt und wir uns mit seinen Milliarden den internationalen Filmmarkt erobern.“

Grätz lachte, drückte ihm die Hand und sagte:

„An mir soll es nicht scheitern.“

III. Im Filmklub.

„Du wirst sehen, Fern, sie macht uns tot.“

„Dich vielleicht. — Aber mich? — Ha ha ha!“

„Und wenn wir uns ihretwegen ruinieren und in unseren nächsten Films zehn neue Toiletten tragen, dann wird sie zwanzig haben.“

„Eine, die ich habe, hat sie nicht!“ erwiderte Fern überlegen. „Wird sie nie haben!“

„Was ist das für eine?“

Fern dehnte sich und erwiderte:

„Keine!“

„Sie ist auch nicht übel.“

„Zwischen nicht übel und mir ist noch ein Unterschied.“

„Ich finde, sie ist sogar dekorativ.“

„Schrei’ es nur laut, daß es alle hören!“ sagte Fern wütend.

„Ich sage es ja nur dir.“

„Mich triffst du damit nicht.“

„Das ist ja auch nicht meine Absicht. Im Gegenteil! Wir wollen Mittel und Wege suchen, dieser neuen Konkurrenz zu begegnen.“

„Liebe Butsy, du vergißt, daß mein Kopf, mein Mund, meine Augen, meine Büste, meine Figur, meine Hüften, meine Arme, Hände, Beine und Füße preisgekrönt sind. Meine Büste zwei, meine Füße sogar dreimal. Bis diese Miß mir da nachkommt, bin ich längst nicht mehr zu schlagen.“

„Aber du hast doch gehört, was ihr Impresario Reber alles verlesen hat! Schuh-, Automobil-, Konserven-, Gummi-, Handschuh-, Sekt-, Wein-, Leder- ...“

„Hör auf!“ fiel ihr Fern ins Wort. „Erstens kann das alles Schwindel sein, genau wie bei ...“ — Sie stutzte plötzlich, sah sich um, überzeugte sich, daß niemand in der Nähe stand und sagte leise: — „uns!“

„Gewiß!“ erwiderte Butsy, „ich gebe zu, wir haben die Erfahrung und Routine voraus.“

„Und dann! Ich habe noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgenutzt!“ Dabei kokettierte sie so ostentativ mit den Füßen, daß Butsy sagte:

„Aber deine Füße sind doch schon dreimal prämiiert.“

„Die schon! aber dies“ — und dabei wies sie auf eine Stelle am Hals, unmittelbar unter dem rechten Ohrläppchen — „noch nicht.“

„Was meinst du?“ fragte Butsy.

Fern beschrieb an ihrem Hals mit dem Zeigefinger eine herzförmige Figur und sagte:

„Diesen Leberfleck soll sie mir erst einmal nachmachen!“

„Ich sehe nichts!“ sagte Butsy verdutzt, und Fern erwiderte triumphierend:

„Du wirst ihn sehr bald zu sehen bekommen! Und mit dir die ganze Welt!“

„Ach so! — Ja, du bist erfinderisch! — Aber glaubst du nicht, daß zum mindesten deine Kolleginnen fragen werden, wie du nach Jahren plötzlich zu diesem kostbaren, herzförmigen Leberfleck kommst?“

„Ich bin nicht wie sie, daß ich ihnen mißgönne, was die Natur ihnen mit auf den Weg gegeben hat! Ich habe es bisher auch vermieden, mit Mitteln zu wirken, die außerhalb meiner Kunst liegen.“

Butsy staunte ihre Kollegin an. Aus der Art, in der sie das alles hervorbrachte, mußte man schließen, daß sie jedes Wort glaubte, das sie sprach.

„Daher habe ich bisher diesen Fleck,“ — und sie beschrieb genau an derselben Stelle abermals eine herzförmige Figur — „mit Fett und Puder verdeckt und von dem Schatten, der natürlich bestehen blieb, durch meine Perlen abzulenken versucht. Wäre ich nicht so dezent, ich könnte namhafte Männer, die sich an diesem Fleck berauscht haben, als Zeugen aufführen. — Übrigens ist das ein Erbteil von meiner Urgroßmutter, die bekanntlich die Frau eines mexikanischen Indianerhäuptlings war. Möglich, daß es vor Tausenden von Jahren einmal einem meiner Ahnen als Wappen unserer Familie eingebrannt wurde und sich nun immer im dritten Geschlechte fortvererbt.“

Butsy, die wußte, daß Fern ein galizisches Bettlerkind war und Mexiko nie gesehen hatte, bestaunte die Phantasie ihrer Freundin. Die fuhr fort:

„Aber ich sehe nicht ein, warum ich das Wahrzeichen meiner Familie verbergen soll, statt es hochzuhalten. Ich werde von heute ab die Stelle weder fetten, noch pudern, ich werde mir einen Siegelring mit dem Herzen, genau in der Form des Leberflecks, anfertigen lassen und ihn nie mehr vom Finger ziehen. Ich werde jedes Stück meiner Wäsche, mein Briefpapier, die Tür meines Autos, die Decken meiner Pferde, das Innere meiner Handschuhe mit diesem Zeichen versehen, um überall und immer an meine großen Vorfahren erinnert zu werden, die Kolumbus bei der Entdeckung Amerikas so hartnäckigen Widerstand leisteten, daß er bei seiner ersten Fahrt zur Umkehr gezwungen wurde! Ich sehe nicht ein, weshalb ich, die ureingeborene Amerikanerin, mich von dem ersten besten Eindringling in das Land meiner Väter an die Wand drücken lassen soll!“

„So erreg’ dich doch nicht so!“ suchte Butsy sie zu beruhigen. „Noch sitzt du ja fest im Sattel!“

„Und werde es bleiben! verlaß dich drauf! In drei Tagen wird an allen Säulen, in jeder Zeitung, in jeder elektrischen, Stadt- und Untergrund-Bahn ein Plakat mit diesem Herzen und einem großen Fragezeichen hängen, und dann wird von Woche zu Woche die Bevölkerung immer tiefer in dies Mysterium meiner Familie eindringen. Zunächst wird sie erfahren, daß es nicht das Herz der Fern ist, wenigstens nicht das körperliche, sondern das Herz ihres Stammes, mit dem sie, wie ihre Väter, auf die Welt kam und mit dem sie sterben wird.“

„Du wirst ja leben!“ tröstete Butsy. Aber Fern hörte längst nicht mehr auf sie.

„Wie konnte ich!“ rief sie laut und wiederholte: „Wie konnte ich mein Geschlecht verleugnen und bis heut die Wahrzeichen verbergen?“ — Und obgleich es in dem Filmklub, den meist Laien und Verehrer, selten Fachleute besuchten, von Menschen wimmelte, sank Fern jetzt in die Knie, schlug, wie sie es während der Aufnahme eines exotischen Films von ihrem Regisseur vor Monaten einmal gelernt hatte, die Arme zusammen, kippte nach vorn über berührte mit der Stirn die Erde und — betete.

Und da das Gebet gar kein Ende nahm, so beugte sich Butsy behutsam zu ihr herab und flüsterte ihr so, daß die Menschen, die sie umstanden, es nicht hören konnten, zu: „Und du glaubst wirklich, Fern, daß du mit diesem Leberfleck die Amerikanerin ausstechen wirst?“

Da wand sich Fern, die jetzt bestes, ihr zur zweiten Natur gewordenes Kino war, wie eine Schlange in die Höhe, ließ ihre Augen über die Menschen gleiten, sagte laut und feierlich:

„Mein Volk verläßt mich nicht!“

und stürzte erhobenen Hauptes aus dem Saal.

Und Butsy erzählte den Menschen, die neugierig auf sie einstürmten, das mexikanische Märchen, wobei sie jeden Zusammenhang mit der Miß Rockefeller verschwieg, dafür aber, da sie gebildeter als ihre Freundin Fern war, allerhand von Cortez und den Spaniern hinzulog. Und sie erreichte damit, daß man sich an diesem Abend und in der darauffolgenden Nacht statt mit Miß Rockefeller und Liane de la Roche, die überraschend viel Anhänger fand, mindestens eine Viertelstunde lang mit dem Leberfleck der Fern beschäftigte.

IV. In einem Berliner Theater.

Direktor (schlägt mit der Hand auf den Tisch, rollt die Augen).

Der Regisseur: „Mach nicht so’n Krach!“

Direktor: „Und ich sage dir, es ist eine Schande! Alle Zeitungen sind voll von ihr! Es ist das innerhalb weniger Jahre der dritte Fall, daß jemand in Deutschland seine Berühmtheit nicht mir verdankt.“

Der Regisseur: „Du übertreibst — wie immer! und in allem!“

Direktor: „So? Ich will sie dir nennen: Ludendorff, Professor Einstein und nun diese Miß Rockefeller. Dieser letzte Fall liegt besonders schwer. Noch vor acht Tagen hätte man sie der Ika vorwegentdecken können.“

Der Regisseur: „Ich werde schon einen Dreh finden.“

Direktor: „Wenn ich nach Amerika gehe ...“

Der Regisseur: „Schon gehst du.“

Direktor: „Nicht eine Stunde früher, als bis das Honorar auf einer deutschen Bank deponiert ist.“

Der Regisseur: „Ich kenn’ was Sichreres.“

Direktor: „Du meinst, ich sollte am Ende auf einer holländischen?“

Der Regisseur: „Ich rate dir zu einer japanischen. — Fällt der Mantel, fällt der Herzog. Deutschland reißt Holland mit sich.“

Direktor: „Ich sehe mich schon in Japan enden.“

Der Regisseur (schüttelt den Kopf): „Kein Feld für uns. Das Land hat eine Jahrtausende alte Kultur.“

Direktor: „Was willst du damit sagen?“

Der Regisseur: „Worin besteht denn unser Geschäft?“

Direktor (verbessernd): „Unsere Kunst.“

Der Regisseur: „Wir sind unter uns; sagen wir also: unser ‚Kunststück‘; — doch darin, daß wir Stil vortäuschen.“

Direktor: „Manchmal aber treffen wir ihn auch.“

Der Regisseur: „Das ist dann nicht unsere Schuld. Der Japaner sucht keinen Stil; er hat ihn; überall und in allem. Jeder Japaner hat ihn. Die Japanerin steckt sich eine Blume vor, und ihr Kleid blüht plötzlich wie ein Garten im Frühling. Wenn du sie fragst: warum gerade diese Blume? Dann lächelt sie und versteht dich nicht. Sie weiß selbst nicht, warum. Sie hat es im Gefühl. So instinktiv und daher so unfehlbar wählt sie das Richtige. Wählen ist schon zu viel gesagt.“

Direktor: „Japan scheidet demnach für uns aus. Aber Amerika bleibt.“

Der Regisseur: „Ein weites Feld. Da kannst du Maeterlinck und Dymow im Zirkus und die Räuber in einem Salon spielen.“

Direktor: „Was habe ich davon?“

Der Regisseur: „Nichts.“

Direktor: „Nu also! Aber wenn ich ihnen ihre Miß Rockefeller bringe.“

Der Regisseur: „Als was?“

Direktor: „Das ist völlig gleichgültig.“

Der Regisseur: „Sie kann nichts.“

Direktor: „Um so besser. So ist man nicht auf ein bestimmtes Programm beschränkt. Ich werde sie tanzen lassen. Und zwar Chopin.“

Der Regisseur: „Warum gerade Chopin?“

Direktor: „Weil sich der nicht tanzen läßt. Jede Tänzerin, die Chopin tanzt, hat ihren besonderen Stil. Sie wird Chopin à la Rockefeller tanzen; oder umgekehrt. Für die Amerikaner ist nichts umgekehrt genug.“

Der Regisseur: „Wenn sie es nur tut.“

In der Tür erscheint Hugo von Hofmannsthal, der Dichter.

Direktor (Pathos): „Gibt es in ganz Europa eine Frau, die ich für würdig befinde, und die es ablehnt, von mir in die Sphären der Kunst emporgezogen zu werden?“

Der Regisseur: „Herr! Die gibt es nicht!“

Direktor (majestätisch): „Setze dich mit ihr in Verbindung!“

Der Regisseur wendet sich unter Verbeugungen zur Tür.

Der Dichter Hugo von Hofmannsthal (unter Verbeugungen nähertretend): „Meister!“

—   —   —   —   —   —   —   —   —   —   —

Der Regisseur begegnet auf der Treppe einem sehr bekannten weiblichen Bühnenmitglied. Gegen seine Gewohnheit will er, ohne sie anzusprechen, an ihr vorbeistürzen. Sie hält ihn an seinem Rockschoß fest und ruft:

„Halloh, Alex!“

Alex, ohne sich umzuwenden, vorwärts zerrend:

„Laß mich!“

„Wo willst du hin?“

„Du scheinst nicht zu wissen ...“

„Alles weiß ich. Und noch viel mehr.“

Alex bleibt stehen und wendet sich neugierig zu ihr um.

„Was weißt du?“

„Daß unser Theater aufgekauft wird.“

„Was heißt aufgekauft?“

„Nun ja! von Miß Rockefeller und ihrem Vater.“

Er packt sie am Arm.

„Wer hat dir das gesagt?“

„Ganz Berlin spricht davon. Der Direktor geht nach Amerika ...“

„Und die Gebäude nimmt er auf dem Buckel mit sich.“

„I Gott bewahre! Die leitest in seiner Abwesenheit du.“

„Von wem hast du das?“

Das Mitglied lächelte.

„Ich beschwöre dich, sage mir, von wem du das hast.“

Er zerrt an ihr.

„Rate!“

„Kulissengeschwätz?“

„Von ihrer besten Freundin.“

„Wer ist das?“

„Liane de La Roche.“

„Kennst du sie?“

„O ja!“

„Du mußt mich mit ihr zusammenbringen.“

„Sie sitzt unten.“

„Wo?“

„In deinem Vorzimmer!“

„Maria!“

„Alex!“

Sie fallen sich in die Arme. Gleich darauf ruft er:

„Laß los!“

Er stürzt die Treppen hinunter. Sie beugt sich über das Geländer und ruft:

„Alex!“

Der Regisseur in vollem Galopp:

„Was?“

„Ich bitt’ mir aus ...“

Der Regisseur, immer vorwärts stürmend, erhebt den linken Arm, während er sich mit dem rechten an dem Geländer hält:

„Ich schwöre!“

*     *     *

Der Regisseur steht Liane de La Roche gegenüber, die zurückgelehnt in einem Sessel sitzt und sich in dem gegenüberliegenden Spiegel betrachtet.

Der Regisseur: „Liane de La Roche! (verbeugt sich) Ich hatte ja keine Ahnung! (Reicht ihr die Hand.) Welch eine Überraschung!“

Liane: „Sie versperren mir die Aussicht.“

Der Regisseur (tritt zur Seite, sieht in den Spiegel): „Sie haben Recht!“ — (Sie im Spiegel betrachtend.) „Wenn es einen Maler gäbe, der das träfe! — Übrigens ich weiß einen! Einen Freund von mir! Hochtalentiert! Wenn Sie sich heute von ihm malen lassen, kostet Sie das Bild sechstausend Mark. In fünf Jahren ist es das Dreifache wert. Wenn Sie wollen (geht an den Apparat), sprech’ ich mit ihm. Haben Sie heut’ nachmittag Zeit, ihm zu sitzen?“ (Nimmt Hörer ab, nennt Nummer.)

Liane: „Wer ist das?“

Der Regisseur: „Das werden Sie gleich hören.“ — (In den Apparat.) „Hallo! Bist dus, Martin? Also, ich habe einen Auftrag für dich, durch den du mit einem Schlage berühmt wirst.“

Liane: „Aber hören Sie ...“

Regisseur: „Denk dir, Liane de La Roche, die Freundin der Miß Rockefeller! Ein Bild von einer Frau! — Sie sitzt bei mir. Die Frau mußt du in einem Bilde festhalten für alle Ewigkeit. — Verstanden! Ein Museumsstück muß das werden.“

Liane: „Aber ich bitt’ Sie ...!“

Regisseur: „Ich habe alles mit ihr vereinbart. (Zu Liane gewandt.) Nicht wahr, um drei Uhr sagten Sie?“

Liane: „Unmöglich!“

Regisseur (in den Apparat): „Also um vier. (Zu Liane.) Die Gelegenheit kehrt nie wieder! Sie werden mir ewig dankbar sein. (In den Apparat.) Also, Martin, blamier’ mich nicht! — — Ja, so bin ich! Lebwohl!“

Liane: „Wie kommen Sie bloß auf die Idee ...?“

Regisseur: „Eine berühmte Frau muß sich von Martin Leffler malen lassen. Glauben Sie mir, das gehört dazu! Nach dem Porträt lassen wir dann Postkarten in Kunstdruck herstellen. Das, was da gestern in der Philharmonie verabreicht wurde, war völlig unzulänglich. Gerade das Charakteristische an Ihnen, Liane“ — dabei fuhr er ihr mit der Hand über Stirn und Wangen — „sehen Sie, diese Partie kam gar nicht heraus. Dabei ist sie das Schönste an Ihnen.“ — Er wollte den Arm um ihre Schulter legen, aber Liane sprang auf und sagte:

„Wollen Sie mir denn nicht wenigstens vorher sagen, wer Sie eigentlich sind?“

Der Regisseur lachte und stellte sich vor.

„Und Sie fragen mich gar nicht, weshalb ich komme, was ich will?“ fragte Liane.

„Sie sind seit gestern berühmt. Sie wollen berühmter werden. Die Welt des Kinos genügt Ihnen nicht. Wir sollen die Diva mit dem Glorienschein echter Kunst umgeben. Nun, hab’ ichs erraten?“ rief er und breitete die Arme nach ihr aus.

„Ja!“ erwiderte Liane freudig.

„Also! Warum zögert Ihr? Wir sind bereit! Unser Reich steht Euch offen!“

Liane schwankte noch einen Augenblick. Dann warf sie sich ihm in die Arme.

Am Abend desselben Tages noch brachten die Zeitungen die Notiz, daß Miß Rockefeller und Liane de La Roche durch besonderes Entgegenkommen der Ika von Direktor Weichart für seine amerikanische Tournee gewonnen worden seien. Auf der Börse.

V. Auf der Börse.

Es war ein Tohuwabohu in des hebräischen Wortes wahrster Bedeutung. Alle schrien und stellten Behauptungen auf. Aber nur zwei unter diesen Tausenden von Menschen wußten etwas — oder glaubten, etwas zu wissen. Alle anderen blufften.

Der kleine, runde Bankier aus Luzern inmitten eines erregten Knäuels von Menschen: „Ich habe in Luzern vier Wochen lang jeden Abend mit Miß Rockefeller soupiert.“

Geschrei der Makler.

Deutsche und amerikanische Werte steigen.

Gerüchte: Rockefeller investiert eine Milliarde bei der Deutschen Bank.

Frankreich erhebt Protest.

Miß Rockefeller ist die Geliebte des Prinzen von Wales.

Geschrei der Makler.

Wogegen Frankreich protestiert, bleibt unermittelt.

Rockefeller schifft sich in New York ein.

Deutsche Werte steigen.

Der Bankier aus Luzern: „Ich habe ganze Nächte bei Miß Rockefeller verbracht.“

Liane de La Roche hat mit Kommerzienrat Fr. bei Hiller soupiert.

Geschrei der Makler.

Rockefeller verhandelt in London wegen eines amerikanisch-englisch-deutschen Filmtrusts.

Deutsche Werte steigen.

Der Exkönig von Portugal hält um Miß Rockefellers Hand an.

Der amerikanische Impresario Rachmann hat den deutschen Kronprinzen für einen Vortragszyklus durch Amerika engagiert.

Deutsche Werte steigen.

Gebrüll der Makler.

Rockefeller in Hamburg gelandet.

In Tokio kam es bei der Vorführung des Rockefeller-Films zu Demonstrationen gegen Amerika.

Holland verweigert die Ausreise des Kronprinzen nach Amerika.

Deutsche Werte steigen.

Vanderbild läßt seine Pferde in Baden-Baden laufen.

Bei der Vorführung des Rockefeller-Films in Tokio ist der amerikanische Botschafter tätlich beleidigt worden.

Ausländische und deutsche Werte fallen.

Die Makler überschreien sich.

Rockefeller hat seine Tochter telegraphisch nach Hamburg beordert.

Deutsche Werte fallen.

Der amerikanische Botschafter in Tokio überreicht ein Ultimatum seiner Regierung.

Gebrüll der Makler.

Miß Rockefeller ist infolge der Aufregungen unpäßlich, hütet das Zimmer und fährt daher nicht nach Hamburg.

Deutsche Werte fallen.

Rockefeller kehrt nach Amerika zurück.

Allgemeine Déroute.

Amerika erklärt Japan den Krieg.

Deutsche Werte steigen.

Liane de La Roche verkündet vor Hiller die deutsch-französische Verbrüderung.

Deutsche Werte steigen.

Die Makler brüllen sich heiser.

Miß Rockefeller erläßt einen Aufruf: „An das deutsche Volk.“

Der Bankier aus Luzern verliert den Verstand.

Rockefeller dementiert von New York aus alle alarmierenden Gerüchte.

Deutsche Werte steigen.

In Tokio herrscht vollkommene Ruhe. Der Rockefeller-Film gelangt dort erst im Herbst zur Vorführung.

Bezüglich des Kronprinzen liegt eine Verwechselung mit Max Reinhardt vor.

Das Befinden der Miß Rockefeller hat sich gebessert.

Die Stimmen der Makler klingen gedämpfter.

Gerüchte von der Gründung einer Miß-Rockefeller-Film-Kompanie.

Eine D. Bank bestätigt sie.

Direktor Bankwitz fixt.

Dem Bankier aus Luzern kehrt der Verstand zurück.

Börse schließt fest.

VI. Szene, die sich in jedem dritten Hause des Berliner Kurfürstendamms und der ihm benachbarten Straßen ähnlich abspielt.

Personen: Vater, Mutter, Tochter.

Tochter (siebzehnjährig, stürzt mit einem Stoß Zeitungen und illustrierten Blättern, die sämtlich Aufsätze und Bilder von Miß Rockefeller enthalten, ins Zimmer ihrer Eltern; triumphierend): „Was sagt ihr nun? Überzeugt euch das oder haltet ihr euer Verbot auch jetzt noch aufrecht?“

Vater (betroffen): „Ich gebe zu ...“

Mutter (ihm ins Wort fallend): „Was? Nichts geben wir zu!“

Vater: „Ich muß auch sagen, ich hätte das von einer Miß Rockefeller nicht erwartet.“

Tochter: „Jedenfalls könnt ihr nun nicht mehr behaupten, daß ich euern Namen schände, wenn ich zum Kino gehe.“

Mutter: „Ein junges Mädchen, das auf sich hält ...“

Tochter: „Mehr als eine Miß Rockefeller braucht eine Konfektionärstochter auch nicht auf sich zu halten.“

Vater: „Wir leben nicht in Amerika.“

Mutter: „Und Extravaganzen, die sich eine Miß Rockefeller leisten kann, brechen einem Fräulein Schwarz das Genick.“

Tochter: „Wenn du hunderttausend Mark Jahreseinkommen einen Genickbruch nennst, weiß ich nicht, warum du mir alle Tage vorrechnest, wie dankbar ich euch sein muß, daß ihr mir hunderttausend Mark mit in die Ehe gebt.“

Mutter: „Überhaupt bei deinen vielen Sommersprossen! Und dann bist du viel zu dick und zu plump. Werde erst einmal adrett und erfüll’ zu Haus deine Pflicht!“

Tochter: „So? Und dem Rechtsanwalt in Gleiwitz, an den ihr mich verheiraten wollt, habt ihr geschrieben, ich sei ein ausgesprochen hübsches, schlankes und graziöses Mädchen, das alle äußeren und inneren Vorzüge besitzt, um einen gebildeten und anspruchsvollen Mann glücklich zu machen.“

Mutter: „Das ist der Dank dafür, daß man dich besser macht, als du bist?“

Tochter: „Ich will nichts besseres sein als Miß Rockefeller. Ich fühle den Drang zum Film in mir. Die Sommersprossen schmink ich mir weg und gerade Beine haben die andern auch nicht. Im übrigen habe ich dem Provinzonkel geschrieben ...“

Mutter: „Was für einem Provinzonkel?“

Tochter: „Na eurem Gleiwitzer Anwalt.“

Vater: „So sprichst du von deinem zukünftigen Mann?“

Tochter: „Na, der Photographie nach könnt ihr mit dem Schwiegersohn auch keine Bilder rausstecken.“

Vater und Mutter (entsetzt): „Margot!“

Tochter: „Ist doch wahr! — Ich habe ihm also geschrieben, daß ich mit keiner Lüge in die Ehe gehen will ...“

Vater (unterbricht sie entsetzt): „Margot! Du hast ihm ...?“

Tochter: „I Gott bewahre! Wie werd’ ich denn! Davon, was du meinst, natürlich keine Silbe.“

Mutter (aufatmend): „Gott sei Dank!“

Tochter: „Aber, daß ich außer meiner Leidenschaft zu ihm noch eine andere ...“

Mutter (ruft abermals): „Margot! Also doch?“

Tochter (ruhig fortfahrend): „Nämlich das Kino habe!“

Mutter (beruhigt): „Das war zum mindesten überflüssig, denn als dein Mann wird er nie zugeben ...“

Tochter (zieht einen Brief aus der Tasche): „Sehr richtig! Hört nur den Kaffer!“ (Entfaltet den Brief.)

Vater und Mutter (entsetzt): „Margot!“

Tochter (lesend): „Nie und nimmer kann ich als Akademiker und Leutnant der Reserve in dem Fuß-Artillerie-Regiment Nr. 13 Prinz Joachim Albrecht von Preußen zugeben, daß meine Gattin und zukünftige Mutter meiner Kinder außer ihrer Mitgift und ihrer Liebe zu mir noch eine Leidenschaft für einen Beruf mit in die Ehe bringt, der sozial noch unter dem des Theaters steht.“

Mutter: „Sehr würdig!“

Vater: „Da hast du’s!“

Mutter: „Danach wirst du nun wohl ein für alle Male von der fixen Idee geheilt sein!“

Tochter (zieht überlegen lächelnd ein Telegramm aus der Tasche): „Das kam heute!“ (Liest.) ‚Alle Blätter sind hier voll von dem Triumph der Milliardärstochter Miß Rockefeller. Nachdem durch sie der Beruf der Filmdiva gesellschaftsfähig geworden ist, berichtige mich und habe nichts mehr dagegen einzuwenden, daß du diese Leidenschaft beibehältst und sie praktisch betätigst. In Anbetracht der Kosten, die ein Haushalt heute verursacht, und da wir noch gar nicht absehen können, wieviele Köpfe unsere Familie dereinst umfassen wird, laß dich nicht übers Ohr hauen und sei bei Vertragsabschluß auf unseren Vorteil bedacht. Eine Frau wie du ist heute Goldes wert. Ich umarme dich! Dein Friedrich.‘ — „Was sagt ihr nun?“

Vater: „Ich habe ja sofort gesagt: Ich gebe zu; aber Mama hat mich wie üblich nicht ausreden lassen.“

Mutter (fällt ihrer Tochter zärtlich um den Hals): „Mein geliebtes Kind! Ich wußte ja gar nicht, daß ihr schon so miteinander steht! — Natürlich gehst du zum Kino und wirst die Rockefeller ausstechen! Ich habe ja immer gesagt, du bist die geborene Filmdiva!“

Tochter (atmet erlöst auf): „Na endlich!“ —

Und eine Statistik hätte ergeben, daß Frau Margas Debüt geradezu verheerend in den Familien Deutschlands gewirkt hatte, in denen heranwachsende oder erwachsene Töchter waren. Der bisher erfolgreiche Widerstand, den die Eltern dem Begehren ihrer Kinder, zum Film zu gehen, entgegensetzten, wurde mit dem Kampfruf gebrochen, der nicht zu widerlegen war: „Bin ich vielleicht etwas Besseres als eine Miß Rockefeller?“ —

Und die dadurch geschaffene Atmosphäre wiederum bewirkte, daß Filmagenturen und Filmschulen wie giftige Pilze aus der Erde schossen. Talent wurde angedichtet, sinnlose Übungen angestellt, eine große Zukunft prophezeit und kleine Vermögen für Hoffnungen geopfert, die sich nie erfüllten.

VII. Im Auswärtigen Amt.

Geheimrat von Stuck hielt Vortrag beim Minister.

„Exzellenz verzeihen ...“

„Sie werfen ja alles durcheinander. Montenegro hat, so viel ich weiß, ja längst aufgehört, ein selbständiger Staat zu sein! Was wollen Sie also da mit einem deutschen Geschäftsträger?“

„Exzellenz verzeihen, ich werde mich sofort orientieren. Aber in den letzten Jahren hat sich so viel geändert, daß man natürlich nicht in allem au fait sein kann.“

„Dann haben Sie mir hier“ — und der Minister wies auf einen Bogen, der vor ihm lag — „die Ernennung des Grafen Schwitznitz als Legationsrat bei der Gesandtschaft in Wien vorgelegt ...“

„Sehr wohl, Exzellenz! Graf Schwitznitz stammt aus einer der ältesten Adelsfamilien Schlesiens. Der Name eines seiner Vorfahren findet sich in Band III, Folio 1118 der Akte des Westfälischen Friedens ...“

„Interessiert mich nicht.“

Herr von Stuck sah betroffen auf und erwiderte mit einem unendlich mitleidsvollen Zug um den Mund:

„Exzellenz verzeihen — aber vielleicht ist es für Exzellenz von Interesse zu erfahren, daß die Mutter des Grafen eine geborene Prinzessin ...“

„Nein!“ fiel ihm der Minister ins Wort. „Auch das ist für den vorliegenden Fall bedeutungslos.“

Dem Geheimrat fiel das Monokel, das er am Bande trug, aus dem Auge.

„Be-deu-tungs-los!“ wiederholte er entsetzt und fügte mit verächtlicher Miene hinzu: „Verzeihung, Exzellenz, aber dann weiß ich wirklich nicht, was nach Ansicht Euer Exzellenz bei Besetzung wichtiger diplomatischer Posten von Bedeutung ist.“

„Das will ich Ihnen sagen“, erwiderte der Minister und reichte dem Geheimrat den Bogen. „Daß Graf Schwitznitz, und wenn seine Mutter die Kaiserin von Japan wäre, nicht gleichzeitig in Wien und Rom sein kann.“ — Und als ihn der Geheimrat daraufhin nicht gerade klug ansah, fuhr er, nicht ohne Ironie, fort: „Bedenken Sie doch, bei den heutigen Eisen­bahnverbind­ungen!“

Dem Geheimrat dämmerte es, und als der Minister von seinem Schreibtisch einen zweiten Bogen aufnahm und ihn ihm reichte, da entsann er sich, daß er vor kaum einer Woche dem Minister die Ernennung des Grafen zum Legationsrat in Rom unterbreitet hatte.

„Exzellenz verzeihen ...“ stammelte er betroffen, „aber mir ist heute ... ich weiß selbst nicht, wie ...“

„In der Tat, Sie machen einen etwas zerstreuten Eindruck“, erwiderte der Minister und entließ ihn.

Als er schon in der Tür stand, rief er ihm nach.

„Übrigens, was ist eigentlich mit dieser Rockefeller ...“

Weiter kam er nicht. Denn der Geheimrat von Stuck machte ruckartig kehrt, entfärbte sich, stierte den Minister an und sagte:

„Wie kommen Exzellenz darauf?“

Der Minister, über die Wirkung erstaunt, erwiderte:

„Alle Welt spricht davon. Die Zeitungen sind voll von ihr. An der Börse gehen die tollsten Gerüchte. Sie waren ja wohl gestern zu dem Debut?“

„Allerdings! Aber amtlich! Rein amtlich!“

„Selbstredend! — Ich verstehe gar nicht Ihre Erregtheit.“

„Ich muß bekennen,“ erklärte von Stuck feierlich, „ich finde es schamlos, eine Dame wie diese Miß Rockefeller derart durch die Presse zu zerren.“

„Ja, erlauben Sie, wenn diese Dame nichts dabei findet, sich als Filmdiva öffentlich zur Schau zu stellen, dann wird sie wohl nicht so zartfühlend sein ...“

„Exzellenz müßten sie sehen! Exzellenz würden ganz anders urteilen.“

Der Minister ahnte und sagte lächelnd:

„Sie soll sehr schön sein.“

v. Stuck senkte den Kopf ein wenig und schloß die Augen. Der Minister sah ihn scharf an.

„Eine königliche Frau!“ erklärte von Stuck mit starker Betonung.

„Na, vielleicht daß Sie auf Grund dieser Frau Amerika, das Sie so hassen, mildernde Umstände zubilligen.“

v. Stuck, der sich erkannt sah, wich ein paar Schritte zurück.

„Exzellenz verzeihen ... aber ich weiß gar nicht — — ich sagte doch bereits, ich war amtlich zu dieser Vorführung, rein amtlich!“

„Es wäre mir andernfalls auch nie eingefallen, davon zu sprechen. Aber da die Wirkungen dieses Abends sich nicht auf das Künstlerische beschränken, sondern, wie mir scheint, politisch ausstrahlen, so vermißte ich in Ihrem Vortrag einen diesbezüglichen Bericht.“

v. Stuck trat wieder an den Schreibtisch.

„Mir ist das natürlich nicht entgangen. Aber es ist ja ganz klar, daß man von einer derartigen Frau, die wie ein weiblicher Luzifer in unser Jammertal fährt, viel Wesen macht. Jeder dumme Junge wünscht da natürlich und redet sich ein ...“

„Hat mit Politik nichts zu tun, Herr Geheimrat!“

„Exzellenz verzeihen — aber inwiefern diese vollendete Dame mit Politik ... ich wüßte wirklich nicht ...“

„Ich sprach bereits von Gerüchten an der Börse, die zum Teil ganz toll sind.“

„Die Herren werden sich schneiden!“

„Inwiefern?“

„Wenn sie diese Frau für eine Séparée-Angelegenheit halten, dann irren sie sich.“

„Politik, Herr Geheimrat! Reißen Sie sich endlich von dem Persönlichen los! Man spricht von amerikafeindlichen Kundgebungen in Tokio gelegentlich der Vorführung dieses Films.“

„Kann mir vorstellen, wie den gelben Katzen beim Anblick dieser Frau vor Neid die Galle aufsteigt.“

„Der amerikanische Gesandte soll tätlich beleidigt worden sein.“

„Sie hätten sich womöglich auch an dieser Frau vergriffen.“

„Anzunehmen.“

„Da muß natürlich sofort eingegriffen werden.“

„Endlich sind wir soweit. — Was gedenken Sie zu tun?“

„Miß Rockefeller zu warnen. Sie darf auf keinen Fall der Gefahr ausgesetzt werden, von diesen gelben Schweinen ...“

„Herr Geheimrat, ich bitte Sie, sich zu menagieren.“

„Exzellenz verzeihen ...“

„Im übrigen kümmert uns das den Teufel was! Amerika mag seine Bürger selbst schützen. Es besitzt dazu wirksamere Mittel als wir. Uns interessiert lediglich: zu einem etwaigen amerikanisch-japanischen Konflikt Stellung zu nehmen.“

„Exzellenz verzeihen! Aber in unsereinem reagiert nun mal in erster Linie das Ehrgefühl. Das liegt im Blut! Aber Exzellenz können überzeugt sein, daß es unseren Blick nicht trübt. In der Politik entscheidet der kalte Verstand, sonst nichts! Gefühle haben auszuscheiden.“

Obgleich es den Minister belustigte, wie der Geheimrat sich selbst zuredete und gegen sein Gefühl anzukämpfen suchte, sagte er doch:

„Kein Kolleg, Herr Geheimrat, über die Elementarbegriffe der Politik! Positive Vorschläge, wenn ich bitten darf!“

v. Stuck, den der Minister nicht wieder aufgefordert hatte, sich zu setzen — was wohl keiner Absicht entsprang, von dem Geheimrat aber als Kränkung empfunden wurde — gab sich einen Ruck, nahm Haltung an und sagte:

„Exzellenz verzeihen, aber, um in einem Fall wie diesem positive Vorschläge zu unterbreiten, wurde einem unter dem alten Regime“ — er betonte diese Worte und zog sie breit — „eine Frist gesetzt!“

Und der Minister, der herausfühlte, daß von Stuck das Gewicht nicht auf die Frist, sondern auf das alte Regime legte, erwiderte:

„Unter dem alten Regime sind eine Million deutscher Kinder verhungert!“

„Nicht in meinem Ressort!“ parierte von Stuck, der fand, daß die Antwort weit hergeholt und unsachlich war.

„Der Geist entscheidet, nicht das Ressort“, erwiderte der Minister. „Und der war unter dem alten Regime in allen Ressorts der gleiche.“

Der Geheimrat verbeugte sich und ging. Auf der Treppe stieß er auf die Barone von Trott und Simpeln, nahm sie unter den Arm und sagte:

„Sie, meine Herren, schickt mir die Vorsehung! Bitte, kommen Sie auf ein paar Augenblicke zu mir herunter. Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.“

„Muß das heut sein?“ fragte von Trott. „Wir sind nämlich um eins bei Hiller ...“

„Dann werden Sie Ihren Romanée eine halbe Stunde später trinken.“

„So wichtig also?“ fragte Simpeln.

„Noch wichtiger! — Denken Sie, der Minister ist mir auf den Leim gekrochen.“

„Nicht möglich!“ rief von Trott.

„Ich hatte es satt und sagte mir: so geht’s nicht weiter. Ich stellte ihn also vor die Alternative — das heißt, nicht formal, dazu ist man ja Diplomat — ich insinuierte es ihm, sich zu erklären, wohin er eigentlich steure. Also, denken Sie, Simpeln, er will den Geist in der Politik töten! Der Geist, so behauptet er, sei schuld an allem Unglück!“

„Nicht möglich!“ rief von Trott. „Dann ist er also Militarist und will die Gewalt an Stelle des Geistes ... hören Sie, Stuck, das ist gar nicht so dumm, das hätte ich ihm nicht einmal zugetraut.“

„I Gott bewahre!“ erwiderte von Stuck. „Der und Militarist! Der und Gewalt! Ja, wenn es das wäre!“

„Ja, was gibt es denn sonst noch?“ fragte Simpeln.

„Gemüt“, erwiderte von Stuck. Beide sperrten den Mund auf und sagten:

„Wa ...?“

„Die armen hungernden Kinder dauern ihn.“

„Ach so!“ meinte von Trott. „Verstehe! So ’ne Art Heiland! Menschenbeglücker! — Von da ab bis zum Bolschewisten ist nur ein Schritt! Ich werde jedenfalls in England auf die Gefahr aufmerksam machen.“

Sie waren im Zimmer des Geheimrats angelangt.

„Eben, das ist’s, worüber ich mit Ihnen sprechen will und muß: Amerika!“

„Ein weites Feld!“ meinte Simpeln.

„Was halten denn Sie von der ganzen Sache, meine Herren?“ fragte von Stuck.

„Allerhand!“ erwiderte Simpeln. „Die Aufmachung ist glänzend. Der Film schlecht. Die Rockefeller ...“

„Miß Rockefeller!“ verbesserte Stuck.

„Wa ...? Ah so! — Also gut! Miß Rockefeller ein königliches Weib!“

„Ganz meine Ansicht!“ erwiderte von Stuck.

„Mir gefällt Liane de La Roche besser“, sagte von Trott und schnalzte mit der Zunge. Rasse! Schmiß! Typ der Südfranzösin! Ich wüßte gern mehr von ihr.“

„Ich habe im politischen Interesse bereits Ermittelungen angestellt“, erwiderte von Stuck.

„Hahaha! Famos!“ rief Simpeln. „Politisches Interesse! Sie wollen wohl Südfrankreich annektieren, alter Schwede!“

v. Stuck sah den Baron befremdet an. Der hatte sein goldenes Zigarrenetui aus der Tasche gezogen und bot ihm eine Importe an. v. Stuck zögerte einen Augenblick, griff dann beherzt zu und sagte:

„Sie haben recht, Simpeln, der Diplomat soll in seinem Beruf aufgehen, aber er braucht darum nicht aufzuhören, Mensch zu sein! — Für diese Miß Rockefeller wäre ich sogar imstande, einen Schönheitsfehler in meinem Stammbaum mit in Kauf zu nehmen.“

„Stuck!“ rief Simpeln entsetzt. „Gut! Sie haben sich in die Miß verliebt. Das werden außer Ihnen täglich Dutzende von Menschen tun! Vom Prinzen angefangen, bis herunter zum Küchenjungen, dem sie für einen Eintrittspreis von drei Mark ihre Reize mit genau derselben Bereitwilligkeit zeigt, wie Ihnen!“

„Ich muß Sie bitten, Simpeln, sich zu mäßigen“, forderte von Stuck.

„Damit, daß Sie eine Rockefeller heiraten, könnte man sich allenfalls abfinden. Mit Milliardenvermögen läßt sich schließlich auch eine Brücke von uns zu einer Bürgerlichen schlagen. Zu einer Filmdiva aber nie! Das ist und bleibt für unsereins auch unter der gottverdammten Republik eine Bettangelegenheit.“

„Ganz meine Ansicht!“ sagte von Trott, und von Stuck fragte:

„Für wen?“

„Wenn ich Sie nicht kränken wollte, so würde ich antworten, für jeden!“ erwiderte Simpeln.

v. Stuck sprang auf und rief zornig:

„Baron! Sie irren! In diesem Falle wenigstens irren Sie!“

„Dennoch haben Sie bereits den Versuch gemacht?“

„Ich bin nur bis zu ihrem Impresario vorgedrungen. Auf eine sehr höfliche Teeeinladung, die ich ihr mit einem Strauß Orchideen sandte ...“

„Wo wohnt sie?“ fragte von Trott und schnalzte mit der Zunge.

„Auch um das zu erfahren, mußte ich ein ganzes Heer von Beamten aufbieten. Sie logiert mit einer Gesellschafterin und zwei Zofen in strengstem Inkognito im Hause ihres Impresarios Anton Reber.“

„Und was hat sie Ihnen geantwortet?“ fragte Simpeln.

„Nichts. — Statt dessen erhielt ich hier diesen Wisch!“ Er reichte den Beiden einen gedruckten Zettel. Simpeln las:

„Sehr geehrter Herr! Miß Rockefeller muß es ablehnen, von Herren, die nicht im Hause ihrer Eltern verkehren, Briefe, Blumen oder sonstige Zuwendungen, gleichviel, welcher Art, anzunehmen

In vorzüglicher Hochachtung

Anton Reber.“

Unten in der Ecke links war ein Stempel mit den Worten: „Abteilung Abwehr“ und darunter stand in Kopierschrift die Zahl: 7486.

„Und das lassen Sie sich bieten?“ rief Simpeln. „Einfach als Nummer behandelt zu werden. Und was für eine! Sieben­tausend­vier­hundert­sechs­und­achtzig. Vermutlich besteht eine Abwehrliste, in der Sie mit vollem Namen geführt werden. Und das erlauben sich diese Emporkömmlinge unsereinem gegenüber! Ein Skandal! Ein öffentlicher Skandal, gegen den man sich wehren muß!“

„Sie geben jedenfalls zu, sich geirrt zu haben?“ fragte von Stuck.

„Natürlich ist Miß Rockefeller nicht die erste beste!“ erwiderte er.

„Sie taten aber so!“

„Sie ist ein besonderer Fall und muß daher individuell behandelt werden. Mit Orchideen fängt man Mäuschen, aber keine Milliardärstöchter.“

„Ausgezeichnet!“ rief von Trott und schnalzte mit der Zunge.

„Sie glauben demnach, daß ich mit einer Kette Perlen mehr erreicht hätte?“ fragte von Stuck.

„I Gott bewahre! Mit Geldwerten wird man ihr nicht imponieren.“

„Weder mit Geld, noch mit Blumen, noch mit Adel. Also keine Bettangelegenheit, wie Sie eben noch so bestimmt behaupteten, sondern einfach unerreichbar! Für den Bäckerjungen wie für den Prinzen.“

„Das Wort unerreichbar existiert in dem Sprachschatz eines Mannes nicht, der eine Frau erobern will“, erwiderte Simpeln.

„Lieber Freund, das sind Redensarten“, widersprach der Geheimrat, und von Trott trat ihm bei und sagte:

„Da muß ich Stuck recht geben. Ich habe in meinem Leben auch schon manche Blume jeknickt. Ein Pappenstil ist das in den seltensten Fällen.“

Baron Simpeln forderte sie heraus und sagte:

„Wenn sich meine Reise nach Amerika nur um drei Wochen hinausschieben ließe, würde ich mich verpflichten, innerhalb dieser Zeit zum Ziel zu kommen.“

„Die Wette halt’ ich!“ rief von Trott.

„Wert?“ fragte Simpeln.

„Da es um Miß Rockefeller geht: tausend Dollar!“

Der Geheimrat war von diesem Handel sichtlich unangenehm berührt. Aber er schwieg, um sich nicht zu verraten.

Baron Simpeln hielt von Trott die Hand hin. Der schlug ein. Und während sie noch Hand in Hand standen, sagte der Geheimrat:

„Und wenn Sie die Wette verlieren, Simpeln, werden Sie auch dann noch in einer Ehe mit Miß Rockefeller eine Mesalliance erblicken?“

„Vor so viel Tugend, gepaart mit so unzähligen Millionen, würde ich bedingungslos kapitulieren“, erwiderte Simpeln.

„Und was wird in der Zwischenzeit aus Amerika?“ fragte von Stuck.

„Teufel ja!“ erwiderte Simpeln. „Amerika hatten wir ganz vergessen.“ Und von Trott meinte:

„Ja, die Weiber!“ und schnalzte mit der Zunge.

Baron Simpeln überlegte:

„Schade, daß dieser Doktor Deichler politisch so’n Rindvieh ist. Er ist sonst nämlich gar nicht auf den Kopf gefallen.“

„Na, für drei Wochen ginge es am Ende“, meinte von Trott.

Geheimrat von Stuck erhob sich und sagte:

„Ihnen zu Liebe, meine Herren, werde ich den Minister veranlassen, daß Deichler vertretungsweise drei Wochen lang drüben die Geschäfte führt.“

„Und wie werden Sie es begründen?“ fragte Simpeln.

„Sehr einfach! Zwischen Amerika und Japan herrschen zur Zeit Unstimmigkeiten.“

„Soo?“ sagten beide.

„Ich werde dem Minister sagen: es liegt im deutschen Interesse, daß Sie die Entwicklung zunächst mal von hier aus beobachten. Unzuverlässigkeit des Kabels, englische Zensur usw. usw.“

„Ausgezeichnet!“ rief von Trott, und Simpeln drückte dem Geheimrat die Hand und sagte:

„Sie sind der jeborne Diplomat!“

VII. In einem vornehmen Berliner Restaurant.

An einem mit Champagnerflaschen beladenen Tisch sitzen mit vom Wein geröteten Gesichtern in großer Abendtoilette mit Schmuck bepackte Damen in angeregter Unterhaltung mit ihren Männern.

„Wie schmeckt die Pute, Mariechen?“

„Nichts für manikurte Finger, nicht wahr, gnädige Frau?“

„Frotzeln sie nicht in einem fort, Doktor!“

Mariechen errötet und legt die Putenkeule, die sie wie eine Mundharmonika mit beiden Händen vor dem nicht unschönen Gesicht hält und zwischen den Zähnen hin und her bewegt, auf den Teller.

„So was ißt man am besten ungestört in seinen vier Wänden.“

„Mit so einer Portion fangen wir gar nicht erst an.“

„Für meinen Mann und mich reicht eine Gans gerade für eine Mahlzeit.“

„Siehst du, Julius, du mußt immer noch einen Eierkuchen nach haben.“

„Von Fisch und Fleisch allein wird man eben nicht satt.“

„Wie mans gewöhnt ist. — Köllner! Ich hätte gern noch eine Kleinigkeit nach der Röhkeule.“

„Eine Süßspeise?“

„Merzi! Dieses ewige Okonfitühr wächst einem schon zum Halse heraus.“

„Wenn man einen so schönen Hals hat, gnädige Frau, macht das nichts.“

„Was geht Sie der Hals meiner Frau an, Doktor?“

„Der Doktor schwärmt nun mal für volle Büste.“

„Iß statt der Süßspeise doch einen Hummer nach, Julchen!“

„Warum dann nicht lieber gleich ein Horsd’oeuvres?“

„Doktorchen, mich legen Sie nicht herein. Ich habe eine hohe Schule besucht.“

„Ich auch!“

„Ich auch!“

„Glauben Sie etwa, ich nicht?“

„Und weiß daher, was Ordöwer heißt.“

„Soo? was denn?“

„Vor der Suppe.“

„Da haben Sie’s, Doktor! Mit meiner Frau fangen Sie nicht an! Die ist Ihnen über! Auch in Französisch! — Also, Kellner, einen Hummer für meine Gattin! Aber einen strammen! Preis spielt keine Rolle!“ —

„Wir waren gestern in einer Loge im Großen Schauspielhaus.“

„Schöne Toiletten?“

„In diesem Raum kann man anhaben, was man will, es kommt nicht zur Geltung. Ich bin jedenfalls das letztemal dagewesen.“

„Was haben Sie denn gesehen?“

„Ich sage Ihnen ja, Doktor, außer zwei Hermelinmänteln in einer Loge neben uns, war von Toiletten nichts zu sehen.

„Dazu zahlt man ja schließlich nicht vierzig Mark für den Platz.“

„Ich meinte das Stück, das gespielt wurde.“

„Ach so! — Wie hieß es doch, Leopold?“

„Gestern wußt’ ichs noch.“

„Von wem war es denn?“

„Die Leute schrien so durcheinander, daß man es gar nicht verstehen konnte.“

„Was schrien sie denn nur?“

„Martin, glaub’ ich — und dann Hauptmann.“

„Ah so! Dann weiß ich schon: Der weiße Heiland von Gerhart Hauptmann. Regie: Heinz Martin.“

„Richtig, Doktor! Sie sind ein Genie!“

„Jetzt entsinn’ ich mich auch.“

„Haben Sie viel gelacht?“

„Nein! Nicht ein einziges Mal.“

„Wer gab denn den Heiland?“

„Das war das Tollste! Denken Sie: der kam gar nicht drin vor.“

„Den hat der Judenregisseur wahrscheinlich weggestrichen.“

„Ich sags ja immer! Diese Juden!“

„Sie sind an allem schuld!“

„Am Krieg, an der Niederlage, an der Revolution ...“

„Ich hätte an Ihrer Stelle das Eintrittsgeld zurückverlangt.“

„Wir leben eben in keinem Rechtsstaat mehr.“

„Bitte, keine Politik!“

„Hat wenigstens die Orska mitgespielt?“

„Nein.“

„Ja dann allerdings.“

„Wir gehen prinzipiell nur noch ins Theater, wenn die Orska spielt.“

„Das ist ein Weib!“

„Untersteh dich!“

Kichern.

„Emma! Trink lieber nicht mehr!“ —

„Um auf Miß Rockefeller zurückzukommen: Sie werden sehen, die verdrängt die Orska.“

„Die läßt sich gerade verdrängen.“

„Dann schon eher Fern Andra!“

„Ja! Die Fern!“

„Unsere Fern!“

„Kann neben Miß Rockefeller nicht fünf Minuten leben!“

„Doktor! Das bestreit’ ich!“

„Die Andra denkt, wenn sie schon in den letzten Zügen liegt, noch immer daran, ihr klassisches Profil und ihren kleinen Fuß zu zeigen.“

„So hat die sich in der Gewalt!“

„Die Rockefeller aber kehrt sich nicht einmal darum, wie ihre Frisur sitzt.“

„Das tut keine Frau, die auf sich hält.“

„Darin liegt eine Mißachtung des Publikums.“

„Die glaubt eben, sie kann sich alles herausnehmen.“

„Wenn man Ihnen den Mann erschossen nach Haus bringt, werden Sie dann darauf achten, wie Ihre Haare aussehen?“

„Mensch! Das ist doch Theater und keine Wirklichkeit!“

„Kunst und Natur sei eines nur.“

„So’n Quatsch! Dann könnten wir ja alle zum Film gehen.“

„Na, so’n bißchen muß man wohl schon danach aussehen.“

„Haben Sie sich man nicht! Bei Ihnen sieht man doch ganz genau, was Kunst und was Natur ist.“

„Sie reden sich doch nicht etwa ein, daß Sie mit Ihrem Vorbau ...“

„Wenn Sie mit Ihren spitzen Knochen filmen, kriegt die Leinwand Risse!“

„Und bei Ihnen fettet sie durch!“

„So was will die Fern Andra ausstechen!“

„Und so was die Rockefeller! Mit den Käsehänden!“

„Allerdings, mit polierten Fingernägeln schiebt’s sich besser!“

„Von wegen Schieber, da seien Sie man ganz stille!“

Ruf am Nebentisch: „Meine Herrschaften, ich bitte um Ruhe!“

„Maul halten da drüben!“

Ruf am Nebentisch: „Schämen Sie sich!“

„Was? Schämen? Haben wir nicht nötig!“

„Ersäufen Se sich man nich in Ihre halbe Moselblümchen.“

„So’n Kerl will uns den Mund verbieten!“

Der Herr am Nebentisch: „Feine Damen, das muß man sagen.“

„Wie? Was?“

„Aber Mariechen, erreg’ dich doch nicht!“

Mariechen ist aufgesprungen; drohend:

„Wenn ich mir nicht viel zu fein wär’, dann hätt’ ich Sie schon längst eine ins Gesicht geschlagen!“

„So’n Nepper!“

„So’n Sechserfuchser!“

„Ober! Ober!“

„Meine Herren!“

„Dies Moselblümchen da hat unsere Damen beleidigt!“

Kellner sucht zu beschwichtigen.

„Wir verlangen Genugtuung!“

„Der Mann muß raus!“

„Den Wirt! — Wirt! — Wirt!“

„Meine Herren?“

„Entweder Sie werfen den Mann da hinaus, oder wir gehen!“

„Was ist denn geschehen?“

„Wir waren in ein Gespräch über Kunst verwickelt, und da hat dieser Kerl, der von Kunst natürlich keine Ahnung hat, sich in unsere Unterhaltung hineingemischt und unsere Damen beleidigt.“

„Ist mir nicht eingefallen. Aber ich und meine Frau haben heute abend ein Konzert in der Singakademie gegeben und waren daher gegen den Lärm dieser Herrschaften doppelt empfindlich.“

„Da haben wir’s ja! Irgend so’n Posaunenbläser macht sich hier bei einer halben Flasche Mosel mausig, und wir sollen bei einer Zeche von ein paar Tausend Mark unsere Damen beleidigen lassen.“

„Mein Herr, die Herrschaften sind vollkommen im Recht, und da Sie selbst zugeben, von Ihrem Konzert nervös zu sein, so muß ich Sie bitten, mein Lokal zu verlassen.“

„Bravo! Bravo!!“

„Also Kinder, so’ne Zeiten, wie wir erleben! Heute Sekt! Morgen Sekt und alle Tage Sekt!“

„Bravo!“

„Weiter, Doktor!“

„Die Andra hat die größere Büste, und die Rockefeller hat die größeren Perlen.“

„Bravo!“

„Was jehen uns eijentlich die beiden Frauenzimmer an?“

„Wir wollen uns nicht entzweien, sondern fest und treu zusammenhalten.“

„Bravo! Bravo!“

„Durch Nacht zum Licht, durch Krieg zum Sieg, und: je schieber um so lieber!“

„Bravo!“

„Unser Erlauchter — ach ne! — Trotz alledem: uns kann’s jleich sein! Es lebe unsere Stimmung: Je jeschobener, um so gehobener! — Heil dir Schi — Schei — brr!“

Julchen mit den manikurten Fingernägeln müht sich in die Höh’ und singt:

„Heil dir — im — Sie — gerkranz ...“

Alle erheben sich und singen mit:

„Aufstehen!“ schreien sie zu den benachbarten Tischen hinüber.

Und da niemand aufsteht, denn das ganze Lokal ist längst leer, so stürzt Julchens Mann von Tisch zu Tisch, beugt den Oberkörper weit hinüber, schlägt wütend auf jede Platte und kommandiert:

„Aufstehen! Ba-an-di-ten!“ und wirft lärmend Stuhl nach Stuhl um.

Der Chor singt unterdessen weiter.

Und als sie zu Ende sind, ruft der Doktor:

„Es lebe Miß Rockefeller! Es lebe die Kunst!“

Alle stimmen in den Ruf ein:

„Es lebe die Kunst!“

Umarmen sich, steigen in ihre wertvollen Pelze. —

Und als Julchens Mann eine Stunde später zu seiner Frau ins Bett steigt, schlägt Julchen die Augen auf und seufzt:

„Was für ein erhebender Abend! — Ach, wenn es doch ewig so bliebe!“

Achtes Kapitel

Als Anton Reber am nächsten Abend zu Deichlers kam, saßen die, genau wie in früheren Zeiten, in der Nische ihres kleinen Herrenzimmers nach dem Essen bei einer Flasche Burgunder. Deichler las ihr die Legende vom Großinquisitor vor. Sie saß in einer leichten Matinee und arbeitete an einem Gobelin.

„Ich störe“, sagte Reber.

„Wenn du zuhören willst, und der Wein dir gut genug ist ...“

Reber wies auf seine Aktenmappe, die so voll war, daß sie sich nicht schließen ließ, und sagte:

„Alles das ist dringend und geht euch an.“

Deichler hielt ihm das Buch hin, Reber las:

„Dostojewskij.“

„Dann allerdings!“

Er setzte sich, Frau Marga goß ihm Burgunder ein und schob ihm die Zigaretten hin. Die Mappe, die er auf den Tisch gelegt hatte, stellte er auf einen Wink Frau Margas neben seinen Sessel.

Als Deichler schließlich zu Ende war, sagte Frau Marga, der Rebers Ungeduld und Teilnahmlosigkeit nicht entgangen war:

„Also nicht einmal Dostojewskij interessiert dich mehr? So sehr gehst du in deinem neuen Beruf auf.“

„Deine Schuld!“

„Meine?“

„Verzeihung! Nein! Nicht deine! Miß Rockefellers! Frau Marga hat auf mein künstlerisches Gewissen gewirkt, Miß Rockefeller auf meinen Geschäftssinn. Leider hat sich Miß Rockefeller als die stärkere erwiesen.“

„Also, was gibt es Dringendes?“ fragte Frau Marga.

Reber nahm seine Tasche auf und sagte:

„Zunächst auf Grund der Presse die Feststellung, daß Miß Rockefeller seit heute früh die berühmteste Frau beider Welten ist.“

„Mit dem Geld, das über dich in den letzten vierundzwanzig Stunden vertelegraphiert worden ist,“ bestätigte Deichler seiner Frau, „kann man acht Tage lang einen Weltkrieg führen.“

„An Orte, die ich nicht einmal dem Namen nach kenne,“ bestätigte Reber, „sind spaltenlange Telegramme über dich abgegangen.“

„Was weiter?“

„Wenn wir auch nur die Hälfte all der Anträge annähmen, die man uns macht, so würden wir statt einer sechs Miß Rockefellers auf die Beine stellen müssen. Was ich hier mitgebracht habe, ist nur eine kleine Auslese. Neunundneunzig Prozent aller Zuschriften werden vom Bureau aus beantwortet. — Daß sämtliche Filmfabrikanten mit märchenhaften Angeboten an dich herantreten würden, war ja vorauszusehen. Heute nachmittag ist auch bereits die erste Offerte aus Amerika gekommen. Alles das wird durch die Gründung der Rockefeller-Film G. m. b. H. erledigt. Sodann habe ich mich bei eurem befreundeten Justizrat informiert: an sich ist dir als Künstlerin die Führung des Namens Rockefeller unbenommen, und zwar so lange, als die rechtmäßigen Träger des Namens nicht mit Erfolg auf Unterlassung klagen. Wenn du also den Namen Rockefeller als Wert in die Gesellschaft einbringst und dafür, was ich soeben durchgedrückt habe, siebenmal­hundert­tausend Mark in bar oder in Anteilen ...“

„In bar!“ entschied Frau Marga.

„... erhältst, so wird damit eben die Idee bezahlt!“

„Wie leicht man heutzutage Geld verdient!“ meinte Deichler. „Man muß nur ein weites Gewissen und darf kein ehrliches Gewerbe haben.“

Reber trug nun die Anträge von einer Reihe anderer Theaterdirektoren vor. Einer stellte auf Grund des Films eine so frappante Ähnlichkeit mit der Sarah Bernhardt fest, daß er sie einlud, den Hamlet bei ihm zu spielen. Ein anderer dagegen sah in ihr das geborene Gretchen und verpflichtete sich, ihr zuliebe den Faust in englischer Sprache zu geben. Ein bekannter Zirkusdirektor bot zehntausend Mark pro Abend, wenn sie auf einem lammfrommen Schimmel, den der Direktor persönlich vorzuführen sich verpflichtete, zweimal im Schritt durch die Manege ritte. Das Mitglied eines entthronten Königshauses lud sie als Partnerin auf eine Tanztournee um die Erde, schlug Teilung des Gewinns vor und schloß sein Schreiben mit den Worten:

„Sollte die Gemeinsamkeit unserer künstlerischen Interessen ergeben, daß wir uns auch menschlich zueinander hingezogen fühlen, so wäre ich einer Ehe im Prinzip nicht abgeneigt. Bis dahin bliebe es Ihnen überlassen, für meine standesgemäße Lebensführung zu sorgen.“

Ein männlicher Filmstar, der wegen seiner Schönheit ebenso beliebt war wie wegen seines gutsitzenden Cutaways, schrieb:

Verehrte Miß!

Mein Äußeres und meine Kunst haben mich in der Welt ebenso berühmt gemacht wie Sie die Milliarden Ihres Vaters. Wie ich mich vergebens mühe, des Ansturmes mich vergötternder Frauen Herr zu werden, so nehme ich an, daß auch Sie unter der Aufdringlichkeit der Männer zu leiden haben. Uns beiden könnte geholfen werden. Ich bin bereit, Ihnen zu gewähren, was der Traum von Millionen Frauen ist. Folgen Sie mir zum Altar, und ich will Sie in meine Künstlersphären emporziehen! Zu diesem Zwecke erwarte ich Sie morgen nachmittag zwischen vier und fünf Uhr bei mir zum Tee.

Mit kollegialem Gruß

Ihr Ihnen sehr zugetaner

Bruno Schachtel.“

Ein erstes Modemagazin verpflichtete sich, ihr ein Jahr lang kostenlos Kleider, Hüte, Handschuhe, Wäsche, Strümpfe und Schuhe zu liefern, wenn sie bei der nächsten Modenschau die „Kreationen“ des Magazins vorführen würde. Ein Impresario lud sie gegen ein märchenhaftes Honorar zu einer Vortragstournee durch alle europäischen Großstädte ein. Thema: „Wie mein Papa zu seinen Milliarden kam.“ Den Vortrag selbst, der in alle Sprachen übertragen und später in Buchform erscheinen sollte, würde, ohne sie zu bemühen, ein namhafter Volkswirtschaftler herstellen.

„Ich habe ausgerechnet,“ sagte Reber, „daß du bei voller Ausnutzung aller Chancen, ohne dich dabei zu übernehmen, im Monat zwischen vier und fünf Millionen Mark verdienen könntest.“

Es klingelte draußen.

„Nanu!“ rief Deichler, „wer kommt denn jetzt noch?“

„Ich fahre auch immer zusammen,“ sagte Marga, „sogar am Tage! So nervös bin ich schon.“

„Ein schlechtes Gewissen haben wir eben doch.“

„Ich bitt’ euch,“ beruhigte sie Reber, „das liegt lediglich an dem rasenden Tempo. Wir sind schon nach acht Tagen da, wo wir im besten Falle nach sechs Monaten sein wollten.

„Was ich befürchte,“ erwiderte Deichler, „ist ein Skandal, der mich als Diplomat ein für allemal erledigt.“

Anton Reber widersprach:

„Wer die Welt derart blufft, hat den Nachweis seiner diplomatischen Fähigkeiten erbracht.“

„Vor allem werden dann unsere Millionen für uns entscheiden“, stimmte Marga zu. „Und der Umstand, daß durch einen Skandal prominente Persönlichkeiten kompromittiert würden.“

„Ein Zurück gibt es jetzt jedenfalls nicht mehr“, erklärte Reber.

Doktor Deichler schien anderer Meinung.

„Hätte ich gewußt, daß eine Filmdiva eine derartige Umwälzung verursachen kann, ich hätte nie in diesen Schritt gewilligt, den ihr mir als ein durchaus harmloses Manöver geschildert habt.“

Das Mädchen reichte Doktor Deichler eine Karte.

„Wer?“ fragte Marga.

Deichler las:

Dr. jur. Theodor Freiherr Stuck von Stockwitz,

Wirkl. Geheimer Ober-Regierungsrat

im Auswärtigen Amt.“

und entfärbte sich.

„Allmächtiger!“ rief Frau Marga laut.

„Da habt ihr’s!“ sagte Deichler.

Reber verzog den Mund und sagte:

„Freilich! Um die Zeit! — Das scheint auch mir bedenklich.“

„Wie stehe ich nun da?“ klagte Deichler.

„Du weißt von nichts!“ rief Marga.

„Und leugnest alles!“

„Ich kann nicht lügen.“

„So laß mich statt deiner ...“ schlug Reber vor.

„Als wer?“

„Ach so! — Natürlich! Das ist unmöglich!“

„Aber ich!“ erbot sich Marga.

„Wo er dich gestern im Film gesehen hat!“

„Gerade darum! Für so verrückt wird er mich nicht halten, daß ich ihm dann heute als deine Frau unter die Augen trete.“

„Da hat sie recht“, meinte Reber.

„Das heißt denn doch, den Wahnsinn zum System erheben!“

„Wahnsinn, du siegst!“ zitierte Reber.

„Dummheit!“ verbesserte Deichler.

„Ich riskiers!“ entschied Marga. „Wenn man auf die Dummheit der Menschen spekuliert, behält man in den meisten Fällen recht.“

„Du bekommst es fertig“, sagte Deichler.

„Hoffentlich!“ erwiderte sie und ging hinaus. —

Als statt des erwarteten Doktor Deichler Frau Marga den Salon betrat, war von Stuck im ersten Augenblick völlig befangen. Er war innerlich als Vorgesetzter eingestellt, auf Würde und Distanz, und sah sich nun plötzlich einer Dame gegenüber, einer jungen, vornehmen, durchaus nicht gleichgültigen Dame in seidener Matinee; und alles das zu einer Stunde, in der man bei einer Dame alles, nur keine konventionellen Besuche macht.

Um so unbefangener war Frau Marga.

„Guten Abend, Herr Geheimrat!“ sagte sie und reichte ihm die Hand.

von Stuck verbeugte sich; ein paar Grade zu tief, wie Frau Marga feststellte; etwa so, als wenn er die Prinzessin Hohenlohe begrüßte.

„Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Gnädigste ...“

„Aber bitte! Vermutlich wünschen Sie meinen Mann zu sprechen.“

„Allerdings — und ich bedaure unendlich, zu so später Stunde ... Ihr Herr Gemahl ist vermutlich nicht zu Hause — — Ihr Mädchen hat mich hier eingelassen — — ich bin sehr glücklich, daß Sie mich empfangen —“ auf ein Zeichen Frau Margas hin, die ihn absichtlich nicht unterbrochen hatte, setzte er sich — „Sie werden begreifen, gnädige Frau, daß nur eine wichtige Mission mich persönlich und dann sozusagen mitten in der Nacht zu Ihrem Gatten kommen läßt —“

„Ich bin sehr begierig, Herr Geheimrat.“

Er sah sie an; und wie schon damals im Amt, so gefiel sie ihm auch jetzt.

„Nein wirklich, das nenne ich tapfer von einer so schönen jungen Frau.“

„Was?“ fragte Frau Marga.

„In Abwesenheit Ihres Mannes ...“

„... dessen Vorgesetzten zu empfangen?“ beendete sie den Satz und fügte hinzu: „Ich halte das für meine Pflicht und finde es selbstverständlich.“

von Stuck stand auf, verbeugte sich und sagte:

„Gnädige haben vollkommen recht! Also zur Sache! Der Geschäftsträger für Amerika, Baron Simpeln, wird — — wichtiger Instruktionen wegen — hier noch drei Wochen lang dienstlich dringend benötigt. Infolgedessen hat der Minister auf meinen Antrag hin verfügt, daß in der Zwischenzeit Ihr Gatte als Vertreter hinübergeht.“

„Auf drei Wochen?“

„Ja! Die Zeit ist freilich kurz. Immerhin gibt sie bei der jetzigen bewegten Zeit Ihrem Gatten unter Umständen die Möglichkeit, sich hervorzutun.“

„Das wäre nach dem Gespräch, das ich vor ein paar Wochen mit Ihnen im Amte führte, für seine Karriere ja ziemlich belanglos.“

„Es kommt darauf an. Wenn Ihr Gatte Gelegenheit findet, an sichtbarer Stelle Bemerkenswertes zu leisten, so wird man, wie die Dinge heute liegen“ — er unterdrückte ein leider —, „kaum an ihm vorübergehen können.“

„Und das sagen Sie so gerade heraus?“

„Weil Sie es sind, Gnädigste.“

„Nicht wieder persönlich werden!“ erwiderte Frau Marga und wehrte mit beiden Händen ab. „Wir stehen ja wohl mit Amerika augenblicklich ganz erträglich.“

„Wir schon. Aber Japan nicht. Wir haben zuverlässige Nachrichten, die natürlich geheim bleiben müssen —“

„Mir dürfen Sie’s sagen. Ich bin ja vom Bau.“

„Gewiß! — Also denken Sie, gelegentlich der Vorführung des Rockefeller-Films ist es in Tokio zu anti-amerikanischen Demonstrationen gekommen, in deren Verlauf der amerikanische Botschafter tätlich beleidigt wurde.“

„Kleine Ursachen, große Wirkungen.“

„Sagen Sie das nicht! Diese Miß Rockefeller ist ein Phänomen!“

„Nanu!“

„Hinter ihr steckt mehr als eine begabte Filmdiva.“

„Gewiß! Die Milliarden ihres Vaters.“

„Das sind Äußerlichkeiten.“

„Aber sehr gewichtige.“

„Bedeutungslos neben den Qualitäten dieser Frau.“

„Sie kennen sie?“

„Ja! — Das heißt persönlich nicht. Aber ich gebe zu: ich interessiere mich für sie und habe mich intensiv mit ihr beschäftigt. Als Diplomat hat man natürlich einen ganz anderen Blick.“

„Selbstredend!“

„Da lernt man die Menschen beurteilen, auch ohne sie persönlich zu kennen.“

„Was gefällt Ihnen so besonders an ihr?“

„Haben Sie sie gesehen?“

„Ja — das heißt im Film!“

„Nun also! Dann wissen Sie’s ja. Die Vornehmheit, Selbstverständlichkeit und Ruhe, mit der sie über den Dingen steht, ist verblüffend.“

„Sollte das nicht an dem Film und ihrer Rolle liegen? Sie hat eben eine Herrschernatur darzustellen. Wahrscheinlich würde sie auch als Sklavin echt wirken.“

„Als Sklavin? Die? Haben Sie ihr in die Augen gesehen? Die sprengen Ketten, und ich möchte den Tyrannen sehen, den sie nicht in kürzester Frist in die Knie zwingt.“

„Sie würden bei einer derartigen Frau also in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten?“

„Ich würde ihr alles von den Augen absehen.“

„Sie brauchte demnach nicht einmal zu bitten?“

„Wieso fragen Sie das?“

„Nehmen Sie an, ihr Mann wäre Diplomat und sie intervenierte für ihn um einen Gesandt­schafts­posten — hätten Sie den Mut, ihr die Bitte abzuschlagen?“

„Ich verstehe gar nicht — erstens ist sie Amerikanerin — und dann vor allem ist sie doch unverheiratet. Stände ein Mann zwischen ihr und mir, so würde ich mich natürlich ganz anders einstellen müssen.“

„Demnach besteht zwischen Ihnen also bereits eine Verbindung?“

„Ja! — Das heißt: einseitig! Aber darum doch sehr ernster Natur.“

„Ich will natürlich nicht in Sie dringen.“

„Doch! Doch! Ich habe das Bedürfnis, mich einmal auszusprechen.“

„Wenn Sie mich Ihres Vertrauens würdigen wollen.“

„Sie sind mit solcher Bestimmtheit von mir abgerückt, daß es Sie nicht kränken wird — so sympathisch Sie mir sind, man kann ja sein Herz nur einmal verschenken, — und wer weiß, wenn Sie mir nur ein wenig entgegengekommen wären, ob ich dann überhaupt ...“

„Bitte, bitte!“ unterbrach ihn Marga. „Sprechen Sie von Miß Rockefeller und nicht von mir!“

„Also mit einem Wort: Ich liebe sie!“

„Wen?“ entfuhr es Frau Marga.

„Miß Rockefeller!“

„Natürlich die Miß!“

„In einem Maße, wie ich das bei mir nie für möglich gehalten hätte!“

„Und die Miß? Wie verhält sich die?“

„Sie weiß von nichts! — Man hat es ihr unterschlagen und mich mit einem Wisch abgefertigt wie einen Schulbuben! Aber ich ruhe nicht!“

„Was werden Sie tun?“

„Sie erobern!“

„Wie wollen Sie das anstellen?“

„Das weiß ich im Moment noch nicht! Aber das gelobe ich Ihnen in die Hand: ich werde nicht ruhen, bis es mir gelungen ist.“

„Sie haben sich das in den Kopf gesetzt! Bedenken Sie doch, eine Amerikanerin, der Millionen ihrer Landsleute zu Füßen liegen.“

„Aber nur ein Freier und Edler Herr Stuck von Stockwitz!“

„Am Ende legt sie keinen so besonderen Wert darauf.“

„Oh, ich werde es ihr klar machen, was es heißt, von mir geliebt zu werden!“

„Wenn ihr doch aber das Verständnis dafür fehlt?“

„Dann bringt man’s ihr zwangsweise bei.“

„Wie? — Zwingen? — Eine Frau? — Gar mit Gewalt?“

„Ein Stuck-Stockwitz liebt nur einmal in seinem Leben! Wehe der Frau, die ihn dann nicht wiederliebt!“

„Gefühl läßt sich doch nicht erzwingen!“

„Genau wie Gehorsam! Auch den Widerstand in der Liebe bricht man mit Gewalt! Leidenschaft läßt sich anpeitschen!“

„Herr Geheimrat, ich erkenne Sie nicht wieder!“

„Je schonungsloser und brutaler man in der Liebe vorgeht, um so sicherer kommt man zum Ziele!“

„Eine empfindsame Frau widert das an.“

„Gerade bei den empfindsamsten Frauen erzeugt Grausamkeit Liebe!“

„Das ist ja krankhaft!“

„Möglich, daß Liebe eine Krankheit ist. Dann aber hilft nur eins: sich mit dem Krankheitserreger zu vereinigen, um gegen sein Gift immun zu werden.“

„Herr Geheimrat, Sie wissen nicht, was Sie reden!“

„Möglich! Aber ich weiß, was ich will.“

„So habe ich Sie nie gesehen!“

„Niemand hat mich so gesehen! Weil ich in meinem langen Leben noch nie verliebt gewesen bin! — Aber hinter dem kühlen Diplomaten steckt noch ein anderer: ein Mensch von Fleisch und Blut!“

„So versuchen Sie es doch erst noch einmal auf normalem Wege.“

„Wissen Sie einen?“

„Vielleicht, daß man in Filmkreisen Leute findet, die eine Verbindung herstellen.“

„Nein! Das hab ich versucht! Überall habe ich herumspioniert! Die Beamten meines Ressorts arbeiten fieberhaft! Ich habe ihnen gesagt: ein Staatsinteresse stehe auf dem Spiel!“

„Wie? Das haben Sie Ihren Beamten ...?“

„Ist es nicht so? — Wenn man mich zwingt, Gewalt anzuwenden, dann bring’ ich meiner Leidenschaft ein Opfer und bin beruflich erledigt.“

„Darum eben sollten Sie sich besinnen! — Ihret- und des Amtes wegen!“

„Und wenn eine Kaiserkrone auf dem Spiele stände! Meine Liebe kennt keine Rücksicht. Da gibt es nur ein entweder — oder.“

„Und in Filmkreisen hat man Ihnen nichts sagen können?“

„Man hat sie da überhaupt nur bei den Filmaufnahmen zu sehen bekommen. Und auch da nur sporadisch!“

„Aber ihr Impresario! — Und dann ist da eine Diva Liane de La Roche — vielleicht, daß die?“

von Stuck biß die Lippen aufeinander und ballte die Fäuste.

Wie ein Raubtier sieht er aus, dachte Frau Marga. Ich hätte ihm so viel Temperament gar nicht zugetraut. Furchtbar nur, daß diese Leidenschaft mir gilt.

„Ich war bei diesem Impresario“, fauchte von Stuck.

„Nun, und?“

„Da!“ — Er griff in die Tasche und holte einen Zettel heraus, den er Frau Marga reichte. „Diesen Wisch hat mir der Hund in die Hand gedrückt.“

Frau Marga las ein gedrucktes Schreiben, das lautete:

„Mein Herr!

Wenn Sie fortfahren, der Tugend Miß Rockefellers nachzustellen, überantworten wir Sie der Polizei.

I. A.: Anton Reber.

Abtlg. Abwehr, Nr. 13715.“

Frau Marga konnte ein Lachen nicht unterdrücken.

„Wenn ich den Kerl zu fassen bekomme!“

„Ich denke, er hat Ihnen das Schreiben persönlich übergeben?“

„Aber sich gedrückt, während ich es las! So sind die Helden! Sie errichten eine Mauer zwischen Miß Rockefeller und mir! Aber ich werde sie einreißen!“

„Und waren Sie auch bei dieser ... wie heißt sie doch — Liane de La Roche?“

„Ich war!“

„Was hat sie Ihnen geraten?“

„Kennen Sie die Frau?“ fragte er erregt.

„Nur von der Leinwand her.“

„Sie hat mir etwas zu trinken gegeben. — Ich weiß nicht was! — Damit ich ruhiger werde! sagte sie. — Aber es brannte wie Feuer in meiner Kehle und steigerte meine Leidenschaft, statt sie zu besänftigen.“

„Und was sagte Liane zu dem Erfolg?“

„Sie redete mir zu. Wie Frauen reden.“

„Was sagte sie?“

„Nur über meinen Körper führt der Weg zu Miß Rockefeller! rief sie mit Emphase.“

„Und was taten Sie?“ fragte Frau Marga.

von Stuck sah zu Boden und sagte:

„Ich ging den Weg! — Aber nun liebt sie mich und erklärt, eher risse sie sich das Herz aus dem Leibe, als daß sie mich mit Miß Rockefeller zusammenbrächte.“

„So seien sie froh! Alle Welt begehrt diese Liane!“

„Ich aber begehre Miß Rockefeller! Und wer mir in den Weg tritt, den zertret’ ich! — Es ist ja grade, als wenn die ganze Welt sich gegen mich verschworen hätte! — Wetten hat man ihretwegen abgeschlossen.“

„Wa — a — s?“

„Glauben Sie, ich werde warten, bis ein anderer mir zuvorkommt? Ich mag als Diplomat nur ein Talent sein! Gut, mein politischer Ehrgeiz ist begrenzt! In der Liebe aber werde ich beweisen, daß ich ein Genie bin!“

„Am Ende ist Miß Rockefeller gar nicht mehr da.“

„Wie da? — Was meinen Sie damit?“ fragte er erregt.

„Es wäre doch möglich, ja, es ist sogar wahrscheinlich, daß sie schon auf dem Wege nach Amerika ist?“

„Teufel!“ schrie von Stuck laut. „Quälen Sie mich nicht! — Welch’ ein Gedanke!“ — Er verlor vollkommen die Fassung. „Wenn das wäre! Wo erfahr’ ich das? — Ich reise noch heute! — Helfen Sie!“ — Er ergriff die Hand Frau Margas, die über einen Weg nachsann, sich den gefahrvollen Nachstellungen von Stucks zu entziehen. „Ihr Mann bleibt hier! Vertritt mich! — Nein, das geht nicht! — Aber ein anderer! Irgend wer! — Baron Simpeln tritt an meine Stelle. Und ich fahre! Morgen! Mit dem nächsten Schiff! Ein Grund findet sich!“

„Aber erst müssen Sie doch wissen ...“

„Was?“

„Daß sie wirklich fort ist.“

„Sie haben recht!“

„Mein Mann!“ rief Marga plötzlich.

„Wo?“ fragte von Stuck und wandte sich um.

„Ich höre ihn kommen! Ich kenne seinen Tritt! — Warten Sie hier! — Ich hole ihn. Er weiß vielleicht —“

Sie stürzte hinaus, während von Stuck verzweifelt auf einen Sessel sank. —

Doktor Deichler und Reber saßen voller Erwartung und sahen zur Tür. Das eine und andere laut gesprochene Wort hatten sie verstanden. Einen Zusammenhang gab es nicht. Aber so viel hatten sie doch herausgehört, daß ihre Vermutung nicht zutraf.

Frau Marga stürzte ins Zimmer, auf ihren Mann zu und orientierte ihn:

„Du gehst auf drei Wochen an Stelle Simpelns nach Amerika.“

„Nicht möglich!“

„Hör’ weiter! Dieser Stuck ist übergeschnappt.“

„Normal war er nie!“

„So hör’ mich doch an! — Er sitzt doch noch drin! Also: Er liebt mich!“

„Wa ... a ...?“

„Dich?“

„Nein! Nein! Miß Rockefeller!“

„Das bist du doch!“

„Aber nicht für ihn! — So bleib doch sitzen und reg dich nicht auf! Er ist rein toll nach mir.“

„Nach ihr.“

„Ja! Ja! — Er hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu erobern, und wenn es mit Gewalt sein muß! Rücksichtslos! Selbst auf die Gefahr hin, seine Karriere dafür zu opfern.“

„Das wäre ein Glück!“

„Aber geht uns nichts an.“

„Erlaub mal!“

„Wenigstens nicht im Augenblick!“

Reber pruschte laut los. Frau Marga hielt ihm die Hand vor den Mund.

„Ihr Männer seid doch unmöglich! — Also hör’ weiter! Dieser Mensch bedeutet in seiner Verliebtheit eine ständige Gefahr. Nicht nur er, seine sämtlichen Beamten suchen mich! Auch bei Liane hat er’s versucht.“

„Was hat er bei Liane versucht?“ fragte Anton Reber erregt.

„Gesucht hat er mich! Gefunden hat er sie! und zwar gründlich!“

„Das soll doch nicht etwa heißen, daß Liane ...“

„Darüber können wir später sprechen.“

„Ich muß auf der Stelle wissen, ob Liane mir treu ist.“

„Wenn du das durchaus wissen mußt, obschon wir jetzt Wichtigeres zu besprechen haben: Nein, sie ist es nicht!“

Reber sprang auf.

„Wohin willst du?“ fragte Marga.

„Frage! — Zu Liane! Sie zur Rede stellen!“

„Und Stuck in die Arme laufen? — Nein, diese Männer! Wenn Sie verliebt sind, verlieren sie doch alle den Kopf.“

„Was soll also geschehen?“ fragte Deichler.

„Um die unmittelbare Gefahr abzuwenden, habe ich ihm insinuiert, daß Miß Rockefeller am Ende gar nicht mehr in Berlin ist.“

„Sehr gescheit!“

„Danke! Ihr wärt natürlich nicht darauf gekommen! — Daß sie möglicherweise schon wieder auf der Rückreise nach Amerika sei!“

„Ausgezeichnet!“

„Nein! Sehr dumm! Denn natürlich hat er sofort erklärt: dann bleibt Ihr Mann hier und ich fahre!“

„Das kann er doch gar nicht!“

„Er wird schon einen Grund finden.“

„So ein Pech!“ sagte Deichler. „Bietet sich einem schon mal die Gelegenheit — aber das verdanke ich euch!“

„Ohne mich existierte keine Miß Rockefeller, ohne eine Miß Rockefeller käme Stuck nicht auf den Gedanken, nach Amerika zu fahren — alles, was du sagst, ist also Unsinn!“

„Zugegeben! Aber was soll geschehen?“

„Wir müssen ihn wo anders hin abschieben.“

„Als ob der sich schieben ließe!“

„Du wirst es sehen! — Also paß auf! Du gehst jetzt mit mir hinein, tust, als ob du fort warst und eben zurückkommst.“

„Was hat das für einen Zweck?“

„Du tust sehr aufgeregt, erzählst, ein gut orientierter Freund habe dir von Unruhen in Tokio anläßlich des Rockefeller-Films berichtet. Der amerikanische Botschafter sei tätlich beleidigt worden.“

„Das ist ja Wahnsinn!“

„Nein! Das stimmt! Er hat es mir selbst erzählt!“

„Schwindelgerüchte!“

„Die uns sehr zu paß kommen!“

„Ja, wieso?“

„Weil — und nun paß auf! — Miß Rockefeller sich auf dem Wege nach Tokio befinde, um den Vorstellungen persönlich beizuwohnen und keine Möglichkeit mehr bestände, sie zurückzurufen.“

„Das ist ja Tollhaus!“

„Um so mehr wird es ihm eingehen.“

„Ja, was glaubst du damit zu erreichen?“

„Das wirst du in zwei Minuten erleben.“

Sie nahm ihn beim Arm und ging mit ihm in den Salon.

„Entschuldigen Sie, Herr Geheimrat, aber ehe so ein Mann sich auszieht ...“

„Haben Sie Nachrichten?“ stürzte von Stuck auf ihn zu.

„Nichts Gutes leider!“ erwiderte Deichler.

„Von Miß Rockefeller?“

„Auch, aber die interessiert uns nicht!“

„So! Dann erlauben Sie wohl, daß ich anderer Ansicht bin!“

„Politisch ...“

„Es gibt auch Höheres als Politik.“

„Für mich nicht, Herr Geheimrat!“

„Berichten Sie!“

„In Tokio kam es gelegentlich ...“

„Ich weiß! Ich weiß! — Was weiter?“

„Der amerikanische Botschafter ...“

„... tätlich beleidigt! — Das nennen Sie Neuigkeiten?“

„Miß Rockefeller ...“

von Stuck stürzte auf ihn zu:

„Was ist mit ihr?“

„Man weiß nur, daß sie sich auf dem Wege nach Tokio befindet ...“

von Stuck schrie laut auf.

„... daß man sie nicht mehr warnen kann ...“

von Stuck schrie noch lauter.

„... so daß bei der Erregtheit der Japaner für sie die Gefahr besteht ...“

„Gefahr!“ rief von Stuck. „Miß Rockefeller in Gefahr!“

„... von den Japanern gelyncht zu werden!“

„Himmel! Hölle! das ertrag’ ich nicht!“

Deichler und Frau Marga sahen sich an.

„Tokio!“ rief von Stuck. „Wann geht das nächste Schiff?“

„Wohin, Herr Geheimrat?“

„Fragen Sie nicht so dumm!“

„Herr Geheimrat wollen nach Tokio?“

„Wollen? — Muß! Augenblicklich! Heute noch, wenn es geht!“

„Morgen nachmittag geht ein Schiff ...“

„Ein Auto!“ brüllte er Frau Marga an. „Und Sie, Deichler, verständigen den Minister.“

„Ich weiß wirklich nicht, was ich Exzellenz sagen soll.“

„Daß wir bei dem drohenden amerikanisch-japanischen Konflikt an Ort und Stelle durch eine erste Kraft vertreten sein müssen. Graf Kleist wäre ein Neuling. Sie und ich, wir hätten die ganze Nacht gesessen und beraten. Schließlich hätte ich den schweren Entschluß gefaßt, selbst zu fahren. Das Opfer wäre mir nicht leicht gefallen. Aber die Schwere und Dringlichkeit des Falles ...“

„Das Auto ist da!“

„Und Sie fahren morgen nach London! Ich drahte von unterwegs aus!“

Ohne die Hand zu geben, stürzte er hinaus.

Frau Marga und ihr Mann fielen sich in die Arme. —

Reber öffnete eine neue Flasche Burgunder und goß ein.

Neuntes Kapitel

In aller Frühe des nächsten Morgens meldete das Mädchen Frau Marga und ihrem Manne, die gerade bei der Toilette waren, daß ein Herr sie zu sprechen wünsche.

„Hat er keine Karte abgegeben?“ fragte Deichler.

„Nein!“

„Auch keinen Namen genannt?“

„Er hat so viel geredet, daß ich ganz durcheinander bin.“

„Wie sieht er aus?“

„Klein, schwarz, mit einer Zahnlücke“..“

„Ernst Martin Heilmann!“ rief Frau Marga, und draußen erwiderte eine Stimme:

„Stimmt! — Aber vorwärts, Kinder! Macht meinetwegen keine Toilette! Ich habe meine Zeit nicht gestohlen! Aber wenn ihr ein gutes Frühstück habt, so laßt für mich mit decken.“

„Ja, was ist denn los?“ fragte Deichler, der, wie auch Frau Marga, Heilmann seit jenem Abend im Kino nicht mehr gesehen hatte.

„Das werdet ihr gleich hören und euch vor Schreck auf den Allerwertesten setzen!“

„Der Fuchs hat mich erkannt“, sagte Frau Marga leise zu ihrem Mann. „Und nun wird er für sein Schweigen eine Beteiligung fordern.“

„Wir wissen schon!“ rief Deichler hinaus.

„Wetten, daß nicht?“ scholl es zurück.

„Krieg zwischen Japan und Amerika.“

„Interessiert mich nicht.“

„Unter Teilnahme Deutschlands auf seiten Japans.“

„Läßt mich kalt! Ich bin vorgestern fünfundvierzig geworden.“

„Gratuliere!“

„Dafür kann ich mir nichts kaufen. Aber wenn du eine Flasche Portwein auf mein Wohl trinken willst — ich bin dabei!“

„Also, was gibt’s?“

„Kann ich rein?“ und ehe eine Antwort kam, drückte er die Klinke schon herunter.

„Nein!“ rief Frau Marga und eilte zur Tür, um sie zu verschließen.

Da stand Ernst Martin auch schon vor ihr.

Frau Marga schrie auf.

„Also, Kind, das müssen Sie sich abgewöhnen!“ sagte Ernst Martin. „Man erschreckt sich ja! und doch dazu auf nüchternen Magen!“

„Das gehört sich nicht!“ erklärte Deichler und trat zwischen Ernst Martin und seine Frau, die schnell vom Kleiderhaken eine Matinee nahm und sich überwarf.

„Schlecht geschlafen?“ fragte Ernst Martin, der dafür kein Verständnis hatte. „Schade! Dann werdet ihr wohl auch den für meine Idee nötigen Humor kaum aufbringen.“

„Bleib doch so!“ sagte Deichler zu seiner Frau. „Du siehst, Herr Heilmann hat es eilig.“

„Wollten Sie meinetwegen vielleicht noch Pelz und Schleier anlegen?“ fragte er. „Und dann, lieber Freund, was heißt: Herr Heilmann? Das verbitt ich mir!“

„Ich wollte dich nicht in deiner Künstlerehre kränken“, erwiderte Deichler. „Aber ein bißchen ungeniert bist du schon.“

„Ein netter Freund! Das muß ich sagen. Ich hätte wohl nach Sitte des Auswärtigen Amts erst einen Kurier mit einem unverständlichen Schreiben und der Anfrage schicken sollen, ob mein Besuch den Hohen Herrschaften genehm sei. Bis die Antwort kam, wäre mein Plan wahrscheinlich schon antiquiert gewesen. Aber darauf kommt’s euch Herren Diplomaten ja nicht an. Hauptsache bleibt die Etikette!“

Frau Marga lachte und sagte:

„Sie haben ganz recht! Und das gefällt mir! Und eine Flasche Portwein bekommen Sie auch zum Frühstück.“

„Das ist ein Wort! Und Sie eine Frau! — Ja! Ja! Die dümmsten Bauern — aber das paßt nicht.“

„Heilmännchen, werde nicht unverschämt!“ sagte Deichler. „Ich habe höchstens zwanzig Minuten, dann muß ich ins Amt.“

„Da kommst du morgen auch noch früh genug hin.“

„Sie scheinen ja eine glänzende Meinung von dem Auswärtigen Amt zu haben.“

„Gar keine! Ich habe nur Meinung fürs Kino. Und darum bin ich hier.“

Sie setzten sich an den Frühstückstisch. Frau Marga goß ein. Das Mädchen reichte Honig, kalten Fisch, Aufschnitt und Butter.

„Du hast wohl das Ressort „Einfuhr von Lebensmitteln“ unter dir?“ fragte Ernst Martin.

„Das ist schon wieder eine Beleidigung!“ erwiderte Deichler.

„Bei eurer Empfindlichkeit wundert’s mich nicht, daß fortwährend diplomatische Konflikte entstehen, unter denen dann wir zu leiden haben. Wenn ich in meiner Branche so empfindlich wäre, ich käme vor lauter Beleidigtsein überhaupt zu keiner positiven Arbeit.“

„Na weißt du, besonders sachlich finde ich dich mir gegenüber gerade nicht.“

„Du hast recht! Also paßt auf, Kinder, ich habe eine Glanzidee! Ihr werdet sagen ‚Verrückt!‘ Und drei Wochen gebrauchen, um euch überhaupt nur mit dem Gedanken vertraut zu machen. Da der Gedanke aber in der Luft liegt — was sag’ ich? Luft? — auf der Straße liegt er, faustdick, für jeden zu greifen, der Augen hat und nicht bis da hinauf in Vorurteilen steckt.“

„So sag’ schon!“

„Wollt ihr Geld verdienen?“

„Auf anständige Weise — gewiß!“

„Das ist wieder so’ne Redensart!“

„Erlaub’ mal!“

„Als ob alle politischen Geschäfte anständig wären! — Was heißt heute überhaupt anständig? Mit dem, was man früher anständig nannte, kommt man heute vor die Hunde! Anstand besteht heute darin, daß man einen reinen Kragen und anständiges Schuhwerk trägt. Um alles andere kümmert sich heutzutage kein Mensch.“

„Da mach’ ich nicht mit“, erwiderte Deichler.

„Das ist ja das Unglück! Darum tanzen euch ja die anderen auf der Nase herum.“

„Keine Politik, bitte! Oder handelt es sich darum, daß du Reichskanzler werden willst?“

„Das könnt’ euch so passen! — Aber ich werd’ mich hüten. Nicht für’n Wald von Affen!“

„Also dann bitte!“

„Prost!“ sagte Ernst Martin und stieß mit Frau Marga an.

„Warum betrachten Sie mich so?“ fragte die.

„Wahrhaftig!“ sagte Ernst Martin halblaut und mehr zu sich und ließ kein Auge von Frau Marga. „Es wäre eine Sünde und eine Dummheit zugleich — so dumm wäre es, daß ich es wahrhaftig für möglich halte — nee! So dumm kann nicht einmal ein deutscher Diplomat sein.“

„Also, Ernst Martin Heilmann, jetzt hör’ einmal zu!“ sagte Deichler mit großer Bestimmtheit. „Diese halbe Stunde des Morgens ist die einzige Zeit, zu der ich mit meiner Frau ungestört zusammensitze. Wenn du also glaubst ...“

„Ich weiß schon! Du willst sagen ...“

„Um so besser, wenn du es weißt. Dann richte dich bitte danach.“

Und nun ging Ernst Martin aufs Ganze.

„Was sagt ihr zu der neuesten Sensation? Verblüffend, was? Ich muß sagen, ich bin erschüttert. Das erstemal in meinem Leben, daß ich erschüttert bin! Auf so etwas war ich nicht vorbereitet. Das ist selbst für den Magen eines Ernst Martin zu viel.“

„Du meinst vermutlich den Rockefeller-Film?“ erwiderte Deichler.

„Ach nee!“ rief Ernst Martin spöttisch. „Sieh mal an! Allerdings, die deutsche Valuta mein’ ich nicht. Die überlaß’ ich dir! Aber dieser Rockefeller-Rummel, der geht mich an! Der trifft mich! — So was hat die Welt noch nicht gesehen!“

„Finden Sie die Leistung dieser Frau so überragend?“

„Leistung? Was für ’ne Leistung?“

„Ihr Spiel natürlich.“

„Interessiert mich nicht! Was die kann, können andre auch. Und was andre können, kann die schon lange! Kunststück, wenn ich ’ne Rockefeller wäre, wüßt’ ich auch Komödie zu spielen.“

„Wieso? Das versteh’ ich nicht.“

„Ich bitt’ Sie, was ist der ihr ganzes Leben denn anderes als eine gesellschaftliche Komödie? — Bedenken Sie, was dagegen so ein armes Ding, das, wie ja die meisten, vom Hinterhaus in die Konfektion und von der Konfektion zum Film kommt, alles lernen muß, um auch nur entfernt einer Dame ähnlich zu werden.“

„Also ist es doch ihre Leistung, die dich so erschüttert“, sagte Deichler.

„Aber Menschenskind, ein Bluff erschüttert, aber doch keine Leistung! — Das ist ’ne Zugabe! Ich gebe zu, ’ne angenehme. Aber darin liegt doch nicht das Millionengeschäft!“

„Worin denn?“

„Ich sagte ja schon: im Bluff!“

„Aber das ist doch gar keiner!“

„Wie? — Was? — Ist das dein Ernst? — Eine Miß Rockefeller soll kein Bluff sein? — Stell’ sie hin, wohin du willst! In eine Gesellschaft, in ein Konzert, in ein Theater, in eine Modenschau, was weiß ich, was es noch gibt — neben ihr wird alles andere bedeutungslos! Sie bleibt der Clou! Sie entscheidet das Geschäft — den Erfolg!“ verbesserte er schnell. „Und nun gar im Film! Wo alles auf Reklame und Bluff gestellt ist! Da kann eine Rockefeller alles an sich reißen und geradezu verheerend wirken.“

„Verheerend? Inwiefern?“

„Insofern, als man sie nicht hat.“

„Ah so!“

„Für eine Ika oder einen Reber — der Himmel weiß, wo sie den ausgegraben hat! — bedeutet Miß Rockefeller das größte Geschäft, das es je in unserer Branche gegeben hat. Für mich, Ernst Martin, würde es Millionen, Milliarden, Europa, Amerika, die Welt bedeuten!“

„Dann würde ich alles daran setzen, Miß Rockefeller zu gewinnen.“

„Eine glänzende Idee, auf die nur ein deutscher Diplomat kommen kann!“ — frotzelte Ernst Martin. „Aber wenn ich den Leuten eine Milliarde auf den Tisch lege, treten sie sie mir auch nicht ab.“

„Ja, soll ich vielleicht auf diplomatischem Wege ...“

„Nee! Nee! Man ja nicht!“ wehrte Ernst Martin ab. — „Worauf ich hinaus will, das ist etwas ganz anderes! — Entweder sind diese Leute Idioten oder irgend etwas stimmt da nicht. Aber ich komme dahinter, so wahr ich Ernst Martin bin! Gehe ich an dieser Miß Rockefeller zugrunde, sollen sie mich vorher kennenlernen.“

„Ich begreife gar nicht, wieso du daran zugrunde gehen sollst!“ sagte Deichler.

„Könntest du leben, wenn du die Möglichkeit sähest — was sag’ ich, Möglichkeit? — Gewißheit, Millionen, Milliarden zu verdienen, die Filmpreise für die ganze Welt zu bestimmen, allen Theaterdirektoren vorzuschreiben, was sie zu spielen haben — mit einem Worte, wenn du die Möglichkeit greifbar vor dir sähest, der Rockefeller des Films zu werden, und andere, die es in der Hand haben, die aber zu dumm, zu faul, zu kurzsichtig und zu feige dazu sind, verwehren es dir — sage ganz offen, möchtest du mit dieser zum Greifen nahen und doch unerreichbaren Chance als Direktor des Palasttheaters Unter den Linden weiterleben?“

„Sie überschätzen am Ende doch die Bedeutung dieser Miß Rockefeller?“ meinte Frau Marga.

„Jede zahlenmäßige Schätzung ist zu niedrig“, erwiderte Ernst Martin, „und entweder eine Unterschätzung der Miß oder meiner Phantasie und Tüchtigkeit.“

„Und Sie meinen, daß die Ika und dieser Reber die Chancen nicht oder nur zum Teil nutzen?“

„Nutzen? Daß ich nicht lache! — Nicht nur, daß sie sie nicht suchen — wozu auch? — Sie laufen ihnen ja über den Weg, türmen sich haushoch vor ihnen auf! — Sie brauchten sie nur rein mechanisch, der Reihe nach, abzutragen. — Aber sie denken nicht dran! — Sie machen sich nicht einmal die Mühe, sie zu prüfen. Sie schieben sie zur Seite, trampeln darauf herum. Milliarden, sage ich, wären mit dieser Miß zu verdienen, wenn man sie richtig einspannt.“

„Wissen sie, was ich glaube,“ sagte Frau Marga, „daß sich diese Miß Rockefeller aus Rücksicht auf ihre Familie — bedenken Sie doch die Kinderstube, die sie gewiß nicht verleugnen kann — von allem fernhält.“

„Richtig!“ rief Ernst Martin, „das ist auch meine Lösung!“

„Nun also, dann weiß ich nicht, warum du dich so erregst?“ meinte Deichler.

„Ich soll mit ansehen, wie man sich Millionengeschäfte durch die Lappen gehen läßt und dabei ruhig bleiben?“

„Wo du es doch nicht ändern kannst?“

„Ich kann es ändern.“

„Nanu?“

„Alles, was diese Miß Rockefeller aus Rücksicht auf ihre Familie unterlassen muß, hunderte von Möglichkeiten, mit denen Unsummen zu verdienen wären, müßte an ihrer Stelle eben eine andere tun.“

„Wie denn?“ fragte Frau Marga. „Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, einen Miß Rockefeller-Ersatz?“

„Das ist es! Ein Rockefeller-Ersatz!“ bestätigte Ernst Martin.

„Und Sie glauben, wenn es zum Beispiel heißt: auf der Modenschau im Zoo wird an Stelle der verhinderten Miß Rockefeller Fräulein Hermine Schulz die neuesten Kreationen des Hauses Max Stein vorführen, daß das dann dieselbe Wirkung übt, als wenn die Miß persönlich erscheint?“

„I Gott bewahre! — Hermine Schulz darf auf der Modenschau eben nicht als Hermine Schulz erscheinen.“

„Ja, als was denn?“

Als Miß Rockefeller.

„Wie denn?“ — „Das versteh’ ich nicht“, sagten Frau Marga und Doktor Deichler.

„Was nicht ist, schafft man, stellt es einfach hin, als wenn es nie anders gewesen wäre.“

„Sie können doch nicht ...“

„Natürlich kann ich! So gut wie sich aus Ida Krause Mira Mara machen läßt, läßt sich auch May Rockefeller aus ihr machen.“

„Sie wollten also der echten Miß Rockefeller eine falsche gegenüberstellen?“

„Was heißt gegenüberstellen? Wo die echte erscheint, wird meine nicht erscheinen. Aber die echte erscheint nicht, also wird meine überall sein. Und wenn das Jahr rum ist, wird die echte Miß Rockefeller eine Million tragen, meine das Drei- und Vierfache. Wie aber eine Perle, die vier Millionen trägt, viermal mehr wert ist als eine von einer Million, so auch die Diva. Und schließlich wird sich herausstellen, daß meine Miß Rockefeller die echte und die andere eine minderwertige Imitation ist.“

„Und Sie glauben, daß Miß Rockefeller sich das gefallen läßt?“

„Nee! — Es wird einen Mordsskandal setzen. Die Frage bleibt nur, wer aus dem Skandal den Vorteil zieht.“

„Das ist doch ganz klar“, meinte Deichler, und Ernst Martin erwiderte:

„Mir auch. Die echte Miß Rockefeller hat tausend Rücksichten auf ihre Familie zu nehmen, und ein Skandal ist für sie das gleiche, wie für Ida Krause eine Hinrichtung. Für Ida Krause aber ist allein die Aussicht, in einen Skandal verwickelt zu werden, bei dem es sich darum handelt, ob sie oder ihre Rivalin die echte Rockefeller ist, ein Glücksfall!“

„Aber wenn sie dann als Schwindlerin entlarvt wird.“

„Erstens hat sie bis dahin Weltberühmtheit erlangt und dann wird sie eben kurz vor der sogenannten Entlarvung erklären, sie sei großzügiger als ihre kleinliche Rivalin, die scheinbar mehr Wert auf den Namen als auf die Leistung lege — so’n Quatsch zieht immer! — sie überlasse ihr daher den Namen, damit sie wenigstens etwas habe. Sie selbst werde sich von heute ab May Morgan née Rockefeller nennen. — Glauben Sie nicht, daß sie die Lacher und damit auch das Geschäft auf ihrer Seite haben wird?“

„Sie sind ein mit allen Wassern ...“

„Danke!“ wehrte Ernst Martin ab. „Ich bin nicht für Komplimente. Volle Häuser sind mir lieber. — Also!“ — er streckte Frau Marga die Hand hin — „schlagen Sie ein!“

„Ja, was heißt das?“

„Das heißt: im Prinzip einverstanden!“

„Wer?“

„Sie! Wer sonst?“

„Und womit einverstanden?“

„Mit der Übernahme dieser Rolle, die ich Ihnen hiermit in aller Form und unter Vorlegung dieses Vertrages“ — er zog einen Bogen aus der Tasche — „antrage.“

„Du bist verrückt!“ rief Deichler, und Ernst Martin lachte laut auf und rief:

„Nu, was hab’ ich gesagt? Verrückt! wirst du schreien! — Ich kenne doch meine deutschen Diplomaten.“

„Und wieso?“ fragte Frau Marga, „kommen Sie mit dieser Idee gerade zu mir?“

„Frage! Weil natürlich nur eine Dame eine Miß Rockefeller glaubhaft machen kann. Vor allem aber, weil Sie der echten Miß auffallend ähnlich sehen.“

„Das hat mir noch niemand gesagt“, erwiderte Frau Marga.

„Sie können sich auf meinen Blick absolut verlassen. Wenn Sie außer der Frisur noch ein paar der Rockefeller eigentümliche Gesten annehmen und sich einen etwas faderen Gesichtsausdruck angewöhnen, so wird niemand, dem man Sie als Miß Rockefeller vorführt, an einen Schwindel glauben.“

„Und warum sollte ich das machen?“ fragte Frau Marga.

„Um die Millionen zu retten! — Ja, ist euch denn der Gedanke nicht unerträglich, daß man einen Strom Goldes an sich vorbeifluten läßt, wo man nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn auszuschöpfen?“

„Wenn der Strom aber einem andern gehört?“ parierte Marga.

„Aber nein! Er ist herrenlos! Die rechtmäßigen Eigentümer haben freiwillig Verzicht geleistet. — Ich wünschte, mir machte jemand das Geldverdienen so leicht, wie ich es euch mache. Aber ich seh’ schon, um euch für einen Gedanken zu erwärmen, der außerhalb eures üblichen Ideenkreises liegt, muß man früh anfangen und spät aufhören.“

„Die Welt des Films liegt uns eben völlig fern“, log Frau Marga, und Deichler fügte hinzu:

„Du lebst darin und gehst darin auf.“

„Das hat mit Filmen so wenig zu tun wie mit Schlagsahne. Nimm an, deine Frau sitzt in einer Loge, es braucht ja nicht in Berlin zu sein, wo man sie kennt, und wohnt der Vorführung des Rockefeller-Films bei. Sie hat nichts weiter zu tun, als sich in der Pause anstieren und mit Blumen beschmeißen zu lassen. Dafür kassiert sie am Schluß der Vorstellung beim Direktor fünftausend Mark ein. In vierzig Städten macht das eine Viertelmillion. Oder sie badet in Biarritz — ein gewöhnlicher Sterblicher zahlt dafür zwanzig Franken — ich bin überzeugt, daß, richtig aufgezogen, die Badeverwaltung sich die Sensation Tausende kosten läßt. Oder sie macht in einem Mercedes eine Reise durch die Krim, mit allen Schikanen natürlich, Bolschewisten­verfolgung, für Tage verschollen, Lenin vermittelt, Rockefeller bietet eine Milliarde Lösegeld, plötzlich stellt sich heraus, daß sie dank der Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit des Wagens entkommen und gerettet ist — was glaubt ihr, was die Mercedes A. G. uns für die Reklame zahlt? Glatt eine Million.“

„Ziemlich gefährlich so eine Autofahrt durch die Krim“, meinte Deichler.

„Gefährlich?“ erwiderte Ernst Martin. „Heller Wahnsinn wär’s! In Wirklichkeit sitzen wir in der Zeit natürlich als biedere Fabrikantenfamilie aus dem besetzten Gebiet in irgendeinem unbekannten Ostseebad und spielen Bridge.“

„Und wie lange, meinst du, soll das dauern?“

„Wir können uns ja eine bestimmte Summe als Ziel setzen. Ich bin bescheiden! Für Idee und Ausführung beteilige ich euch mit dreißig Prozent. Die Kosten übernehm’ ich! Und daß ihr euch nicht langweilt, dafür sorg’ ich schon.“

„Und was soll ich dabei?“ fragte Deichler.

„Du kannst im Amt bleiben. Dich brauchen wir dabei nicht“, erwiderte Ernst Martin. „Also, abgemacht?“ — Er schob ihnen den Vertrag hin und sagte: „Bitte! So eine Gelegenheit kehrt nie wieder. Und wenn ihr’s nicht macht, dann macht’s ’ne andere! Entgehen lasse ich mir das Geschäft nicht.“

„Hören Sie mich an, Ernst Martin“, erwiderte Frau Marga. „Ihr Vorschlag reizt mich.“

„Marga!“ rief Deichler, und begriff sie nicht.

„Ich kann mich im Augenblick natürlich nicht entscheiden; sage daher weder ja noch nein. Aber ich bitte Sie um Bedenkzeit.“

„Die sehr kurz sein muß!“ erklärte Ernst Martin.

„Zwei Stunden.“

„Gemacht!“ erwiderte er, stand auf und reichte ihr die Hand.

Marga schlug ein.

„Ich rechne auf Sie“, sagte er, während er noch ihre Hand hielt. „Ihr Mann steckt in Vorurteilen und wird Ihnen abraten. Wenn Sie aber nach sechs Monaten als reiche Frau zu ihm zurückkehren, wird er Ihnen nicht die Tür weisen.“

„Vielleicht doch!“ erwiderte Deichler.

„Dann ist seine Liebe nicht groß, und Sie werden auch ohne ihn fertig. Überhaupt eine Frau wie Sie!“

„In zwei Stunden!“ wiederholte Marga. „Und Sie versprechen mir, in der Zwischenzeit nichts zu unternehmen?“

„Mein Wort darauf!“

„Ich glaube wirklich, Marga, du ...“

„Laß mich nur!“ wehrte sie ab, und Ernst Martin sagte:

„Recht so!“ — trank seinen Portwein aus, schnalzte mit der Zunge und sagte: „Ausgezeichnet! Davon nehmen wir eine Kiste mit auf die Tournee, und die leeren Flaschen schicken wir dir, Rudi.“

„Du bist kein Diplomat, mein Lieber“, meinte Deichler.

„Das Kompliment akzeptier’ ich gern.“

„Statt mich zu überzeugen, behandelst du mich wie eine Art Trottel, den du nun einmal in jedem Diplomaten siehst. Ich nehme es daher auch nicht persönlich. Nur klug finde ich es nicht.“

„Eine gute Idee wirbt für sich selbst!“ erwiderte Ernst Martin und fand den Satz so schön, daß er ihn, als er jetzt Deichler die Hand zum Abschied reichte, wiederholte. —

Frau Marga setzte sich sofort mit Anton Reber in Verbindung.

Der sagte oder log:

„Den Gedanken hatte ich schon lange.“

„Siehst du!“ erwiderte Frau Marga und wandte sich an ihren Mann.

„Und zu welchem Zweck?“ fragte der.

„Das ist doch klar!“ erwiderte Reber. „Erfolgt, was ja eines Tages kommen muß, der Protest der Familie Rockefeller, so leitet man auf die ab.“

„Ausgezeichnet!“ rief Marga. „Und die Entlarvung der falschen Miß Rockefeller wird zugleich der Beweis meiner Echtheit sein!“

„Sehr richtig!“ stimmte Reber bei, und Deichler meinte:

„Woraus erhellt, daß du für diese falsche Miß nicht in Frage kommst?“

Reber lachte laut auf.

„Was gibt es denn da zu lachen?“ fragte Marga.

„Du redest dir also in der Tat ein, die echte Miß zu sein?“

„In gewissem Sinne ja! Die Originalidee stammt jedenfalls von mir.“

„Um eine solche Imitation von dir auf die Beine zu stellen, zu lancieren und richtig auszunutzen, dazu gehört schon ein Mensch, der mit allen Hunden gehetzt ist“, meinte Reber.

„Und ein weites Gewissen hat“, fügte Frau Marga hinzu.

„Noch weiter als das unsere“, ergänzte Deichler.

„Nur sehe ich nicht recht ein,“ meinte Marga, „was wir dann haben, wenn es ein anderer macht.“

„Rockefellers gegenüber“, erwiderte Reber, „kann es von Nutzen sein.“

„Noch etwas Wichtigeres!“ erklärte Deichler.

„Nämlich?“ fragten beide.

„Das würde allerdings den Höhepunkt einer Frechheit bedeuten, in der ihr ja schon so Bedeutendes leistet.“

„Du machst uns neugierig.“

„Ihr könnt Schadenersatz verlangen.“

„Was können wir?“

„Auf entgangenen Gewinn klagen.“

„Gegen wen?“

„Gegen die falsche Miß Rockefeller. Das heißt, gegen die andere falsche.“

„Herrlich!“ rief Frau Marga.

„Alles, was sie dadurch, daß sie sich für dich ausgibt, verdient, muß sie an euch herausgeben.“

„Nicht möglich!“

„Sofern ihr nachweisen könnt, — und das wäre in diesem Falle ja denkbar einfach — daß Marga in der Lage gewesen wäre, auf dieselbe Art dieselben Einnahmen zu erzielen.“

„Was sagst du dazu, Anton?“ rief Frau Marga begeistert. „Sie müht sich, und wir heimsen den Gewinn ein. — Gott, wie leicht ist es doch heutzutage, Geld zu verdienen.“

„Sehr vornehm aber ist das nicht“, meinte Reber.

„Vornehm zu sein, können wir uns vorläufig noch nicht leisten“, erwiderte Marga. „Das holen wir nach, wenn wir erst Millionäre sind.“

Am Abend desselben Tages fuhr Deichler mit Frau Marga nach Amerika. Teils war er froh, endlich einmal, wenn auch zeitlich sehr begrenzt, auf einen selbständigen Posten gestellt zu sein, andererseits wurde er ein unbehagliches Gefühl nicht los, weil er sich sagte, daß er diese Mission nicht seiner Leistung oder dem Vertrauen seiner Vorgesetzten, sondern ausschließlich — der Filmdiva Miß Rockefeller verdankte.

Der Minister, dem er — Stucks Auftrag gemäß — Bericht erstattete, war im ersten Augenblick ganz verblüfft.

„Das ist doch eine Eigenmächtigkeit!“ meinte er.

„Schneller Entschluß war wohl nötig,“ erwiderte Deichler, „wenigstens war das die Ansicht des Geheimrats.“

Der Minister gab das zu, meinte ferner, daß eine so plötzliche Reise nach Tokio nicht gerade zu den Annehmlichkeiten gehöre und fand schließlich, daß Geheimrat von Stuck ein äußerst gescheiter und gewissenhafter Beamter sei, der ganz in seinem Berufe aufginge und, wo vaterländische Interessen auf dem Spiele ständen, seine Person der Sache hintanstelle. — Über das Eigenmächtige seiner Handlungsweise hatte er sich mit so großem Erfolge hinweggeredet, daß er in dem Geheimrat nur noch das Muster eines pflichttreuen Beamten sah, dem nachzueifern er Doktor Deichler mit Wärme ans Herz legte.

Auch die Bereitwilligkeit, mit der Baron Simpeln zur Übernahme der Stuckschen Geschäfte sich erbot, berührte ihn angenehm, und als er nach Unterzeichnung einiger Aktenstücke, deren Inhalt ihm die vortragenden Räte mit wenigen Worten andeuteten, aufstand, um der Einladung eines Industriellen zum Lunch zu folgen, da winkte er zufrieden mit dem Kopfe und meinte: „Das Regieren ist doch eine recht angenehme Beschäftigung. Ich habe es mir viel beschwerlicher gedacht.“

Zehntes Kapitel

Liane de La Roche empfing.

Nicht, daß sie — wie sie es ersehnte — zum Tee oder zur musikalischen Soirée Herren und Damen der Gesellschaft bei sich sah, die ihr, der berühmten Diva, huldigten und es sich zur Ehre anrechneten, bei ihr verkehren zu dürfen.

Es handelte sich vielmehr um die zur Entgegennahme von „sehr persönlichen Anliegen“ eingeführte tägliche Sprechstunde von vier bis sechs — Anliegen, die zu ihrem großen Verdruß nicht sie, sondern ausschließlich Miß Rockefeller betrafen.

Anton Reber hatte ihr das damals, als sie ihren Berufswechsel vollzog, anders ausgemalt. Gleichberechtigt sollte sie neben Miß Rockefeller stehen und auf jede Sprosse des Ruhms, die Miß Rockefeller erklomm, wollte er sie, wie er sich ausdrückte, mit eigenen Händen nachheben.

Und nun? Diese Miß Rockefeller hob die Welt aus den Fugen. Man konnte keine Zeitung, kein illustriertes Blatt aufschlagen, ohne auf sie zu stoßen. Im Theater, in Gesellschaften und Konzerten gab es nur ein Gespräch: Miß Rockefeller. Die Räume der Börse hallten von ihr wieder. Man konnte an keinem Schaufenster vorübergehen, Frisuren, Schönheitsmittel, Liköre, Zigarren, Zigaretten, Schuhe, Blumen, Parfüms und Seife wurden nach ihr benannt. Kam man zur Schneiderin, so sprang die einem mit einem Modell Rockefeller entgegen, für das man dann den dreifachen Preis zahlen durfte. Von ihr, Liane, sprach man nie anders als von „der kleinen Rockefeller“ und in dem Wort „klein“ drückte sich, wie sie es sagten, Mitleid und Bedauern aus. Ja mehr! Es bedeutete etwas, was gern groß sein möchte und doch nicht kann, was nur in der Sonne der großen Kollegin atmet und lebt, auf sich allein gestellt aber zur völligen Bedeutungslosigkeit herabsinkt. Am Ende gar eine lächerliche Figur! — Schließlich redete sie sich ein, sie bestände nur, damit Miß Rockefeller neben ihr um so imposanter wirke. Und in der Tat fand sie, daß diese Frau mit ihren großen Maßen sie erdrückte und ihre eigenen Vorzüge absichtlich nicht zur Geltung kommen ließ. Stände sie für sich allein, so wäre sie wer! Genau wie all die andern, die zwar unter Miß Rockefeller litten und an Bedeutung einbüßten, immerhin doch aber sie selbst blieben, und nicht, wie sie, schließlich nur noch eine Kreatur der anderen waren.

Daß dieser Entwicklungsgang natürlich war, von selbst kam und daher von Anton Reber bei aller Mühe, die er sich gab, nicht aufgehalten oder auch nur gehemmt werden konnte, sah sie nicht ein. Sie hatte längst alle Brücken hinter sich abgebrochen, ihre Vergangenheit lag wie ein Märchen oder böser Traum hinter ihr, ihre Erinnerung reichte nur gerade bis nach Zürich, wo sie als zukunftsreiche Künstlerin nicht ohne inneres Widerstreben, ob dieser Schritt für ihre künstlerische Fortentwicklung auch der richtige sei, von Anton Reber für ein Zusammenspiel mit Miß Rockefeller engagiert wurde.

Und sie log nicht, sondern glaubte, daß sie die volle Wahrheit sprach, wenn sie Leuten, die sie besuchten, sagte:

„Es war mein Unglück, daß ich mich von Miß Rockefeller habe engagieren lassen. Ich wäre sonst heute Star in Paris. Hier werde ich an die Wand gedrückt und ausgenutzt.“

Dabei erhielt sie jede Summe, die sie verlangte, verbrachte täglich ganze Stunden in den ersten Modesalons und ließ sich Kleider bauen, wobei ihr erlesener Geschmack ausgenutzt wurde. Sie wußte das und ließ es geschehen.

„Es ist nun mal meine Bestimmung, ausgebeutet zu werden“, sagte sie in solchen Fällen. „Nur schade, daß sich meine Kunst dabei nicht ausleben kann.“

Die Regie in diesen sogenannten Sprechstunden lag in den Händen Lianes. Zunächst: Miß Rockefeller war nie zugegen. Das verstand sich von selbst. Nachdem der Besucher von einem Zimmer ins andere geführt und von einer Reihe von Herren und Damen besichtigt, befragt und für würdig befunden war, wurde er schließlich in einen raffiniert ausgestatteten Salon geleitet. Daß der Besucher diesen Vorzug seinem Namen, der Kritik der Damen und Herren, die ihn empfingen und seinem Äußern dankte, das, während er von einem Zimmer ins andere trat, verewigt wurde, wußte er nicht. Wohl hatte er während der ihm auferlegten Prüfung plötzlich Magnesiumlicht aufblitzen sehen, aber ihm war nicht einen Augenblick lang der Gedanke gekommen, daß das ihm gegolten hatte. Ebensowenig ahnte er, daß er in diesem Salon vom Nebenzimmer aus, in dem Liane saß, beobachtet wurde.

Erschien dann endlich Liane, so glaubte der Besucher, endlich der Miß Rockefeller gegenüberzustehen:

Liane sagte dann meist:

„Ich bin zwar nicht Miß Rockefeller selbst; aber ich bin so innig mit ihr befreundet, daß es beinahe auf das gleiche hinausläuft; sie oder ich.“

Und wer es nicht gerade auf eine Ehe mit Miß Rockefeller abgesehen hatte, ließ sich schließlich gern überzeugen, daß Liane ein sehr annehmbarer Ersatz war. So nahe sie aber dem Original kam, das sie in vielem sicherlich übertrumpfte sobald es zu irgendeiner Auseinandersetzung kam, ließ man sie es fühlen, daß sie Liane de La Roche und nicht Miß Rockefeller war.

Das hatte zur Folge, daß Liane immer kritischer wurde und schließlich kaum noch persönlich empfing. Aber ihr Geschäftssinn ertrug es doch nicht, besondere Chancen ungenutzt zu lassen. Unter ihren Kolleginnen gab es viele, die für ein paar gutbezahlte Stunden Liane de La Roche spielten. Einer dieser Freundinnen war auch von Stuck ins Garn gegangen. — Natürlich war dies System nicht gerade angetan, ihre Selbstachtung zu heben. Es kränkte sie, daß andere imstande waren, sie zu ersetzen. Aber sie war doch wiederum zu sehr von sich eingenommen, um für diese Tatsache nicht eine ihr günstige Erklärung zu suchen und zu finden. ‚Ich bin eben über Liane de La Roche hinausgewachsen‘, sagte sie sich und fühlte sich nun im Schatten Miß Rockefellers nur noch beengter.

Sie hatte eben zu einer Visitenkarte

Eberhard Freiherr Simpel von Simpeln

Geheimer Legationsrat

Schloß Simpeln bei

   Kaiserswerth

ziemlich bestimmt mit dem Kopf genickt und gleich darauf mit noch größerer Befriedigung das Negativ betrachtet, das einen äußerst eleganten Diplomatentyp verriet. Beinahe ungeduldig erwartete sie, daß er den Salon betrat. Sie sah ein degeneriertes, schmales, längliches Gesicht, das im Profil an einen Pferdekopf, von vorn an einen Raubvogel erinnerte. Er trug einen blendend sitzenden Cutaway mit grau-weißer Weste und knallig schwarz-weiß-gestreifter Hose; dicke wildlederne Handschuhe in der Farbe der Weste, einen tadellosen Zylinder, Lackstiefel und in dem etwas glotzigen rechten Auge ein Monokel. Und trotz aller Soigniertheit wirkte nichts gemacht; alles schien selbstverständlich und natürlich. Auch bewegte er sich nicht wie die meisten anderen, die bis in diesen Salon vorgelassen wurden, geniert und gezwungen, stutzte nicht an der Krawatte, brachte sich nicht vor dem Spiegel das Haar in Ordnung, sondern benahm sich, als wenn er sich innerhalb seiner eigenen vier Wände befände.

Alles das verfehlte seinen Eindruck auf Liane nicht und wirkte, was nicht oft geschah, so stark auf sie, daß sie sich wünschte, der Besuch gälte ihr und sich doppelt darüber ärgerte, daß er Miß Rockefeller galt. Und was lag näher, als daß daraus der Wunsch entsprang:

Wenn ich doch Miß Rockefeller wäre!

Mit diesem Gefühl betrat sie jetzt den Salon.

von Simpeln ging ihr, nicht gespreizt und verlegen wie die meisten andern, entgegen, als wenn er eine alte Bekannte begrüßte.

„Also wahrhaftig! — Der Passionsweg ist beendet! Ich war schon darauf vorbereitet, daß als nächste Station eine Röntgen­unter­suchung erfolgen würde. — Und nun stehen Sie vor mir, Gnädigste!“

Er nahm ihre Hand, die sie ihm entgegenstreckte.

„Kennen Sie mich nicht?“ fragte Liane.

„Wollen Sie mich kränken, wo Sie wissen, fühlen, fühlen müssen, mit welcher Andacht ich von dem Augenblick an, wo ich das Glück hatte, Sie zum ersten Male zu sehen, an Sie gedacht habe.“

„Ich habe es gefühlt“, log Liane.

„Also“, rief er und tat beglückt. „Ich habe gelobt, mir den Weg zu Ihnen zu bahnen und wenn er durch die Hölle führt.“

„Ganz so schlimm ist es nicht“, erwiderte Liane kokett und war sich noch immer nicht klar darüber, ob er wirklich wußte, wen er vor sich hatte.

„Ich hätte alles gewagt!“

„Wir handeln ja schließlich nur in der Notwehr,“ sprach Liane ihrer Freundin nach, „wenn wir uns mit einer Mauer umgeben.“

„Ist es ein Wunder, wenn alle Welt zu Ihnen walfahrt?“

„Es gibt so viele schöne Frauen.“

„Gewiß! Aber letzten Endes entscheidet doch immer die Persönlichkeit.“

„Da haben Sie recht“, erwiderte Liane, die es nicht verstand.

„Sie werden in Berlin bleiben?“

„Wir haben keine festen Pläne.“

Dies ewige „wir“, für das er keine Erklärung hatte, beunruhigte ihn.

„Werde ich das Glück haben, Sie jetzt öfter zu sehen?“ fragte er.

Liane, die das als Zeichen des Aufbruchs deutete, erwiderte:

„Gefällt es Ihnen bei mir nicht?“

„Fordern Sie mich auf, den Rest meines Lebens in diesem Raum zu verbringen — sofern Sie bleiben, bleibe auch ich.“

Sie sah ihn schwärmerisch an und meinte:

„Sie sprechen wie in einem Roman; das geht einem so durch und durch.“

„Ich bin glücklich, wenn ich verstanden werde.“

„Ich weiß genau ...“, beteuerte sie und sah zu Boden.

Aber er wußte nicht — und wie der Sieger, der keinen Widerstand findet, die Schnelligkeit, mit der er vorrückt, schließlich unheimlich empfindet, so war auch ihm die Bereitwilligkeit, mit der sie auf jede seiner Anregungen einging, unbehaglich. Schon das Blitzlicht zuvor hatte ihn irritiert, und wer konnte, zumal es sich um Amerikaner handelte, sicher sein, daß man nicht darauf ausging, ihn, den deutschen Diplomaten, für irgendeinen Film zu kurbeln. Und so wurde er, immer in der Erwartung, daß von irgendeiner Ecke aus das Magnesiumlicht aufblitzen würde, unruhig und sagte:

„Gnädigste! Um mit Ihnen über Dinge zu reden, die — wie soll ich sagen? — das Gegenteil von dem sind, was man unter Geschäft versteht, wünschte ich mir bei aller Vornehmheit dieses Raumes doch einen Ort, an dem man nicht allein schon durch die Nähe des Bureaus abgelenkt wird.“

„Sie haben ja gesehen, Baron, wir stecken derart in der Arbeit.“

„Nun, des Abends wird sich doch wohl mal eine Stunde finden.“

„Sie fordern viel, mein Herr!“

„Ich weiß es!“

„Darf ich fragen, mit welchem Recht?“

In diesem Augenblick genoß Liane das Glück, sich selbst als die Figur eines Romans zu fühlen, und nur schwer unterdrückte sie die Worte: ‚Etwa mit dem Recht des Stärkeren?‘ — Aber zu dieser Steigerung sah sie, die innerlich kalt blieb, vorerst noch keine Veranlassung.

„Eben das ist es,“ erwiderte er, „was ich Ihnen, da es sich um Empfindungen rein persönlicher Natur handelt, nicht gern hier erklären möchte.“

„Es ist unmöglich!“

„Darf ich fragen, wo Sie Ihre Abende verbringen?“

„Bei uns.“

„Sie sind demnach nicht allein?“

„Was denken Sie von mir?“

„Nur das Beste! — Würde ich — einer der beschäftigsten Diplomaten — mich sonst anstellen, um bis hierher vorzudringen? — Ja, edelste Miß!“ fuhr er mit Pathos fort und trat vor sie hin. „Ich habe mich Ihretwegen erniedrigt! Mehr noch! Ich habe mich kompromittiert! In dem Vorraum warteten, als ich kam — es liegt Stunden zurück — bereits dreizehn! Darunter sieben Herren.“

„Und die andern?“

„Waren teils arbeitende, teils arbeitsscheue Klasse! Gut, ich brachte die Selbstverleugnung auf, hielt den Atem an, schloß den Mund, sah nicht vor, nicht hinter mich und stellte mich an! Trotz fünf Jahren Krieg und zwei Jahren Revolution das erstemal, daß ich mich anstellte! Gibt es einen zuverlässigeren Gradmesser meiner Gefühle?“

„Und Sie haben mich sofort wiedererkannt?“ fragte Liane.

„Sie haben mich mit dieser Frage bereits, als ich kam, gekränkt! Unter Hunderttausenden würde ich Sie herauserkennen!“

„Es ist schon vorgekommen, daß man uns verwechselt hat.“

„Uns? — Wen meinen Sie damit?“

„Mich und die — nein! Die Miß und ...“

„Mit welcher Miß hat man Sie verwechseln dürfen?“

„Mit keiner Miß! Das ist es ja. Mit dieser anderen. Liane! Die mir überall im Wege steht.“

„Teuerste Miß, Sie scherzen! — Das kann doch nur — verzeihen Sie das harte Wort — einem Idioten zustoßen!“

„Nicht wahr? Ich sehe doch ganz anders aus — das heißt, eigentlich haben wir — man kann uns schon verwechseln. Leuten, die uns gut kennen, ist es sogar passiert. Die Leinewand täuscht. Die Menschen sehen da oft ganz anders aus, und man soll sich nicht einreden, daß man jemanden kennt, den man nur im Film — und wenn noch so oft — gesehen hat. Gewöhnlich sieht da gerade der andere so aus wie man selbst.“

„Sonderbar!“

„Aber es ist so! Glauben Sie’s! Es liegt meist am Licht oder an der Linse, die man auf den einen einstellt und die dann den anderen trifft. Das hat schon zu den unangenehmsten Verwechslungen geführt. Wenn Miß Rockefeller — ich meine, ich oder Liane — nehmen Sie einmal an, diese Liane begegnete Ihnen und gäbe sich als Miß Rockefeller aus — fertig bringt die’s! Ich bitte Sie, eine Südfranzösin! In Paris aufgewachsen! — aber natürlich, Miß Rockefeller ist sie nicht.“

Er schüttelte überlegen den Kopf und sagte:

„Die gibt es nur einmal! Und kein Licht und keine Linse könnte mir je für Sie eine andere vortäuschen.“

Sie wies auf ein ganz kleines Mal am Unterarm und sagte kokett:

„Hier! — Sehen Sie sich das an! — Für alle Fälle.“

Er nahm ihren Arm und sah es sich nicht nur an, sondern drückte seinen Mund darauf.

Sie zog hastig den Arm zurück und rief:

„Was tun Sie?“

Er sah sie zärtlich an und erwiderte:

„Für alle Fälle.“

Da lachte sie, gab ihm die Hand und sagte:

„Sie gefallen mir.“

„Ich danke Ihnen“, erwiderte er und tat gerührt.

„Aber bitte, ziehen Sie daraus keine falschen Schlüsse.“

„Ich ziehe nur einen Schluß daraus, der mich, soll ich nicht unglücklich werden, nicht täuschen darf.“

„Gerade das kann ich Ihnen nicht versprechen.“

Er sah sie erstaunt an. Was meinte sie?

„Ich bin nicht die erste beste Diva, die sich mit einem Manne, lediglich, weil er ihr gefällt, einläßt.“

‚Eine sonderbare Sprache führt diese Miß‘, dachte Simpeln und sagte:

„Das auch nur zu denken, wäre Verbrechen.“

„Ich muß wissen, wen ich vor mir habe. Nicht nur dem Namen nach. Das bin ich Papa schuldig.“

„Ich bin augenblicklich bereit, meine sämtlichen Verhältnisse vor Ihnen aufzudecken.“

„Wie? — was?“ rief sie und tat empört. „Sie wollen — Ihre Verhältnisse — vor mir — auf — decken? Was gehen mich Ihre — Verhältnisse an, Baron? Sie scheinen zu vergessen: Sie stehen einer Dame gegenüber! Was mich interessiert, sind ganz andere Dinge! Wo haben Sie Ihr Schloß? Wer wohnt darin? Wert? Belastung? Sonstige Besitzungen? Vermögen? — Sehen Sie, das sind Dinge, die eine Dame von einem Manne, und wenn er den ältesten Adel und die höchsten Titel hat, wissen muß.“

„Sie haben mich völlig mißverstanden, beste Miß“, beteuerte Simpeln. „Eben das, was Sie anführen, meinte ich mit persönlichen Verhältnissen.“

„Um so besser! Dann haben Sie sich aber sehr unfein ausgedrückt.“

Baron Simpeln, der weder an das eine, noch an das andere gedacht, sondern lediglich die Absicht gehabt hatte, sie mit den Personalien seiner engeren Familie bekannt zu machen, bat um Verzeihung. Diese rein aufs Materielle gestellten Fragen, die sie an ihn richtete, fand er verletzend und „echt amerikanisch“.

„Sie werden mir zugeben,“ fuhr Liane fort, „daß ich als Miß Rockefeller nicht nur einen Anspruch, sondern geradezu die Pflicht habe, mich über alle diese Dinge zu informieren.“

„Ich bitte darum.“

Sie reichte ihm eine der Orchideen, die sie im Gürtel trug, gab ihm die Hand und sagte:

„Sie dürfen hoffen.“

Simpeln fand sich schnell in die Situation.

„Ich bin überglücklich“, sagte er. „Und bis wann darf ich hoffen?“

„Bis übermorgen.“

Er verbeugte sich und ging.

‚So etwas ist mir noch nicht vorgekommen‘, dachte er, als er draußen war. ‚Aber es ist ganz gut, wo ich doch als Geschäftsträger nach Amerika gehe, wenn ich den amerikanischen Typ schon jetzt gründlich studiere.‘

Abends im Klub verdoppelte er die Summe, um die er mit Baron Trott gewettet hatte. Sein vermeintlich erfolgreiches Debüt verschwieg er — der Diplomat.

*     *     *

Als Liane in ihr Zimmer zurückkehrte, erwartete sie eine der Bureaudamen mit über zwanzig Karten von Besuchern, die sich in der kurzen Zeit angesammelt hatten. Liane überflog sie mit ein paar Blicken, schob das meiste sofort zur Seite, überlegte bei ganz wenigen einen Augenblick lang und behielt nur eine Karte zurück, auf der stand:

„Sehr geehrte Miß Rockefeller!

 

Gefahr im Verzuge! Eventuell noch abwendbar!

Voraussetzung, daß Sie mich sofort anhören.

 

Gruß! Ernst Martin,

Direktor des Kinopalastes Unter den Linden.“

Sie dispensierte Ernst Martin von der Magnesiumaufnahme und ließ ihn direkt in den Salon führen. Bevor sie selbst folgte, warf sie einen Blick hinein und sah, wie Ernst Martin, die Zigarre im Mund, sich mit neugierigen Blicken überall umsah. Dann warf er sich in den bequemsten Sessel, schlug die Beine übereinander, zog eine Filmzeitung aus der Tasche, warf die Asche seiner Zigarre auf den guten Teppich und vertiefte sich, ohne, wie alle anderen Besucher dieses Raumes, auch nur die geringste Erregung zu verraten, in die Lektüre seines Blattes.

Als Liane eintrat, rief Ernst Martin, ohne vor Staunen auf den Gedanken zu kommen, sich zu erheben:

„Nanu? — Das sind Sie doch nicht!“

„Erlauben Sie mal!“ erwiderte Liane gekränkt. „Sind Sie derart enttäuscht?“

„Im Gegenteil! Angenehm! Höchst angenehm!“ rief Ernst Martin und sprang auf.

„Na also!“

Er musterte sie völlig ungeniert und sagte:

„Nur eins habe ich an Ihnen auszusetzen.“

„Nämlich?“

„Daß Sie die andere sind.“

„Inwiefern?“ fragte Liane und verstellte sich.

„Aber ich bin nicht kleinlich!“ rief er und lachte laut: „Ich nehme das Gute, wo ich es finde!“

„Langsam! Langsam!“ wehrte Liane den kleinen Ernst Martin ab, der ihre Hand ergriffen hatte und sie mit Küssen bedeckte. „Nicht so stürmisch!“

„Bei dem Tempo, in dem wir heute leben und Geld verdienen müssen, darf man sich nicht so lange bei der Vorrede aufhalten“, erwiderte Ernst Martin. „Sie sind doch die Partnerin von Miß Rockefeller.“

„Wieso Partnerin? — Sie können ebensogut sagen, sie ist meine Partnerin.“

„Gewiß! Das käme auf dasselbe heraus.“

„Nun also!“

„Nur, daß sie eben Miß Rockefeller ist.“

„Das ist ja die Gemeinheit!“ rief Liane und trampste mit dem Fuß auf.

„Sie könnten ja die Rollen mal vertauschen.“

„Wie meinen Sie das?“

„Indem man sagt, Sie wären in dem Film die andere!“

„Das geht doch nicht.“

„Sonderbarerweise doch! Da in eurem Kitschfilm Lily Adam nie ohne ihre Zofe Lydia ...“

„Das bin ja ich!“

„Na ja! Jedenfalls tretet ihr nun gemeinsam auf; die eine nie ohne die andere. Warum soll da die andere nicht die eine sein können?“

„Ach so!“

„Dem Kinopublikum redet man alles ein!“

„Sie meinen — Mensch — wie heißen Sie?“

„Ernst Martin.“

„Ernst Martin! Das wäre himmlisch!“

„Was heißt: wäre? — Ist! — Sie brauchen nur ‚ja‘ zu sagen und in acht Tagen sind Sie die berühmteste Frau von Europa.“

„Als ...“ Sie wagte es nicht auszusprechen.

„Als Miß Rockefeller!“ erwiderte er.

„Und Sie — ja, wer sind Sie denn? — Sie wollten doch Miß Rockefeller sprechen.“

„Tue ich ja.“

Liane lachte.

„Aber als Sie eintraten, war ich’s doch nicht.“

„Ich wollte einen letzten Versuch machen, sie zum persönlichen Erscheinen in meinem Theater zu bestimmen.“

„Das tut sie nie!“

„Also erspar’ ich’s mir! — Es ist auch besser, ich laufe ihr gar nicht erst über den Weg. Um so weniger wird sie darauf kommen, daß ich derjenige bin, welcher.“

„Daß Sie welcher sind?“ fragte Liane ungeduldig.

„Der Impresario der Miß Rockefeller.“

„Das ist doch Reber! Anton Reber!“

„Unsinn! Er war’s! Das heißt, er ist es noch. Aber es gibt von heute ab zwei Miß Rockefellers! Und bis sich herausstellt, welches die echte ist, wird unsere die sein, von der man spricht.“

„Sie kommen mir wie gerufen, Ernst Martin!“

„Ich komme immer, wie gerufen! Es gibt in ganz Europa überhaupt nur eine Frau, die dafür in Frage kommt, und das sind Sie!“

„Schmeichler!“ sagte sie.

„Ach so!“ erwiderte er; denn er meinte es anders. Denn sie war ja die einzige, die mit den Gewohnheiten und allem anderen, was Miß Rockefeller anging, Bescheid wußte.

„Wenn ich nur wüßte, ob ich mich Ihnen anvertrauen kann“, sagte Liane.

„Andere Frauen reißen sich um mich. Nicht nur meiner Männlichkeit wegen. Natürlich spielt die Person auch eine Rolle. Aber zunächst doch mal, um durch mich berühmt zu werden. — Kennen Sie Nuja Naja? Nu nee! Sie werden Nuja Naja nicht kennen! Nächst Miß Rockefeller zur Zeit die berühmteste Diva auf dem Kontinent. Fragen Sie sie, wer sie gemacht hat? Ernst Martin! — Fragen Sie Morrha Sodom, die Nackttänzerin, wer ihren Körper entdeckt hat? Ernst Martin! Fragen Sie, wen Sie wollen, Sie werden überall mich nennen hören.“

„Immerhin: ich gebe viel auf.“

„Ich bin großzügig! Sie dürfen, bis auf Ihren Namen, alles beibehalten.“

„Und wie komme ich hier los?“

„Darf ich Ihren Vertrag sehen?“

Sie holte ihn aus dem Nebenzimmer.

Ernst Martin las ihn und sah gar nicht vergnügt aus.

„Ein gehenkter Junge, dieser Reber!“

Liane erschrak.

„Nichts zu machen?“ fragte sie.

Ernst Martin lachte und sagte:

„Wo nichts mehr zu machen ist, fängt es erst an, mich zu interessieren. Ihr Fall ist ernst. Wenn nicht auf der Stelle etwas geschieht, geradezu bedenklich. Man braucht Ihnen ja nur in die Augen zu sehen.“

„Um Gottes willen!“ rief Liane. „Sie erschrecken mich!“

Ernst Martin ging ans Telephon und nannte eine Nummer.

„Kommen Sie!“ rief er Liane zu. Die trat ganz verängstigt an ihn heran, und während er mit der rechten Hand den Hörer hielt, fühlte er mit der linken ihren Puls. „Elf — zwölf — dreizehn —“ zählte er leise und rief in den Apparat:

„Direktor Ernst Martin hier! Bitte um den Professor! — Vierzehn — fünfzehn — sechzehn — siebzehn — achtzehn — Herr Professor? — Ja, hören Sie, ich habe einen ganz schweren Fall! Liane de La Roche! Sie wissen? — Wie? Sie kennen die berühmte Diva nicht? — Ja, natürlich, die Partnerin der Miß Rockefeller!“

„Schon wieder!“ rief Liane und trampste mit dem Fuße auf. „Immer dasselbe! Man wird es mir noch auf den Grabstein setzen.“

„Hören Sie, Professor! Überanstrengt! Völliger Nervenzusammenbruch. Puls setzt zeitweise aus. Fünfundzwanzig Schläge in der Minute! — Wie? — Was? — gibt’s nicht! — da können Sie sehen, wie krank sie ist! — — Was? Halbtot? — Dreiviertel tot! Ich werde versuchen, sie noch lebend zu Ihnen zu bringen!“

Liane sah jetzt wirklich wie eine Leiche aus.

Eine Stunde später lag auf dem Tisch des Generaldirektors der Ika ein Attest, in dem es hieß:

‚Fräulein Liane de La Roche hatte einen schweren Nervenschock, den ich auf berufliche Überanstrengung zurückführe. Ihr Zustand erfordert neben völliger Ausspannung eine mehrmonatige sachgemäße Sanatoriums­behandlung. Des milderen Klimas wegen dürfte ein Sanatorium in ihrer Heimat, Südfrankreich, zu empfehlen sein.‘

Diesem Attest lag ein Schreiben des behandelnden Arztes bei, der für Liane einen sofortigen sechsmonatigen Urlaub forderte.

Und da auf die Anfrage des Generaldirektors:

‚Entbehrlich?‘

sämtliche Stellen mit

„Ja!“

erwiderten, so schrieb er an den Rand des Briefes:

‚Genehmigt‘.

An Reber hinterließ sie einen Brief, in dem stand:

„Denk Dir, Anton, mein Marquis aus der Schweiz hat in Paris von meinen Erfolgen gelesen und ist daraufhin nach Berlin gekommen, um um meine Hand anzuhalten. Du kannst dir meinen Schreck denken, wo ich Dich doch liebe! — Ich bekam im ersten Augenblick also einen Nervenschock, der sich später wieder legte. Der Aussicht, Marquise zu werden, konnte ich mich aber auf die Dauer nicht verschließen — und so nahm ich an und folge ihm. Suche über mich hinwegzukommen. Kannst Du das nicht und siehst Du eine Erlösung für Dich nur darin, daß Du Dich tötest, was mir Deinetwegen wirklich leid täte, so vergiß nicht die Gründe, also mich und den Marquis (ihn ohne Namen natürlich!) zu nennen. Es ist das der letzte Liebesdienst, den ich von dir erbitte. Solltest Du es aber vorziehen, am Leben zu bleiben, so versuche, mich zu vergessen. In Tränen Deine unglückliche

Liane.“

Das mit dem Marquis glaubten Frau Marga und Reber ihr nicht. Aber daß es sich um einen Mann handelte, stand für sie außer Zweifel. Der Takt, mit dem sie — sicherlich auf sein Geheiß — seinen Namen verschwieg, fiel ihnen auf. Aber da Liane nicht nur praktisch veranlagt war, sondern auch Instinkt besaß, so machten sie sich weiter keine Gedanken und gönnten ihr ihr Glück.

Weniger wichtig als die Frage, wer als Frau Margas Partnerin in dem nächsten Film mitwirkte, war die Entscheidung, ob und wie der Posten im Bureau, den Liane so überwältigend ausgefüllt hatte, neu besetzt werden sollte. Die Ereignisse, die sich überstürzten, enthoben sie der Mühe, die Frage zu lösen. Thea von Kracht, die sich bereitgefunden hatte, den Posten versuchsweise zu übernehmen, sah schon am ersten Tage, daß das über ihre physische und moralische Kraft ging.

Elftes Kapitel

Ernst Martin fuhr sofort nach München und traf dort umfangreiche Vorbereitungen für den Empfang Lianes. Er mietete im Regina Palace Hotel eine Flucht von Zimmern, die er von dem ersten Antiquitätenhändler der Stadt in eine Art Museum umwandeln ließ.

„Lieber Bernheimer,“ sagte er zu dem berühmten Antiquar, den er nie zuvor gesehen hatte, „schaffen Sie heran, was Sie können! Das Beste und Teuerste ist gerade gut genug!“

„Bedingungen?“ fragte der Antiquar.

„Was heißt Bedingungen? Wer stellt Bedingungen? Sie? Ich? — Es ist doch selbstverständlich, daß Sie die Gegenstände unentgeltlich ausleihen. Es ist genau so gut, als ob Sie sie zur Ansicht schicken. Für vorteilhafte Plazierung haben Sie zu sorgen.“

„Und worin besteht die Gegenleistung?“

„Frage! — Wenn Miß Rockefeller acht Tage lang schöne Sachen um sich gehabt hat, trennt sie sich nicht mehr davon!“

Das leuchtete dem Antiquar ein. Er verwandte die größte Sorgfalt auf die Ausstattung der Räume, die nach Wert und Geschmack eine Sehenswürdigkeit waren. Das erkannte auch Ernst Martin und zog den Schluß daraus. Während schon Tage lang an allen Säulen Plakate und in allen Zeitungen Inserate verheißungsvoll verkündeten:

Miß Rockefeller-Woche
vom 15. bis 22. Juni
in
München

folgten nun Anzeigen des Inhalts:

Zum Besten armer Kinder
sind am 14. Juni
die Räume im Regina Palace
zu besichtigen,
die
Miß Rockefeller
vom 15. bis 22. Juni
bewohnen wird.
Nur persönliche Karten zu 20 M.

Da sich dabei niemand etwas Rechtes denken konnte, so war der Andrang groß, und Ernst Martin vereinnahmte annähernd zwanzigtausend Mark an Eintrittsgeldern. Mit unerhörter Kühnheit übernahm er selbst die Führung, gab sämtliche Kunstgegenstände als Eigentum der Miß Rockefeller aus und verkündete, daß dies nur ein verschwindend kleiner Teil der sogenannten persönlichen Dinge sei, die sie auf ihren sämtlichen Reisen mit sich führe, mit einer Selbstverständlichkeit wie ein gewöhnlicher Sterblicher etwa seinen Schwamm und seine Zahnbürste.

Auch die Werte der einzelnen Gegenstände gab er an und nannte bei vielen sogar deren Herkunft. So erzählte er von drei Alt-Imari-Vasen, daß der japanische Kaiser Sakaida Kakiemon sie in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts einem entfernten Verwandten der Miß Rockefeller zum Geschenk gemacht habe. Und als ein Kenner ihn berichtigte und sagte, daß Sakaida Kakiemon ein japanischer Künstler, aber kein Kaiser gewesen sei, ließ er sich nicht verblüffen und erwiderte, daß er von einem kaiserlichen Künstler gesprochen habe, etwa wie man von einem königlichen Kaufmann spricht. — Ebenso gewandt begegnete er einer großen Reihe anderer Irrtümer, die ihm unterliefen. Und als er einen Boule-Schrank Louis XIV. mit einem Bahut aus Versailles verwechselte und nicht mehr ein und aus wußte, rief er wütend:

„Was heißt das überhaupt? Ludwig XIV. kann Miß Rockefeller nicht das Wasser reichen!“

Am Vormittag, an dem Miß Rockefeller in München erwartet wurde, prangte in den Schaufenstern der meisten Blumenläden ein Plakat mit den Worten: „Zum Empfang der Miß Rockefeller!“ — Die Passanten schlossen daraus, daß sämtliche Blumenstöcke, die in den Fenstern standen, für Miß Rockefeller bestimmt und bestellt waren. In Wirklichkeit hatte Ernst Martin in jedem der Läden eine Blume gekauft und zu dem Besitzer gesagt:

„Wollen Sie, daß sämtliche Blumen, die Sie im Fenster haben, bis zum Abend verkauft sind?“

Alle hatten erwidert, daß das ihr Wunsch sei.

„Dann stellen Sie dies Plakat ins Fenster, und ich garantiere Ihnen dafür.“

Obschon den meisten der Sinn des Plakats und seiner Worte nicht recht einging, so taten sie es doch, zumal er mit suggestiver Kraft einen geeigneten Platz bestimmte und gegen Abend noch einmal vorüberzukommen versprach.

Auf dem Regina Palace flatterte am Tage der Ankunft die amerikanische Flagge neben der deutschen.

Ernst Martin war aber auch auf der Polizei gewesen und hatte es durchgesetzt, daß er ‚in einer dringenden politischen Angelegenheit‘ sofort zum Polizeipräsidenten geführt wurde. Dem hatte er unter Vorlegung von Dokumenten bewiesen, daß ein Raubüberfall auf die amerikanische Milliardärin geplant sei. Sollte er nach der nunmehr erfolgten Warnung zur Ausführung gelangen, so könne er nur auf die Fahrlässigkeit der Beamten zurückgeführt werden. Würde Miß Rockefeller aber, ohne angefallen oder beraubt worden zu sein, am 22. Juni die bayerische Residenz verlassen, dann sei ihm eine Belohnung in Dollarwährung sicher, auf die hin er sich zur Ruhe setzen könne.

Die natürliche Folge war, daß der Hauptbahnhof stundenlang vor Eingang des Berliner Zuges polizeilich besetzt, teilweise ganz abgesperrt und streng bewacht wurde. Jeder, der vorbeikam, fragte: „Was ist?“ und jedem wurde die Antwort: „Miß Rockefeller!“

Die Bevölkerung, die lange genug kaiserliche und königliche Empfänge entbehrt hatte, blieb stehen, staute sich, bildete unter Leitung der Polizei Spalier und phantasierte von Ernst Martin und seinen Leuten, die bald hier, bald da waren, angeregt, die abenteuerlichsten Dinge über Miß Rockefeller und den Zweck ihres Kommens.

„Sie heiratet den Kronprinzen Rupprecht!“ schrie eine Frau. „Ich weiß es aus sicherer Quelle!“

„I Gott bewahre!“ widersprach ein Herr. „Miß Rockefeller ist eine Abenteuerin und geht auf spartakistischen Putsch aus.“

Und die Polizisten, die man bestürmte, sagten mit wichtiger Miene:

„Irgendeinen Zweck wird es schon haben.“

Wie der Hauptbahnhof, so war auch das Regina Palace Hotel polizeilich besetzt. Auch hier erwarteten daraufhin große Menschenmengen die Ankunft. Das Hotelvestibül war überfüllt.

Aber mit diesen Vorsichtsmaßregeln begnügte sich der Polizeipräsident nicht. Drei besonders bewährte Kriminalbeamte wurden zum persönlichen Schutze Miß Rockefellers bestimmt und hatten den Auftrag, sie von dem Augenblick an, wo sie aus dem Zuge stieg, bis zur Abfahrtsstunde nicht aus den Augen zu lassen.

Ernst Martin, der mit dieser Auswirkung seiner Bemühungen nicht gerechnet hatte, mietete in aller Eile für den Empfang ein halb Dutzend pompöser Automobile, die zur Bahn beordert wurden, ohne daß er wußte, wen er hineinsetzen wollte. Diese Automobile und einen besonders schönen Wagen für die Dauer ihres Münchener Aufenthaltes stellte die Fabrik unentgeltlich zur Verfügung, da Ernst Martin die Herren Direktoren davon überzeugt hatte, daß das eine Reklame sei, die ihnen Millionen bringen werde. Miß Rockefeller werde in Amerika die Marke zum Siege führen.

In aller Eile gelang es Ernst Martin noch, eine zwölfköpfige Kapelle zusammenzubringen, die mit Erlaubnis des vom Polizeipräsidenten benachrichtigten Bahnvorstandes auf dem Bahnsteig Aufstellung nahm und bei Einfahrt des Zuges einen amerikanischen Marsch spielte.

Ernst Martin hatte Lianen unterschätzt.

Sie hatte zwei Abteile erster und ein Abteil zweiter Klasse für sich belegt. Draußen an den Türen klebten Zettel mit der Aufschrift: „Amerikanische Mission“. — Mit ihr reisten als Gesellschafterin eine kleine Filmdiva, deren Dummheit unbegrenzt war, zwei Kammerzofen, ein Diener und ein kleiner schwarzer Boy, der französisch sprach. Diese Menschenausstattung hatte Liane mit großem Geschick zusammengestellt. Es waren Halbidioten, die nicht verstanden, was um sie herum vorging, und die glaubten, was man ihnen sagte.

Da Ernst Martin — der Gedanke war ihm erst auf dem Wege zum Bahnhof gekommen — auch im Rathaus vorgesprochen und dort eine Millionenstiftung Miß Rockefellers in Aussicht gestellt hatte, so waren außer dem Bahnvorstand, dem Polizeipräsidenten und dem Hoteldirektor auch ein paar Vertreter der Stadt beim Empfang zugegen.

Liane merkte an Ernst Martins Würde sofort, daß alles das ihr galt. Schon vom Wagen aus nickte sie den Herren zu und gab ihre Freude zu erkennen. — Sie saß mit der Diva in dem mittelsten Kupee, rechts nebenan die beiden Zofen, links der Boy und der Diener.

Ernst Martin begrüßte Liane und stellte die Herren vor.

Der Vertreter der Stadt sagte:

„Wir hoffen, daß Sie sich in unserer Stadt wohl fühlen werden.“

Der Polizeipräsident versicherte:

„Ich verbürge mich für Ihre Sicherheit.“

Der Hoteldirektor verbeugte sich tief, überreichte einen Riesenstrauß Flieder und flötete:

„Wir haben die große Ehre, Miß Rockefeller, Sie in unserem Hotel willkommen zu heißen.“

Der Hoteldirektor sprach englisch. Liane verstand kein Wort.

„Lieber Freund,“ erwiderte sie, „ich habe es mir zur Pflicht gemacht, während meines Aufenthaltes in München nur deutsch zu sprechen. Auch mit Amerikanern. Wer nicht deutsch spricht, soll mir nicht vorgestellt werden.“

Die Herren waren entzückt. Die Worte fanden Aufnahme in der Presse. Die nationalen Studenten jubelten und berieten über einen Kommers zu Ehren Miß Rockefellers.

Am selben Abend wurde in sämtlichen Kinotheatern Münchens ‚Lily Adams Kampf mit vier Männern‘ gegeben. — Liane fuhr in einem Auto von Theater zu Theater, überall brach das Spiel ab, Liane trat in kostbarer Abendtoilette in eine mit Blumen geschmückte Loge, ließ sich beklatschen und bewundern, beugte sich über die Brüstung und sagte:

„Ich bin gekommen, um Ihnen Grüße zu bringen aus Amerika. Durch meine Films hoffe ich, daß Deutschland und Amerika werden Freundschaft schließen. Auf Wiedersehen!“

Und während sie Blumen und Kußhände in das Parkett warf, kassierte Ernst Martin beim Direktor das Honorar für ihr persönliches Erscheinen ein.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Im Deutschen Theater fand eine Modematinee statt, über die in letzter Stunde noch Miß Rockefeller neben Damen der Gesellschaft das Protektorat übernommen hatte. Mit Freuden ging das führende Modehaus Münchens auf den Vorschlag Ernst Martins ein, bei der Vorführung ihrer Modelle zu verkünden, daß sie sämtlich nach eigenhändigen Entwürfen und Kompositionen — auf dies Wort war Ernst Martin stolz — Miß Rockefellers hergestellt seien. Die Jury, die aus Künstlern und Damen der Gesellschaft bestand, erkannte diesen ‚Schöpfungen, die Geist und Geschmack verrieten‘, denn auch den ersten Preis zu. — Da es eine Modematinee zu wohltätigen Zwecken war, so stellte jedes Haus eines seiner Modelle — bei einem Mindestsatz von tausend Mark, die der Firma zufielen — meistbietend zur Versteigerung. Sämtliche Modelle erwarb Liane, die regelmäßig das Höchstgebot abgab und — schuldig blieb, woran bei Miß Rockefeller niemand Anstoß nahm.

Dem Baron Simpeln hatte Liane schreiben lassen, daß sie vertraglicher Verpflichtungen wegen nach München gereist und im Regina Palast erreichbar sei. Infolgedessen stand Simpeln, von einem der Kriminalbeamten scharf beobachtet, bereits im Hotelvestibül, als „Miß Rockefeller“ von der Matinee zurückkehrte. Außer ihm warteten die unvermeidlichen Zeitungsreporter, gegen die Liane seit Luzern eine Abneigung hatte. In Berlin, wo man sich zu ihrer Freundin, Miß Rockefeller, gedrängt, sie aber kaum beachtet und erwähnt hatte, war aus der Abneigung Haß geworden. Aber Ernst Martin beschwor sie, in ihrem eigenen Interesse die Herren der Presse nicht vor den Kopf zu stoßen. Wer sie auf seiner Seite habe, sei im Recht. Und welche von den beiden Rockefellers die echte sei, entscheiden letzten Endes nicht amtliche Feststellungen und Papiere, sondern die Presse.

„Wenn die Presse Sie hält, kann Vater Rockefeller Sie ruhig abschwören“, hatte er ihr gesagt, und Liane wußte, was sie zu tun hatte.

„Ich freue mich, meine Herren“, sagte sie und gab jedem der Reihe nach die Hand. Dann erst wandte sie sich Simpeln zu und rief: „Hallo, Baron! Das ist nett, daß Sie mir gefolgt sind! — Sie kennen ja wohl den Geheimen Legationsrat von Simpeln aus dem Auswärtigen Amt“, sagte sie, wieder zu den Journalisten gewandt.

von Simpeln glaubte, ihn rühre der Schlag. Er ihr gefolgt! Wenn das morgen in den Blättern stand! Erstens an sich, wo er so viel auf Etikette hielt und selbst mit den größten Bühnensternen nie anders als im Séparée saß! Vor allem aber gegenüber dem Minister, der in Abwesenheit von Stucks so ungern gesehen hatte, daß er nach München ging. Schließlich hatte er ja eingewilligt, aber doch nur, weil er, Simpeln, eine sofortige Besprechung mit der bayerischen Regierung für den Fall eines amerikanisch-japanischen Konfliktes für absolut notwendig und dringend bezeichnet hatte. — Was von Stuck letzten Endes zu seiner überstürzten Reise veranlaßt hatte, davon hatte er natürlich niemandem ein Wort erzählt.

von Simpeln machte zu den Journalisten hin eine kaum merkbare Verbeugung und sagte:

„Mich führen dringende politische Geschäfte nach München.“

Da das nach den Worten Lianes nicht nur unglaubwürdig klang, sondern von den Journalisten auch ganz ungeniert belächelt wurde, so fügte er mit wichtiger Miene hinzu: „Sie werden ja wohl inzwischen von dem amerikanisch-japanischen Konflikt gehört haben.“

Darauf bissen sie an.

„Wie? — Was?“ fragten sie erregt. „Konflikt zwischen Japan und Amerika?“

„Hochinteressant!“ — „Ernster Natur?“ — „Vermutlich Chinas wegen!“ — „Wer ist denn der aggressive Teil?“ — „England vermittelt natürlich?“ — „Wird es zum Kriege kommen?“ — „Sind die diplomatischen Beziehungen gar schon abgebrochen?“

„Ich muß Sie bitten, meine Herren“, suchte von Simpeln, entsetzt darüber, was er angerichtet hatte, die Journalisten zu beruhigen, „darüber kein Wort in die Presse zu bringen. Was wir wissen, verdanken wir geheimen Quellen, die für uns von größtem Nutzen sind, die aber in demselben Augenblick versiegen, in dem wir uns einer Indiskretion schuldig machen.“

„Ich bin verschwiegen“, versicherte jeder einzelne und drängte, mehr zu erfahren.

„Für heute unmöglich, meine Herren, und ich bitte Sie nochmals, was ich gesagt habe, als nicht gesprochen zu betrachten.“

„Hören Sie doch mit Ihrer dummen Politik auf!“ schalt Liane. „Die Herren sind meinetwegen hier!“

„Ich bedaure unendlich.“

„Schon gut!“ fiel ihm Liane ins Wort und fuhr ihm mit den langen Schweden, die sie eben abgestreift hatte, über das Gesicht.

Die Journalisten dachten: echt amerikanisch! Der Baron hielt einen der Handschuhe fest und drückte seinen Mund darauf. — Das Hotelvestibül war voller Menschen, die ungeniert Liane, das Wunder aus New York, bestaunten.

„Wir essen doch zusammen, Baron?“ fragte Liane.

„Mit großem Vergnügen.“

„Und Sie, meine Herren?“ wandte sie sich an die Journalisten, „haben Sie schon gegessen?“

Die sahen sich gegenseitig an, verständigten sich und verneinten.

„Famos!“ rief Liane, „dann lad’ ich Sie ein! Wieviel sind Sie? Eins, zwei, drei, vier, fünf — der Baron sechs, ich sieben, meine Gesellschafterin acht, mein Impresario neun! — Hallo! Direktor!“

„Miß Rockefeller!“ rief der unnötig laut, da er in unmittelbarer Nähe von ihr stand. Aber er hatte das Gefühl, als heiligte das Wort seine Räume, wie denn überhaupt dies ganze Hotel von dem Namen Rockefeller erfüllt schien. Allen, Angestellten und Gästen, lag es auf den Lippen. Und wenn sie Liane begegneten, so war das wie die Verwirklichung eines Gedankens, den sie ständig mit sich herumtrugen.

„Ich brauche einen Tisch für acht Personen.“

„Im Saal?“ fragte der Direktor erstaunt.

„Wir könnten am Ende auch in einem meiner Salons essen“, meinte Liane, und der Baron, den das gar nichts anging, dem aber schon der Gedanke, mit diesen Journalisten zusammenzusitzen, den Appetit nahm und die Zumutung, sich öffentlich mit ihnen zu zeigen, geradezu körperlichen Schmerz verursachte — der Baron also mischte sich ein und meinte:

„Im Salon wäre es gewiß behaglicher.“

„Für das Achtel von mir, das auf Sie fällt, dürfte das ohne Belang sein“, erwiderte Liane.

Noch größere Beschwerden hatte der Vertreter eines Blattes der Unabhängigen, der lediglich erschienen war, um zu sondieren, ob die Gerüchte auf Wahrheit beruhten, nach denen Miß Rockefeller Kommunistin und darum von ihren Eltern fort und zum Film gegangen sei. Was er hier sah, genügte zwar, um diese Gerüchte Lügen zu strafen und in ihr ein Muster kapitalistischer Weltanschauung zu sehen. Eine Einladung zum Essen in ihrem Salon anzunehmen, war eine moralische Verletzung des Parteiprogramms. Andererseits sparte man das Wochenfleisch — das durfte freilich nicht den Ausschlag geben. Aber den Gegner zu studieren, wenn er so leichtsinnig dazu Gelegenheit bot, war seine Aufgabe! Die Schlemmereien wollte er geißeln! Sie sollte ihn kennenlernen! Ja, es war heilige Pflicht, daß einmal einer aus eigener Erfahrung in dies Sodom und Gomorrha hineinleuchtete! Er brachte dies Opfer und nahm an.

„Also, ich erwarte Sie in zehn Minuten oben bei mir!“ rief ihnen Liane zu. „Sie können gleich mitkommen! Barönchen!“

„Wie können Sie diese Menschen ...“, begann von Simpeln, als sie im Fahrstuhl waren.

„Ruhig!“ fiel ihm Liane ins Wort. „Die brauch’ ich fürs Geschäft, Sie für die Zerstreuung. Aus der Zahl können Sie sehen, daß mir das Geschäft siebenmal wichtiger als das Vergnügen ist.“

„Das begreife ich gar nicht! Überhaupt bei Ihnen! Was sagt denn nur Ihr Herr Papa dazu?“

„Nicht familiär werden, Baron! Zu derartigen Vertraulichkeiten habe ich Ihnen keine Veranlassung gegeben. — Herr Gott, schon wieder ein Loch in den seidenen Strümpfen! Und immer unmittelbar am Knie! Verstehen Sie das, Baron?“ — Sie hob den an sich kurzen Rock, machte erst ein verdrießliches Gesicht, lachte dann aber gleich und sagte: „Was kommt’s drauf an? — Übrigens, wenn Sie wollen, Baron, dürfen Sie mir da“ — und sie wies auf das Loch, das so groß wie ein Markstück war — „einen Kuß hingeben.“

„Mit Freuden!“ erwiderte der und kniete vor ihr nieder. Und während er mit der Andacht des gereiften Mannes der reizvollen Einladung nachkam, beschrieb sie mit dem Zeigefinger einen Kreis auf seinem Kopf und rief übermütig:

„Baron, Sie bekommen ja eine Glatze!“

Das chokierte von Simpeln derart, daß er eine unvorsichtige Bewegung machte, durch die das Loch noch größer wurde.

„Das kostet ein Dutzend Paar neuer Strümpfe!“ rief Liane. Und von Simpeln, der das für einen Scherz hielt, den ihr ernster Gesichtsausdruck widerlegte, erwiderte:

„Zwölf Dutzend Paar, wenn ich dafür dies eine behalten darf.“

Liane, die seit Luzern alles in Zahlen umsetzte, legte in dies Angebot mehr hinein als der Baron, der es wörtlich meinte. Sie multiplizierte zwölf mal zwölf mit hundertfünfzig, sah ihn verständnisvoll an und sagte:

„Sie dürfen!“

Als eine halbe Stunde später Ernst Martin den Salon betrat, fand er die Gesellschaft schon ganz dem Essen hingegeben.

„Nanu? Miß Rockefeller?“ rief er erstaunt und ließ seinen Blick prüfend über die Kavaliere gleiten, in denen er neu eingefangene Verehrer von Liane sah. Sonderbarer Geschmack, dachte er, als ihn Liane auch schon berichtigte und sagte:

„Presse! Nichts als Presse!“

Die Herren waren mit derartigem Eifer ihrer Beschäftigung hingegeben, daß sie Ernst Martin gar nicht bemerkten. Nur von Simpeln widersprach, berichtigte und stellte sich, da es Liane nicht tat, vor.

Ernst Martin drückte ihm die Hand und sagte:

„Freut mich. Kennen Sie Doktor Deichler? Ein guter Freund von mir. Der sitzt ja wohl auch bei Ihnen herum?“

„Einer unserer Beamten“, erwiderte von Simpeln.

„Also nichts Besonderes. Dacht’ ich’s mir doch! Er spielt sich auf, als wenn er für all die Dämlichkeiten verantwortlich wäre, die da verzapft werden.“

„Wa ...?“

„Aber ne nette Frau hat er! Prima! Das gäb’ eine ertragreiche Diva! Hat sich aber in den Kopf gesetzt, ihr Mann müsse Minister werden! Als ob es für einen Ministerposten eine bessere Empfehlung gibt als eine Frau, die Diva ist.“

„Wie? — Wa?“ fragte von Simpeln erstaunt.

„Das ist ein Beweis, daß Sie den Geist der Zeit erfaßt haben und wissen, worauf es ankommt. Mit einer hübschen und gescheiten Diva regiert sich’s leichter als mit einem Stab von Sekretären.“

„Das ist Auffassungssache!“ meinte von Simpeln, und Ernst Martin erwiderte:

„Alles ist Auffassungssache!“

„Meine Herren!“ rief Liane jetzt so laut, daß die Journalisten erschreckt Messer und Gabel fallen ließen und aufsahen. „Ich habe die Ehre, Sie mit meinem Freunde, Mr. Vanderbild, bekanntzumachen. Mein Freund ist in strengstem Inkognito und, wie Baron Simpeln, in diplomatischer Mission in München. Ich rechne auf Ihre Diskretion, und nun essen Sie bitte weiter!“

Die Journalisten empfanden die Störung zwar unangenehm, im Hinblick auf die Prominenz ihres neuen Tischgenossen aber immerhin lohnend. Der kommunistische Reporter stieß wütend seine Gabel in eine viertel Ente, die noch untranchiert auf der Schüssel lag, beugte sich wie ein Raubtier über seinen Teller, schlug das Messer in die Entenkeule und dachte: „Warte, dir werd’ ich’s geben!“

Baron Simpeln, der Diplomat, zog die Stirn in Falten. Irgendetwas schien ihm hier nicht recht geheuer. Und Ernst Martins feine Nase spürte, daß Liane Simpelns Einfalt überschätzte.

„Sehr taktvoll, Miß Rockefeller“, sagte Ernst Martin.

„Was?“ fragte die, und der Baron horchte auf.

„Sie schieben Vanderbild vor, um den Baron zu decken.“

„Wa ...?“ sagte Simpeln.

„Und der Baron merkt nicht mal Ihren diplomatischen Schachzug. Wenn es in den Blättern dieser Herren“ — und er wies auf die Journalisten — „morgen heißt: Miß Rockefeller befand sich in Gesellschaft des Barons Simpeln und Mister Vanderbilds, so wird kein Mensch auf den Gedanken kommen, daß ...“

„Ah! Verstehe!“ sagte Simpeln. „Charmant!“ nahm Lianes Hand, drückte einen Kuß darauf. „Wirklich äußerst taktvoll!“

Und Ernst Martin besiegelte sein Vertrauen, indem er sagte:

„Einfach große Klasse!“

„Ganz meine Ansicht!“ stimmte von Simpeln zu, stand auf, erhob sein Sektglas und rief:

„Meine Herren!“ — Und da nur ein Teil reagierte, so wiederholte er lauter: „Meine Herren! — Ich bitte Sie, mit mir in den Ruf einzustimmen: Miß Rockefeller, unsere charmante Wirtin, hurra! hurra! hurra!“

Nur der Kommunist war sitzengeblieben und zischte, mit vollem Munde, wobei ein Stück Ente seinem Gegenüber auf den Teller flog. Auch der Sozialist, der schwebte, weder stand noch saß, beteiligte sich nicht an der Ovation; aber der Deutschnationale brüllte so laut und schlug dabei mit seinem Entenknochen derart ungeniert auf den Tisch, daß weder das Schweigen des Sozialisten, noch das Zischen des Kommunisten in die Erscheinung traten.

Die Resonanz dieses Essens in den Münchener Blättern des nächsten Tages war folgende:

Die von rechts lasen: „Eine wirklich erhebende Feier. — Jedem wahrhaft Deutschen, dem der Glaube an die welthistorische Mission seines Volkes noch nicht verlorenging, schlug gestern für ein paar Stunden das Herz höher. Seit gestern wissen wir, wo unsere wahren Freunde stehen! Schulter an Schulter mit dem durch Englands Lügenhetze irregeleiteten, nun aber sehend gewordenen amerikanischen Volke, das Blut von unserem Blute ist, werden wir die uns durch Judas Verrat entrissene Weltmachtstellung zurückerlangen.“ — Die Demokraten lasen: „Amerikanische Hilfe. — Wir sind in der Lage zu berichten, daß eine wirtschaftliche amerikanisch-deutsche Entente größten Stils kurz vor dem Abschluß steht. Näheres heute schon zu veröffentlichen, verbietet uns die Rücksicht auf die noch im Gang befindlichen Verhandlungen. Schwarzsehern aber wollen wir schon heute zwei Namen der an der Aktion in erster Linie Beteiligten nennen: Vanderbild und Rockefeller. — Mit einer sprunghaften Aufwärtsbewegung der Mark ist zu rechnen.“ — Die von ganz links lasen: „Schamlose Orgien. — Proletarier! Während das arbeitende Proletariat am Hungertuche nagt, feiern deutsche Diplomaten mit amerikanischen Milliardären am hellichten Tage Sektgelage. Während von der Bourgeoisie bezahlte Spitzel unseren russischen Brüdern ihre angeblich für kommunistische Zwecke bestimmten Reisegelder abjagen, dürfen amerikanische Milliardäre von dem Schweiß des ausgebeuteten Proletariats gehäufte Millionen auf dem Altar des deutschen Kapitalismus opfern. Wagte Lenin, der Befreier der Menschheit, die Fahrt nach Berlin, so würden eiserne Divisionen ihm den Weg versperren. Den Vanderbilds und Rockefellers aber, die nach Deutschland kamen, um mit ihren Milliarden den Entscheidungskampf des Proletariats gegen seine Ausbeuter zu finanzieren, sendet die Berliner Regierung zu offizieller Begrüßung ihre Vertreter nach München entgegen. Proletarier, erwache! Hinter dem Miß Rockefeller-Rummel, für den der Film nur einen Vorwand bildet, verbirgt sich eine politische Aktion, die sich gegen dich richtet! Proletarier! Reiße der harmlos sich gebärdenden Miß Rockefeller, der Tochter eines der gewissenlosesten Ausbeuter des Proletariats, die Maske herunter! Entlarve den Menschenschinder Vanderbild, der sich, von einer verängstigten Bourgeoisie gerufen, unter falschem Namen in den Kampf drängt, den das deutsche Proletariat gegen die Bourgeoisie führt! Laß dich nicht dumm machen! Sei auf deiner Hut! An dem Geld, mit dem sie versuchen werden, dich zu betören, klebt das Blut deiner Brüder! Nimm es, aber liefre es in unsere Kassen! So werden wir sie mit ihren eigenen Waffen schlagen!“

Waren dem Inhalte nach diese drei Nachrichten einander auch verschieden, so widersprachen sie sich doch nicht. War was der eine behauptete, wahr, so brauchten darum die Behauptungen des anderen nicht unwahr zu sein. Nur die Wirkungen, die sie auslösten, waren die denkbar verschiedensten.

Daß alle drei Blätter groß aufgemacht im politischen Teil die Nachricht von einem ernsten amerikanisch-japanischen Konflikt brachten, war selbstverständlich.

Als der deutsch-nationale Journalist, der besonders gewissenhaft und wißbegierig war, am nächsten Morgen den Baron Simpeln aufsuchte, um über diesen Konflikt mehr zu erfahren, war der gerade damit beschäftigt, seine Sachen zu packen.

„Ah! Gut, daß Sie kommen“, empfing er ihn. „Sie haben ja doch in Ihrem Blatt heut früh etwas über den amerikanisch-japanischen Konflikt gebracht. Ich hatte Sie doch ersucht ...“

„Herr Baron, wir haben es aus anderer Quelle“, log der.

„So! so! Das interessiert mich sehr. Darf ich fragen, woher?“

Der Journalist war keinen Augenblick verlegen:

„Bedaure!“ erwiderte er. „Amtsgeheimnis!“

„Natürlich! Verstehe! Dann will ich nicht in Sie dringen. Aber vielleicht können Sie mir sagen, ob die Spannung behoben ist.“

„Kaum.“

„Aha! Das ist mir sehr interessant! Am Ende gar verschärft?“

„Das läßt sich nach dem uns vorliegenden Bericht schwer sagen.“

„Ah so! Sie haben einen Bericht. Sehr interessant. Vermutlich von Ihrem Korrespondenten?“

„Jedenfalls aus zuverlässigster Quelle.“

„Sehen Sie, das ist das Wesentliche! Daß man sich auf die Nachrichten verlassen kann.“

„Absolut!“

Simpeln setzte ein Telegramm an den Minister auf, in dem er ihm mitteilte, daß nach bester Information aus Tokio die Spannung unvermindert fortbestehe und daß er selbst morgen früh wieder im Amte sein werde.

„Also gibt es auch für mich nichts zu erfahren?“ fragte der Journalist.

„O doch. Ich sehe die Sache zwar für ernst, aber nicht für hoffnungslos an.“

„Und was wird Deutschland für eine Stellung dabei einnehmen?“

„Abwartend.“

„Also nicht für Amerika?“

„Abwartend“, wiederholte Simpeln.

„Und das übrige Europa?“

„Verfolgt die Vorgänge im Osten mit großer Aufmerksamkeit.“

„Und England?“

„Wird vermutlich den Vermittler spielen.“

„Dann wird es also kaum zu einem ernsten Konflikte kommen?“

„Das läßt sich schwer sagen.“

„Die englische Presse von gestern bringt noch kein Wort davon.“

„Sehen Sie! — Da haben Sie’s!“ — Der Journalist sah ihn erstaunt an. — „Die englische Presse schweigt also! — Dacht’ ich’s mir doch! — Ja! ja! Man kennt sich aus.“

„Herr Baron finden darin eine Bestätigung dafür, daß England vermittelt?“

„Ich? — Wieso? — Wie kommen Sie darauf?“

„Es war nur eine Vermutung.“

„Nur keine Vermutungen, wenn ich bitten darf. Die Nachrichten müssen belegt und klar sein. Sonst führen sie irre und richten Unheil an. Also England vermittelt, meinen Sie? — Das ist mir sehr interessant.“

„Verzeihung, Herr Baron, das waren Sie, der behaup ...“

„Nein! nein! Ich will Sie in Ihren Gedankengängen nicht stören. Die englische Presse schweigt. In der Tat höchst auffällig. Dazu Ihre Information: England vermittelt! — Ja, für mich besteht gar kein Zweifel.“ — Er setzte ein weiteres Telegramm an den Minister auf.

„Erfahre soeben, daß England im japanisch-amerikanischen Konflikt vermittelnd eingreift.“

Und ein drittes Telegramm an die Privatadresse des Herrn von Trott besagte:

„Stucks Heilige hat mir nicht lange widerstanden. Wette gewonnen. Bringe überzeugendes Beweisstück mit.“

Er verabschiedete den Journalisten, der ihn noch mit Erfolg über die allgemeine politische Lage aushorchte, kaufte zwölf Dutzend Paar feinster schwarzseidener Strümpfe, durch die der Betrag seiner Wette ein Loch bekam, das mindestens so groß war wie das Loch in dem „Beweisstück“, das er im Fahrstuhl zugleich mit seiner Trägerin erobert hatte. Für eine Miß Rockefeller eine etwas kampflose Kapitulation, dachte er, und hätte am Ende gar den Verdacht in ihre Echtheit geschöpft, wenn nicht die Überzeugung von der Unwiderstehlichkeit seines Standes und seiner Person in ihm so stark gewesen wäre.

Am Vormittag des Tages, an dem die Blätter ihre Berichte, auch über die Modeschau, brachten, an dem somit Miß Rockefeller das Tagesgespräch von ganz München war, drängten sich schon vom frühen Morgen an Juweliere, Pelzhändler, Modistinnen zu Liane ins Hotel. Sie empfing alle und entließ keinen, ohne ihn gehört zu haben. Die kostbarsten Pelze, Kleider, Hüte, Armbänder, Nadeln, Broschen, Ringe und eine Kette von hundertundzwölf erlesenen Perlen nahm sie den Händlern ab und sagte Zahlung von Berlin aus zu. Als Baron Simpeln mit seinen zwölf Dutzend Paar Strümpfen erschien und um das Recht bat, ihr ein Paar anprobieren zu dürfen, verstand sie ihn abermals falsch, wies auf einen Tisch, auf dem weiße und perlgraue Schweden lagen, die so lang wie die Strümpfe waren, und sagte:

„I Gott bewahre! Mitten am Tage! Aber von den Handschuhen, die ich eben erstanden habe, dürfen Sie mir ein Paar anziehen. Ich bin von gestern noch todmüde.“

„Wo wollen Sie hin, Miß?“ fragte Simpeln.

„Frage!“ erwiderte Liane. „Aufs Rennen! Da!“ — Sie wies auf den Tisch. — „Das Rennkommitee hat mir die ehemals königliche Loge zur Verfügung gestellt. Ich lade Sie ein! Sie kommen mit!“

„Darf ich fragen, wer sonst noch ...?“

„Ah so! Sie haben Angst um Ihr Renommee. Was für mich gut genug ist, ist es für Sie auch, verstanden!“

„Sie als Miß Rockefeller dürfen sich alles erlauben. Auch das Extravaganteste wird Ihrem gesellschaftlichen Ruf nichts schaden, der in Milliarden unverrückbar fest verankert ist. Aber ich auf meinem exponierten Posten habe Rücksichten zu nehmen.“

„Also beruhigen Sie sich, Baron, außer meinem Onkel Vanderbild kommt niemand mit.“

„Zu Ihrem Onkel haben Sie den Impresario inzwischen avancieren lassen?“

„Ich nicht. Aber irgendein Blatt bringt heute meinen Stammbaum und weist nach, daß er mein Onkel ist.“

„Wenn der das liest, bekommt er Größenwahn.“

Während des Gesprächs hatte ihr Simpeln den rechten Handschuh aufgezogen und schloß eben mit seinen spitzen Fingern den obersten Knopf.

„Wie geschickt Sie sind!“ sagte sie lächelnd und hielt ihm die Handfläche hin, so daß er die runde Öffnung über den Knöpfen, durch die die zarte Haut ihrer Hand zum Vorschein kam, unmittelbar vor seinem Gesicht hatte.

„Woran erinnert Sie das?“ fragte sie kokett.

„An das Loch in dem Seidenstrumpf von gestern“, erwiderte er.

„Richtig!“ rief sie und führte ihre Hand noch dichter vor sein Gesicht. „Du darfst“, sagte sie.

Er ließ es sich nicht zweimal sagen, und als Ernst Martin sie eine Stunde später zum Rennen abholte, nahm sie Simpeln zur Seite und sagte:

„Sie wissen doch, Baron, daß Sie mir zwölf Paar Dutzend Schweden schulden?“

Simpeln erschrak, machte ein dummes Gesicht und sagte:

„Selbstverständlich weiß ich es, Miß Rockefeller!“

„Eine verlorene Wette?“ fragte Ernst Martin.

„Aber nein!“ erwiderte Liane. „Als Strafe für seine Un­geschick­lich­keit! Er hat mir beim Anziehen ein Loch gerissen.“

Sie waren gerade im Begriff, das Hotel zu verlassen, als der Diener den Besuch dreier Herren meldete.

„Liane las die Karten: „Walfried Lohmer, cand. iur., Friedrich August von Spitzing, stud. rer. pol., Wolf Dietrich Heyse, stud. theol.

„Was ist das?“ fragte sie Ernst Martin und reichte ihm die Karten. Der sah sie sich an und meinte:

„Verliebte Studenten.“

„Brauchen Sie nicht zu empfangen“, sagte von Simpeln.

„Eifersüchtig, Baron?“ neckte sie ihn.

„Auf die Jungen? Das wäre traurig!“

„Die Jugend hat auch ihre Vorzüge“, erwiderte Liane, und um zu zeigen, wie fern ihm jede Eifersucht lag, lief Simpeln ein paar Stufen voraus und rief den Studenten, die im Vestibül warteten, zu:

„Meine Herren, Miß Rockefeller läßt bitten!“

Liane ging also in den Salon zurück, von Simpeln geleitete die Studenten hinauf, und als sie ins Zimmer traten, bat von Simpeln sie, sich Lianen vorzustellen. Das war feierlich und komisch zugleich, denn sie trugen lange Röcke, in die sie gar nicht hineinpaßten; bunte Bänder liefen wie Konfettischlangen über ihre Brust, und in den Händen, die in dunkelroten Glacés steckten, hielten sie ihre Zylinder, die sie beim Sprechen hin und her bewegten. Gleichzeitig mit der Nennung ihres Namens machten sie eine unerhört tiefe Verbeugung und schnellten dann mit großer Geschwindigkeit wieder empor. Als das vorüber war, trat cand. jur. Walfried Lohmer vor und richtete an Liane folgende Ansprache:

„Hochzuverehrendes gnädiges Fräulein Rockefeller! Im Auftrage von fünfzehn farbentragenden Verbindungen unserer Universität habe ich die Ehre, Sie namens unserer Münchener Studentenschaft zu begrüßen. Mit gehobenen Herzen haben wir heute in den Zeitungen gelesen, daß das große amerikanische Volk, das Blut von unserem Blute ist, Schulter an Schulter mit uns kämpfen will, damit wir die welthistorische Mission erfüllen können — zu der wir von Gott ausersehen sind. In Ihnen, hochzuverehrendes, gnädiges Fräulein Rockefeller, begrüßen wir einen hervorragenden Repräsentanten der uns von neuem befreundeten amerikanischen Nation. Gestatten Sie uns daher, der Münchener Studentenschaft, daß sie Ihnen heute abend um acht Uhr als Zeichen treu-deutscher Gesinnung einen Fackelzug bringt.“

Liane hatte während dieser Worte etwas hilflos erst Ernst Martin, dann von Simpeln angesehen. Beide hatten durch Nicken des Kopfes zu verstehen gegeben, daß sie annehmen solle. — Sie trat einen Schritt vor, setzte ihr reizvollstes Lächeln auf und sagte:

„Meine Herren von den fünfzehn Verbindungen! Gestatten Sie, daß ich in Ihrer Sprache mit Ihnen spreche. Sie sind mir außerordentlich sympathisch. Besonders der Herr da links“ — und dabei reichte sie dem völlig verblüfften Wolf Dietrich Heyse die Hand — „gefällt mir ausgezeichnet. Auf den Inhalt Ihrer Rede möchte ich im Augenblick nicht weiter eingehen. Aber den Fackelzug nehme ich an.“ — Die drei Herren verbeugten sich. — „Und, nicht wahr, meine Herren, Sie trinken eine Flasche Champagner! — Hallo! William!“ rief sie dem Diener, der in der Tür stand, zu — „geben Sie den Herren zu trinken! Soviel sie wollen! Sie sind jung! — Ich muß nämlich aufs Rennen, meine Herren! Die königliche Loge wartet auf mich. Aber ich hoffe, Sie hier noch anzutreffen, wenn ich zurückkomme, und zwar recht vergnügt. Man ist nur einmal jung!“ — Sie gab jedem die Hand, Wolf Dietrich Heyse klopfte sie sogar auf die rechte Wange und ging dann am Arm Ernst Martins und von Simpelns aus dem Zimmer.

Ihr Auto durfte, was ehemals nur Mitgliedern des Königlichen Hauses gestattet war, über den grünen Rasen bis zur Tribüne fahren. Das elegante Publikum bildete Spalier und umlagerte auch später die Loge. Miß Rockefeller interessierte mehr als die Pferde. Der Rennvorstand empfing sie ganz offiziell, sprach ein paar Worte von der Internationalität des Sportes und gab der Hoffnung Ausdruck, daß auch das Vollblut das Seine zu der Annäherung und Verbrüderung der beiden Nationen beitragen möge.

Liane, die kleine Westschweizerin, die sich so gern als Südfranzösin ausgab und den Pferdesport nicht einmal dem Namen nach kannte, fiel aus der Rolle und erwiderte:

„Mir aus der Seele gesprochen! Wir vollblütigen Südfranzosen sind stark im Haß wie in der Liebe. Aber die Liebe liegt uns mehr als der Haß. Darum ...“

Ernst Martin sah ostentativ zum Himmel, als wenn er ein Flugzeug entdeckt hätte. Alle Blicke folgten ihm. Diese Gelegenheit benutzte er, um Lianen zuzuflüstern:

„Idiot! Sie fallen aus der Rolle!“

Liane verstand.

„Darum“, fuhr sie fort, „begrüße ich auch die Mischung amerikanischen und französischen Bluts in mir. Meine Urgroßmutter väterlicherseits war Südfranzösin und wanderte nach Amerika aus. Ihr folgten meine Großeltern und Eltern. Und da bin ich nun! Und hoffe, wie Sie, daß ich nicht umsonst hier gewesen bin!“

Das erste Rennen war ein Verkaufsrennen. Liane kaufte den Sieger, um, wie sie sagte, auch ein deutsches Pferd in ihrem Reitstall zu haben. Es folgte ein Herrenreiten. Als die Pferde an der Tribüne vorüberritten, grüßten die Reiter, wie zu Kaisers Zeiten, zu Lianes Loge hinauf. Die war entzückt, winkte und warf ihnen Kußhände zu. Der Rennvorstand ließ die Ehrenpreise in die ehemals königliche Loge bringen und bat Lianen, den Siegern die Preise zu überreichen. In militärisch strammer Haltung standen die Reiter der drei ersten Plätze vor ihr. Liane, die den Sinn der Rennen noch immer nicht erfaßt hatte, nickte ihnen zu und sagte:

„Das war ja die reine Hasenjagd! Warum lassen Sie sich denn nicht Zeit? Doch nicht etwa meinetwegen? Ich habe nichts zu versäumen und will nicht, daß die Pferde meinetwegen geschlagen werden.“

Die Herren hielten es für einen Witz; und da sie auch sonst geistig nicht verwöhnt waren, so lachten sie und sagten:

„Vorzüglich!“ — „Außerordentlich lustig!“ — „Prachtvoll!“

Liane machte ein erstauntes Gesicht und verteilte die Preise. Das Publikum, das von unten aus zusah, klatschte in die Hände. Es sah darin wohl mehr als nur einen sportlichen Akt; es nahm es politisch.

Beim dritten Rennen fragte sie:

„Warum heißt das Fürst-Hohenlohe-Oehringen-Rennen?“

Der Rennvorstand erläuterte:

„Weil Seine Durchlaucht der Fürst Hohenlohe den Preis von zwanzigtausend Mark gestiftet hat.“

Liane lächelte verächtlich.

„Lassen Sie ein Rennen einlegen und nennen Sie es Miß Rockefeller-Rennen. Ich stifte hunderttausend Mark.“

Der Rennvorstand verbeugte sich.

„Ein größeres Glück kann uns gar nicht widerfahren, verehrteste Miß! Ich werde die hochherzige Stiftung sofort öffentlich bekanntgeben. Wenn Sie so gütig sein wollen, uns die Bedingungen anzugeben und ob das Rennen, was natürlich schon des politischen Prestiges nach außen wegen sehr willkommen wäre, noch in diesem Jahre gelaufen werden soll.“

„In diesem Jahre? Heute! Ich bin Ihnen ja wohl sicher für den Betrag. Und wenn Sie ihn erhöhen wollen — bitte!“

Der Rennvorstand war verlegen.

„Sie mißverstehen mich! Unsere Freude und Dankbarkeit ist unbegrenzt. Nur ist es nach dem Rennreglement und auch sonst rein technisch unmöglich, heute noch ...“

„Warum? Sie haben genug Pferde da.“

„Ja, aber welcher Jahrgang, welche Distanz, welche Gewichte ...“

„Seien Sie doch nicht so entsetzlich umständlich!“

Echt amerikanisch! dachten die meisten.

„Das Reglement schreibt vor ...“

„Ihr Reglement kümmert mich den Teufel. Für mein Geld schreibe ich vor!“

Der Rennvorstand war in größter Verlegenheit.

„Zum mindesten müßte ich mich mit den Herren des Vorstandes ins Einvernehmen setzen.“

„Wo sind die Herren?“

„Ich werde sie holen.“

Liane wandte sich zu Ernst Martin und sagte laut:

„Mister Vanderbild!“

Der trat an sie heran und sie flüsterte ihm zu:

„Was bedeutet das? Jahrgang, Gewicht, Distanz?“

„Es laufen auf der Flachen ...“

„Was ist das?“

„Ohne Hürden.“

„Mit ist doch viel hübscher.“

„Der legitime Sport setzt voraus ...“

„Was? Bei den Pferden gibt es auch legitime und illegitime?“

„Nein doch!“

„Also dann red’ doch nicht solch einen Unsinn — und mach’ schnell!“

„Bestimme als Distanz zweitausend Meter, offen für Drei- und Vierjährige, Berufsreiter, Normalgewicht ohne Zugabe.“

„Warum ohne Zugabe? Ich versprech’ gern noch ein paar tausend Mark mehr — wenn’s daran liegt.“

„Unsinn! — Das bezieht sich auf das Gewicht und hat damit nichts zu tun — es bleibt dabei.“

Der Rennvorstand war mit drei eleganten Herren zurückgekehrt, die er Lianen vorstellte.

„Die Herren wären in diesem besonderen Falle bereit“, erklärte er, „obschon es einen argen Verstoß gegen das Reglement bedeutet ...“

„Hören Sie doch bloß mit Ihrem Reglement auf! Bei uns, in dem freien Amerika, kennt man kein Reglement. Da macht jeder, was er will.“

„O nein! Bei Ihnen ...“

„Mein Herr! Das muß ich doch wohl besser wissen. Mein Papa ist drüben das, was Sie hier sind!“

„Das ist mir bekannt!“

„Nun also!“

„Aber ich bezweifle, ob er in einem solchen Falle ...“

„Da kennen Sie Papa schlecht! Der erfüllt mir jeden Wunsch! Und wenn er tausendmal gegen das Reglement verstößt. Dann bezahlt er’s eben! Er bezahlt überhaupt alles! Kleinlich ist der nicht.“

„Wir würden, wie gesagt, obschon es uns gegen das Gefühl geht, lediglich mit Rücksicht auf Ihre Person, die Folgen des Verstoßes auf uns nehmen, wenn wir uns damit nicht der Gefahr aussetzten ...“

Liane schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, und erklärte:

„Meine Herren, einen Augenblick!“

Sie gab Simpeln und Ernst Martin ein Zeichen und verließ eilig mit ihnen die Loge. Durch die Menge, die ihr bereitwillig Platz machte, eilte sie auf die große schwarze Tafel zu, die im Innern der Bahn, gegenüber der Tribüne stand und auf der vor jedem Rennen die Namen der Pferde, die Gewichte und Reiter bekanntgegeben wurden. Liane, auf die voll Neugier die Augen aller Rennbahnbesucher und nicht zuletzt des Rennvorstands gerichtet waren, ließ sich von Simpeln auf einen Stuhl heben und schrieb in großen Lettern mit Kreide auf die Tafel:

Einlage: Miß-Rockefeller-Rennen.

100 000 Mark dem Sieger (gestiftet von Miß R.), Distanz 2000 m. Offen für Drei- und Vierjährige, Normalgewichte, Berufsreiter. Das Rennen wird als letztes des heutigen Programms gelaufen.

Nennungen sofort.

Diese, selbst für eine Rennbahn beispiellose Überraschung machte Liane und damit ganz Amerika mit einem Schlage populärer als hundert Kongresse, Lebens­mittel­schiffe, Meist­begünstigungs­verträge, Kredit­gewährungen, ja selbst Boxkämpfe es vermocht hätten. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Stürmische Hochrufe auf Amerika wurden laut. Sämtliche auf der Rennbahn befindlichen Kapellen brachen ab, verständigten sich im Augenblick und spielten irgendeinen amerikanischen Niggersong, den die Menge für die amerikanische Nationalhymne hielt und entblößten Hauptes mit anhörte. In einem Triumph sondergleichen wurde Liane in ihre Loge zurückgeleitet, vor der ihr immer von neuem stürmische Ovationen gebracht wurden.

„So erwirbt man die Sympathien eines Volkes“, belehrte Ernst Martin den Baron Simpeln. „Bei der“ — und er wies auf Liane — „sollten die Herren vom Auswärtigen Amt Anschauungs­unterricht nehmen.“

„Ich muß sagen — ich muß sagen“, erwiderte von Simpeln, staunte und sperrte den Mund auf.

„Danken Sie ab!“ redete ihm Ernst Martin zu. „Und schicken Sie die Porten oder Nuja Naja statt dessen nach Amerika.“

„Ich muß sagen — ich muß sagen ...“

„Sagen Sie’s nur! Ihrem Minister nämlich.“

„Ich werde ihm sofort telegraphieren.“

„Was wollen Sie telegraphieren?“

„Daß wir gut tun werden, uns in dem japanisch-amerikanischen Konflikt nach Amerika hin zu orientieren.“

„Begründung?“

„Erlauben Sie“, erwiderte von Simpeln und wies auf die noch immer jubelnde Menge, unter die Liane Blumen warf. „Volkes Stimme, Gottes Stimme! — Dieser elementare Gefühlsausdruck der Massen ...“

„Wäre bei der Japanerin Jucka-Jacka genau in demselben Ausmaß erfolgt.“

„Immerhin beweist er eine beachtenswerte Stärke nationaler Gesinnung.“

Und Ernst Martin wagte bei aller Skepsis, mit der er dem Gefühlsausbruch dieser Sportgenossen gegenüberstand, nicht zu widersprechen, da auf den Niggersong hin jetzt mit doppelter Stärke das Lied: „Deutschland, Deutschland über alles“ erscholl.

Auf dem billigen zweiten und dritten Platz der Rennbahn, wo man den sportlichen Grund der Begeisterung noch nicht kannte, erzeugten Neid, Neugier und die Siege verschiedener Außenseiter eine dem ersten Platz und den Tribünen gegenüber nicht gerade freundliche Stimmung. Irgendwer gab die Parole „Schiebung“ aus, und ohne daß man recht wußte, was damit gemeint war, setzte sich das Wort schnell in allen Köpfen fest.

Diese Stimmung nutzten geschickt ein paar Kommunisten, die auf Stühle kletterten und mit weithin schallender Stimme den Morgenartikel ihres Parteiorgans verlasen. Einzelne Worte schmetterten sie geradezu in die Menge: Schamlose OrgienProletarier!Sektgelageam Hungertuche nagenamerikanische Milliardäre — Drohende Fäuste erhoben sich gegen die Tribünen — Bourgeoisierussische Brüderbezahlte Spitzel — Tobender Lärm nach dem ersten Platze hinüber. — Amerikanische Milliardäreausgebeutetes Proletariat!KapitalismusLenin! — Begeisterung — Fahrt nach Berlin — Unbeschreiblicher Jubel. — Eiserne Division — Lärmende Rufe — Weg versperrenVanderbild! Rockefeller! Rufe: „Nieder!“ — EntscheidungskampfProletariats-Ausbeuter! — Rufe: „Nieder!“ — Berliner Regierung!Rockefeller-Rummel — Lärm zur königlichen Loge hin. — Film! — Jubel. — Vorwand!Proletarier! — Jubel. — Miß Rockefeller! — Drohende Fäuste. — Gewissenloseste Ausbeuter — Wuttoben. — Maske herunter! — Drängen der Massen in die innere Bahn. — Entlarven!Menschenschinder Vanderbild! — Der die Plätze trennende Zaun bricht zusammen. — Verängstigte Bourgeoisie — Entsetzen auf dem ersten Platz. — Kampf! — Die Menge schiebt sich vor. — Blut deiner Brüder! — Die Menge rast. — Angstgeschrei auf dem ersten Platz und in den Logen. — Die Menge stürmt die Tribünen. — Wüstes Durcheinander. — Schreie. — Schläge. — Schüsse. — Wolken von Staub. — Liane und von Simpeln werden ergriffen, in ein Auto geschleppt, mißhandelt, entführt. — Ernst Martin verständigt telephonisch die Regierung in München. Befehl an die Reichswehr. — Die Reichswehr erklärt sich neutral. — Die Regierung flüchtet und kehrt, da in München alles ruhig bleibt, zurück.

Liane und Baron Simpeln bleiben verschollen.

Ernst Martin sitzt im Regina Palace beim Tee und denkt: Wenn Miß Rockefeller alias Liane de La Roche ein bei der Börse zugelassenes Papier wäre, würde sie jetzt um mindestens hundert Prozent steigen. Wenn sie, so Gott will, also lebend aus dem Schlamassel herauskommt, ist sie eine Weltberühmtheit, und ich mache mit ihr eine Tournee um die Erde.

Zwölftes Kapitel

Die Vorgänge in München riefen im Reich und darüber hinaus in der ganzen Welt ungeheures Aufsehen hervor.

Anton Reber kannte sich trotz der schlechten und zum Teil frei erfundenen Abbildungen, die von Liane als Miß Rockefeller verbreitet wurden, sofort aus und hütete sich, den großen Schwindel, dem die Welt verfallen war, aufzudecken.

Wie Ernst Martin für Liane, so sah er für Frau Marga und sich in diesen Vorgängen eine Propaganda, wie sie auch nur annähernd nicht mit dem Opfer von Millionen zu leisten war. Freilich: auch die Gefahr erkannte er: daß die sogenannte falsche Miß Rockefeller unter Umständen dabei noch besser abschnitt. Wer die ganze Welt hineinlegte, mochte er auch ein Hochstapler niedrigster Gesinnung sein — es gibt unter den Hochstaplern auch Charaktere! — der hat die Lacher auf seiner Seite. Und der falsche Demetrius hätte die Weltgeschichte weniger beschäftigt, wenn er der echte gewesen wäre.

Diese Möglichkeit bestand auch hier. In den großen Massen, und an die wandte sich der Film, würde ‚die falsche Rockefeller‘ schnell eine Berühmtheit werden. Und das gerade war Frau Margas Fehler, der sie nicht populär werden ließ, daß sie — so grotesk es klingt — der wahren Miß Rockefeller zu ähnlich war. Mit vornehmer Zurückhaltung ließ sich das Herz eines feinsinnnigen Mannes erobern, nicht aber der Sensationshunger der nur auf grobe Effekte reagierenden Massen. Auf die wird eine Schreckenskammer mit den Wachsfiguren von Mördern immer mehr Anziehungskraft üben als eine Kapelle, in der man die Gestalten der Heiligen und der frommen Päpste zeigt.

Anton Reber erkannte also, daß es sich um einen Zweikampf Ernst Martin contra Anton Reber handelte, in dem zurzeit zweifellos Ernst Martin den Vorsprung hatte. Mit Liane ließ sich auch entschieden mehr anfangen als mit Frau Marga. Und selbst ein Mister Rockefeller würde eher eine Liane dulden, an die von den für ihn in Betracht Kommenden doch keiner glaubte, als eine Marga, die imstande war, eine Rockefeller glaubhaft zu machen.

Immerhin war er froh, daß auf sein Drängen hin Frau Marga ihren Mann nach Amerika begleitet hatte. Einmal hatte er dadurch hier Handlungsfreiheit, vor allem aber konnte Marga auf ihren Gatten wirken, dessen Rechtlichkeitssinn sich längst gegen ein Abenteuer wehrte, das seiner Natur nicht lag. So begnügte er sich denn, an Deichlers, die gerade heute in Amerika ankommen mußten, die Münchener Vorgänge und deren Wirkung in der vereinbarten Chiffrierschrift zu kabeln, ohne sich selbst dazu zu äußern oder gar Ratschläge für ihr Verhalten drüben zu erteilen.

Das erste, was auf die Alarmnachrichten hin, die nach Berlin drangen, erfolgte, war ein Besuch des amerikanischen Geschäftsträgers beim Minister.

Der Minister suchte seinem Mitgefühl und seinem Bedauern Ausdruck zu geben; aber der Amerikaner schnitt ihm die Rede ab und sagte:

„Entweder Sie haben die Macht, amerikanische Bürger zu schützen, oder Sie haben sie nicht. Im letzten Falle sähen wir uns außerstande, Sie als verantwortlich und damit als Regierung anzuerkennen. Ich gebe Ihnen eine Frist von vierundzwanzig Stunden. Ist bis dahin Miß Rockefeller nicht in Freiheit gesetzt, so muß ich meine Regierung in Washington um Instruktionen bitten, deren Inhalt nicht zweifelhaft sein kann.“

Der Minister, der in dem schönen Palais mit seiner Familie kaum warm geworden war, dachte ans — Packen. Ihn gruselte davor. Mehr noch vor dem Augenblicke, in dem er vor seine Frau treten und bekennen mußte: „Luise, es ist aus! die Herrlichkeit hat ein Ende!“

Jeden Abend fragte sie ihn:

„Wolfgang, sitzt du auch noch fest?“

Und wenn er erwiderte:

„Ich hoffe“,

richtete sie sich im Bette auf und rief:

„Untersteh dich! Bis unsere Mädel unter der Haube sind, hast du eine versöhnliche Politik zu treiben.“

Erst wenn er ihr das allabendlich versprochen hatte, löschte sie das Licht und sagte:

„Gute Nacht!“

Und nun kam das! — Gerade in einem Augenblick des Aufatmens, da innen und außen Ruhe herrschte.

Der sofort zusammengetretene Ministerrat war auf dem üblichen toten Punkte angelangt, bei dem regelmäßig das Gespenst des Rücktritts vor den Augen der Minister drohend sein Haupt erhob. Als von der Münchener Regierung der Bescheid kam:

‚Hier herrscht vollkommene Ruhe, als wenn nichts vorgefallen wäre. Jedoch fehlt, trotz fieberhafter Nachforschungen bis jetzt noch jede Spur Miß Rockefellers und Baron Simpels‘,

stand auf den unheimlich langen Gesichtern aller:

‚Ja, dann wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben, als ...‘

Luises Mann, der Minister des Innern, ließ sie nicht zu Ende denken.

„Die Pflicht gegenüber dem Vaterlande verlangt,“ fiel er ihnen in ihre Gedanken, „daß wir auch in dieser schwierigen Situation auf unserem Posten ausharren.“

Alle sahen ihn voller Erwartung an, in der Hoffnung, daß er etwas zur Sache sagen würde. Und da das nicht geschah, so verfielen sie wieder in ihre Lethargie. Nur der Reichswehrminister hielt den Kopf hoch und sagte:

„Bravo!“

„Hatten Sie noch etwas zu sagen?“ fragte ihn der Kanzler des Reichs.

Der Reichswehrminister erhob sich:

„Ich verbürge mich für die Zuverlässigkeit der Truppen!“

Obschon das in keinerlei Zusammenhang mit dem Verschwinden Miß Rockefellers stand, stärkte es doch das Rückgrat der Minister.

Luises Mann schlug vor, auf die Bekundungen des Reichs­wehr­ministers folgendes amtliche Kommuniqué heraus­zugeben:

‚Die Ruhe in Bayern ist völlig wiederhergestellt. Die Münchener Regierung hat im Einvernehmen mit der Reichsregierung umfassende Maßnahmen getroffen, sodaß das mysteriöse Verschwinden der Miß Rockefeller und des Barons Simpeln in aller Kürze völlig aufgeklärt sein wird.‘

„Damit werden wir bei dem amerikanischen Geschäftsträger eine Fristverlängerung von weiteren vierundzwanzig Stunden erwirken“, sagte der Minister erläuternd zu seiner Erklärung.

„Und nach Ablauf der vierundzwanzig Stunden?“ fragte ein Wißbegieriger, worauf der Minister mit der selbstverständlichsten Miene von der Welt erwiderte:

„Ein neues Kommuniqué. — Außerdem bleibt die Hoffnung, daß sich der Fall auch ohne unser Zutun klärt.“

Der Ministerrat beschloß dem Antrage gemäß und vertagte sich auf abends zehn Uhr.

Am Abend desselben Tages erhielt der amerikanische Geschäftsträger einen Eilbrief aus München:

‚Sehr geehrter Herr!

Die Herren, die mich und den Baron Simpeln hier festhalten, dulden nicht, daß ich in unserer Sprache an Sie schreibe. Wenn bis übermorgen nacht zwei Uhr nicht ein Bote — aber es darf nur einer sein — mit einem Lösegeld von dreimal­hundert­tausend Mark bei dem auf der Theresienwiese haltenden Auto ist, so werden wir voraussichtlich sterben müssen. Jeder gewaltsame Versuch gegen das Auto oder dessen Insassen wird unseren Tod zur Folge haben. Schicken Sie schnell das Lösegeld, das Papa Ihnen zehnfach zurückerstatten wird.

Miß Rockefeller.‘

Der Amerikaner hatte sich daraufhin sofort mit dem Minister verbinden lassen, der auf seine eigene Gefahr hin die Summe garantierte. Der Ministerrat atmete auf und erteilte ihm Decharge, ein Vertrauensmann brachte das Geld in der übernächsten Nacht in München an das Auto — und eine halbe Stunde später waren Liane und Baron von Simpeln frei.

Liane war nicht nur um ein Abenteuer, sondern auch um hunderttausend Mark reicher. Sie hatte mit dem Führer der ‚Herren‘, die sie und Simpeln geraubt hatten und die im übrigen völlig unpolitisch waren, Fühlung gesucht und gefunden. In dem Brief an den Amerikaner, den sie nach dem Diktat Alois’, des Führers, geschrieben hatte, war anfangs nur von hunderttausend Mark die Rede. Auf die Erklärung Lianes hin, daß sie diese Summe auch dann noch als Kränkung empfände, wenn sie dabei mit neunzig und von Simpeln mit zehntausend Mark bewertet wäre, hatte Alois, ehemals Metzger in Dachau, jetzt Meister­schafts­ringer, die Summe verdoppelt. Aber Liane hatte ihm einen Nasenstüber versetzt und gefragt:

„Und wo bleibe ich?“

Champion Alois fuhr mit seiner roten, fleischigen Hand mit mimosenhafter Zartheit über Lianes Rücken und erwiderte:

„Ich gebe dir von allem, was ich verdiene und sonst einnehme, die Hälfte, wenn du bei mir bleibst.“

Liane sah ihn schmachtend an und sagte:

„Ich kehre wieder!“

Alois, der Unbesiegte, dem, wenn er nicht gerade durch Raubzüge abwesend war, alle Frauen zu Füßen lagen, glaubte es. Er ließ sie seine Muskeln fühlen und war überzeugt, daß sie zu ihm zurückkehren werde.

„Auf die Muskeln hin“, erklärte Liane, „fordern wir das Dreifache!“

Alois sah das ein und meinte:

„Du verstehst das Geschäft! — Wir beide könnten den Notenumlauf im ganzen Reiche nach unserem Willen regeln.“

Einen Augenblick lang überlegte Liane ernstlich.

„Wieviel Mann stehen dir zur Verfügung?“ fragte sie.

„Wenn ich will, tausend.“

„Und wieviel Mann hat die Reichswehr?“

„Das kann man nur von Fall zu Fall beurteilen.“

„In unserem Fall?“ fragte sie.

„Hm!“ erwiderte Alois, „bei meiner Popularität ...“

„Und deinen Muskeln!“ ergänzte Liane, und Alois fuhr fort:

„... würden sie sich vermutlich für neutral erklären.“

„Ich überleg’s mir!“ versprach Liane noch einmal, als sie Alois verließ. In der Tür kehrte sie um und rief:

„Wir haben ja den Baron vergessen.“

Simpeln, der die vierzig Stunden über in einer Bodenkammer verborgen gehalten worden war, wurde heruntergeholt und zusammen mit Liane in Freiheit gesetzt.

Als sie im Freien waren, war seine erste Frage:

„Haben sie Ihnen etwas getan, Miß?“

„Mir? inwiefern?“ fragte sie.

„Sie wissen doch!“ sagte er und sah sie ängstlich an.

„Daß Sie doch immer schlechte Gedanken haben!“

„Gott sei Dank!“ rief er und atmete auf. „Erstens Ihretwegen und dann — ein Krieg mit Amerika wäre unvermeidlich gewesen.“

„Lebend hätte ich mich dazu nie verstanden.“

„Wenn Sie sagen würden, daß ich durch mein heldenmütiges Auftreten Sie vor dem Ärgsten bewahrt habe, so würde das dem Deutschen Reiche ernste Komplikationen ersparen.“

„Und Ihnen vorwärtshelfen“, ergänzte Liane.

„Vielleicht auch das.“

„Vierzig Stunden mit Ihnen in einer Dachkammer eingesperrt, Baron, bedenken Sie, was das für eine Rockefeller bedeutet! — Ich bin kompromittiert! — Ich wage mich nicht zurück zu meinen Eltern. — Ich schäme mir die Augen aus dem Kopf! — Ich bringe mich um!“

„Um Gottes willen!“ rief Simpeln und suchte sie zu beruhigen.

„Sie haben die Schuld! Sie allein! Wenn Sie sich nicht so feige benommen hätten! — Aber ich werde nicht aus dem Leben gehen ohne zu hinterlassen, wie Sie sich aufgeführt und, immer nur auf Ihre Rettung bedacht, mich im Stiche gelassen haben!“

von Simpeln stieg mit ihr in ein Auto, ergriff ihre Hände, fiel vor ihr auf die Knie und bettelte:

„Ich beschwör’ sie, Miß! machen Sie mich nicht unglücklich! — Sagen Sie, was ich für Sie tun kann.“

Er zog sie an sich und riß ihr in der Erregung den Schleier herunter:

„Mit zwölf Dutzend Paar Schleiern ist es in diesem Falle nicht getan, Baron!“ sagte sie kühl. „Entweder oder!“

„Soll das heißen, daß ich ...“ — er hielt inne, und da das Auto eng war, so stieß er sich bei dem Versuch, ein paar Schritte zurückzuweichen, den Kopf. Wie ein Gefangener saß er noch immer vor ihr.

„Mein Entschluß steht fest: von diesem Abenteuer kehre ich entweder als Frau zurück — so schwer es mir fällt, den Namen Rockefeller abzulegen — oder ich kehre nicht zurück.“

Simpeln richtete sich ein wenig auf und sagte:

„Darf ich unter diesen Umständen um Ihre Hand anhalten, Miß.“ — Und er dachte in diesem Augenblick mit Entsetzen an das Telegramm, das er an von Trott gesandt hatte.

Liane sah ihn an und sagte:

„Sie dürfen!“

Sie reichte ihm die Hand, und er drückte so förmlich wie möglich einen Kuß darauf. Dann mühte er sich in die Höhe, setzte sich wieder neben sie und sagte:

„Also das Nächste wären nun deine Eltern.“

„Die müssen wir vor ein Fait accompli stellen.“

„Wie denn? — die sollen ...“

„es erst erfahren, wenn wir Mann und Frau sind. Als deine Braut wäre ich jetzt eine geradezu komische Figur.“

Baron Simpeln blieb der Atem weg.

„Ja — aber, das geht ja gar nicht! — Gewisse Formalitäten gesellschaftlicher Natur ...“

„Erledigen wir später.“

„Und ohne Papiere.“

„In eurem langweiligen Deutschland dauert das natürlich viel zu lange. Was sollte in der Zwischenzeit aus mir werden? — Nein! wir fahren noch heute nach Schottland. Da fragt kein Mensch nach einem Papier! Da traut einen der Geistliche des Distrikts, in dem man wohnt, und fragt einen noch nicht mal nach dem Namen.“

„Und das sollte gesetzlich genügen?“

„Garantiert! ich habe eine Freundin, die hat es so gemacht. Hinterher trägt man sich irgendwo in ein Standesamtsregister als Mann und Frau ein. Das ist alles! Wir können schon in ein paar Tagen wieder zurück sein.“

von Simpeln blieb keine Wahl. Das Für und Wider dieser Ehe hob sich auf. Nur das Telegramm an von Trott ließ ihm keine Ruhe. Schließlich drahtete er an ihn:

‚War natürlich schlechter Witz, den hiermit widerrufe.‘ —

von Trott bezog das auf die gewaltsame Entführung und eilte mit dem Telegramm zu dem Minister, der von dem Abschluß einer Wette nichts wußte.

„Begreifen Sie das?“ fragte ihn der Minister.

„Eine Zeitungsente, Exzellenz! Ich lese längst keine Zeitung mehr.“

„Ich bitt’ Sie! das war ja amtlich!“

„Da haben Sie’s! selbst die Behörden lassen sich von der Presse düpieren.“

„Das ist undenkbar! Augenzeugen, die alles miterlebt haben, durchaus zuverlässige Menschen, bestätigen Punkt für Punkt alles, was in den amtlichen Berichten steht.“

„Teufel ja! — Und da gibt es noch immer Menschen, die behaupten, Diplomatie sei keine Kunst! — Da sieht man mal wieder, wie dumm das ist! — Ich werde jedenfalls sofort alles in Bewegung setzen ...“

„Nein! nein! lassen Sie das! Setzen Sie nichts in Bewegung! Das verwirrt den Fall nur noch mehr.“

„Wie Exzellenz befehlen.“

„Haben Sie Baron Simpelns Adresse?“

„Adresse? — Jawohl! Alsenstraße 4.“

„Die dortige natürlich.“ — Er sah nochmals auf das Telegramm und sagte: „Hier steht sie ja. Nanu! Glasgow, Central Station Hotel — ja, was heißt denn das?“

„Daraus entnehme ich,“ dozierte von Trott langsam und mit wichtiger Miene, „daß der Baron sich in Schottland, und zwar in Glasgow, befindet.“

„Ach nee!“ entfuhr es dem Minister, und von Trott, der den Spott nicht bemerkte, erwiderte:

„Mir scheint das klar und deutlich daraus hervorzugehen.“

„Ja, was macht er denn da? ohne Urlaub und ohne mich zu verständigen?“

„Am Ende gar beruflich.“

„Das müßten doch Sie zum mindesten wissen.“

„Ganz aufgeklärt scheint der Fall demnach jedenfalls nicht.“

„Sie fordern sofort telegraphisch ausführliche Aufklärung über Sinn des Telegramms und Grund der eigenmächtigen Reise. Vielleicht ist das Telegramm verstümmelt und der Inhalt entstellt.“

Als von Trott das Zimmer des Ministers verließ, kam ihm der erlösende Gedanke, daß damit die Wette gemeint war. Im Begriff, umzukehren, erkannte er auch schon die Unmöglichkeit, dem Minister die Wahrheit zu sagen. Immerhin war sein Pflichtgefühl so weit entwickelt, daß er stehenblieb, sich umwandte und sagte:

„Ich hab’s, Exzellenz! Schlechter Witz, das ist so eine Redensart des Barons Simpeln für alles Unangenehme.“

„So?“ sagte der Minister erstaunt. „Haben Sie dafür Beweise?“

„Massenhaft! So sagt er zum Beispiel von der Revolution ‚schlechter Witz!‘ — Republik — ‚schlechter Witz‘ — Bestimmt meint er in seinem Telegramm damit die Gefangenschaft.“

„Schon gut!“ wehrte der Minister ab. „Aber was bedeutet dann ‚widerrufe‘?“

„Soviel wie überstanden. — Mit anderen Worten: Gefangenschaft, die überstanden habe, war schlechter Witz.“

„Ein sehr schlechter Witz ist das!“ erwiderte der Minister, der sich von seinem feudalen Mitarbeiter wieder einmal veralbert glaubte.

Und von Trott, der seinerseits in der Antwort des Ministers eine Kränkung sah, wehrte sich und sagte:

„Verzeihung, Exzellenz, aber das ist Diplomatensprache!“ — Wie gern hätte er hinzugefügt: ‚Die verstehen Sie natürlich nicht.‘

*     *     *

Statt daß die Angelegenheit, die mit der Freilassung Miß Rockefellers für einen Augenblick erledigt schien, sich klärte, wurde sie nur immer verworrener.

Das war zunächst einmal die Schuld des Geheimrats von Stuck. Der war auf schnellstem Wege nach dem Osten geeilt, hatte, was anzuerkennen blieb, ohne Rücksicht auf die damit verbundene Lebensgefahr, ganze Strecken im Flugzeug zurückgelegt, Grenzen, an denen man ihn beschoß, ohne zu landen, überflogen und sich schließlich mit dem Grafen Kleist, der ihm entgegengeeilt war, ohne den Grund dieser ungewöhnlichen Reise zu kennen, getroffen.

„Lebt die Miß?“ war von Stucks erste Frage, und Graf Kleist erwiderte:

„Die Miß? welche Miß?“

„Rockefeller! — So sagen Sie’s schon!“ Und er faßte ihn an beide Schultern und sah ihm in die Augen, als wenn er sein Todesurteil von ihm entgegennehmen sollte.

„Wo soll die sein?“

„In Tokio!“

„Mir nicht bekannt.“

„Kleist! sind Sie bei Sinnen? Wachen Sie auf! Was geht in Tokio vor? Sie können das doch unmöglich verschlafen haben!“

„Nichts geht vor. Bei den Pferderennen am Sonntag hat meine dreijährige Stute ...“

„Kleist!“ schrie von Stuck. „Sie machen mich toll! Haben Sie über Ihre Stute den Miß-Rockefeller-Film verschlafen? — Ganz Europa sieht in fieberhafter Erregung nach Japan. Deutschland steht vor der Frage, ob es sich Japan oder Amerika anschließen soll. Ich lasse die dringendsten Geschäfte zu Hause unerledigt, fliege hierher, in des Wortes wahrster Bedeutung, und Sie, der deutsche Vertreter, von dem ich annahm, daß er vor Erregung und Arbeit zermürbt ist, Sie wissen von nichts!“

Graf Kleist fühlte in diesem Augenblick, daß es um seine Karriere ging. Er wußte von nichts, konnte von nichts wissen, da es nichts zu wissen gab. Aber er fühlte sich nicht sicher genug, um das zu bekennen. Es war ja immerhin möglich, daß es ihm entgangen war. Die Bestimmtheit, mit der von Stuck auftrat, allein die Tatsache, daß er da war, ließen keinen Zweifel. Und so sagte er denn:

„Gewiß weiß ich. Ich weiß alles. — Aber in dieser Erregung ist es natürlich nicht möglich, über derartige Dinge zu sprechen.“

„Ich gebe das zu! Der Schreck, die Erregung zu Haus, die Reise — das alles wirkt nach. — Ich werde schon ruhiger. Aber eins sagen Sie mir: lebt sie?“

„Miß Rockefeller?“

„Ja! — oder hat man sie umgebracht?“

„In Tokio jedenfalls nicht!“

Das sagte er sehr bestimmt. Denn wäre das geschehen — jedes Teemädchen hätte davon geschwatzt.

„Und sie ist noch da?“

„Das weiß ich natürlich nicht.“

„Und der Gesandte?“

„Ja, Stuck, was ist mit Ihnen?“ rief er ängstlich. „Was stellen Sie für Fragen! Der Gesandte bin doch ich!“

„Der amerikanische natürlich! den man anläßlich des Rockefeller-Films tätlich beleidigt hat.“

„Wer sagt das?“

„Ganz Europa ist voll davon.“

„Dann ist Europa toll!“

„Unmöglich! Sie haben es verschlafen, Kleist! Gestehen Sie! Sie waren auf Jagd! Sind wochenlang gar nicht in Tokio gewesen! — wie? was? stimmt’s? — Und ich muß aus Berlin kommen, um Ihnen zu sagen, was hier vorgeht.“

Graf Kleist hatte weder geschlafen — wenigstens nicht übermäßig — noch war er auf Jagd gewesen. Und doch wurde er den bestimmten Behauptungen Stucks gegenüber wieder unsicher.

„Den Rockefeller-Film, den leugnen Sie doch nicht ab, nicht wahr? — oder etwa auch?“ fragte von Stuck.

„Gewiß nicht!“ erwiderte Kleist, obschon er jetzt zum ersten Male davon hörte.

„Nun und?“

„Gewiß! er hat Aufsehen gemacht.“

„Mehr nicht?“

„Ich bin doch schließlich nicht als Filmonkel nach Tokio gegangen!“ erwiderte Kleist ärgerlich.

„Etwa als Pferdezüchter?“ fragte Stuck.

„Jedenfalls war mir bis heute unbekannt, daß man als Diplomat die Pflicht hat, Kinotheater zu besuchen.“

„Sie wissen demnach auch nichts von einer amerikanisch-japanischen Spannung?“

„Die besteht immer.“

„Aber sie ist im Augenblick akut.“

„Das hat man schon oft behauptet. Der japanische Minister des Äußern, den ich gestern auf dem Rennen sprach ...“

„Wie? was? der japanische Minister des Äußern geht aufs Rennen, während man bei uns tagtäglich die amerikanische Kriegserklärung an Japan erwartet? Sonderbare Heilige sind das!“

„Dumm sind sie nicht.“

„Das scheint mir auch, wenn es ihnen gelingt, den deutschen Geschäftsträger derart zu bluffen. — Es wird schon wieder so sein wie damals: Alle wissen, nur der Vertreter Deutschlands weiß von nichts.“

„Ich weiß ja alles ...“

„Ja, so reden Sie doch!“

„... was es zu wissen gibt. — Im übrigen, zwei Schritte von hier wohnt der amerikanische Generalkonsul, mit dem ich freundschaftlich verkehre.“

„Hin zu ihm! — Das heißt, er wird unter diesen Umständen kaum für uns zu sprechen sein.“

„Er ist für mich immer zu sprechen“, erwiderte Kleist.

Auf dem kurzen Wege zu ihm erklärte von Stuck:

„Ich muß heute noch in Erfahrung bringen, wo sich Miß Rockefeller aufhält.“

„Wenn einer es weiß, weiß er’s“, erwiderte Kleist. Und diese Aussicht versöhnte von Stuck derart, daß er den Grafen unter den Arm nahm und ihm zuflüsterte:

„Dann wollen wir auch alles andere nicht so feierlich nehmen.“

Es stellte sich heraus, daß der amerikanische Generalkonsul in seinem Boot lag und schlief. Mitten am Tage. — Von Stuck hatte erwartet, daß in dem Hause fieberhafte Erregung herrschen und hunderte von Amerikanern, die auf die alarmierenden Nachrichten hin Hals über Kopf Japan verlassen wollten, auf die Ausstellung ihrer Pässe warten würden. — Nichts von alledem. Klosterhafte Ruhe herrschte.

Und eine Viertelstunde später wußte von Stuck aus authentischster Quelle, daß von sämtlichen Nachrichten auch nicht eine stimmte. Keine Miß, kein tätlich beleidigter Amerikaner, kein Film!

„Und Sie wüßten, wenn eine Miß Rockefeller in Tokio wäre?“

„Und wenn sie in der Verkleidung der Favoritin des Schahs von Persien reiste: ich wüßte es!“

von Stuck war erschlagen. Ein derartiges Fiasko war selbst für einen deutschen Diplomaten ungewöhnlich.

„Haben Sie diese Miß Rockefeller denn mit Ihren eigenen Augen gesehen?“ fragte der Amerikaner.

„Zweifeln Sie etwa ...?“

„Ich würde, wenn beispielsweise in Amerika plötzlich ein Fräulein Rothschild als Filmdiva erschiene, in meiner Eigenschaft als Diplomat diese Dame doch sehr gründlich auf ihre Echtheit hin beklopfen.“

„Welch Gedanke!“ rief von Stuck.

Der Amerikaner zog die Schultern hoch und meinte:

„Ehe ich eine solche Reise antrete.“

Graf Kleist fühlte Oberwasser und sagte:

„Mein Prinzip ist es auch, zunächst mal alles, was an mich herantritt, für Schwindel zu halten. Auf die Weise erledigt sich das meiste von selbst und man erspart sich viel Arbeit. — So hätte ich’s auch in Ihrem Falle gemacht, lieber Stuck. —“

Als die beiden deutschen Diplomaten eine Stunde später auf der Terrasse ihres Hotels saßen, sagte von Stuck resigniert:

„Mir bleibt nach alledem nur übrig, meine Demission zu nehmen.“

„Sind Sie toll, Stuck!? — Damit es heißt: da seht, so sehen die Diplomaten der alten Schule aus! — Bedenken Sie, was das für Wasser auf die Mühlen der Demokratie gibt! — Verrat wäre das! Verrat an uns allen! — Sollen wir, die einzige Oase in dem Riesenmeer von Beamten auch noch den Bürgerlichen weichen? — Wir haben die Pflicht, uns gegenseitig zu halten.“

von Stuck reichte seinem Kollegen die Hand und sagte:

„Ich danke Ihnen!“

„Natürlich müssen wir vorsichtig in unserem Bericht an den Minister sein.“ — Er zog einen Bogen Papier heraus und schrieb:

Von einer unverantwortlichen Presse verbreitete Gerüchte maßlos übertrieben. Völlige Entspannung des nicht einmal bis Washington gedrungenen Konflikts. Tätliche Beleidigung des amerikanischen Botschafters bewahrheitet sich ebensowenig, wie die über Miß Rockefeller ausgestreuten Gerüchte. Geheimrat von Stuck konnte hier wertvolle Verbindungen anknüpfen.

Graf Kleist.

von Stuck las und billigte das Telegramm und drahtete seinerseits an von Trott, von dem er an zwei Orte, die er auf seiner Rückreise berührte, scheinbar in dienstlichem Interesse, Nachricht über Miß Rockefeller erbat.

Die erste Nachricht, die er erhielt, lautete:

Miß Rockefeller in München von Kommunisten verschleppt. Nachforschungen blieben ergebnislos. von Trott.

von Stuck tobte und litt; er berechnete die Kilometerzahl, die ihn von München trennte, leistete einen heiligen Eid, den Rest seines Lebens dem Kampf gegen den Kommunismus zu widmen und kämpfte gegen Selbstmordgedanken, die ihn gegen Abend befielen, erfolgreich mit Alkohol an.

Er schöpfte gerade wieder Hoffnung, als das zweite Telegramm ihn traf.

Miß Rockefeller zurzeit in Begleitung Baron Simpelns in Glasgow, Central Station Hotel. von Trott.

Von Stuck schrie beim Lesen des Telegramms laut:

„Schuft! Ich bringe ihn um!“ — fiel dann aber selbst um und blieb vierundzwanzig Stunden lang regungslos liegen. Völlig apathisch setzte er am nächsten Tage die Reise fort und kam schließlich noch zeitig genug in Berlin an, um die Entscheidung der letzten großen Ereignisse mitzuerleben.

Dreizehntes Kapitel

Als der amerikanische Geschäftsträger in Berlin die Nachricht von den Vorgängen in München erhielt, drahtete er sofort an seine Regierung nach Washington und unterrichtete sie von den Schritten, die er zur Befreiung Miß Rockefellers bei der deutschen Regierung unternommen hatte.

Die Regierung in Washington ihrerseits setzte sich mit dem Haupte der Familie Rockefeller in New York in Verbindung und teilte ihm mit, daß sie sofort mit dem hiesigen Vertreter Deutschlands in Verbindung treten werde.

Herr Rockefeller erbat nähere Angaben, da er absolut nicht im Bilde sei, und drang auf lückenlose Klarstellung; für dadurch entstehende außerordentliche Ausgaben käme er auf.

Doktor Deichler fand bei seiner Ankunft in Amerika zunächst, daß von einer Besserung der Stimmung zugunsten Deutschlands nicht die Rede war. Alle hierüber in deutsche Zeitungen lancierten Nachrichten waren irreführend. Es gab in ganz Amerika kein Konzert und kein Theater, in dem es möglich gewesen wäre, ein deutsches Lied zu singen. Was geschäftige amerikanische Impresarios, die nach Europa kamen und mit deutschen Künstlern Verträge fertigten, über die Verhältnisse in ihrer Heimat berichteten, widersprach den Tatsachen. Die jahrelang in großem Stil betriebene antideutsche Propaganda hatte eine zu tiefe Wirkung geübt, die Vorstellung von deutschem Rechtsbruch und deutschen Greueln saß zu gegenständlich und zu fest in den Köpfen eines leichtgläubigen Volkes, als daß die Ratifikation des Friedens und eine versöhnlich gestimmte Presse in absehbarer Zeit einen Stimmungswechsel herbeiführen konnten. Deichler erkannte sehr bald, daß in Deutschland hierüber gänzlich falsche Vorstellungen herrschten und daß ein diplomatischer Vertreter von besonderen Fähigkeiten nötig war, um hier, wenn auch nur ganz allmählich, Wandel zu schaffen.

In diese Erkenntnis platzte die Nachricht von den Vorgängen in München, die er nicht etwa — i Gott bewahre! — von seiner Behörde, vielmehr von Anton Reber erhielt. In seiner Wirkung konnte dies Ereignis, wurde es von deutschfeindlicher Seite geschickt genutzt, so bedeutungsvoll werden, wie es seinerzeit der Untergang der Lusitania gewesen war. Eine Rockefeller wog ja ein Schock von Amerikanern auf. Es war also zunächst zu verhindern, daß die Öffentlichkeit sich mit dem Fall befaßte.

Aber Frau Marga, mit Instinkt begabt wie Ernst Martin und Anton Reber, sah in den Münchener Vorgängen eine Reklame, die sie sich nur ungern entgehenließ.

„Du verwechselst Ursache und Zweck“, erwiderte ihr Deichler. „Die Filmidee entstand in der Absicht, mir die diplomatische Karriere zu ermöglichen. Jetzt willst du, daß ich meine diplomatischen Möglichkeiten dazu benutze, eine Filmidee zu stützen.“

„Ich stehe heute mehr denn je auf dem Standpunkt, daß eins das andere nicht ausschließt; daß im Gegenteil: Film und Diplomatie sich ergänzen.“

„Willst du mir das nicht etwas deutlicher machen?“

„Bald! noch ist es nicht Zeit dazu!“

„Ich soll also wieder vor eine fertige Sache gestellt werden?“

„Vielleicht würde vorzeitige Kenntnis dir deine Unbefangenheit gegenüber den amerikanischen Behörden nehmen.“

„Ich fühle mich schon heute gehemmt und befangen. Auf dies Telegramm Rebers hin wäre es meine Pflicht, mich sofort mit der amerikanischen Regierung in Verbindung zu setzen.“

„Ich bitte dich, genau so zu handeln, als wenn du mit meiner Angelegenheit nichts zu tun hättest. In Wirklichkeit ist das ja auch der Fall! — Du stehst absolut draußen, und es wäre wahrscheinlich das gescheiteste gewesen, wenn ich dich gar nicht ins Vertrauen gezogen hätte.“

„Das würde mir meine heutige Situation jedenfalls sehr erleichtern.“

„Ich gestehe offen, daß das im ersten Augenblick auch meine Absicht war.“

„Hättest du es nur getan!“

„Ich hätte dich fortgesetzt belügen müssen.“

„Und nun muß ich ein unehrliches Spiel treiben.“

„Dafür bist du Diplomat!“

„Gewiß! Wenn nur mein Gewissen nicht belastet wäre!“

„Ich gebe zu, daß jetzt alles darauf ankommt, die durch mich geschaffene Situation — und dazu gehört natürlich auch das Abenteuer Lianes — in Deutschlands Interesse auszunutzen.“

„Wenn das ginge!“

Es klopfte. Legationssekretär von Holl erschien und brachte ein Diensttelegramm. Darin meldete von Trott, daß anläßlich der Münchener Rennen die bekannte Filmdiva Miß Rockefeller von Kommunisten entführt worden sei und daß Deichler der amerikanischen Regierung und dem Mister Rockefeller das Bedauern der deutschen Regierung über den Vorfall zum Ausdruck bringen möge. Des ferneren, daß die deutsche Regierung bereit sei, jede gewünschte Genugtuung zu gewähren, daß die gestellte Frist von vierundzwanzig Stunden aber zu kurz sei.“

„Den letzten Satz verstehe ich nicht“, erklärte Deichler.

„Schadenersatz natürlich!“ erwiderte von Holl.

„Glauben Sie, daß Mister Rockefeller sich für den Raub seiner Tochter mit Geld abfinden läßt?“

„Es kommt auf die Summe an.“

„Was weiß man hier übrigens von dieser Miß?“ fragte Frau Marga.

„Ein echt amerikanisches, extravagantes Frauenzimmer“, erwiderte von Holl.

„Man weiß demnach, daß sie Filmdiva in Europa ist?“

„Die Zeitungen brachten spaltenlange Berichte.“

„Auch ihr Bild?“

„Dutzende! Aber keins sah dem andern ähnlich.“

„Und wie hat die Familie Rockefeller darauf reagiert?“

„Gar nicht!“

„Sonderbar!“ sagte Deichler, und auch Frau Marga meinte:

„Das verstehe ich nicht.“

Legationssekretär von Holl begriff nicht, was sie dabei so sonderbar fanden. Und als Deichler erklärte:

„Also werde ich mich meines Auftrages entledigen und das Beileid meiner Regierung übermitteln“, da fragte von Holl:

„Wollen Sie das nicht lieber mir überlassen? Ich kenne die Brüder und weiß, wie man sie behandelt, um Eindruck zu machen.“

Deichler rückte so auffällig wie möglich von ihm ab und ließ ihn fühlen, daß er, wenn auch nur für drei Wochen, hier die Leitung hatte.

„Nein!“ sagte er. „Aber es soll mich freuen, wenn ich an Ort und Stelle bestätigt finde, daß man Sie schätzt.“ —

Man empfing Doktor Deichler nicht. Wenigstens nicht an der Stelle, die zur Entgegennahme seiner Erklärungen die allein zuständige war. Statt dessen erschien ein Sekretär im Range etwa eines Legationsrats, der den Chef entschuldigte und Deichler bat, ihm seine Wünsche vorzutragen.

„Es handelt sich nicht nur um die formale Abgabe einer Erklärung,“ erwiderte Deichler, „deren Inhalt Sie ja kennen, ehe ich sie Ihnen genannt habe. Dafür also wäre es ohne Belang, wer sie entgegennimmt.“

„Darüber habe ich keine Bestimmung zu treffen.“

Deichler tat, als überhörte er es.

„Es handelt sich vielmehr um das Leben eines amerikanischen Untertans und, was bei Ihnen vielleicht nicht als gänzlich belanglos empfunden wird, nicht des ersten besten.“

„Wir sind unterrichtet.“

„Das setze ich voraus und bin daher um so erstaunter, nicht empfangen zu werden.“

„Mein Herr, darin liegt eine Kränkung für mich.“

„Die mir gänzlich fern lag. — Jedenfalls kann in diesem Falle nur ich beurteilen, wem gegenüber ich mich rückhaltlos äußern darf.“

Deichler machte einen Schritt zur Tür hin, worauf ihn der Sekretär, der es übersah, sehr höflich bat, ihn für einen Augenblick zu entschuldigen.

Deichler erklärte sich gern bereit.

Der Sekretär ging zum Minister und berichtete wörtlich.

Der Minister sagte:

„Hm! so unrecht hat er nicht! zumal er direkt aus Deutschland kommt. Ich dachte, es wäre Holl, der immer unsachlich ist und mir auf die Nerven fällt.“

Deichler wurde empfangen, und der Zufall wollte es, daß auch der alte Rockefeller auf die Nachricht der Regierung hin ins Ministerium kam.

„Das trifft sich ja ausgezeichnet,“ sagte der Alte und musterte Deichler mit einer Ungeniertheit, die den verblüffte. So sieht man eine Probierdame an, die man engagieren will, dachte Deichler, aber nicht den offiziellen Vertreter eines Reichs von siebzig Millionen. Und er gab, indem er erst sich, dann den alten Rockefeller ansah, zu verstehen, daß er dies Verfahren zum mindesten sonderbar fand. Sein Ausdruck sagte, und sowohl Rockefeller, wie der Minister verstand ihn: ‚Wenn wir den Krieg auch verloren haben, so sind wir darum doch mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie vor dem Kriege.‘

Daher kam es wohl auch, daß Rockefeller, was sonst völlig unvermittelt gewesen wäre, auf Deichler zutrat, ihm die Hand reichte und sagte:

„Ich freue mich, den ersten offiziellen Vertreter Deutschlands kennenzulernen. Was Ihr Volk geleistet hat, werden erst spätere Jahrhunderte würdigen.“

Das war sehr artig, und da auch der Minister zustimmend mit dem Kopfe nickte, so erwiderte Deichler:

„Wenn erst alle Mißverständnisse beseitigt sind, und in deren Beseitigung sehe ich unsere Aufgabe, wird das amerikanische Volk erkennen, wie ähnlich die Völker einander sind. Es war bisher der Geist einiger weniger, die das Geschick des deutschen Volkes bestimmten. Gelingt es, überall den unverfälschten, durch Lügen nicht irregeleiteten Wunsch und Willen des Volkes als allein bestimmenden Faktor politisch zu betätigen, so wird es keine Kriege mehr geben.“

„Sehr richtig,“ erwiderte der Minister, „diesem Ideal sind wir jedenfalls näher als Sie.“

„Wo wir das bestätigt finden, werden wir von Ihnen lernen.“

„Vorgänge, wie die in München,“ fuhr der Minister fort, „sind jedenfalls nicht geeignet, einen Stimmungswechsel zugunsten Deutschlands im amerikanischen Volke herbeizuführen.“

„Die Vorgänge in München bedauern wir tief. Aber würde man dem deutschen Volke nicht den Weg zur Arbeit verschließen, was gewiß nicht dem Wunsch und Willen des amerikanischen Volkes entspricht, so würde es sich nutzbringender beschäftigen.“

Der alte Rockefeller nickte.

„Es kann,“ fuhr Deichler fort, „in diesem Falle nur eine Genugtuung geben: Miß Rockefeller unversehrt ihrer Familie wiederzuzuführen.“

„Und falls das nicht gelingt?“ fragte der Minister.

„Es muß gelingen!“ erwiderte Deichler. „Denn es ist klar, daß in jeder materiellen Buße eine neue und noch schwerere Kränkung der Familie Rockefeller läge. Die Familie Rockefeller wird sich das Verschwinden eines ihrer Mitglieder nicht bezahlen lassen.“

Weder der Minister noch Rockefeller wagten zu widersprechen.

„Und welche ideelle Genugtuung könnte Ihre Regierung bieten?“ fragte der Minister.

„Es gibt nur die eine, die ich nannte! Wir müssen, wo es sich um das Leben eines amerikanischen Bürgers handelt, jedes Opfer bringen.“

„Und bis wann, glauben Sie, kann das geschehen?“

„Das wird davon abhängen, ob das Interesse an dem Leben der Miß auf amerikanischer Seite ebenso stark ist wie bei uns.“

„Wie können Sie zweifeln?“

„Dann wäre es von Bedeutung, daß die amerikanische Presse den Fall nicht ausschlachtet. Wenn die Leute, die sie gefangenhalten, glauben, daß sie mit der Miß die Entscheidung über Krieg und Frieden in Händen halten, dann wird ihnen natürlich schwerer beizukommen sein, als wenn es heißt: die Amerikaner messen dem Fall keine Bedeutung bei und betrachten ihn als eine rein private Angelegenheit.“

„Das leuchtet mir ein“, erklärte der Minister, drückte auf einen Knopf und gab einem Herrn, der daraufhin erschien und wohl der Pressechef war, dementsprechende Weisung.

„Unter diesen Umständen kann ich die Befreiung für die nächsten drei Tage in Aussicht stellen. Sie müßten die Güte haben, Ihren Vertreter in Berlin dementsprechend zu instruieren.“

Das geschah auf der Stelle, und der Minister in Berlin hatte, um was er in seinem Telegramm gebeten hatte.

Dadurch ermutigt, entschloß sich Deichler, die große Frage an den alten Rockefeller zu stellen.

„Ich darf hoffen, Mister Rockefeller, daß es sich um kein nahes Mitglied ihrer Familie handelt.“

„Glücklicherweise nicht“, erwiderte er.

„Und gibt es auch Familien namens Rockefeller, die nicht mit Ihnen verwandt sind?“

„Nein! Aber da mein Vater vier Brüder hatte, die sämtlich verheiratet sind, so gibt es eine kleine Armee von Rockefellers.“

„Aber Sie wissen natürlich, um wen es sich handelt.“

„Auch das nicht. Soweit ich es in der kurzen Zeit feststellen konnte, fehlt, wenigstens in unserer engeren Familie, niemand.“

„So viel steht nach meinen persönlichen Informationen jedenfalls fest,“ erwiderte Deichler, „daß die Dame sich berechtigt glaubt, den Namen zu führen und auch Unterlagen dafür hat.“

„Sie werden begreifen, wie sehr der Fall — ganz abgesehen von dem Unglück in München, das ich natürlich aus tiefster Seele bedaure, auch bedauern würde, wenn es keine Rockefeller wäre, — mich erregt. Es gilt bei uns der Grundsatz, daß kein Rockefeller Amerika ohne Erlaubnis des Familienoberhauptes, das zurzeit ich bin, verläßt. Das ist freilich eine rein formelle Angelegenheit, denn ich habe rechtlich natürlich gar nicht die Macht, einem Neffen oder Vetter, der nach Paris fährt, die Reise zu verbieten. Aber über die Kredite, Gesellschaft, Empfehlungen und so weiter haben wir uns doch in jedem einzelnen Falle verständigt. Es gab bisher keinen Rockefeller, von dem man hier oder drüben anders, als wir es wünschen müssen, gesprochen hat. Sie begreifen daher unsere Bestürzung, als es plötzlich heißt: ‚In Berlin feiert ein Mitglied der Familie Rockefeller als Filmdiva Triumphe.‘ — Ein Theatername, dachten wir, auf den niemand hineinfällt. Immerhin, es beunruhigte uns. Bis zu dem Vorfall in München hofften wir noch immer, daß es sich um irgendeine Diva handle, die sich einfach den Namen Rockefeller zugelegt hat, um damit zu bluffen und Geschäfte zu machen. Da kamen die öffentlichen Kommuniqués der deutschen Regierung, und wir sahen klar. Ich gestehe Ihnen, der größte Börsenverlust würde mir heute, bei den politischen Strömungen, nicht so nahe gehen wie dieser Skandal! Er darf sich nicht auswachsen! Wer mir dabei hilft, ist mein Freund!“

„Soweit Ihre Interessen die unsern sind — und sie scheinen es mir bis zu einem gewissen Grade zu sein — stehe ich ganz zur Verfügung.“

„Ich akzeptiere!“ erwiderte Rockefeller. „Und ich gestehe, daß ich mir von Ihrer Hilfe viel verspreche.“

„Leider droht sich der Fall tatsächlich zu einem europäischen Skandal auszuwachsen“, erwiderte Deichler, der mit Absicht auf Rockefellers Annäherung nicht reagierte. „Die Erfolge der echten Miß Rockefeller haben zur Folge gehabt, daß überall neue Miß Rockefellers erstanden. Heute in Berlin, morgen in Wien! Ja, ich habe verbürgte Nachricht, daß sich sogar in Tokio irgendeine Europäerin oder amerikanische Filmdiva als Miß Rockefeller ausgibt.“

„In Tokio!“ rief Mister Rockefeller und sprang auf. „Schamlos ist das! Kein amerikanischer Bürger ließe sich das gefallen! Und mir muß das geschehen!“ — Er trat an den Schreibtisch des Ministers heran, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: „Ich verlange, daß in allen Städten durch öffentliche Plakate bekanntgemacht wird: Es ist Schwindel! Es existiert keine Miß Rockefeller, die im Film auftritt! Die amerikanische Regierung wird die Auslieferung jedes Frauenzimmers verlangen, das sich meinen Namen aneignet.“

„Das geht nicht!“ widersprach der Minister. „Das ginge höchstens in Deutschland.“

„Mit welchem Recht?“ fragte Deichler.

„Ich denke doch,“ erwiderte der Minister, „daß im Friedensvertrag irgendwo ein Passus steht — ich gestehe, ich bin nicht ganz durchgekommen, aber doch immerhin bis zur Mitte — und da hatte ich bereits den Eindruck, daß es nichts gäbe, was wir nicht können.“

„Von einer Auslieferung der Schuldigen ist allerdings die Rede,“ sagte Rockefeller. „Ob sich das auch auf die Zeit nach dem Kriege bezieht, dürfte Frage der Auslegung sein.“

„Nun also!“ trumpfte der Minister auf. „Da uns die Auslegung zusteht, so ...“

„Meine Herren, hier steht, soviel ich weiß, das gefährdete Leben einer Amerikanerin und nicht die Auslegung des sogenannten Friedensvertrages zur Diskussion!“

„Der Herr hat recht!“ erwiderte Rockefeller. „Bleiben wir bei der Sache.“

„Von den öffentlichen Plakaten rate ich entschieden ab! wie überhaupt von allem, was Aufsehen erregt. Gerade im Interesse Ihres Namens, Mister Rockefeller.“

„In meinem Interesse?“ fragte der erstaunt.

„Ja!“ erwiderte Deichler. „Ich kenne die Branche. Sie wird jedes Wort dafür oder dagegen als Reklame benutzen. Sie zieht aus der Tatsache, daß man sich mit ihr beschäftigt, auf alle Fälle Nutzen. Mag, was man ihr nachsagt, noch so sehr gegen sie sprechen.“

„In diesem Falle ist das doch kaum möglich“, meinte der Minister.

„Sagen Sie das nicht!“ widersprach Deichler. „Wenden Sie sich öffentlich gegen eine dieser Divas, so wird ihr Impresario in allen Zeitungen, Anschlagsäulen und Postkarten das Bild der Diva mit der Unterschrift verbreiten. „Miß Rockefeller, die der Vater in Neuyork, weil sie zum Film ging, ableugnet!“

„Das ist ja toll!“ rief der Minister.

„Dem Impresario und der Diva wäre damit enorm genützt. Ihrem Renommee, Mister Rockefeller, würde es schaden.“

„Außerordentlich!“ stimmte der zu.

„Gerade in der heutigen sozialen Strömung würde man es gegen Sie ausnutzen.“

„Unbedingt! Wir können uns nur halten, wenn wir uns so sozial wie möglich gebärden!“

„Eine öffentliche Erklärung ihrerseits könnte daher nur lauten: ‚Man übermittelt mir, daß Filmdivas mit meinem Namen Mißbrauch treiben. Ich achte jede Frau, die sich auf anständige Weise ihr Brot selbst verdient und dadurch meinem Namen, selbst wenn sie ihn zu Unrecht trägt, Ehre macht.‘ — Damit wäre Ihnen natürlich nicht gedient. Es wäre ein Freibrief auf Ihren Namen, und die Rockefeller beiderlei Geschlecht würden wie Pilze aus der Erde schießen.“

„Ich sehe, daß Sie meine Tendenz vollkommen begreifen, Herr Doktor, und ich freue mich, meine Angelegenheit in Ihren Händen zu wissen. — Bitte,“ wandte er sich an den Minister, „geben Sie Herrn Doktor doch alle Vollmachten, zu denen Sie befugt sind.“

Der Minister sagte es zu.

„Auch würde es mich freuen,“ fuhr Rockefeller fort, „wenn ich mich über diesen Fall hinaus in persönlichen und wirtschafts­politischen Fragen Ihres Rates bedienen dürfte, Herr Doktor.“

„Soweit ich das mit meinem Amt verbinden kann, stehe ich ganz zu Ihrer Verfügung,“ versprach Deichler, fügte aber hinzu: „Leider bin ich nur vertretungsweise hier.“

„Wie?“ rief Rockefeller, und auch auf dem Gesichtsausdruck des Ministers stand Befremden: „Sie bleiben nicht? Endlich mal ein beweglicher Mensch! — Nein, Mister Watts,“ wandte er sich an den Minister, „das müssen Sie durchsetzen!“

„Ich finde das kurzsichtig und uns gegenüber rücksichtslos,“ erwiderte der Minister, „uns fortgesetzt neue Herren vorzusetzen.“

„Ich bliebe besonders gern in diesem Lande, in dem man mehr als irgendwo anders die Möglichkeit hat, sich zu betätigen“, sagte Deichler. „Aber die Herren begreifen, daß ich mich an dieser Diskussion nicht beteiligen kann.“

„Selbstredend versteh’ ich das!“ erwiderte der Minister. „Das lassen Sie mich nur machen.“

„Und was raten Sie in meinem Falle?“ fragte Rockefeller.

„Wir müssen erreichen, daß die echte Miß Rockefeller auf schnellstem Wege herüberkommt, um uns mit ihr zu verständigen. Dann erst haben wir die Möglichkeit, gegen die andern vorzugehen.“

„Aber wie soll das geschehen, wo wir im Augenblick doch gar nicht wissen, welches die echte ist?“

„Ich habe den Originalfilm mitgebracht, den ich Ihnen vorführen werde. Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, die in Frage kommenden Herren Ihrer Familie dazu zu bitten.“

„Das ist ein ausgezeichneter Gedanke! Und wann könnte das geschehen?“

„Heute noch.“

„Sie gefallen mir!“ sagte Rockefeller und drückte Doktor Deichler die Hand. „Bis vier Uhr nachmittags habe ich die Herren zusammen.“

„Ich erwarte Sie.“

Deichler verabschiedete sich von Rockefeller und dem Minister. —

Als er Frau Marga berichtete, sagte die:

„Hatte ich nicht recht, als ich dir riet, ohne Programm an die Unterredung heranzugehen. Ich habe nach dem, was du mir da erzählt hast, den Eindruck, daß wir hier bereits Boden unter den Füßen haben.“

„Wenn ich nicht so eine kluge Frau hätte!“ sagte Deichler.

„Und ich einen Mann, für den es sich, wie bei dir, lohnte, klug zu sein!“

„Jedenfalls: daß wir hier sind, danke ich dir.“

„Was einer von uns beiden für den anderen tut, das tut er zugleich für sich“, erwiderte Frau Marga.

Deichler drückte ihr die Hand und sagte:

„Damit hast du recht.“

„Aber was soll nun werden?“ fragte sie, und Deichler erwiderte:

„Ich bin entschlossen, sie das selbst entscheiden zu lassen.“ —

Deichler ließ den Sitzungssaal in ein Kinotheater verwandeln. Schwere Lederfauteuils, davor kleine runde Tischchen, auf denen Zigarren, Zigarretten und Whisky-Soda standen.

Legationsrat von Holl fragte einen Beamten:

„Nanu, was jeht denn hier vor?“

„Kinovorführung“, erwiderte der.

„Na, der treibt’s ja jut!“ dachte von Holl, und vor sich hin sagte er halblaut: „Das deutsche Botschaftsgebäude ist doch kein Varietee.“

Als er Deichler sah, fragte er ihn:

„Kann man an Ihrem Feste nicht teilnehmen?“

„Was fürn Fest?“ erwiderte der.

von Holl wies zur Tür des Sitzungssaales, die offen stand.

„Bedaure!“ erwiderte Deichler. „Das ist eine interne Angelegenheit.“

„Wessen?“

„Der Familie Rockefeller“, erwiderte Deichler.

„Aha!“ meinte von Holl. „Na, Sie verstehen’s ja, Verbindungen anzuknüpfen. Donnerwetter! — Fabelhaftes Tempo!“

„An das auch Sie sich werden gewöhnen müssen!“ erwiderte Deichler und ließ ihn stehen.

von Holl aber drahtete an seinen Freund von Trott nach Berlin:

D. verwandelt Botschaftsgebäude in Vergnügungslokal für amerikanische Milliardäre, wobei außer für ihn hoffentlich auch für das Deutsche Reich etwas abfällt. Es lebe der neue Kurs!

v. H.

Am Nachmittag desselben Tages erschienen acht männliche Rockefellers im Alter von zwanzig bis sechzig Jahren. Deichler empfing sie ohne Frau Marga und führte sie in den kleinen Saal. Als letzter erschien der alte Rockefeller.

„Wünschen Sie, unter sich zu bleiben?“ fragte ihn Deichler.

„Das wollte ich Ihnen gerade nahelegen,“ erwiderte der alte, über Deichlers Takt erfreute Rockefeller, „wußte aber nicht recht, in welcher Form.“

„Sie brauchen nur auf den Knopf zu drücken,“ orientierte ihn Deichler, „dann geht das Licht aus und der Film läuft.“

Als Deichler draußen war, sagte der alte Rockefeller zu seinen Verwandten:

„Also ihr wißt, um was es sich handelt. Ich habe immer auf dem Standpunkt gestanden: es gibt kein Unglück, aus dem man nicht aus irgendeiner Form Nutzen ziehen kann. Findet ihr, daß die Frau, die ihr sehen werdet, ein Recht, gleichviel welcher Art, hat, sich Miß Rockefeller zu nennen, so sagt’s! Wie ich euch schon neulich klarzumachen suchte: der sozialen Gefahr mit reaktionärem Druck zu begegnen, ist Dilettantismus und verstärkt nur den Gegendruck. Kann man den Wind nicht aus den Segeln nehmen, so gibt’s nur ein Mittel, um wenigstens auf die Richtung einzuwirken: man setzt sich ans Steuer und segelt mit.“

Der Alte drückte auf den Knopf, der Saal verdunkelte sich, der Film lief. Die anfangs heiteren und gesprächigen sechs Rockefellers wurden von Akt zu Akt schweigsamer. — Der Alte ließ die Vorgänge, die sich auf der Leinwand abspielten, vornehmlich von dem Gesichtspunkt aus, auf den ihn Deichler zuvor aufmerksam gemacht hatte, vorüberziehen: die Suggestionskraft des Films und seine dementsprechende Verwertung für politische und wirtschafts­politische Zwecke. — Das Resultat, zu dem er kam, war die Erkenntnis, daß sich da unbegrenzte Möglichkeiten boten. War die Handlung nur logisch aufgebaut, so wirkte eine Diva überzeugender als ein Dutzend politischer Redner und Leitartikler. Sie besaß vom ersten Augenblicke an Sympathien, die oft mehr wert waren als sachliche Argumente. Die versteiften bei eigensinnigen Gegnern die Opposition, während Sympathien guten Willen weckten und damit den Boden zur Verständigung bereiteten. Ferner ließ man Einwände, mit denen man rechnen mußte, im Film durch Personen vertreten, die im Gegensatz zur Diva unsympathisch wirkten. Man konnte — und darin lag die Stärke! — statt durch Reden durch die Handlung beweisen, was man vertrat. — Auf alles das hatte Deichler hingewiesen; alles das fand der Alte, obschon dieser Film nur Unterhaltungszwecke verfolgte, bestätigt.

Ganz anderer Natur waren die Gedanken, von denen die fünf übrigen Rockefellers beherrscht wurden. Textlich kam der Film wieder so heraus, daß man im Zweifel sein konnte, welche der beiden Frauenrollen von Miß Rockefeller gespielt wurde. Jedenfalls herrschte, als der Film zu Ende und der Saal wieder erleuchtet war, alles andere als eine gehobene Stimmung.

„Nun?“ fragte der Alte und wandte sich an seine Verwandten. Ein etwa fünfundzwanzigjähriger Herr, der neben ihm saß, flüsterte ihm zu:

„Ich hätte dich gern mal allein gesprochen.“

Der Alte stand auf und sagte:

„Bitte!“

und da die Tür zu einem kleinen Nebenraum, der sonst als Anmeldezimmer diente, offen war, gingen sie da hinein.

„Was ist?“ fragte der Alte.

„Nicht bös sein, Onkel, aber ich fühle mich schuldig.“

„Nanu? — Inwiefern denn?“

„Diese schlanke, schwarze Filmdiva ...“

„... ein allerliebstes Ding!“ fiel ihm der Alte ins Wort, und der Neffe erwiderte:

„Das fand ich leider auch — und zwar nicht erst seit heut.“

„Wie denn? Du kennst sie?“

„Ich glaube mich nicht zu täuschen.“

„Ich verstehe dich gar nicht.“

„Im vorigen Herbst in Biarritz ...“

„Da warst du doch mit deiner Frau.“

„Ja ... allerdings ... aber ... sie war ... auch da.“

„Nun, und?“

„Eines Tages — Herrgott, wie das in Biarritz eben ist — wir badeten.“

„Wer?“

„Ich — und sie.“

„Und deine Frau?“

„Die auch.“

„Wie denn, zu Dritt?“

„Zu Hundert — oder noch mehr. — Jedenfalls — sie war mir schon vorher aufgefallen — meiner Frau übrigens auch, die sich für ihre Badetoilette interessierte — das Meer war ziemlich bewegt — die Wellen gingen hoch — da verliert man sich leicht — jedenfalls stand statt meiner Frau plötzlich sie neben mir — sie war wohl untergetaucht — oder auch ich — oder eine Welle hatte mich von meiner Frau getrennt — man achtet nicht so genau darauf — schließlich findet man sich ja in seinem Badekarren wieder — für meine Frau war der Fall damit erledigt, daß ich ihr den Namen des Schneiders nannte —“

„Für dich scheinbar aber nicht?“

„Wir sahen uns in Paris wieder.“

„Und du stehst noch heut mit ihr in Verbindung?“

„Nein! Längst nicht mehr.“

„Wer ist sie?“

„Sie nannte sich Jeanne Cailler aus Paris, wo sie angeblich einen Putzsalon hatte, was sich aber später als Schwindel erwies.“

„Ja, das berechtigt sie doch aber nicht, sich deinen Namen zuzulegen!“

„Gewiß nicht! — Immerhin beweist es mir, daß sie mich noch nicht vergessen hat.“

„Wenn du Smith hießest, dächte sie gewiß nicht mehr an dich; darauf kannst du dich verlassen.“

„Möglich, Onkel! Immerhin: wenn man ihr jetzt in die Parade fährt, so wird sie womöglich allerlei erfinden, was ich ihr angeblich versprochen habe.“

„Das kann sich dann doch nur um Geld handeln. Sie wußte doch, daß du deine Frau bei dir hattest.“

„O — nein!“ sagte er zaghaft.

„Du hast mir doch eben selbst erzählt ...“

„Am Ende hat sie sie nicht für meine Frau gehalten.“

„Ah so! Du hast ihr gegenüber also deine Frau als deine Ge ... schäm’ dich!“

„Ich tue es, Onkel, aber was nützt das jetzt? — Denk’ dir, wenn das herauskommt.“

„So also geht ein Rockefeller mit seiner Frau um! — Da kann man sich freilich nicht wundern, wenn Dritte keinen Respekt vor dem Namen haben und ihn als Vorspann für ihre Geschäfte benutzen.“

Der Neffe sah ängstlich zu seinem Onkel auf und sagte:

„Was soll nun werden?“

„Das überlaß mir!“

„Und ich darf nicht wissen ...?“

„Ich lasse sie kommen!“

„Hierher?“ fragte der Neffe und wurde blaß.

Der Alte sah ihn an und sagte mit einem Tonfall, der jeden Widerspruch abschnitt:

„Ja!“

Der junge Rockefeller gab seinem Onkel die Hand und ging, obgleich sich ihm noch eine Reihe von Fragen aufdrängte, aus dem Zimmer. An der Tür stand und wartete de fünfzigjährige John Rockefeller, ein Bruder des Alten, während die anderen Mitglieder der Familie noch, genau wie während der Vorführung, in ihren Sesseln lagen.

Die beiden Brüder standen sich in dem kleinen Zimmer gegenüber.

„Ich muß dich sprechen“, sagte John, und der Alte erwiderte:

„Bitte, ich stehe zur Verfügung.“

„Setz’ dich“, bat er ihn.

„Wird es so lang?“

„Es ist über zwanzig Jahre her,“ begann John, „daß ich in Paris bei Lazare Frères als Volontär war.“

„Ich entsinne mich genau. Aber was hat das für unseren Fall für eine Bedeutung?“

„Eine entscheidende! — denn damals stand ich in Beziehungen zu Amély Potin von der Opéra Comique.“

„Leider tatest du das! Und wenn wir nicht ein Machtwort gesprochen hätten, dann hättest du damals die Dummheit begangen und sie geheiratet.“

„Hätte ich es nur getan!“ stöhnte John.

„Nanu?“ rief der Alte. „Du bereust? — wo du mit Cissy doch so glücklich bist!“

„Die Schande bliebe mir heute erspart!“

„Was für eine Schande?“

„Ich habe euch damals Wesentliches verschwiegen.“

„So sprich doch!“ drängte der Alte.

„Ich hatte ein Kind von ihr.“

„John!“

„Ich habe Amély Potin damals eine Rente ausgesetzt. Sie war gering genug. Um das Kind aber habe ich mich nie gekümmert.“

„Und auch nie etwas von ihm gehört?“

Doch! — Jedes Jahr zu meinem Geburtstage sandte mir Amély eine Photographie meiner Tochter.“

„Also ein Mädchen?“

„Sagt’ ich das nicht?“

„Nein. — Aber das kommt ja wohl auch auf eins heraus.“

„Sag’ das nicht! — Wie wäre mein Sohn auf den Gedanken gekommen, unter meinem Namen zum Film zu gehen.“

„John!“ rief der Alte entsetzt. „Nein! Du irrst. Es ist unmöglich!“

John zog eine Photographie aus der Tasche und reichte sie seinem Bruder.

„Urteile selbst! — Ich trage sie stets bei mir.“

Der Alte betrachtete das Bild und sagte:

„In der Tat! Die Ähnlichkeit ist verblüffend.“

„Nicht nur, daß sie der Diva gleicht,“ erwiderte John, „das ließe immerhin noch eine kleine Hoffnung offen. Aber sie ist das Ebenbild der Mutter. Genau so sah Amély Potin vor zwanzig Jahren aus. Jeder Zug, jede Bewegung, der charakteristische Gang — alles hat sie von ihr!“

Der Alte machte ein ernstes Gesicht und sagte:

„Sei froh, daß sie nicht auch noch dir ähnlich sieht!“

„Das käme nun schon auf eins heraus.“

„Meinst du? meinst du wirklich, daß es so ganz und gar belanglos ist, ob in allen Städten der Welt Frauenzimmer herumlaufen, die behaupten und — das ist das Unglück —! auch beweisen können, daß ein Rockefeller ihr Vater ist? Ganz abgesehen von der Schande an sich — jetzt, wo alles darauf ankommt, daß wir uns in sozialer Hinsicht keine Blößen geben, wird es heißen: die Rockefellers setzen Kinder in die Welt und kümmern sich nicht um sie!“

„Du hast recht! Ich fühle mich schuldig.“

„Damit ist uns nicht geholfen!“

„So hilf du!“

„Ich werde sie kommen lassen.“

„Wen?“ fragte John entsetzt.

„Deine Tochter!“

„Zu welchem Zweck?“

„Das wird sich finden, wenn sie da ist.“

„Und anders, glaubst du, ginge es nicht?“

„Nein!“ erwiderte der Alte, und auch dies „Nein“ klang so entschieden, daß sein Bruder keinen Widerspruch wagte.

„Komm!“ sagte der Alte und ging mit ihm in den Saal zurück.

„Also, meine Lieben,“ wandte er sich an die fünf übrigen, „ich denke, wir sehen uns die Dame einmal in figura an, es ist ja immerhin möglich, daß der eine oder andere von uns ihr schon einmal begegnet ist. Charakteristisch genug, um sie wiederzuerkennen, ist das kleine Persönchen ja.“

„Wie denn, Onkel,“ fragte ängstlich ein hoch aufgeschossener, eleganter Mensch von etwa dreißig Jahren, „welche von den beiden Frauen meinst du denn?“

Ihm schwebte die Ähnlichkeit Frau Margas mit irgendeiner seiner ehemaligen Geliebten vor.

„Die dunkle, schwarze natürlich, die wie eine rassige Französin aussieht.“

„Ja, wie kommst du denn darauf?“

„Meinst du etwa die andere?“

Vier hielten Frau Marga, die übrigen Liane für die vermeintliche Miß, bis der alte Rockefeller entscheidend sagte:

„Es ist die Kleine! Sonderbarerweise! Das heißt, nicht sonderbar, wenn man, wie ich, die Zusammenhänge kennt, die uns zwingen, die Dame hierher kommen zu lassen.“

Alle waren sich darüber einig, daß man jedes Opfer bringen müsse, um dem Skandal, der sich drohend erhob, die Spitze zu nehmen.

Der Alte trat an seinen Neffen, der ihm zuvor gebeichtet hatte, heran, nahm ihn zur Seite und sagte:

„Du hast dich geirrt, es ist nicht Jeanne Cailler.“

Der schüttelte resigniert den Kopf, und mit einem wehleidigen Blick auf den anderen Onkel, dem die Beichte auf dem Gesicht gestanden hatte, als er nach ihm zu dem Alten in das kleine Zimmer getreten war, sagte er:

„Dann hat Jeanne dem Onkel John einen falschen Namen genannt.“

„Oder dir!“ erwiderte der.

Da siegte die Komik der Situation über die Sorge um das Renommee der Familie, und der alte Rockefeller fiel aus der Rolle und lachte zum Erstaunen und Entsetzen seiner Familie laut auf.

Vierzehntes Kapitel

Doktor Deichler war beherrschter als der alte Rockefeller.

Als der Alte unmittelbar im Anschluß an die Vorführung des Films Deichler um eine Unterredung bat und sagte:

„Also, verehrter Herr Doktor, der Fall ist aufgeklärt! Sie haben mit der Idee, uns den Film zu zeigen, das Richtige getroffen! Die Dame hat ein, wenn auch nicht juristisches, so doch moralisches Recht, sich Miß Rockefeller zu nennen“ —

da lachte Deichler, was das Natürliche gewesen wäre, weder laut auf, noch verriet er durch den Ausdruck seines Gesichts, wie über alle Maßen komisch er das fand; vielmehr sagte er, als wenn er das als selbstverständlich erwartet hatte:

„Dann wird es Ihnen ja ein leichtes sein, sie kommen zu lassen.“

„So einfach ist es nicht“, erwiderte der Alte. „Es handelt sich — ich spreche mit Ihnen ganz offen —“

„Das dürfen Sie!“

„um eine illegitime Verwandtschaft.“

Und nun war Deichler allerdings begierig zu erfahren, ob sie auf seine Frau oder auf Liane hineingefallen waren. Aber um sich nicht zu verraten, log er:

„Das hatte ich bereits vermutet.“

„Die Dame ist eine illegitime Tochter meines Bruders.“

„Nicht möglich!“ rief Deichler und hielt sich am nächsten Stuhl fest.

„Und heißt Amély Potin.“

„Was Sie sagen!“

„Stammt aus Paris und ist die Tochter der vor zwanzig Jahren berühmt gewesenen Schauspielerin Suzanne Potin von der Opéra Comique.“

‚Liane bekommt Größenwahn, wenn sie das hört‘, dachte Deichler, wußte nun aber, daß es nicht seine Frau, sondern Liane getroffen hatte.

„Und Ihr Herr Bruder hat sie sofort wiedererkannt?“

„Sofort!“

„Sie halten einen Irrtum für ausgeschlossen? Es gibt Film­schau­spielerinnen, die gleichen sich wie ein Ei dem andern.“

„Ich habe mich auf Grund von Photographien selbst überzeugt.“

„Dann allerdings.“

„Aber wie das Schicksal oft spielt,“ fuhr der Alte fort, „denken Sie sich, auch mein Neffe behauptet mit aller Bestimmtheit, die Dame zu kennen.“

„Das wäre ja möglich, wenn er oft nach Paris kommt.“

„Er will ihr in Biarritz unter dem Namen Jeanne Cailler begegnet sein.“

„Und welchen Grund zu dieser Namensänderung sollte sie haben?“ fragte Deichler.

„Dafür gibt es mancherlei Erklärung. Vielleicht sollte Ihre Mutter nichts erfahren, für die sie am Ende zu Besuch bei einer Freundin oder in einer Pension war. Möglich auch, daß es ihr Künstlername war, bevor sie auf den gewissen lukrativen Gedanken kam, den Namen ihres Vaters anzunehmen. Jedenfalls bekennt sich mein Neffe so bestimmt zu ihr, daß ich kaum noch Zweifel an der Identität habe.“

„Und dieser Neffe,“ fragte Deichler zögernd, „ist der Sohn Ihres Herrn Bruders?“

„Glücklicherweise nicht! Er ist sein Neffe.“

„Das wäre auch furchtbar!“

„Nicht auszudenken!“ erwiderte der Alte.

„Trotzdem bleibt es ein ungewöhnliches Zusammentreffen!“

„Wer ist eigentlich die andere Diva?“ fragte Rockefeller.

„Sie meinen die Dame, die Lily Adams spielt?“

„Ja! Mir gefällt sie offen gestanden besser. Im übrigen ist ihre Rolle doch auch die größere und wichtigere.“

„Zweifellos! Aber für ein erstes Auftreten ist die Leistung Ihrer Nichte immerhin beachtenswert.“

„Sie ist doch nicht meine Nichte!“ wehrte der Alte entschieden ab.

„Für einen sozial empfindenden Menschen ist sie’s doch.“

Der alte Rockefeller sah ihn an, überlegte und sagte dann:

„Doktor, Sie haben recht! Das würde einen vorzüglichen Eindruck machen.“

„Ist Ihr Bruder verheiratet?“

„Ja.“

„Hat er Kinder?“

„Nein!“

„Nun also!“

„Er wird sie adoptieren!“ sagte er laut und bestimmt. „Er wird der Welt mit leuchtendem Beispiel vorangehen!“

„Ich bin überzeugt, daß Sie sich damit die Sympathien von Millionen Menschen erwerben. Und zwar gerade bei Ihren politischen Gegnern.“

Der Alte drückte Deichler die Hand und sagte:

„Wie ausgezeichnet wir uns verstehen! — Und nun sagen Sie mir, wer ist diese Lily Adams?“

„Kennt die etwa auch einer Ihrer Neffen?“

„Allerdings!“

„Wie?“

„Die Rockefellers haben einen enormen Verbrauch an Frauen.“

„In diesem Falle aber liegt entschieden ein Irrtum vor.“

„Er ist sich seiner Sache ziemlich sicher. Und ich muß sagen, ich billige seinen Geschmack und mir wäre lieber, diese Frau wäre — meine — Nichte.“

Das Wort bereitete ihm doch Beschwerden.

Deichler schrieb schnell einen Zettel an seine Frau und ließ ihn durch einen Diener überbringen. Auf dem Zettel stand:

‚Mister Rockefeller wünscht Lily Adams kennen zu lernen!‘

Bevor er dem Diener den Zettel gab, zeigte er ihn dem Alten.

„Was bedeutet das?“ fragte der. „Wollen Sie die etwa auch kommen lassen?“

„Die ist schon da! Sie müssen sich nur einen Augenblick gedulden.“

„Sie sind ja ein unheimlicher Mensch!“ meinte der Alte.

„Das geht alles auf dem natürlichsten Wege zu“, erwiderte Deichler.

„Vor ihnen muß man sich vorsehen oder, und das ist am Ende noch gescheiter, man muß sich mit Ihnen zusammentun.“

Und nun entwickelte der alte Rockefeller seine Ideen, die sich ihm bei der Vorführung des Films ‚Lily Adams Kampf mit vier Männern‘ aufgedrängt hatten:

„Das Instrument, der ganzen Welt seine Gedanken aufzuoktroyieren, ist der Film! Wirtschaftlich und politisch! Man kann Völker aufeinander hetzen oder die Weltverbrüderung vorbereiten. Er ersetzt Kanzel und Presse! Er kann die Menschen in Schlaf hüllen und zur Ekstase treiben. Durch ihn kann man seine Gedanken in Millionen Gehirne hämmern. Wer den Film beherrscht, beherrscht die Welt! Wenn ich morgen in beiden Erdteilen über die bedeutendsten Kinotheater verfüge und deren Programm bestimme, so bin ich der mächtigste Mann, der Herr der Welt!“

Der Alte wuchs bei diesem Gedanken förmlich in die Höhe.

„Und sie, Doktor, sind mein Mann! Bedenken Sie! Sie hätten einen Wirkungskreis, um den jeder Monarch Sie beneiden würde. Ein die Verhältnisse der Welt mitbestimmender Faktor wären Sie, ohne mit Ihrer Person nach außen hervorzutreten. Begreifen sie denn, was es heißt, politisch wirken zu können, ohne daß der Gegner die Möglichkeit einer Gegenwirkung hat? Ja, er weiß nicht einmal, wer sein Gegner ist, der mit einer Armee von Films gegen seine Politik anrennt. Die Wahlen in jedem Lande werden zur Farce und ihr Ausgang wird von dem bestimmt, der die Kinos beherrscht, neben deren Wirkung selbst die des besten Redners verblaßt.“

In diesem Augenblicke trat Frau Marga, die den Gefühls- und Gedankenausdruck Mister Rockefellers mitangehört hatte, als Lily Adams ins Zimmer.

Der Alte sperrte die Augen weit auf.

Deichler stellte vor:

„Meine Frau!“

Jetzt hielt sich der Alte an dem Sessel fest, neben dem er stand.

Frau Marga trat unbefangen auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte:

„Ich freue mich sehr.“

„Sie und Ihren Gatten ...“ erwiderte der Alte.

„Was ist mit uns?“ fragte Frau Marga. Und der Alte setzte seine Rede fort und sagte:

„... lasse ich nicht mehr los!“

*     *     *

Ernst Martin hatte sich mit Reber zusammengetan. Vorläufig trauten sie einander noch nicht recht und redeten um die Dinge herum; immer in der Hoffnung, der andere werde aus sich herausgehen und sich verraten. Was sie zusammengeführt hatte, war der Respekt, den der eine vor der Tüchtigkeit des andern hatte. Jeder wollte aus der Tüchtigkeit des andern, statt daß sie sich gegen ihn richtete, Vorteil ziehen.

Durch Reber hatten Deichlers Lianes Aufenthalt erfahren und drahteten an Baron Simpeln nach Glasgow:

‚Von allem unterrichtet. Skandal noch abwendbar. Diva hat Wahl, in Europa zu bleiben und kriminell abgeurteilt zu werden oder mit nächstem Schiff herüberzukommen, wo ihre Angelegenheiten in für sie vorteilhaftester Weise erledigt werden.

Doktor Rudolf Deichler.‘

Als das Telegramm in Glasgow ankam, war Liane gerade Baronin von Simpeln geworden.

Waren dazu auch keinerlei Papiere nötig gewesen, so gehörte doch ein Lügentalent von Rang dazu, um den Glauben des Barons, der auf harte Proben gestellt wurde, nicht zu erschüttern. Liane besaß dies Talent in so reichem Maße, daß sie beim Lesen des Telegramms zu ihrem Manne sagte:

„Du scheinst in deiner Dummheit da ja wieder was Nettes angestellt zu haben.“

„Ich!“ rief der ganz entsetzt. „Von dir ist die Rede!“

„An wen ist das Telegramm?“

„An mich.“

„Nun also! — Habe ich dir nicht untersagt, an irgendeinen Menschen auch nur ein Sterbenswörtchen von unserer Ehe zu berichten.“

„Ich gebe dir mein Wort darauf ...“

„Suche dich nicht wieder herauszureden, Theodor! Mich führt man nicht hinters Licht! Nun, da du mein Mann bist, muß ich Klarheit haben und wissen, was mit dir los ist. Ich fahre!“

von Simpeln studierte noch immer das Telegramm.

„Kriminell abgeurteilt zu werden — das geht auf dich! Ist dieser Deichler toll!? Ich werde ihn zur Verantwortung ziehen! Aber du wirst sehen: er kneift. Über den Ozean hinüber läßt es sich leicht beleidigen.“

„Ich brauche deinen Schutz nicht. Lies doch! Meine Angelegenheiten werden in vorteilhaftester Weise erledigt werden! Aber wie steht es mit deinen? Wenn von kriminell die Rede ist, so hängt das mit dir zusammen! Ein junges Mädchen nach Glasgow entführen und es hinter dem Rücken seiner Eltern heiraten, das tut nur jemand, der etwas zu verbergen hat.“

„Aber Kind, es war doch dein Wille!“

„Wenn du dich nicht in die Seele eines Mädchens hineinfühlen kannst, so schweig! — Nachdem ich durch dich einmal kompromittiert war, was blieb mir da anderes übrig, um wenigstens nach außen hin meine Ehre zu retten?“

„Ich werde mich in Berlin informieren ...“

„Das wirst du nicht tun!“

„Ja, warum denn nicht?“

„Deine Berliner Informationen besagen gar nichts! Ich werde mir selbst über dich Klarheit verschaffen.“

„Was ist dir denn unklar?“

„Alles! — Ein Baron, der eine Diva heiratet ...“

„Ich habe in dir Miß Rockefeller geheiratet.“

„Da haben wir’s! Also mein Geld! — Du steckst in Schulden! Endlich ist es heraus! Und um dich gesund zu machen, hast du mich verschleppt.“

„Aber Kind!“

„Schweig! — Nicht einmal deine Eltern hast du von deiner Ehe in Kenntnis gesetzt.“

„Das war dein Wille!“

„Versteck dich nicht hinter mich! Ein Mann vertritt, was er tut! — Pack’ deine Sachen! — Wann geht das Schiff?“

Simpeln stürzte ans Telephon.

Am Mittag des nächsten Tages fuhr das junge Paar nach New York.

Fünfzehntes Kapitel

Deichlers saßen beim Tee.

Der Diener brachte zwei Karten und reichte sie Frau Marga.

„Baron Simpeln!“ rief sie.

„Aha!“ sagte Deichler. „Und die andere?“

Frau Marga reichte sie ihrem Manne und führte ihr Taschentuch vor das Gesicht. Deichler las:

Freifrau Simpel von Simplen

      née Rockefeller

            New York.

Auch Deichler mußte lachen und wandte sein Gesicht ab.

„Am besten, du fertigst ihn ab und bittest sie, zu bleiben“, riet Marga.

„Als wenn das so einfach wäre.“

„Versuch’s! — Ich werde mich inzwischen etwas zurechtmachen, um ihr das Wiedersehen zu erleichtern.“ —

Deichler betrat, nachdem er schnell noch den alten Rockefeller verständigt hatte, den Salon, in dem von Simpeln und Liane bereits auf ihn warteten.

„Tag, Herr Doktor!“ sagte von Simpeln und reichte Deichler die Hand. „Sie gestatten, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle, geborene Miß Rockefeller.“

Deichler verbeugte sich und reiche Lianen die Hand. Dann forderte er sie auf, Platz zu nehmen.

Baron Simpeln zog das Telegramm aus der Tasche, breitete es vor Deichler aus und fragte nicht gerade freundlich:

„Was bedeutet das?“

„Eine interne Angelegenheit der Familie Rockefeller“, erwiderte Deichler, worauf sich Baron Simpeln erhob und sehr bestimmt sagte:

„Zu der meines Wissens meine Frau und ich, aber nicht Sie gehören.“

„Darüber entscheide ich, da es sich um einen diplomatischen Akt handelt.“

„Sie vergessen, daß Sie hier nur als mein Vertreter fungieren.“

„Abermals ein Irrtum, Baron! Sie sind vorläufig weder beglaubigt, noch haben Sie Ihren Posten angetreten, noch ist bis zu diesem Augenblicke auch nur Ihre Ernennung offiziell vollzogen.“

„Also spiel dich nicht auf, Theo!“ sagte Liane, an die sich jetzt Deichler wandte:

„Würden Sie mir Gelegenheit zu einer Aussprache unter vier Augen geben?“ fragte er sie.

„Nein!“ rief von Simpeln, und Liane trampste mit dem Fuß auf und erklärte:

„Grade! — Geh, Theodor! Du störst mich hier. Ich will mit meiner Familie ins reine kommen.“

Simpeln wandte sich ohne ein Wort zur Tür. Als er die Klinke schon in der Hand hatte, wandte er sich noch einmal zu Liane um und sagte:

„Ich erwarte dich im Hotel.“

„Tu das!“ erwiderte die.

Als er draußen war, warf Liane schnell noch einen Blick zur Tür, dann stürzte sie auf Deichler zu, den sie nie zuvor gesehen hatte, legte ihre Hände auf seine Schultern und sagte:

„Gelt, Sie tun mir nichts!“

Deichler lachte und sagte:

„Verdient hätten Sie’s schon!“

„Wo ich doch jetzt die Baronin Simpeln bin!“

Frau Marga trat ins Zimmer, mit der Frisur und in der Kleidung, in der Liane sie als Miß Rockefeller kannte.

„Sie sind hier?“ schrie Liane. „Ich bin in die Falle geraten! Man hat mich hergelockt! Erledigung meiner Angelegenheiten hat man mir versprochen! Und nun, wo ich da bin, schickt man meinen Mann weg und würgt mich ab!“

„Sie kennen mich?“ fragte Frau Marga.

„Höhnen Sie nur! — Aber damals in Luzern konnten Sie bitten, als Sie mich brauchten! — Wer hat mich denn hineingetrieben in all das? Sie! — Hätte Ihr Impresario mir nicht in den Kopf gesetzt, ich müsse Diva werden, so wäre ich heute die rechtschaffene Frau eines Hotelportiers.“

Liane war teils verängstigt, teils gerührt und weinte laut.

„Und nun sind Sie die Freifrau Simpel von Simpeln, geborene Miß Rockefeller — klingt das nicht weit vornehmer?“

„Wenn Sie den Schwindel aufdecken, bin ich nichts und wandre womöglich noch ins Gefängnis.“

„Es fällt mir aber gar nicht ein, den Schwindel aufzudecken. Im Gegenteil! — Sie haben so überzeugende Proben Ihres Talents gegeben, daß Sie Anspruch auf die Karriere haben, die Sie ja nun in Wirklichkeit auch gemacht haben.“

Liane, die noch immer nicht wußte, ob Frau Marga sie verspottete oder es ernst meinte, sah sie entgeistert an.

„Sie haben zur Miß Rockefeller entschieden mehr Talent als ich“, fuhr Frau Marga fort. „Darum räume ich Ihnen das Feld. Sie sollen sie weiterspielen.“

„Wenn das wahr wäre!“ rief Liane.

„Es ist wahr!“

„Und Sie?!“

„Ich beschränke mich wieder darauf, die Frau meines Mannes zu sein“, erwiderte Frau Marga und wies auf Deichler.

„Wie denn? — Sie waren — gar nicht ...? das ist ja nicht möglich!“

„Das klingt in Ihrem Munde etwas eigentümlich!“

„Ja, wie sind Sie denn darauf gekommen?“

„Das erzähle ich Ihnen ein anderes Mal.“

„Aber Sie sind eine geborene Rockefeller?“

„I Gott bewahre!“

Lianes Gesicht erhellte sich.

„Ich hätte gar nicht nötig gehabt, Ihnen das zu erzählen, Liane! Ich tu es nur, damit Sie Vertrauen zu mir fassen.“

„Das habe ich schon!“ rief Liane und drückte Frau Marga die Hände. „Das hatte ich immer. Vom ersten Augenblicke an!“

„Das haben Sie bewiesen.“

Liane wollte Erklärungen geben. Frau Marga hielt sie zurück.

„Sie sind ein sehr brauchbarer Mensch, Liane! Aber Sie müssen jemanden haben, der sie fest an der Hand hält und Sie davor bewahrt, daß Sie abrutschen. Sie haben Anlage dazu.“

„Ich fühle das selbst“, erwiderte Liane. „Und wäre froh, wenn ich jemanden hätte. Aber es darf kein Mann sein! Mit denen werde ich zu leicht fertig.“

„Wir finden schon jemand“, sagte Frau Marga.

„Wenn Sie es täten!“ bat Liane und meinte es, was unverkennbar war, aufrichtig.

„Darüber sprechen wir noch“, sagte Frau Marga. „Zunächst müssen Sie wissen, was hier vor sich geht. Ihre Familie muß jeden Augenblick hier sein.“

„Meine Familie?“ fragte Liane erstaunt, und seit langem zum ersten Male stieg in ihr wieder die Erinnerung an das kleine Schweizerhaus mit ihren Eltern und Geschwistern auf. Ängstlich fragte sie: „Was heißt denn das?“

Deichler erzählte ihr jetzt die Geschichte von Onkel John Rockefeller und seinem Neffen, und Liane lachte so herzlich, daß Frau Marga und Deichler sich nicht enthalten konnten, laut mitzulachen.

Mitten in dies Lachen hinein meldete der Diener den alten Rockefeller.

„Allein?“ fragte Deichler.

„Nein! Ein älterer und noch ein jüngerer Herr sind mit ihm.“

„Wer übernimmt die Regie?“ fragte Frau Marga. „Darauf kommt jetzt alles an.“

„Ich natürlich“, erwiderte Deichler und ging hinaus.

„Mir ist ganz schwarz vor den Augen“, klagte Liane. „Ich kenne mich nicht mehr aus. Wieviel Rollen spiele ich denn? Ich bin Miß Rockefeller, gut! Das begreif ich. Ich bin die Baronin von Simpeln. Auch soweit reicht es noch. Aber außerdem bin ich noch Liane! Liane Laroche! die bin ich wirklich! Und im Film außer der Rockefeller noch die Diva Liane de La Roche. Die vier Rollen beherrsch’ ich. Aber nun kommt hinzu, daß ich die Tochter von John Rockefeller und der Schauspielerin Amély Potin bin. Das ist schon schwierig. Mama war Sängerin in der Opéra Comique. Das müßte meine Mutter hören, die, solange sie lebt, in keinem Theater war. — Aber gut! das übernehm ich auch. Mit einem alten Herrn werd’ ich leicht fertig. — Aber nun kommt als sechste Rolle Jeanne Cailler, die Lebedame.“

„Nein! nein! die leugnen Sie ab!“ rief Frau Marga. „Und zwar bevor der junge Rockefeller es erklärt. Denn der wird seinen Irrtum ja erkennen.“

„Gut, daß Sie mir das sagen! Ich wäre ihm um den Hals gefallen.“

Deichler kam zurück, nahm Liane unter den Arm und sagte:

„Bitte!“

„Was wird?“ fragte Frau Marga.

„Der alte Rockefeller ist sachlich, der Neffe neugierig, der Onkel gerührt.“

„Und wie soll der Akt vor sich gehen?“

„Wir alle sollen dabei sein. Ich werde einen Bericht machen, der an alle Blätter geht.“

Als sie nach vorn gingen, sagte Liane:

„Etwas eigentümlich ist mir doch zumute.“

„Du hättest ihr einen Likör geben sollen“, meinte Deichler.

„Nicht nötig,“ erwiderte Liane, „ich komm’ schon in Stimmung!“

Als sie unmittelbar vor dem Herrenzimmer standen, blieb Liane plötzlich stehen, ließ Deichlers Arm los und sagte:

„Donnerwetter!“

„Was ist?“ fragten beide.

„Das hätte ich acht Tage früher wissen sollen!“

„Was wäre dann gewesen?“

„Ich hätte dies Kamel nicht am Halse!“

„So denken Sie doch jetzt an da drin!“ redete Frau Marga auf sie ein. Aber Liane war mit den Gedanken bei ihrem Manne.

„Das hätte ich mir, als wir in Glasgow vor dem Geistlichen standen, auch nicht träumen lassen,“ sagte sie, „daß mein Mann so eine Partie macht!“

Frau Marga öffnete die Tür. Am Ende des Zimmers, das schmal und lang war, standen die drei Rockefellers.

„Welcher?“ fragte Liane leise.

Deichler erwiderte:

„Der in der Mitte.“

Liane riß, wie sie es beim Film gelernt hatte, den Kopf hoch, stürzte in den Saal und warf sich, indem sie hell aufschrie:

„Vater!“

John Rockefeller an den Hals.

Der schloß seine Arme um sie, drückte sie fest an sich und sagte mit Tränen in der Stimme:

„Mein Kind! Mein armes, armes Kind!“

Der Alte trat an sie heran, klopfte Liane, der jetzt tatsächlich auch die Tränen liefen, liebevoll auf die Schulter und sagte:

„Nun nicht mehr arm, nicht wahr? Denn von heute ab gehören Sie zu uns!“

Der Neffe war sich noch immer nicht klar. Die Figur stimmte, auch das Organ schien ihm vertraut — das Gesicht freilich hatte er bei der Geschwindigkeit, mit der sie durch den Saal gestürzt war, kaum einen Augenblick lang sehen können. Es gefiel ihm — gefallen hatte es ihm damals auch — aber, daß es darum dasselbe war, das konnte er auf diesen flüchtigen Blick hin nicht entscheiden.

Aber auch dem alten Rockefeller lag daran, ins reine zu kommen und sich zu überzeugen, wes Geistes Kind diese junge Dame war, die es kalter Überlegung und nicht edler Gefühlsregung dankte, daß sie jetzt seine Nichte wurde.

Er legte, während sie noch immer an Onkel John hing, den Arm auf ihre Schulter, drehte sie zu seinem Neffen um und sagte:

„Und nun, mein schönes Kind, sehen Sie mal dahin! Wissen Sie, wer das ist?“

Liane sah den jungen Mann scharf an, schüttelte den Kopf und sagte:

„Nein!“

Dann schrie sie plötzlich laut auf, warf sich ihm an den Hals und rief:

„Mein Bruder?!“

‚Das nenn’ ich gerissen‘, dachte Frau Marga.

Der junge Rockefeller stand ratlos da und schüttelte, um zu erkennen zu geben, daß es nicht Jeanne Cailler war, fortwährend den Kopf.

„Ich bin nicht Ihr Bruder!“ sagte er schließlich, worauf sie ihn losließ, sich wieder John an den Hals warf und entsetzt rief:

„Vater, ich schäm’ mich so! — Auch meiner Mutter wegen! Wie konnte sie nur! Wo du ihr gesetzlich gar nicht angetraut warst!“

„Laß sie ruhen, die Gute!“ verteidigte Onkel John seine Jugendfreundin Amély Potin, die — was er erst seit gestern wußte — seit ein paar Monaten tot war.

„Ich komme nicht darüber hinweg!“ log Liane, und John, der nicht wußte, ob sie damit den Tod oder den Lebenswandel der Mutter meinte, tröstete sie und sagte:

„Du bist ein gutes Kind.“

Jetzt trat der alte Rockefeller wieder an sie heran und sagte:

„Meine liebe Nichte! In mir siehst du das älteste Mitglied unserer Familie, an das du dich von heute ab mit allem wenden kannst, was dein Herz bedrückt. Die Familie Rockefeller macht keinen Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Kindern! Die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechte oder, besser gesagt, Entrechtung der außerehelich Geborenen verwirft sie als unethisch, unmoralisch und gewissenlos.“ — Diese Sätze, die Doktor Deichler gewissenhaft mitschrieb, waren für die Öffentlichkeit bestimmt. Aber auch die Herzlichkeit, mit der er Liane jetzt willkommen hieß, entsprang deutlich einer bestimmten Absicht. Keiner merkte sie, nicht einmal sein Bruder, der an seiner Tochter ebenso großen Gefallen fand wie der Neffe. Nicht aus den Augen ließ der sie und dachte: ‚Hübscher war Jeanne Cailler auch nicht.‘

„Wir haben“, fuhr der alte Rockefeller fort, „mit Freude und Interesse verfolgt, wie du durch emsige und erfolgreiche Arbeit unseren Namen im Auslande zu Ehren brachtest. Wir Rockefellers haben immer den Standpunkt vertreten, daß Reichtum nicht ehrt, Armut nicht schändet! Aber darüber hinaus bekennen wir uns zu dem Grundsatz: ‚Reichtum verpflichtet.‘“

Von alledem verstand Liane nichts. Und obgleich sie annahm, daß, was der Alte sagte, für sie bestimmt war, so hörte sie doch schon nach den ersten paar Worten gar nicht mehr zu, sondern gab sich ihren Gedanken hin. Von allen Metamorphosen, die sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte, war diese entschieden die großartigste und lohnendste. Und immer bestimmter wurde in ihr das Gefühl, daß diese Ehe mit dem Baron Simpeln unnötig und übereilt gewesen war.

„Heute noch“, schloß der Alte, „wird der formale Akt der Adoption vollzogen werden. Damit trittst du in die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Mitglieder der Familie. Meine Schwägerin Cissy, in deren Namen ich dich herzlich willkommen heiße und die dich nach vollzogener Adoption in ihrem Palais erwartet, wird dir eine zweite Mutter sein.“

Liane hörte die letzten Worte, und da sie immer wütender über ihre Ehe wurde, so gelang es ihr jetzt verhältnismäßig leicht, gerührt zu tun und laut zu schluchzen.

John Rockefeller tröstete sie und sagte, um sich daran zu gewöhnen, wieder mal:

„Mein armes Kind!“

Dabei fiel ihm ein, daß er ja gar nicht wußte, wie sie mit Vornamen hieß. Er fand, daß es eigenartig und nicht ganz taktvoll war, wenn er sie danach fragte. Schließlich aber mußte er es doch erfahren. Und da Deichler und Frau Marga in respektvoller Entfernung dieser Familienszene beiwohnten, so beugte er sich zu ihr und fragte leise:

„Wie nenn’ ich dich, mein Kind?“

Liane erschrak. Das wußte sie selbst nicht. Und so sagte sie denn:

„Wie du willst, Papa!“

Auf den Photographien, die Amély Potin alljährlich sandte, stand immer nur: ‚Deine achtjährige Tochter‘, ‚Deine neunjährige Tochter‘, und so weiter. Aber den Namen hatte sie nie genannt.

„Wie rief dich denn deine Mutter?“ fragte John.

Liane seufzte auf und sagte:

„Ach!“

„Mein armes Kind!“ tröstete sie John. „Die Wunde ist noch zu frisch!“ — Und er dachte: ‚Amély Potin war gewiß eine gute Mutter! Sie hatte etwas so Anschmiegendes.‘ — Plötzlich fiel ihm ein, sie hatte einmal etwas von Margarita oder Marguérite geschrieben! Ganz deutlich entsann er sich. In dankbarer Erinnerung an die kostbaren Perlen, die er ihr geschenkt hatte, hatte sie das Kind Margarita getauft. Margarita oder Margaretha, schrieb sie damals, hieße die Perle. Und dies Kind sei die kostbarste aller dieser Perlen, die sie ihm verdankte. — ‚Wie sinnig war das!‘ dachte John, schlang die Arme um Liane und rief mit tränenerstickter Stimme laut:

„Margaretha!“

Liane schmiegte sich zärtlich an ihn und sagte:

„Was für ein schöner Name, Papa!“

Und zum ersten Male fiel das große Wort — der alte Rockefeller sagte es mit starker Betonung:

„Margaretha Rockefeller!“

Sechzehntes Kapitel

In der Wilhelmstraße hielt der heimgekehrte Geheimrat von Stuck in Gegenwart des Herrn von Trott dem Minister Vortrag.

„Wenn ich natürlich auch Gelegenheit fand, hier und da im Sinne Eurer Exzellenz einzuwirken, so habe ich doch den bestimmten Eindruck gewonnen, daß unser Vertreter Graf Kleist der Situation durchaus gewachsen war und auch ohne mich fertig geworden wäre.“

Der Minister war von der selbstlosen Art von Stucks aufs angenehmste beeindruckt.

„Sie werden schon Ihre Verdienste haben“, sagte er wohlwollend. „Auf alle Fälle macht Ihnen die Selbstverleugnung, die schon in dem schnellen Entschluß der beschwerlichen Reise lag, Ehre!“

„Ich habe lediglich meine Pflicht getan, Exzellenz!“

„Und nun zu den amerikanischen Vorgängen“, fuhr der Minister fort und schlug eine Mappe auf. „Wir haben Ihre Rückkehr abgewartet und daher noch keine Entscheidung getroffen. Hier ist ein halbamtliches Schreiben der amerikanischen Regierung, die mit besonderem Nachdruck den Wunsch äußert, daß wir den provisorisch amtierenden Doktor Deichler zu unserem offiziellen Geschäftsträger bestellen. Er scheint einen äußerst vorteilhaften Eindruck gemacht zu haben.“

„Schon faul!“ sagte von Stuck.

„Nanu?“ erwiderte der Minister.

„Mit einem tüchtigen Beamten wird man natürlich schwerer fertig als mit einem bequemen“, erwiderte von Stuck. „Wir brauchen gerade in Amerika jemanden, der imponiert und, wenn’s nötig ist, auch mal auf den Tisch schlägt.“

„Ganz meine Meinung!“ sagte von Trott.

„Das wagt natürlich nur jemand, der aus einem Milieu kommt, in dem man gewöhnt ist — na, wie soll ich mich ausdrücken? — sich als Herr zu fühlen.“

„Sehr richtig!“ sekundierte von Trott.

„Exzellenz werden zugeben, daß auf den schwierigen Posten ein Mann gehört, der sich nicht bluffen läßt.“

„Das gebe ich ohne weiteres zu. Aber ich habe von Doktor Deichler den Eindruck, daß er eine selbständige Meinung hat und weiß, was er will.“

von Trott klemmte sein Monokel ein, räusperte sich und sagte:

„Ich bringe ungern etwas gegen einen Beamten unseres Ressorts vor. Hier aber scheint es mir vaterländische Pflicht! Der Legationssekretär von Holl, ein guter Freund und bewährter Beamter, der in schwieriger Situation uns drüben in würdigster Form vertritt, drahtet mir, daß dieser Doktor Deichler das kai — kai — Botschaftsgebäude in ein Verjnügungslokal für amerikanische Milliardäre verwandelt.“

„Was?“ riefen von Stuck und der Minister entsetzt. „Ja, was heißt denn das?“

„Das fragte ich mich auch und erbat Details.“

„Nun und?“

„n’Kientopp hat er im Sitzungssaal etabliert und auch schon Vorstellungen jegeben. Na, man kann sich denken, welcher Art.“

„Ist der Deichler verrückt?“

„Es scheint so!“ erwiderte von Trott, und Geheimrat von Stuck erklärte:

„Es scheint nicht, es ist!“

„Der Mann darf keine vierundzwanzig Stunden länger in amtlicher Stellung drüben bleiben,“ entschied der Minister.

„Für einen derart pflichtvergessenen Menschen ist im Auswärtigen Amte des Deutschen Reiches überhaupt kein Platz!“ übertrumpfte ihn von Stuck.

„Niemals hätte ich ihm das zugetraut!“ sagte der Minister. Und von Stuck, der dem falschen Tipp Frau Margas zum Opfer gefallen war, erwiderte:

„Einfluß der Frau, Exzellenz! Ich sage nicht gern etwas gegen Damen! Aber in diesem Falle muß es doch einmal ausgesprochen werden: dieser Frau Doktor Deichler traue ich nicht über den Weg.“

„Reinigen wir den Augiasstall!“ schlug von Trott vor. „Aber jründlich! Und wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, so möchte ich Herrn von Holl empfehlen, dessen diplomatischem Scharfsinn wir es danken, wenn eine weitere Herabsetzung des deutschen Ansehens im Ausland vermieden wird.“

„Gewiß!“ stimmte von Stuck bei. „Das hätte zu einem netten Skandal geführt.“

Der Minister nahm aus der Mappe ein Diensttelegramm und sagte:

„Die Abberufung von Doktor Deichler und seine Entlassung aus dem Auswärtigen Amt — natürlich nach eingehender Vernehmung, Herr von Stuck, — ist eine Selbstverständlichkeit und erfolgt sofort.“

von Stuck machte sich Notizen.

„Was hingegen die Besetzung des Postens in Washington betrifft,“ fuhr der Minister fort, „so kommt dafür meines Erachtens der seinerzeit auch von Ihnen, Herr Geheimrat, in Vorschlag gebrachte Baron von Simpeln in erster Linie in Betracht.“

von Stuck nickte und sagte:

„Erprobt und zuverlässig.“

„Seinem persönlichen Mut, seiner Entschlossenheit und Umsicht bei den Münchener Vorgängen verdanken wir viel.“

von Trott stimmte dem Minister zu.

„Als die Kommunisten sich auf ihre Beute, Miß Rockefeller, stürzten und alles auseinanderstieb, ist er kurz entschlossen an ihre Seite getreten. Widerstand wäre Wahnsinn gewesen, und so hat er sich freiwillig mit ihr festnehmen und verschleppen lassen.“

„Das hätte ich auch getan!“ rief von Stuck begeistert.

„Ich bin überzeugt davon“, rief der Minister. „Aber Baron von Simpeln hat mehr getan. Er hat die Banditen während der Gefangenschaft nicht nur in Schach gehalten und so das in diesem Falle für uns so wertvolle Leben der Miß gerettet — ihr Tod hätte unabsehbare Folgen für Deutschland gehabt! — er hat auch die Konsequenzen aus dieser gemeinschaftlichen Gefangenschaft gezogen ...“

von Stuck wußte sich vor Erregung nicht mehr zu lassen. Zitternd am ganzen Körper fiel er dem Minister ins Wort und rief:

„Was hat er getan?“

„So warten Sie’s doch ab!“ erwiderte der Minister, entfaltete das Telegramm und las:

‚Glasgow.

Glaubte in vaterländischem Interesse zu handeln, indem ich ohne Standesrücksicht die Miß Rockefeller, deren Leben zu retten und Ehre zu schützen mir vergönnt war, hier zur Freifrau von Simpeln erhob, wovon ich, im Begriff, mich mit meiner Frau nach Amerika einzuschiffen, Euer Exzellenz gehorsamst in Kenntnis setze.

v. Simpeln, Botschaftsrat.‘

„Nein!“ rief von Stuck und sprang auf.

Der Minister sah ihn erstaunt an und fragte:

„Ja, was fehlt Ihnen denn?“

von Stuck sank auf den Stuhl zurück, schloß die Augen und murmelte:

„Es ... geht ... vorüber ...!“

„Die Nachwirkungen der Reise“, verteidigte ihn von Trott.

„Sie haben sich in der Tat zu viel zugemutet, Herr Geheimrat“, sagte der Minister. „Sie sollten sich ein paar Wochen Ruhe gönnen.“

„Ja!“ rief von Stuck und sprang auf. „Ich muß sowieso nach New York! — Ich bitte um Urlaub!“

„Sie sollten an die See oder in ein Sanatorium“, riet der Minister.

„Nein! nein! Amerika ist zu wichtig! — Ich erhole mich schon unterwegs. — Es ist ja nur folgerichtig, wenn ich von Japan nun nach Amerika gehe. — Nein, dieser Simpeln! So ein ...“ — Er brach plötzlich ab und sank wieder in sich zusammen.

„Können Sie noch folgen?“ fragte der Minister.

von Stuck hob den Kopf und sagte:

„Ja.“

„Ich werde also“, fuhr der Minister fort, „die amerikanische Regierung verständigen, daß wir selbstredend ihrer Anregung mit besonderer Bereitwilligkeit gefolgt wären, da uns außerordentlich viel daran läge, durch eine ihr genehme Persönlichkeit in Washington vertreten zu sein. Gründe, die in der Person des Doktor Deichler lägen, zwängen uns aber, ihn sofort abzuberufen. An seine Stelle werde der mit amerikanischen Verhältnissen vertraute und durch seine Ehe mit Miß Rockefeller besonders geeignete Baron von Simpeln die Vertretung der deutschen Republik übernehmen.“

Der Minister nahm Herrn von Trott zur Seite, wies auf Stuck, der völlig apathisch dasaß und vor sich hinstarrte und fragte ihn:

„Glauben Sie wirklich, daß es die Folgen der Reise sind?“

Der schüttelte den Kopf und sagte:

„Nein! Die unmittelbare Ursache seines Zusammenbruchs ist natürlich diese Ehe.“

Der Minister erschrak:

„Demnach liebt Her von Stuck diese Miß Rockefeller?“

„I Gott bewahre!“ erwiderte von Trott gekränkt und zog die Worte breit, um ihnen Nachdruck zu verleihen. „Er denkt nicht dran. Aber er steht dem Baron Simpeln nahe und begreift ihn nicht.“

„Begreift ihn nicht?“ fragte der Minister.

„So wenig wie ich.“

„Ja, was begreifen Sie denn nicht?“

„Simpeln sagt’s ja selbst in seinem Telegramm: ‚ohne Standesrücksichten!‘ — Und das in einer Zeit wie der heutigen, wo alles darauf ankommt, daß wir zusammenhalten.“

Siebzehntes Kapitel

„Sie, Margerita, wären eine Frau nach meinem Geschmack“, sagte der junge Rockefeller, der mit seiner Frau in Scheidung lag, zu Liane. Und er erzählte ihr von Jeanne Cailler, seiner Freundin aus Biarritz, die Lianen so ähnlich sah.

„Also eine von denen,“ erwiderte Liane gekränkt, „von denen zwölf aufs Dutzend gehen. Und noch dazu ein Genre, das im Badekostüm Freundschaft mit Männern schliesst. Wenn ich das dem Baron, meinem Mann, erzähle, fordert er Sie vor die Pistole.“

„Bei uns in Amerika schießt man sich nicht“, erwiderte der junge Rockefeller.

„Das kümmert den Baron nicht.“

„Aber mich. Im übrigen, wenn ich die Garantie hätte, daß ich ihn treffe, bevor er mich trifft, wäre ich nicht abgeneigt.“

Liane lachte laut und sagte:

„Das glaube ich gern. — Im übrigen: was hätten Sie davon?“

„Viel.“

„Nämlich?“

„Ich würde Sie bitten, mit mir nach Biarritz zu gehen.“

„Mein Lieber,“ erwiderte Liane stolz, „eine geborene Rockefeller ist keine Cailler.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Daß für eine Rockefeller die Ehe Vorbedingung ist.“

„So war es gemeint,“ erwiderte er, “und ich erlaube mir hiermit, in aller Form um Ihre Hand anzuhalten, schöne Kusine.“

„Mensch, sind Sie toll?“ rief Liane unbeherrscht. „Amerika ist doch nicht die Türkei! Sie sind versehen, und ich leider auch.“

„Auf dies ‚leider‘ baue ich meine Hoffnung.“

„Und Sie würden, für den Fall, daß ich mich frei mache, auch Ihrerseits ...“

„Ganz meinerseits!“ erwiderte der junge Rockefeller und lachte. „Ich bin mitten dabei. Noch ein Termin und ...“

„Und?“ fragte Liane.

„Und von meiner Seite aus steht nichts im Wege, daß ich die Luxuskabine für die Überfahrt nach Europa belege.“

Liane, die sich den Neffen gar nicht weiter ansah, für die allein bestimmend war, daß sie durch diese Ehe endlich wirklich eine Rockefeller wurde, sagte zu.

„Und damit Sie sich nichts einbilden,“ sagte sie zu ihm, „ich bringe mit dieser Scheidung nicht einmal ein Opfer.

„Margerita!“ sagte Mister Rockefeller. „Ich betrachte Sie von diesem Augenblicke an als meine Braut.“

„Das darfst du!“ erwiderte Liane und drückte ihm unter dem Tisch die Hand, die er ihr entgegenhielt.

Der Onkel, der in nächster Nähe saß und es sah, sagte nach dem Essen zu ihm:

„William, vergiß nicht, du bist noch nicht geschieden.“

Und William, der es falsch verstand und nicht merkte, daß in diesem Hinweis nur ein Tadel seines Benehmens lag, erwiderte:

„Das habe ich ihr ganz offen gesagt.“

*     *     *

Der alte Rockefeller war, wie immer, wenn er ein in seiner Auswirkung selbst für seine Verhältnisse ungewöhnliches Unternehmen vorbereitete, von seiner Idee förmlich besessen. Er ging mit ihr schlafen und stand mit ihr auf, und des Morgens waren die Bogen, die er des Abends leer auf einen kleinen Tisch neben sein Bett legte, regelmäßig voll beschrieben.

Mit Doktor Deichler war er schon am dritten Tage handelseinig geworden. Er hatte sich hinter Frau Marga gesteckt, bei der er mehr Sinn für die materiellen Seiten des Unternehmens gefunden hatte als bei ihm. Doktor Deichler wertete jeden Vorschlag nach der Zweckmäßigkeit, die er sich für die von ihm vertretenen deutschen Interessen daraus versprach.

Rockefeller war im geheimen bereits mit allen großen Filmunternehmen Amerikas und Europas in Verbindung getreten. Der Generaldirektor der deutschen Ika wurde täglich erwartet. Was in England, Frankreich und Italien an großen Fabriken und Theatern bestand, war in seine Interessensphäre gezogen. Englische, französische und italienische Großindustrielle, deren Patriotismus und Integrität außer Zweifel standen, erwarben unter der Hand oder auch ganz öffentlich Anteile an allen diesen Unternehmungen, die ihnen einen entscheidenden Einfluß sicherten. Und alle diese Anteile gingen, was kein Fernstehender ahnte, in das Eigentum des alten Rockefeller über.

Dadurch, daß Doktor Deichler seine Teilnahme davon abhängig machte, daß er der Chef des gesamten Theaterwesens wurde, sicherte er sich einen bestimmenden Einfluß auf die Tendenz dieses Riesenunternehmens. Er war es, der gleichberechtigt mit dem alten Rockefeller das Programm sämtlicher Kinotheater der Welt bestimmte. Dieser für zehn Jahre geschlossene Vertrag gab ihm derartige Möglichkeiten in die Hand, für Deutschland zu wirken, daß er entschlossen war, auf alle Fälle anzunehmen. Gab man dem Verlangen der amerikanischen Regierung nicht nach, wurde nicht er, sondern ein anderer deutscher Geschäftsträger, so besaß er nun ein Instrument, die Politik des deutschen Vertreters zu unterstützen, oder die Wirkung seiner Politik, wo sie ihm schädlich schien, zu paralysieren.

Seine Diplomatensehnsucht aber, wie Frau Marga nicht ohne Spott seinen Drang nach staatsmännischer Betätigung nannte, ließ ihn noch immer hoffen, daß aus diesem Provisorium ein Dauerzustand würde. Dann hieß es eben, mit Takt und ohne für seine Tätigkeit Entschädigung zu nehmen, seine Stellung bei Rockefeller mit dem offiziellen Amt verbinden. Da sein politisches Ziel letzten Endes die Weltverbrüderung war, sich also gegen niemanden richtete, so waren Kollisionen oder auch nur Konflikte des Gewissens nicht zu befürchten. —

Der alte Rockefeller legte Wert darauf, daß Liane als Miß Rockefeller dem Unternehmen erhalten blieb. Sie war, nicht zuletzt durch die Vorgänge in München — Rockefeller buchte ihre dortigen Extravaganzen als Propagandaspesen — schon heute die populärste Filmdiva beider Welten. Auch Frau Marga hätte der Alte gern unter amerikanischem Namen übernommen. Er stellte ihr anheim, eine beliebige Gage zu fordern, die er bewilligen würde. Aber Frau Marga führte ein Argument ins Treffen, das jede weitere Diskussion ausschloß. Sie fühlte sich Mutter und war so deutsch und unmodern, darin die höchste Pflicht und zugleich das höchste Glück zu finden, das einer Frau widerfahren konnte.

Liane verspottete Frau Marga und meinte, der Mensch sei kein Säugetier und sie habe keine Lust, ihren Körper verschandeln zu lassen. Für die Vorstellungen ihres Mannes, die Familie der Freien und Edlen Herren von Simpeln fortzupflanzen, zeigte sie nicht das mindeste Verständnis.

Und als sie ihm eines Tages eröffnete:

„Ich gehe wieder zum Film“,

erwiderte er:

„Solange du die Baronin von Simpeln bist, geschieht das nicht.“

„Wie stelle ich es dann an, es nicht mehr zu sein?“ fragte Liane.

„Wie? Du würdest Stand und Titel einem Berufe opfern?“

„Diesem ja!“

„Hast du bedacht, daß du dann in deine frühere Bedeutungslosigkeit zurücksinkst?“

„O nein! Wenn wir auseinandergehen, so bin ich zunächst einmal eine Miß Rockefeller.“

„Eine Misses Rockefeller“, verbesserte er.

„Wie? Als geschiedene Frau — ohne Mann?“

„Selbstredend, da du doch einmal verheiratet warst.“

„Dann brauchte ich also gar nicht ...“ — und sie dachte an William.

„Ich denke, du wirst dir das überlegen.“

„Findest du, daß Baronin von Simpeln besser klingt?“

„Siebenhundertundfünfzig Jahre alt!“

„Wenn schon!“

„Siebzehn nachweisbare Ahnen, von denen ...“

„Hör’ auf, damit hast du mich schon auf der Überfahrt seekrank gemacht.“

„Du verdienst es nicht.“

„Was?“ fragte Liane. „Jedenfalls hat eine Misses Rockefeller mehr Kredit als eine Baronin von Simpeln. Zumal wenn sie echt ist.“

„Das sage ich dir: dringst du auf eine Scheidung, gut! Ich will deinem Glück nicht im Wege stehen.“

„Theodor!“ rief sie und warf sich ihm an den Hals. „Das ist das erstemal, daß ich so etwas wie Liebe für dich empfinde.“

Theodor Baron von Simpeln blieb kalt.

„Aber eine Bedingung stelle ich.“

„Welche?“

„Daß du meinen Namen ablegst.“

„Wenn ich nur meinen Schmuck behalte.“

„Und dann“, brachte er zögernd hervor, „noch eine andere.“

„Bewilligt, bevor du sie nennst“, erwiderte Liane.

„Als geschiedener Gatte der Misses Rockefeller bin ich gezwungen, zu repräsentieren.“

„Bitte schön! Du kannst, wo du gehst und stehst, mein Bild vorzeigen. Wenn du willst, lasse ich mich für diesen Zweck noch besonders photographieren.“

„Damit ist es nicht getan. Repräsentieren kostet Geld.“

„Ach so, du willst mich an William verkaufen?“

„An wen?“

„Ich werde ihn fragen, was er für mich bietet.“

„Also ein Mann steckt dahinter.“

„Vielleicht! — vielleicht auch nicht. Neun Monate muß man ja sowieso warten, ehe man eine neue Ehe eingeht.“

„Du nimmst es mit der Ehe sehr leicht.“

„Wie kann man von so einer Geschichte derart viel Wesen machen? Gibst du mich nun frei oder nicht? — Aber das sage ich dir, filmen tue ich! So oder so! Und wenn du nicht willst, daß ich als Baronin von Simpeln auftrete, dann ...“

„Also gut! Vorausgesetzt, daß das Materielle in meinem Sinne erledigt wird.“

Liane gedachte der Worte des alten Rockefeller bei ihrer ersten Begegnung: ‚An mich wende dich mit allem, was dein Herz bedrückt.‘

„Gut!“ sagte sie. „Du wirst von mir hören!“

Liane wandte sich zur Tür.

„Wo willst du hin?“ fragte von Simpeln.

„Mit einem Manne, der seine Frau verkauft, bleibe ich nicht einen Tag länger unter einem Dach! — Leb’ wohl!“ rief sie und warf hinter sich die Tür zu.

*     *     *

Geheimrat von Stuck, an Nackenschläge gewöhnt, hatte sich schnell erholt. Eine kurze Unterredung, die er noch am Nachmittag desselben Tages mit dem Minister hatte, verschaffte ihm die Genugtuung, dem Baron von Simpeln persönlich seine Berufung als Geschäftsträger in Amerika zu überbringen. Sein dreiwöchiger Urlaub reichte dazu aus, und da manche wichtige Instruktion besser mündlich erteilt war, so wollte der Minister diese Reise anfangs gar nicht als Urlaub gelten lassen. von Stuck aber bestand darauf. Und der Minister, abermals überrascht von dem Eifer und der Gewissenhaftigkeit dieses ungewöhnlichen Beamten drückte ihm die Hand und sagte:

„Mein lieber von Stuck! Sie haben weitgehendste Vollmachten. Orientieren Sie sich auf das genaueste, wie die Dinge da drüben liegen. Und handeln Sie dann nach freiem Ermessen. Ich billige im voraus alles!“ —

von Stuck wurden die wenigen Tage der Überfahrt zur Ewigkeit. Als er dann endlich an Ort und Stelle war und mit klopfendem Herzen von Simpeln gegenüberstand, ihm die Hand drückte und sagte:

„Guten Tag, Simpeln! — Na, Sie haben ja allerhand geleistet in der Zeit! — Man könnte Sie beneiden! — Also glücklich, wie? — Wo ist denn Ihre Gattin?“ — da wankten seine Knie und er glitt auf einen Sessel, der dicht neben ihm stand.

„Davongelaufen ist sie mir!“ erwiderte von Simpeln.

von Stuck sprang auf.

„Davongelaufen?“ wiederholte er und brach in ein schallendes Gelächter aus.

„Ja, was bedeutet denn das?“ fragte von Simpeln. „Finden Sie das so lächerlich?“

von Stuck schüttelte den Kopf und lachte — lachte unaufhörlich, so daß von Simpeln ihm einen wütenden Blick zuwarf und zu ihm sagte:

„Sie kommen wohl erst wieder zu sich, ehe wir weiter miteinander reden.“

Dann ging er aus dem Zimmer.

„Davongelaufen!“ wiederholte von Stuck unter lautem Lachen, von dem man nicht wußte, ob es Freude, Wut oder Mitleid war. „Wohin? — Nach Japan oder nach den Antillen? — Ausgerissen! Vor mir! — Wie? — Aber ich werde sie finden!“ — Dann lachte er wieder und rief laut: „Simpeln, so kommen Sie doch!“ — Simpeln kam wieder herein. — „Also, wo ist sie?“

„Fragen Sie bei Deichlers an, die werden es wissen.“

Ohne ein Wort der Erklärung stürzte von Stuck aus dem Zimmer. Und als er draußen war, lachte er noch immer.

*     *     *

Frau Marga erschien in der Frisur und in dem Kostüm Lily Adams im Arbeitszimmer ihres Mannes und forderte ihn in aller Form auf, sie zu Tisch zu führen.

„Ja, was ist denn?“ fragte Deichler. „Warum denn so feierlich? und vor allem, warum in diesem Aufzug?“

„Komm nur!“ sagte sie, nahm seinen Arm und ging mit ihm in den Speisesaal.

Festlicher als sonst war die Tafel gedeckt, seine Lieblingsblumen schmückten sie und die Zahl der Gläser und Bestecke verriet, daß irgendetwas Besonderes vorging.

„Das hat doch etwas zu bedeuten!“ sagte Deichler.

Frau Marga wies auf den Wein, der in einem kleinen Korbe auf dem Tische lag.

„Alle Wetter!“ rief Deichler. 75er Château Latour, Schloßabzug! Das lasse ich mir gefallen! Sage mal, hast du dich etwa auch von Rockefellers adoptieren lassen?“

„Danke! Ich bleibe was ich bin. Mir genügt’s.“

„Ja, aber irgendetwas soll doch hier gefeiert werden.“

„Denk’ mal nach, wann und wo wir diesen Wein zum letzten Male getrunken haben.“

Deichler überlegte.

„In Berlin, soviel ich weiß.“

„Richtig!“

„War’s nicht bei Habel?“

„Es war! und zwar an jenem Abend, an dem ich den Plan faßte, Diva zu werden!“

„Und heute?“

„Sind seit jenem Abend sechs Monate vergangen.“

„Wie die Zeit vergeht.“

„Nun, ich meine, wir haben in den sechs Monaten genügend erlebt und auch erreicht. Ohne diesen Abend damals säßest du heute noch als Referent in deinem Amt.“

„Eine tolle Idee war’s!“

„Die dir ohne diesen 75er Château Latour niemals eingegangen wäre.“

„Soll mir heute vielleicht wieder etwas beigebracht werden?“ fragte Deichler beinahe ängstlich.

„Ich habe keine Absichten. Aber möglich, daß mir nach der zweiten Flasche etwas einfällt.“

„Ich denke, wir trinken sie auf das Wohl dessen, was wir erwarten.“

„Diese verschrobene Diplomatensprache!“ erwiderte Frau Marga, hob ihr Glas, stieß mit Deichler an und sagte: „Prost, unser Junge!“

Sie tranken, aßen und tranken wieder und waren in ausgelassener Stimmung, als der Diener eine Karte brachte und Herrn von Stuck meldete.

„von Stuck!“ riefen beide.

„Der Herr fragte, ob die Baronin von Simpeln hier wäre.“

‚Nein,‘ wollte Deichler erwidern; aber Frau Marga kam ihm zuvor und sagte:

„Ja! — Führen Sie den Herrn in den Salon und sagen Sie ihm: Miß Rockefeller ließe bitten.“

„Miß Rockefeller?“ fragten beide, und Frau Marga wiederholte und betonte:

„Ja! Miß Rockefeller!“

Als der Diener draußen war, fragte Deichler:

„Was bedeutet das?“

Frau Marga stand auf und sagte:

„Keine Ahnung! Vermutlich ist mir der Wein in den Kopf gestiegen.“

Dann lachte sie, machte einen Knicks und lief aus dem Zimmer.

„Marga“! rief ihr Deichler nach. Aber sie hörte nicht mehr. —

Als Frau Marga in der Pose des Films lächelnd in den Salon trat, kam der Liebeswahnsinn von Stucks, dessen Nerven längst überreizt waren, zum Ausbruch. Er stierte sie einen Augenblick lang an, überzeugte sich, daß sie es wirklich war, stürzte auf sie zu, fiel vor ihr auf die Knie und rief erlöst:

„Endlich!“

Er sah zu ihr auf, und die Bilder des Films, die er sich seit jenem denkwürdigen Abend, an dem er sie zum ersten Male gesehen hatte, Tag für Tag vor Augen führte, zogen lebendiger denn je an ihm vorüber.

„So stehen Sie doch auf!“ bat sie ihn und reichte ihm die Hand, die er mit Küssen bedeckte.

„Wollen Sie der fünfte Mann sein, mit dem Lily Adams kämpft und den sie zugrunde richtet?“ fragte sie nicht ohne Spott. „Erwachen Sie, Baron! Die Zeit der Troubadoure ist vorüber! Leben Sie der Wirklichkeit!“

„Wenn Sie wüßten, was ich um Sie gelitten habe!“

Frau Marga hatte Mühe, ernst zu bleiben. Die Szene, die sie spielte, er erlebte, war kurbelreif.

„Ich bin Ihnen gefolgt!“ rief er. „Ich war in Tokio!“

„Und nun sind Sie in Washington! — Was für eine weite Reise!“

„Ich bin belohnt!“

„So stehen Sie doch auf, Baron!“ — Er erhob sich. — „Wie wir alle, so müssen auch Sie sich mit den Tatsachen abfinden.“

„Niemals!“ erwiderte von Stuck.

Frau Marga nötigte ihn auf einen Sessel und setzte sich ihm gegenüber.

„Mein Mann hat mir viel von Ihnen erzählt“, sagte sie.

„Ihr Mann!“ wiederholte er, und das Wort traf ihn und führte ihn in die Welt der Tatsachen zurück.

„Er hat mir viel und nur Gutes von Ihnen berichtet,“ fuhr Frau Marga fort, „so daß ich eine aufrichtige Freude habe, Sie kennen zu lernen.“

von Stuck verbeugte sich leicht, holte tief Atem, zwang sich, in ihrer Sprache zu reden und sagte:

„Ich war soeben bei Ihrem Gatten — es war natürlich mein erster Weg — wenngleich mein Besuch — ich sage es offen — der Miß Rockefeller galt und nicht der Baronin Simpeln.“

„Das ist ja wohl ein und dasselbe,“ erwiderte Marga.

„Für mich nicht!“ erwiderte von Stuck, mit einem Ausdruck, der befürchten ließ, daß er in seinen Liebeswahnsinn zurückfiel. „Und daß ich Sie da nicht traf — daß er mir sagte, Sie seien davongelaufen — das empfand ich wie ein Geschenk des Himmels ... wie ein ...“

„Bleiben Sie sachlich, Baron!“ fiel ihm Frau Marga ins Wort, „Sie fangen schon wieder an, zu träumen.“

„Verzeihung, ...“ — er brachte das Wort ‚Baronin‘ nicht über die Lippen. „Gestatten Sie eine Frage.“

„Bitte!“

„Werden Sie zu Ihrem Gatten zurückkehren?“

„Ich bin ihm zu großem Danke verpflichtet.“

„Ich weiß. — Er hatte das Glück, viel für Sie tun zu dürfen. — Leider war mir das versagt.“

„Wenn Sie in Ihrem Taumel gleich bis Tokio durchgehen.“

„Ihretwegen geschah’s!“

„Wären Sie ruhiger und beherrschter gewesen und geblieben, statt davonzustürzen, vielleicht, daß dann Sie ...“

„Kann man etwas für sein Temperament?“

„O ja! Von einem Manne verlange ich Selbstzucht! Auch in der Liebe!“

von Stuck nickte mit dem Kopf und sagte:

„Sie haben recht! Ich muß das lernen.“

„Was meinen Mann betrifft, so sagte ich Ihnen schon, daß ich ihm Dank schulde. Aber was hat eine Frau für Möglichkeiten, sich erkenntlich zu zeigen?“

„In diesem Falle sollte das doch nicht schwer sein.“

„Wieso meinen Sie das?“ fragte Frau Marga.

„Nun, eine Miß Rockefeller ...“

„Sie glauben doch nicht, daß ich ihm meinen Dank in Geld abtrage? Da kennen Sie meinen Mann nicht! Eher kommt er um.“

„Es macht Ihnen Ehre, daß Sie so von ihm denken. Aber ich kenne ihn gut und länger als Sie und glaube doch sagen zu dürfen, und zwar auf Grund von Erfahrungen, die ich gemacht habe ...“

„Sagen Sie nichts gegen meinen Mann!“

Von Stuck verbeugte sich.

„Helfen Sie mir lieber! — Sie allein können’s!“

In Stuck erwachte von neuem Hoffnung.

„Ich weiß zwar nicht, wie weit Ihre Vollmachten reichen,“ fuhr Frau Marga fort, „immerhin ist mir aus Erzählungen meines Mannes bekannt, daß Sie großen Einfluß auf den Minister haben.“

„Für hier bin ich mit sämtlichen Vollmachten ausgestattet“, erwiderte von Stuck.

„Das trifft sich ja glänzend“, erwiderte Frau Marga.

„Und bin glücklich,“ fuhr von Stuck fort, „wenn ich Ihnen dienen kann.“

„Sie können es!“

„Verfügen Sie über mich.“

Sie sah ihn fest an und sagte:

„So machen Sie ihn hier zum deutschen Geschäftsträger!“

von Stuck, der die Ernennung in der Tasche bei sich führte, zögerte, ob er sie herausziehen und ihr überreichen sollte. Er war so klug und tat es nicht. Denn wo blieb sein Liebesdienst, der sie verpflichtete, wenn die Ernennung nicht die Folge ihrer Bitte war? Nur wenn sie ihn Mühe, ja ein Opfer kostete, hatte sie Grund, ihm dankbar zu sein. So log er denn und sagte:

„Leicht ist das nicht.“

„Tun Sie’s!“ drängte Frau Marga.

„Sie müssen wissen,“ log er weiter, „ich trage die vom Minister unterfertigte Ernennung — eines anderen bei mir.“

„O Gott!“ rief sie.

„Sie zu vollziehen, wäre meine Pflicht.“

„Und es gibt kein Zurück?“

„Halte ich eine andere Entscheidung im Interesse des Reichs für angebracht, so habe ich das Recht,“ er wies auf seine Tasche, „von diesem Schriftstück keinen Gebrauch zu machen und ...“

„Und?“ fragte Frau Marga ungeduldig.

„... einen anderen im Auftrage des Ministeriums mit der Leitung der Geschäfte zu betrauen.“

„Und Sie werden es tun?“

„So schwer es mir fällt — Ihnen zuliebe: ja!

„Und Sie werden sich durch nichts davon abbringen lassen?“

„Durch nichts!“

„Ihr Wort darauf?“

Er drückte die Hand, die sie ihm reichte und sagte:

„Mein Ehrenwort!“

„Das große?“

„Das ganz große!“

„Ich danke Ihnen und verspreche Ihnen ... nun, was wollen Sie, daß ich Ihnen verspreche?“

„Daß ich hoffen darf für den Fall, daß Sie nicht zu Ihrem Mann zurückkehren.“

Frau Marga drückte fest seine Hand.

„Mein Ehrenwort! Mein großes Ehrenwort!“ rief sie. „An demselben Tage, an dem ich meinen Mann für immer verlasse, begebe ich mich in Ihren Schutz.“

Er wollte die Hand auf ihre Schulter legen; sie wehrte ihn ab und sagte:

„Aber nein! Noch ist es ja nicht so weit.“

„Sie haben recht,“ sagte er; „wir wollen geduldig warten.“

„So ist es recht“, erwiderte sie. „Ganz geduldig! und uns die Zeit nicht lang werden lassen.“

„Und nun ...“

„Und nun,“ fiel sie ihm ins Wort, „begleiten Sie mich zu meinem Mann und wir feiern zu Dritt seine Ernennung und unsere Freundschaft bei einer Flasche Château Latour.“

Sie reichte ihm den Arm und führte ihn, nicht, wie er erwartete, in die Garderobe, vielmehr in den Speisesaal, in dem Deichler ungeduldig saß und wartete.

„Denk’ dir!“ rief sie ihm schon von der Tür aus entgegen. „Wir bleiben in Washington! Herr von Stuck bringt deine Ernennung!“

„Nicht möglich!“ rief Deichler und sprang auf.

von Stuck entfärbte sich.

„Wie denn?“ fragte er und wies fortgesetzt auf Doktor Deichler, der nun unsicher wurde und ein paar Schritte entfernt von den beiden stehen blieb.

„Sie kennen doch meinen Mann?“ fragte Frau Marga. „Oder sollte er sich in der kurzen Zeit derart verändert haben?“

„Das — ist — Ihr — Mann?“

„Gott sei Dank!“ rief Frau Marga, nahm von Stuck unter den einen, Deichler unter den andern Arm, führte sie an den Tisch und sagte:

„Und nun wollen wir einmal so recht von Herzen fröhlich sein!“ —

Nach der dritten Flasche erhob sich von Stuck, der anfangs verwirrt und wortkarg war, und trank auf das Wohl des neuen Geschäftsträgers.

„Ich zweifle nicht,“ schloß er, „daß die Interessen des deutschen Reiches bei einem Manne, dem eine solche Frau zur Seite steht, gut aufgehoben sind.“

„Bravo!“ rief Frau Marga und trank auf das Wohl von Stucks, des großen Diplomaten!

Ausblick

Der alte Rockefeller und Doktor Deichler waren um zehn Jahre älter geworden. Es galt, zum zweiten Male den zwischen ihnen geschlossenen Vertrag zu erneuern.

Das war nicht etwa eine interne Angelegenheit des Chefs und seines Bevollmächtigten. Es war eine politische Frage. Nicht nur für Amerika. Für die ganze Welt.

Achtlos hatten die Politiker und Diplomaten aller Völker zehn Jahre lang die Entwicklung des Films, der alles mit sich riß, an sich vorübergehen lassen, hatten wohl mal die Köpfe geschüttelt und die Verflachung und Entgeistigung der Welt beklagt, bis nach fünfmal zwölf Monaten endlich einem englischen Diplomaten der Verdacht kam, daß hinter diesem ganzen Rummel doch wohl noch etwas anderes steckte als ein ergiebiges Steuerobjekt und ein mehr sinnfälliges als harmloses Unterhaltungs- und Lehrmittel.

Ihm war aufgefallen, daß das Tempo, in dem sich Deutschland die Sympathien der Welt eroberte, in keinem Verhältnis zu der Wandlung stand, die sich in der Denkungsart des Volks vollzog. Für die Mehrzahl der Deutschen war nach wie vor Potsdam das A und O jeder Weltanschauung, und mit der Presse des Auslands verband sie noch immer keine wirtschaftlichen Interessen, auf die hin eine Wandlung zu Deutschlands Gunsten zu erwarten gewesen wäre. Der von Jahr zu Jahr deutlicher und im englischen Interesse beinahe schon bedenklich werdende Umschwung in der Stimmung aller Nationen, vornehmlich aber Amerikas, zugunsten Deutschlands, mußte demnach tiefere Gründe haben.

Diesem englischen Diplomaten war der Eifer aufgefallen, mit dem die reaktionäre Presse gegen Doktor Deichler, den deutschen Geschäftsträger in Washington, Sturm lief. Auf Grund der Beobachtungen und Erfahrungen sagte er sich: an dem Mann muß etwas daran sein.

„Es ist mit uns weit gekommen,“ schrieb eines Tages eins dieser Blätter, „daß wir als deutschen Vertreter in Amerika einen Mann dulden, der sein verant­wortungs­volles Amt dazu mißbraucht, die Geschäfte eines amerikanischen Milliardärs zu besorgen. Daß dieser Herr neben der für ihn gewiß gewinnbringenden Beschäftigung keine Zeit für die gewissenhafte Ausübung seines Amtes findet, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. Der jüdische Geschäftsgeist, der unser ganzes Wirtschaftsleben verseucht, hat nun endlich auch in der Diplomatie Eingang gefunden. Es ist die höchste Zeit, daß unsere lässige Regierung diesen sonderbaren Herrn einmal gründlich beklopft ...“ Und der Artikel schloß wie jeder andere: Quo usque tandem!

Auf alles das hin beschäftigte sich der englische Diplomat mit der Tätigkeit des in Washington seit fünf Jahren akkreditierten Herrn Dr. jur. Rudolf Deichler etwas genauer und stellte fest, daß er die maßgebende Persönlichkeit der über die ganze Welt verbreiteten Rockefeller-Film-Company war, der vier Fünftel aller bedeutenden Kinotheater der Welt gehörten und die durch finanzielle Beteiligungen auf die gesamte europäische und amerikanische Filmfabrikation einen bestimmenden Einfluß ausübte.

Nicht nur in Deutschland war der Diplomat gesellschaftlich exklusiv und hielt sich von allem fern, was ihn mit der Masse in Berührung brachte. So kam es, daß der Diplomat, selbst als die Intellektuellen schon längst dem Film verfallen waren, noch wie ein rocher de bronce, das Monokel im Auge, dastand und diese Art Volksunterhaltung als nicht standesgemäß ablehnte. Und nur so wieder war es möglich, daß er nichts von der Wirkung ahnte, die von dem Instrument ausging, auf dem Doktor Rudolf Deichler seit nunmehr zehn Jahren mit vollendeter Künstlerschaft der ganzen Welt die deutsche Melodie spielte.

Blieb unter Deichlers Herrschaft der amerikanische Film auch typisch amerikanisch, wie der französische durchaus französisch blieb — nicht nur der Struktur nach — so ging von ihnen allen doch so etwas wie der Duft von einem deutschen Veilchen aus, der einem verstandesgemäß gar nicht zum Bewußtsein kam. Gefühlsmäßig aber übte es seine Wirkung, verursachte Behagen und wurde schließlich eine Neigung, über deren Ursache man sich, wie über jedes starke Gefühl, keine Rechenschaft gab.

Und das war das psychologisch Wesentliche in Deichlers Kunst, in der ihn Marga unterstützte, daß weder die Filmdichter, Fabrikanten, Schauspieler und Regisseure, noch das Publikum die Absicht merkte, aus der alles das geschah. Erst nach zehn Jahren, als Deichlers ihr Netz über die ganze Welt gezogen hatten, verkündete der englische Diplomat der überraschten Menschheit, daß die Rockefeller-Film-Company kein auf Herstellung und Vorführung von Films zu Unterhaltungs- und Lehrzwecken gerichtetes kaufmännisches Erwerbsunternehmen eines Amerikaners sei, vielmehr der grandioseste Bluff eines deutschen Diplomaten, der unter Nutzbarmachung von Milliarden amerikanischen Geldes ein Unternehmen unter amerikanischer Flagge zur Erlangung der Weltherrschaft für Deutschland organisiert hatte.

Die Times brachten die Sensation, die wie eine Bombe in das nach sechzehnjährigen Stürmen eben zur Ruhe zurückgekehrte Europa platzte. Drei Leitartikel widmeten sie dem Fall und belegten, was sie behaupteten, mit Beweisen.

Die Welt fluchte. Deutschland staunte. Rockefeller schien hintergangen und blamiert. Aber Doktor Rudolf Deichler war der Diplomat, neben dem alles, was die Welt in den letzten hundert Jahren an Diplomaten besaß, erblaßte.

Als die erste große Erregung, die vernünftiges Denken ausschloß, ruhiger Überlegung wich, stellte sich jedes Land die Frage: Was hat zu geschehen?

Amerika, das anfangs mit den anderen Nationen geheult und seinen Bürger Rockefeller verspottet hatte, änderte schon nach wenigen Tagen das Gesicht. Es lächelte! — Und es durfte lächeln. Denn es besaß in der Rockefeller-Film-Company ein Instrument, auf dem es eine ihm genehme Melodie pfiff — und die ganze Welt tanzte nach seiner Pfeife.

Darüber, daß der noch laufende Vertrag Deichlers anfechtbar, wenn nicht gar ungültig, auf alle Fälle aber vor der Zeit kündbar war, darüber waren sich die Gelehrten aller Länder einig, noch ehe sie Mister Rockefeller gehört hatten. Offenbar lag auf seiten Deichlers, der seine Stellung für politische Zwecke mißbraucht hatte, arglistige Täuschung vor.

Aber dieser Mißbrauch wurde von Rockefeller bestritten, mußte von ihm bestritten werden, wenn er nicht riskieren wollte, daß das zweite Gesicht der Rockefeller-Film-Company zum Vorschein kam. Dies zweite Gesicht, und zwar das wahre, in einem besonderen Vertrage mit Doktor Deichler festgelegte, war: Propaganda für die persönlichen Geschäftsinteressen Mister Rockefellers, die durchaus nicht immer identisch mit den amerikanischen Interessen waren. Jedenfalls stellte sich die Welt die erste Unterredung, die nach dieser Enthüllung zwischen Mister Rockefeller und Doktor Deichler stattfand, anders vor, als sie in Wirklichkeit verlief.

„Ich gratuliere!“ sagte Deichler, als Rockefeller mit einem roten Kopf, die Times in der Hand, zu ihm ins Bureau stürzte.

Und auf die Antwort:

„Sind Sie toll?“

erwiderte er:

„Ich habe nach außen hin die egoistisch-kapitalistischen Gründe verbergen müssen, aus denen Sie die Welt in einen Kientopp verwandeln. Geschickter konnte ich es nicht machen. Daß mein Land daraus ideelle Vorteile zog ...“

„und materielle!“ unterbrach ihn Rockefeller.

„Möglich! Aber immer nur in Verbindung mit Ihnen — und in keinem einzigen Falle auf Ihre Kosten.“

Rockefeller stampfte im Zimmer auf und ab.

„Auf diese Weise“, fuhr Deichler fort, „hat sich Ihr Vermögen in fünf Jahren ver...“

„Schon gut!“ sagte Rockefeller, stand jetzt vor ihm, reichte ihm die Hand und fuhr fort: „Solange Ihre ideellen Interessen mit meinen materiellen nicht in Kollision geraten, kümmere ich mich den Teufel was um das Geschrei der Presse.“

„Zumal die auf dem Aussterbeetat steht,“ ergänzte Deichler, „und, wenn wir wollen, von uns zermalmt wird.“

„Wir wollen!“ erklärte Rockefeller bestimmt.

„Gern!“ erwiderte Deichler, als handle es sich um eine belanglose Gefälligkeit.

„Ja, wie wollen Sie das anstellen?“

„Zunächst muß der Film mit allem, was in der Presse auf Sensation und Unterhaltung gestellt ist, den Kampf aufnehmen.“

„Ich weiß wirklich nicht, wie das geschehen soll.“

„Die größten Erfolge haben wir immer dann erzielt, wenn wir auf die Denkfaulheit der Massen spekuliert haben. Eine Zeitungsnummer, ja auch nur eine Skizze zu lesen, stellt Anforderungen an den Denkapparat. Wir schalten ihn aus! Wir wirken nur auf die Sinne!“

„Das stimmt. Aber die Menschen sind seit Jahrzehnten daran gewöhnt, in ihren Zeitungen und auch sonst Romane zu lesen.“

„Nichts leichter, als es ihnen abzugewöhnen.“

„Wie denken Sie sich das?“

„Haben Sie eine Viertelstunde Zeit, Mister Rockefeller?“

„Nur, wenn Sie für die Viertelstunde eine nutzbringende Verwendung haben.“

„Die hab’ ich! — Bitte!“ — Sie gingen zur Tür, stiegen ins Auto und fuhren in die Redaktion des New York Herald.

Der Name Rockefeller öffnete ihnen sofort die Tür des Direktors.

Eine kurze Begrüßung, und Deichler sagte:

„Wir wollen für Sie eine Reklame machen, die Sie nichts kosten soll.“

„Warum?“ fragte der kluge Direktor.

„Um die Auflage Ihres Blattes, dessen Politik den Intentionen Mister Rockefellers entspricht, zu verzehnfachen. Mit ein paar Tausend Intellektuellen macht man heutzutage keine Politik. Heut entscheiden die Massen. Die also muß man gewinnen.“

Der Direktor lächelte etwas skeptisch und meinte:

„Gewiß! aber wie soll das geschehen?“

„Ihr Blatt wird in seiner nächsten Nummer eine fette Notiz im Feuilleton und ein ganzseitiges Inserat auf der letzten Seite bringen.“

„Aha! ein Inserat! und eine Notiz im Text. Ich verstehe.“

„Nein!“ widersprach Deichler. „Sie können es gar nicht verstehen.“

„Es soll im Text gelobt werden, was im Inserat angepriesen wird.“

„Sie unterschätzen die Geistigkeit Mister Rockefellers. Und unsere freie Zeit. Inserate dieser Art werden durch unsere Propagandaabteilung erledigt.“

Der Direktor verbeugte sich und sagte:

„Verzeihung!“

„Der Text unseres Inserates lautet: Unser nächster Roman erscheint nicht im Feuilleton, sondern in den Lichtspieltheatern der Rockefeller-Film-Company. Ausweis: Abonnementsquittung.“

„Donnerwetter! das ist eine Reklame!“

„Die Abonnements werden, um Mißbrauch auszuschließen, abgestempelt.“

„Eine geniale Idee!“

„Ein harmloser Geschäftstrick,“ erwiderte Deichler. „Außer in Ihrem Blatt werden wir das Inserat in ganz Amerika plakatieren.“

„Das kostet ja Millionen!“ rief der freudig überraschte Direktor.

„Wie hoch würden Sie sich an dieser Reklame beteiligen?“ fragte Deichler, um den Schein zu wahren.

Der Direktor wollte den Aufsichtsrat befragen.

„Das dauert uns zu lange“, widersprach Rockefeller. „Was wir tun, tun wir sofort. Wir werden also die Kosten tragen.“

Als die beiden wieder ins Auto stiegen, meinte Rockefeller:

„Ein Danaergeschenk! Sie entziehen dem Blatt Blut, das es zum Leben braucht.“

„Das ist ja der Zweck der Übung. Die Zahl unserer Theater erlaubt uns, gleichzeitig die Romane einiger Dutzend Blätter zu spielen. Sobald die Menschheit erkennt — und das wird sehr schnell geschehen — daß man alle Wonnen eines Romans genießen kann, ohne die Mühe zu haben, ihn zu lesen, wird der Unterhaltung wegen sehr bald niemand mehr eine Zeitung oder ein Buch zur Hand nehmen.“

„Das nächste Opfer des Films wird also das Buch sein?“

„Ganz gewiß! Und zwar wird das schneller gehen, als man glaubt. Einige Snobs und Bibliophile werden natürlich übrigbleiben. Aber die zählen nicht.“

„All das leuchtet mir ein. Aber damit bringen Sie doch den Skandal, den die Enthüllungen des englischen Diplomaten verursacht haben, nicht zum Schweigen.“

„Aber ich lenke ab.“

Rockefeller sah ihn groß an und fragte:

„Indem Sie es faustdick unterstreichen? Denn das tun Sie doch dadurch, daß Sie den amerikanischen Zeitungen den Roman entziehen.“

„Gewiß, und zwar nicht nur den amerikanischen, auch den englischen. Und der englische Diplomat wird triumphierend rufen: Ein neuer Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptungen! und sich immer mehr in das Studium unserer Lichtspieltheater vertiefen.“

„Nun also!“

„In denen er sehr bald nichts anderes mehr als harmlose Unterhaltung finden wird.“

„Sie wollen meine und Ihre Interessen ausschalten? — vorübergehend? — oder wie?“

„Ja! Ich will sie ausschalten; und zwar nicht nur vorübergehend, sondern definitiv.“

Rockefeller machte, was nicht oft vorkam, ein wenig kluges Gesicht.

„Ich brauche diese Theater längst nicht mehr! Es war ja doch klar, daß sich eines Tages irgendein nicht ganz Dummer fand, der den Schleier von uns zog und einer erstaunten Mitwelt unser scheinbar wahres Gesicht enthüllte. Ich habe vorgebeugt! Der englische Seher kommt zu spät. Ihre und meine Interessen verficht seit drei Monaten nur noch der Oktro.“

„Und Sie glauben, mit diesem Hauskino dieselben Wirkungen zu erzielen?“

Deichler lächelte.

„Der Oktro wird nicht nur das Theater, die Zeitungen, das Buch, die Kinos ersetzen; wir werden mit ihm — und ich bin mir bewußt, was ich damit sage — in ein paar Jahren der Welt unseren Willen aufoktroyieren.“

„Schreitet die Verbreitung fort?“

„Unsere Verleihanstalten haben allein in Amerika über sieben Millionen Apparate vergeben. In Deutschland und Italien ist das Verhältnis zur Zahl der Familien noch größer. Wenn man bedenkt, daß sich meist zwei, drei, ja oft fünf Familien zusammentun und gemeinsam einen Apparat leihen, der ihnen zweimal am Tage bildmäßig das zeigt, was die Welt bewegt — und zwar“ — er kniff die Augen zusammen — „in einer uns genehmen Form, so werden Sie mir zugeben, daß daneben jede Zeitung ihre Wirkung, ja letzten Endes ihre Existenz­berecht­igung einbüßt. Wir geben außer dem ständigen Oktrofilm-Roman jetzt schon jedem Oktroisten für ein paar Pennys die Möglichkeit, monatlich auf drei bis vier weitere Filmromane zu abonnieren. Der Oktro ist die bequemste und einfachste Art, sich ohne Anstrengung zu unterhalten und über alle Vorgänge in der Welt bildhaft zu orientieren. Wir müssen seine Tätigkeit so ausbauen und erweitern, daß es gar keinem Menschen mehr einfällt, sich auf andere Art zu zerstreuen oder zu unterrichten. In der guten Gesellschaft wird seit Einführung unserer Elite-Gesellschafts-Films kaum noch Bridge gespielt und musiziert und, worin ich ein kulturförderndes Moment des Oktro erblicke, kaum noch Konversation gepflegt. Denken Sie, wieviel Plattheiten und Dummheiten dadurch unausgesprochen bleiben. Und doch geht jeder angeregt und bereichert und ohne eine Ahnung davon zu haben, in einer Stimmung nach Hause, die wir uns wünschen.“

„Ich verstehe“, erwiderte Rockefeller, „Sie wollen, daß die Bewegung, die jetzt einsetzt, sich auf die öffentlichen Lichtspieltheater verbeißt.“

„Sie muß und wird es tun. Denn nur auf die Art, indem wir scheinbar nachgeben und uns überall, für viel Geld natürlich, diese Theater von den Parteien oder Regierungen abringen lassen, werden wir vor großen Verlusten bewahrt bleiben.“

Rockefeller nickte zustimmend, und Deichler fuhr fort:

„Kein Mensch, der zu Hause ein Bad hat, wird in eine öffentliche Badeanstalt gehen. Genau so wenig wird, wer ein Oktro hat, Kinotheater besuchen. Und es wird sehr bald zum guten Ton gehören, daß man auf eine Einladung ins Kinotheater hin die Nase rümpft und sagt: ‚Ich bitt’ Sie! ich kinoë zu Hause!‘“

„Gut“, erwiderte Rockefeller. „Aber wenn jetzt der Run auf unsere Lichtspieltheater einsetzt, wir sie uns abjagen lassen, die anderen sie übernehmen und diese Übernahme sich schließlich als ein Schlag ins Wasser erweist — was dann? Wird man dann nach Jahren nicht dahinterkommen, daß es die Oktros sind, und gegen sie den Kampf aufnehmen?“

„Gewiß! Lichtspieltheater lassen sich, unter Umständen, ohne daß man das Recht beugt, enteignen. Oktro, eine durch internationale Gesetze geschützte Erfindung, die durch die besten Techniker der Welt ständig vervollkommnet wird, nicht. Im übrigen wird es in wenigen Jahren kaum noch eine Wohnung geben, die außer Wasser und Heizung nicht auch ein eingebautes Oktro hat.“

„Somit wären wir mit dem Oktro die Herren der Welt.“

„Unbestritten! — Nehmen Sie ein Beispiel, den Sport! Hunderte von Millionen huldigen ihm. Hunderte von Fachblättern, die sich nur mit ihm beschäftigen. Die Menschen verschlingen die Berichte über die Leistungen der Pferde bei der Morgenarbeit, über die Trainings der Fußball-, Tennis-, Golfspieler, Ringer, Boxer, Radfahrer und tausend ähnlich geistloser Helden. Sie wollen sich auf Grund dieser Vorarbeiten ein Urteil bilden über die Chancen am Tage der Entscheidung. Sie sind auf die nicht einmal immer objektiven Berichte der Reporter angewiesen. Der Sportabonnent des Oktro bekommt alle diese Arbeitsleistungen im Bilde vorgeführt, jede Täuschung ist ausgeschlossen, er spart Zeit, Weg, Geld. Ja, ich kann mir nicht denken, daß auch nur ein Sportblatt neben dem, was wir bieten, existieren kann. Die Presse bringt einen toten Bericht, wir bringen jede Phase des Rennens im Bild; wir kontrollieren Pferd, Reiter, Richter! — Was von der Sportpresse gilt, gilt in erhöhtem Maße von den Modejournalen. All diese Dinge sind so elementar, daß sie jedem Kinde einleuchten. Sie verlangen keine Spur von Geist, nur Organisation. Wir können alle unsere Intelligenz also auf die Politik und Wirtschaft legen. Und wenn es diesem Engländer an der Hand dessen, was wir zehn Jahre lang in unseren Lichtspieltheatern trieben, gelang, eine ausgesprochen deutsche Tendenz nachzuweisen, so werden wir, durch Schaden, der uns diesmal freilich zum Vorteil ausschlägt, klug gemacht, es ihm künftighin durch verfeinerte Arbeit erschweren, in unsere Geschäftsgeheimnisse einzudringen.“

„Ich verlasse mich ganz auf Sie,“ erwiderte Rockefeller, „bin aber schon heute davon überzeugt, daß aus dem Wettstreit zwischen dem Oktro und sämtlichen Diplomaten und Gelehrten der Welt der Apparat als Sieger hervorgehen wird.“

*     *     *

Mit wahrem Enthusiasmus fiel auf Grund dessen, was der englische Diplomat enthüllt hatte, die ganze Welt über die Rockefeller-Film-Company her. Zum ersten Male, solange die Welt stand, bildeten die Regierungen und Völker aller Länder eine geschlossene Phalanx. Auch Deutschland, das doch unabsehbare Vorteile aus der Rockefeller-Film-Company gezogen hatte, gehörte dazu. Hier wünschte man eine Entscheidung durch das Schwert. Aber die Rockefeller-Film-Company schätzte ihre Gegner richtig ein und lehnte diesen ungleichen Kampf ab. Immer lauter wurden die Stimmen, die eine Entscheidung durch den Völkerbund forderten. Der trat zusammen und erklärte sich in privatrechtlichen Angelegenheiten nicht für kompetent. Aber er bekannte, daß die Machtfülle der Rockefeller-Film-Company seine Arbeiten illusorisch mache.

Die Krise wuchs. Deutschland machte mobil. — Da erklärte Mister Rockefeller:

„Um Blutvergießen zu vermeiden, gehen sämtliche Lichtspieltheater für einen entsprechenden Kaufpreis in das Eigentum des Völkerbundes über. Jede Nation wählt, je nach der Größe, einen, zwei oder drei Vertreter in den Ausschuß, der über die Fabrikation und den Spielplan entscheidet.“

Die Welt atmete auf. Die Nationen wählten. Überall nach Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes. Nur in Deutschland auf Grund der Parteiprogramme. Doktor Deichler, der für Deutschland Prädestinierte, fiel durch. Die Wahl traf einen Helden aus großer Zeit. Er blieb im Ausschuß stets in der Minorität. Die Heimat rühmte sein Rückgrat und jubelte ihm zu.

Aber Deutschland erholte sich trotzdem. Dafür sorgte Oktro, das unter Deichlers Leitung blieb. Deutschland gewann nach innen Kraft, Vertrauen und Ansehen nach außen.

Ende

Transcriber’s Notes / Hinweise

Der Originaltext erschien in einer Frakturtype. Bei der Erstellung des E-Books wurde jedoch eine serifenlose Schrift gewählt, um das Buch für heutige Leser verständlicher zu gestalten. Die Schriftdefinitionen in HTML werden von E-Readern in der epub-Version nicht notwendigerweise angezeigt.

Einige orthografische Fehler wurden berichtigt.

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Some typographical errors have been corrected.

[The end of Miß Rockefeller filmt by Artur Landsberger]